SV II: Reststrafaussetzung zur Bewährung durch StVK , oder: Mündliche Anhörung des SV erforderlich?

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Im zweiten Posting etwas zum Sachverständigen im Verfahren betreffend die Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar den OLG Celle, Beschl. v. 29.04.2024 – 1 Ws 126/24.

Der Verurteilte wurde am 13.06.2022 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwei Drittel der Strafe waren am 06.042024 vollstreckt, die Endstrafe ist auf den 07.042025 notiert. Die StVK hat zur Prüfung einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB ein Sachverständigengutachten eines Diplom-Psychologen eingeholt. Dieser hat – im Gegensatz zur Stellungnahme der JVA – eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten im Ergebnis befürwortet. Zur mündlichen Anhörung des Verurteilten am 03.04.2024 wurde der Sachverständige zunächst geladen, nach Verzicht der Verteidigerin auf seine mündliche Anhörung aber wieder abgeladen. Im Anhörungstermin hat auch der Verurteilte selbst darauf verzichtet, den Sachverständigen mündlich zu hören.

Die StVK hat dann die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 454 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer war bereits deswegen aufzuheben, weil sie an einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet. Denn die Strafvollstreckungskammer hat zu Unrecht von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen abgesehen.

a) Gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO ist im Falle der Einholung eines Prognosegutachtens vor einer Entscheidung über die Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung der Sachverständige mündlich anhören. Von der Anhörung darf gemäß § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO nur abgesehen werden, wenn sowohl der Verurteilte und sein Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.

b) Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 Satz 4 StPO lagen nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft nicht auf die Sachverständigenanhörung verzichtet hat.

Die Strafvollstreckungskammer hat in ihrer Verfügung vom 6. Februar 2024, mit der die Akten der Staatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme vom Gutachten übersandt wurden, auch nach einem Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen gefragt. Zu dieser Frage hat sich die Staatsanwaltschaft aber weder in ihrer Rücksendeverfügung vom 13. Februar 2024, mit der sie auf ihre frühere Stellungnahme Bezug nahm, noch später geäußert.

Ein konkludenter Verzicht der Staatsanwaltschaft liegt ebenfalls nicht vor. Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden (OLG Braunschweig, Beschluss vom 5. Oktober 2023 – 1 Ws 206/23 –, Rn. 9, juris, m. w. N.). Auch dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nicht am Anhörungstermin teilgenommen hat, kann jedenfalls unter den vorliegenden Umständen eine solche eindeutige Erklärung nicht entnommen werden, weil der Staatsanwaltschaft aufgrund der Ladungsverfügung vom 27. Februar 2024 keine Terminsnachricht übersandt und sie auch über die spätere Abladung des Sachverständigen nicht informiert wurde.

c) Darüber hinaus begegnet das Absehen von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen im vorliegenden Fall auch unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Aufklärungspflicht durchgreifenden Bedenken.

Die Pflicht zur bestmöglichen Aufklärung des Sachverhalts kann auch in Fällen, in denen der Sachverständige nicht gemäß § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO mündlich zu hören ist, seine mündliche Anhörung erfordern (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2015 – 1 Ws 319/15, beck-online). Denn die Anhörung dient nicht nur der Verwirklichung rechtlichen Gehörs, sondern soll vor allem die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbereiten und ihre materielle Richtigkeit gewährleisten (vgl. OLG Braunschweig, a. a. O.). Die mündliche Erörterung eines solchen Gutachtens in Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten gibt diesen Gelegenheit, das Sachverständigengutachten eingehend zu diskutieren, das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen und zu dem Gutachten Stellung zu nehmen (OLG Braunschweig a. a. O.).

Angesichts der grundlegenden unterschiedlichen Prognosebeurteilungen der Justizvollzugsanstalt einerseits und des Sachverständigen andererseits wäre eine solche eingehende Erörterung des Gutachtens – unter Mitwirkung der Vollzugsanstalt (§ 454 Abs. 3 Satz 3 StPO) – im vorliegenden Fall geboten gewesen, nachdem die Justizvollzugsanstalt nach Vorlage seines Gutachtens noch eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und darin ihre bisherige Beurteilung bekräftigt und vertiefend begründet hat.“

SV I: Sachverständigengutachten im Urteil, oder: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

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Und heute dann drei Entscheidungen zum Sachverständigen bzw. zu Sachverständigenfragen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORs 24/24. Der verhält sich zur Unterbringung nach § 64 StGB nach neuem Recht. Insoweit hier nur mein Leitsatz:

Für die festzustellende Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB n.F. ist es nunmehr erforderlich, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose sind „moderat angehoben“ worden, indem nunmehr eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ gegeben sein muss; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist.

Und zu der Sarstellung eines Sachverständigengutachtens im Urteil bekräftigt das OLG noch einmal die ständigen Rechtsprechung der Obergerichte in der Frage, nämlich:

Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich indes die gebotene Auseinandersetzung mit den festgestellten prognoseungünstigen wie auch prognosegünstigen Faktoren nicht entnehmen.

„Das Landgericht hat insoweit der „grundsätzlich vorhandenen Therapiewilligkeit des Angeklagten“ als (einzigem) prognosegünstigen Umstand „insbesondere die zahlreichen erfolglosen Therapieversuche in den letzten Jahren“ sowie den Umstand, dass „selbst im hochstrukturierten Setting der stationären Therapie kein konkreter Behandlungserfolg habe erzielt werden können“ als gegen eine günstige Behandlungsprognose sprechenden Umstände gegenübergestellt. Im Übrigen hat die Kammer zu der fehlenden Erfolgsaussicht (nur) ausgeführt, dass nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließe, keine tatsächlich begründete Erwartung eines Behandlungserfolgs einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gern. § 64 StGB bestehe (UA S. 16). Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017, 4 StR 595/16, juris, Rn. 8; vom 28. Januar 2016, 3 StR 521/15, juris, Rn. 4.; vom 27. Januar 2016, 2 StR 314/15, juris, Rn. 6; vom 17. Juni 2014, 4 StR 171/14, juris, Rn. 7). Daran fehlt es hier.“

 

 

Hier ist das 15.000 Posting im BOB nach fast 16 Jahren, oder: Auf und weiter geht es.

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Und heute dann – vor dem „normalen“ Donnerstagsprogramm und nach der Urlaubsabmeldung – ein besonderes Posting.

Der Anlass: Dieses Posting ist der 15.000 Beitrag hier im Burhoff Online Blog – kurz: BOB. Der erste Beitrag ist am 01.11.2008 um 07.29 Uhr online gegangen. Es hat sich gehandelt um: Anhebung der Tagessatzhöchstgrenze im Bundeskabinett beschlossen. 

Damals noch ohne Bilder. Seitdem ist viel passiert. Vor allem bin ich zu einer regelmäßigen „Berichterstattung“ übergegangen mit drei Entscheidungen/Tag. Der ein oder andere findet, dass das zu viel ist. Aber m.E. muss es sein und man muss ja auch nicht alles lesen. Ich denke, die Überschriften sind aussagekräftig genug.

Solche „Jahrestage“ wie dieser – also fast 16 Jahre BOB und 15.000 Postings – sind dann immer der Anlass, Dank abzustatten.

Der geht vor allem an meinen „Blogwart“ Mirko Laudon aus Hamburg – das musste jetzt sein, Mirko. Der betreut das Blog technisch, das ein oder andere habe ich aber inzwischen von ihm gelernt. Aber, wenn es schwierig wird, brauche ich ihn noch.

Dank auch an alle Kollegen/Kolleginnen, die mir in der Vergangenheit viele Entscheidungen geschickt haben und damit mit dafür sorgen, dass die ein oder andere Entscheidung, die die Gerichte vielleicht nicht so gern veröffentlicht hat, doch veröffentlicht wird. Das gilt vor allem für gebührenrechtliche Entscheidungen, von denen manche sonst leider im Dunklen geblieben wären.

Und der Dank gilt dann natürlich auch an diejenigen, die in rund 18.500 (genehmigten) Kommentaren ihr Meinung zur den Entscheidungen geäußert haben. Bei der Gelegenheit: Ich schaue mir jeden Kommentar an, ob ich ihn ggf. frei gebe oder ob es bei der Freigabe bleibt. Auf ellenlange politische Diskussionen usw. habe ich keinen Bock. Die mag man an anderer Stelle führen.

Für mich gilt: Das Bloggen hat Spaß gemacht und es macht auch immer noch Spaß. Daher: Ad multos annos. An mir soll es nicht liegen.

Ab heute mal wieder für einige Tage Auszeit/Urlaub, oder: Mal wieder Leinen los

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Wenn das Bild im Blog erscheint, weiß derjenige, der hier regelemäßig mitliest: Es ist mal wieder so weit: Auszeit. Und zwar geht es heute mit der Bahn – also vielleicht Abenteuer 🙂 – nach Düsseldorf und von da aus morgen ganz früh mit dem Flieger nach Heraklion und dort geht es dann aufs Schiff. Dieses Mal aber nicht AIDA, sondern „Mein Schiff 5“. Wir wollen einfach mal testen und die Unterschiede erfahren.

Die Reise sind „10 Nächte – Griechenland und Bella Italia – ab Heraklion/bis Palma“ – so wird sie von „Mein Schiff“ angeboten. Es geht von Heraklion (Kreta) über Athen, Souda/Chania, Kreta, La Valetta/Malta, Catania/Sizilien, Salerno, Civitavecchia/Rom nach Palma de Mallorca, was ich am 04.11.2024 erreiche. Die ein oder andere von den Stationen kennt man/kenne ich. Aber das ist nicht so wichtig, da es ja vornehmlich/auch um den „Test“ geht. Und vielleicht dann auch noch ein wenig Sonne. Ich bin gespannt.

Hier geht es in den elf Tagen normal weiter: Die Beiträge sind vorbereitet, alles aber vielleicht nicht ganz so aktuell wie gewohnt. Aber klappt schon. Kommentarfunktion habe ich eingeschaltet gelassen. Ich werde aber kaum schnell antworten, wenn es etwas zu antworten gibt.

Also dann bis zum gesunden „Wiedersehen“.

Befangen III: Unsachliche dienstliche Stellungnahme, oder: Besorgnis der Befangenheit

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Im dritten Posting habe ich dann noch einen Beschluss aus einem Zivilverfahren. M.E. gelten die Ausführungen des OLG aber auch für vergleichbare/ähnliche Fälle im Straf- oder Bußgeldverfahren.

Bei dem Verfahren handelt es sich um ein Verfahren auf Räumung und Herausgabe einer gewerblich genutzten Immobilie. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens war für den 12.01.2024 ein Verhandlungstermin anberaumt. Am 08.01.2024 beantragten die Klägervertreter eine Terminsaufhebung mit der Begründung und der anwaltlichen Versicherung, dass der alleinige Sachbearbeiter, Rechtsanwalt S., erkrankt sei. Daraufhin wurde der Termin um drei Monate verlegt. Der Beklagte selbst teilte in einem Schreiben vom 12.01.2024 dem Gericht mit, dass er bei der Kanzlei des Klägervertreters am Vormittag angerufen habe und ihm mitgeteilt worden sei, dass Rechtsanwalt S. gerade auf der zweiten Leitung telefoniere und danach gerne zurückrufen werde. Er frage sich, wie sich denn das mit dem Verlegungsgrund vereinbaren lasse. Das Schreiben endete mit dem folgenden Satz:

„Da Herr RA S. bei den laufenden Verfahren, nun schon mehr als 30-mal, irgendwelche Verhinderungsgründe dafür nannte, sehe ich mein Misstrauen gegenüber Herrn RA S. bestätigt und bitte um Aufklärung.“

Rechtsanwalt S. teilte daraufhin – auf entsprechende Aufforderung des Gerichts – mit, er sei am 12.01.2024 arbeitsunfähig krank gewesen. Er habe am 12.01.2024 lediglich zur Abholung einzelner Akten und zur Organisation seiner Vertretung die Kanzleiräume kurzzeitig betreten. Eine Terminswahrnehmung sei aber nicht möglich gewesen. Der Beklagte habe nicht mit seinem Sekretariat sondern mit der Auszubildenden Frau O. telefoniert, die ihm lediglich mitgeteilt habe, dass er – Rechtsanwalt S. – derzeit nicht zu sprechen sei. Hieran anschließend erstellte der zuständige Einzelrichter Richter pp. am 18.01.2024 folgende Verfügung:

„Aus hiesiger Sicht ist die Sache geklärt. Der Beklagte möge mit derartigen Unterstellungen künftig ein wenig zurückhaltender sein.“

Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.04.2024 lehnte der Beklagte nun den Richter pp. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Richter pp. hat sich zu dem Befangenheitsantrag in einer dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 geäußert, die mit folgendem Absatz endet:

„Meinem Eindruck nach geht es dem Beklagten, der den Antrag zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, um Verfahrensverzögerung. Ich bin erstaunt, dass Herr Dr. R., den ich als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt habe, sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten. Der Befangenheitsantrag ist im Übrigen nicht der erste, den der Beklagte eingereicht hat. Der letzte hat sich gegen Frau B. gerichtet und war offensichtlich unbegründet.“

Das LG hat das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.10.2024 – 13 W 20/24 – Erfolg hatte:

„2. Ausgehend hiervon liegt eine Besorgnis der Befangenheit hinsichtlich des Richters pp. in Folge des Inhalts dessen dienstlicher Stellungnahme vom 11.04.2024 vor.

a) Das Recht zur Richterablehnung ist ein nicht im Ermessen des Gerichts stehendes Verfahrensrecht, das seinen Grund in der verfassungsrechtlich verankerten richterlichen Neutralitätspflicht hat. Daher kann ein Richter, der die Ausübung dieses Rechts kritisiert, den Eindruck erwecken, nicht unparteiisch zu sein (OLG Köln v. 29.04.2013 – 20 W 30/13). Dabei kann offen bleiben, ob jegliche Kritik an einem Ablehnungsgesuch die Besorgnis der Befangenheit begründen kann (vgl. auch BGH v. 12.10.2011 – V ZR 8/10 – juris Rn. 11). Eine Partei wird bei vernünftiger Würdigung jedenfalls dann an der Unvoreingenommenheit zweifeln, wenn der abgelehnte Richter auf ein nicht ganz abwegiges Ablehnungsgesuch hin mit unsachlicher Kritik reagiert. In einem solchen Fall kommt eine negative Einstellung des Richters gegenüber der die Ablehnung beantragenden Partei zum Ausdruck, sodass diese zumindest Zweifel haben kann, ob andere Anträge mit der gebotenen Unvoreingenommenheit beschieden werden.

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Denn der unter I. auszugsweise wiedergegebene Inhalt der dienstlichen Stellungnahme von Richter .pp. vom 11.04.2024 war aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei in der Situation des Beklagten geeignet, berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters ihm gegenüber aufkommen lassen.

aa) Das an die Verfügung des Einzelrichters vom 18.01.2024 anknüpfende Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 10.04.2024 war bei verobjektivierter Betrachtung nicht ganz abwegig, was allerdings der oben unter I. auszugsweise wiedergegebene Inhalt der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters suggeriert, indem dort mitgeteilt wird, dass es bei dem Befangenheitsgesuch des Beklagten dem Eindruck des Richters nach (nur) „um Verfahrensverzögerung“ gehe, dass er „erstaunt“ sei, dass sich dessen Rechtsanwalt „in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten“, und indem noch hinzugefügt wird, dass der Beklagte schon mehrere Befangenheitsanträge eingereicht habe, wobei der letzte „offensichtlich unbegründet“ gewesen sei.

(1) Der Befangenheitsantrag des Beklagten vom 10.04.2024 war, anders als es das Landgericht gemeint hat, insbesondere nicht von vorneherein wegen Verfristung offensichtlich unzulässig, nachdem bis zum 10.04.2024 weder eine mündliche Verhandlung stattgefunden hatte noch eine Zustimmung zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren vorlag, und nachdem die Frage, ob auch Anträge auf Aussetzung oder Ruhen des Verfahrens Anträge i.S.d. § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO darstellen, jedenfalls nicht als abschließend geklärt angesehen werden kann (vgl. Vossler in BeckOK ZPO, Stand 01.07.2024, § 43 Rn. 5; Stockmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 43 Rn. 5).

(2) Nachvollziehbar ist auch, dass die Verfügung vom 18.01.2024 (insbesondere die darin enthaltene Formulierung „mit derartigen Unterstellungen“) von Beklagtenseite als eine Art Maßregelung und Vorwurf aufgefasst wurde.

(a) Soweit Richter pp. in der Verfügung zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm die Ausführungen von Rechtsanwalt S. ausreichen, um die Sache als geklärt anzusehen und eine Verzögerungsabsicht zu verneinen, handelt es sich allerdings um eine vertretbare Würdigung. Zwar war Rechtsanwalt S. unstreitig trotz bescheinigter Arbeitsunfähigkeit am Terminstag beruflich tätig, und zwar nicht nur von zu Hause aus. Es ist aber offenkundig, dass die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung, deren Dauer man im Vorfeld nicht abschätzen kann, sehr viel mehr Kraft kosten kann als ein kurzer Besuch in der Kanzlei und die Bearbeitung von Akten im Homeoffice. Zudem waren am 12.01.2024 seit Stellen des Terminsverlegungsantrags drei Tage vergangen, sodass eine am 09.01.2024 noch nicht vorhersehbare Besserung eingetreten sein konnte. Auch soweit der Einzelrichter dann in der Verfügung noch eine gewisse Zurückhaltung anmahnt, vermag dies eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass ein Zivilprozess für alle Beteiligten belastend sein kann, wenn seitens der Parteien eskaliert wird. Daher muss es einem Richter möglich sein, auf eine Partei auch einmal mahnend einzuwirken, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

(b) Indes ist zu berücksichtigen, dass der in der Verfügung enthaltene Vorwurf an den Beklagten, mit Unterstellungen zu arbeiten, in der konkreten Situation schon ein wenig hart war. So hat der Beklagte Herrn Rechtsanwalt S. zumindest nicht ausdrücklich vorgeworfen, die Krankheit vorgetäuscht zu haben. Vielmehr hat der Beklagte nur die Frage aufgeworfen, wie sich die von ihm geschilderten Tatsachen mit dem Verlegungsgrund vereinbaren ließen, und hat um eine weitere Aufklärung gebeten, was dann ja auch verfügt wurde. Zudem waren die Zweifel des Beklagten an der Arbeitsunfähigkeit auch nicht völlig unberechtigt, nachdem Rechtsanwalt S. ja am 12.01.2024 unstreitig Tätigkeiten entfaltet hat. Es konnte und kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass – wie klägerseits vorgetragen – die Sekretärin bzw. Auszubildende A.O. am 12.01.2024 zum Beklagten nur gesagt haben soll, dass der Klägervertreter nicht zu sprechen sei. Vielmehr schreibt die Sekretärin ausweislich der klägerseits vorgelegten Anlage 2 an den Klägervertreter, dass es der Beklagte später noch einmal versuchen werde. Danach hat Frau O. dem Beklagten jedenfalls nicht gesagt, dass es keinen Sinn ergebe, es am selben Tag noch einmal zu versuchen. Ausgehend hiervon konnten beim Beklagten schon Zweifel aufkommen, ob der Klägervertreter tatsächlich, wie mitgeteilt, krankheitsbedingt verhindert war, sodass es jedenfalls nicht abwegig war, dass der Beklagte zu der Auffassung gelangte, vom zuständigen Einzelrichter mit dessen Verfügung vom 18.01.2024 ungerecht behandelt worden zu sein und dies zum Anlass nahm, den Richter abzulehnen.

bb) Zudem stellt sich die Kritik von Richter pp. am Ablehnungsgesuch in der dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 auch als unsachlich dar. Zwar weist das Landgericht im Ansatz zu Recht darauf hin, dass es im vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar ist, warum der Antrag erst mehr als zwei Monate nach Erhalt der Verfügung und zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellt wurde, sodass die Annahme der Absicht einer Verfahrensverzögerung nicht so fern liegt. Unsachlich ist es aber, soweit Richter pp.darauf hinweist, dass der Beklagte schon mehrere Befangenheitsanträge eingereicht habe und ein zuletzt gegen Frau B. gerichteter Befangenheitsantrag offensichtlich unbegründet gewesen sei. Diese Umstände stehen mit dem vorliegenden Sachverhalt in keinem Zusammenhang und erwecken daher auch bei vernünftiger Würdigung nachvollziehbar den Eindruck, dass hier eine negative Stimmung gegen den Beklagten erzeugt werden soll. Diese „Stimmungsmache“ wird noch dadurch verstärkt, dass der Einzelrichter sein Erstaunen darüber ausdrückt, dass der Beklagtenvertreter sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt. Indem Richter pp.dabei noch darauf hinweist, dass er den Beklagtenvertreter als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt hat, bringt er sinngemäß zum Ausdruck, dass er das Ablehnungsgesuch weder als fair noch als vernünftig ansieht. Eine solche Bewertung steht einem abgelehnten Richter aber nicht zu. Hinzukommt noch, dass eine solche Aussage auch geeignet sein kann, den Beklagtenvertreter unter Druck zu setzen, nachdem dieser ein Interesse daran haben kann, seinen Ruf bei dem Vorsitzenden einer Kammer eines sich in der Nähe seines Kanzleisitzes befindenden Landgerichts nicht zu verspielen.“