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StGB III: Unterhaltspflichtverletzung, oder: Zivilrecht meets Strafrecht

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Die dritte Entscheidung des Tages ist dann auch wieder etwas älter. In dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.11.2020 – 4 Rv 26 Ss 1199/19 – hat das OLG zu den Voraussetzungen der Leistungsfähigkeit i.S. des § 170 StGB – Unterhaltspflichtverletzung – Stellung genommen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht in zwei Fällen verurteilt. Dagegen die Berufung des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte. Erfolg hatte dann aber die Revision. Die führte zum Freispruch.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte ist der leibliche Vater des am pp. 2000 geborenen pp. Spp., der pp. 2003 geborenen pp. Spp. sowie der am 9pp. 2007 pp. Spp., die nach Trennung der Eltern zunächst allesamt im Haushalt ihrer Mutter lebten.

Zwischen dem pp. 2017 und pp. 2018 lebten die beiden minderjährigen Töchter bei der Mutter, während der zunächst noch minderjährige Sohn nach einem Streit mit der Mutter beim Angeklagten eingezogen war. Die Mutter bezog das Kindergeld für beide Töchter; das Kindergeld für pp. wurde an den Angeklagten ausbezahlt, dem zugleich für sich und seinen Sohn als Bedarfsgemeinschaft ergänzende Leistungen zur Grundsicherung nach SGB II gewährt wurden.

Der Angeklagte war seinen beiden minderjährigen Töchtern, die weder über eigenes Einkommen noch Vermögen verfügten, gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet, kam dieser Pflicht im vorgenannten Zeitraum aber nicht nach. Nach den Feststellungen des Landgerichts zahlte er bewusst und gewollt keinen Unterhalt für seine Töchter, obwohl er aufgrund seiner Einkommensverhältnisse dazu zumindest partiell in der Lage war.

Als Taxifahrer bezog er bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von effektiv 32,5 Stunden (zuzüglich Warte- bzw. Standzeiten) 1.400 € brutto bzw. ca. 1.050 € netto sowie monatlich durchschnittlich zumindest 80 € Trinkgelder. An ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung entfielen auf ihn monatlich 326,44 € für November und Dezember 2017 sowie 333,90 € für Januar, Februar und April 2018. Für März 2018 hat der Angeklagte keine Leistungen beantragt. Abzüglich eines Selbstbehalts für Erwerbstätige von 1.080 € errechnete das Landgericht eine durchschnittliche Verteilungsmasse zwischen 53,99 € im März 2018 und 387,89 € im April 2018 und durchschnittlich 326,34 €. Unter Zugrundelegung des Unterhaltsbedarfs der Töchter gemäß der Düsseldorfer Tabelle errechnet es einen monatlichen Unterhaltsbetrag für pp. in Höhe von 180 € und für pp. in Höhe von 145 €.

Im Tatzeitraum bezog der Angeklagte für den bei ihm lebenden Sohn pp. neben dem Kindergeld ergänzende Leistungen zur Grundsicherung sowie einen Unterhaltsvorschuss, der auf die Leistungen zur Grundsicherung anrechenbar ist, weshalb noch Erstattungsansprüche des Jobcenters im Raum stehen.“

Das OLG hat ausfgehobeN.

„…. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Leistungsfähigkeit des Angeklagten festgestellt hat, erweisen sich als rechtsfehlerhaft und führen zur Aufhebung des Urteils.

a) Die Unterhaltspflicht, die sich im Rahmen des § 170 StGB aus dem Gesetz ergeben muss, ist zunächst ihrem Umfang nach festzustellen; dem ist die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gegenüberzustellen, die bei der Prüfung der Strafbarkeit nach § 170 StGB teils als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal (Fischer, StGB, 66. Auflage 2019, § 170 Rn. 4, 5 und 8; Frommel in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Auflage 2017 § 170 Rn. 8), teils als ein vom Strafrichter selbstständig zu beurteilendes Element des gesetzlichen Merkmals der Unterhaltspflicht (Bosch/Schittenhelm in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 170 Rn. 19) bewertet wird, die jedenfalls nach allgemeiner Meinung Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 StGB ist. Die Frage, ob ein potentieller Unterhaltsschuldner leistungsfähig ist, ist auch im Rahmen der Frage einer Strafbarkeit nach § 170 Abs. 1 StGB nach zivilrechtlichen Maßstäben (Ritscher in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 170 Rn. 36) und ohne Bindung an zivil- bzw. familiengerichtliche Entscheidungen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 1 OLG 2 Ss 46/18, juris OLG München, Beschluss vom 2. September 2008 – 5St RR 160/08, juris; Münchener Kommentar, a.a.O., Rn. 31) zu beurteilen. Die Leistungsfähigkeit ist vom Strafrichter im Urteil in der Weise festzustellen, dass angegeben wird, welchen Betrag der Täter mindestens hätte leisten können; außerdem müssen die Beurteilungsgrundlagen (tatsächliches oder erzielbares Einkommen, zu berücksichtigende Lasten, Eigenbedarf usw.) so genau dargelegt werden, dass eine Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist (Schönke/Schröder, a.a.O., Rn. 22 m.w.N.; Heuchemer in BeckOK StGB, 43. Edition Stand 1.6.2019, § 170 Rn. 18; Fischer, a.a.O.). Der Strafrichter darf sich grundsätzlich der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen der Oberlandesgerichte bedienen, um Leistungsfähigkeit und Selbstbehalt festzustellen (Münchener Kommentar, a.a.O., Rn. 39; Fischer, a.a.O., 8).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

aa) Es erweist sich als rechtsfehlerhaft, dass bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit die Einkünfte des Angeklagten aus ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung einkommenserhöhend eingestellt werden. Denn die nach §§ 19 ff. SGB II an den Unterhaltspflichtigen gezahlten Leistungen decken grundsätzlich allein den sozialhilferechtlichen Lebensbedarf ab und gewähren auch zur Höhe kein Einkommen, das den verfassungsrechtlich gewährleisteten Mindestselbstbehalt übersteigt. Sie stellen keine Einkommensersatzleistungen dar (Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 10. Auflage 2019, § 1 Rn. 110; Born in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 1603 Rn. 43; OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Februar 2008 – 18 UF 225/07, beck-online; Bosch/Schittenhelm in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 170 Rn. 21; BGH, Urteil vom 19.11.2008 – XII ZR 129/06, beck-online; ebenso die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland unter Ziff. 2.2; anders lediglich Fischer, a.a.O., Rn. 8 a ohne nähere Begründung oder Differenzierung).

Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte ausnahmsweise – beispielsweise aufgrund besonderer, bei der Berechnung der Grundsicherung angesetzter Freibeträge (Wendl/Dose, a.a.O., Rn. 111; Reinken in BeckOK, BGB, 51. Edition Stand 1.8.2019, § 1603 Rn. 34) – dennoch leistungsfähig sein könnte, sind nicht erkennbar.

Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer das Einkommen nicht um eine Pauschale von 5 % für berufsbedingte Aufwendungen vermindert. Grundsätzlich sind entsprechend Nr. 10.2.1 SüdL berufsbedingte Aufwendungen mit einer Pauschale von 5 % zu berücksichtigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für solche Aufwendungen bestehen. Nach den Feststellungen liegen aufgrund der Entfernung von Wohn- und Arbeitsort solche Anhaltspunkte vor. Anhaltspunkte dafür, dass im Einzelfall wegen der eingeschränkten Leistungsfähigkeit nur konkrete Aufwendungen angesetzt werden können, sind nicht ersichtlich.

Damit verbleibt für den Tatzeitraum kein für Unterhaltszahlungen einzusetzendes Einkommen beim Angeklagten.

bb) Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen der ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung nicht darlegen, ohne die dem Senat die Überprüfung des angenommenen notwendigen Selbstbehalts nicht möglich ist. Dieser kann zwar regelmäßig den Süddeutschen Leitlinien entnommen werden. Allerdings handelt es sich insoweit um Regelsätze, die je nach Fallgestaltung ermäßigt oder erhöht werden können (Guhling in Wendl/Dose, a.a.O., § 5 Rn. 22 ff.; Ziff. 21.5 der SüdL). Insbesondere bei Heranziehung von ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung ist hierbei zu beachten, dass niemand durch Unterhaltszahlungen zum Sozialfall werden soll. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet jedenfalls dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. August 2001 – 1 BvR 1509/97, juris). Diese Opfergrenze wird im Allgemeinen etwas über dem Sozialhilfebedarf des in Anspruch genommenen angesetzt. Wenn der Sozialhilfebedarf aber im Einzelfall höher liegt als diese generellen Sätze, erhöht sich der Selbstbehalt entsprechend. Daher wäre auch im vorliegenden Fall zu prüfen, ob der Selbstbehalt den Sozialhilfebedarf (für die Hilfe zum Lebensunterhalt) nicht unterschreitet. Gegebenenfalls wäre der Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen (Wendl/Dose, a.a.O., Rn. 12). Die Prüfung dieser Voraussetzungen erfordert jedoch die Darlegung der Berechnungsgrundlagen für die ergänzenden Leistungen zur Grundsicherung.

cc) Ebenso wenig kommt es noch darauf an, dass es – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat – im Fall des Bezugs von Grundsicherungsleistungen wie auch bei der Leistung von Naturalunterhalt für ein weiteres Kind auch näherer Feststellungen zur Frage des Vorliegens eines vorsätzlichen Handelns bedurft hätte. Ein Irrtum über die Leistungsfähigkeit ist ein Tatbestandsirrtum (Fischer, a.a.O., Rn. 8; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 170 Rn. 11; BeckOK, a.a.O., Rn. 20; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, a.a.O., Rn. 13).“

 

Berufungsbegründung per beA, oder: Wenn die Berufungsbegründung beim Eingangsserver nicht abgeholt wird

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Heute am „Kessel-Buntes-Tag“ stelle ich zwei Entscheidungen in Zusammenhang mit dem beA/elektronisches Dokument vor.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – VI ZB 79/19. Der BGH nimmt zur Frage der frist­ge­rechten Be­ru­fungs­be­grün­dung Stellung, wenn die über das das be­son­de­re elek­tro­ni­sche An­walts­post­fach (beA) eingereicht worden ist. Grundlage war folgender Sachverhalt: Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch, also „Dieselskandal“. Das LG hat die Klage mit Urteil vom 21.06.2019 abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers über das beA fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Die im Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des OLG fristgerecht eingegangene und auf dem für den Empfang bestimmten Server aufgezeichnete Berufungsbegründung ist nicht ausgedruckt worden.

Nachdem die Vorsitzende des Berufungssenats mit dem Kläger am 13.09.2019 zugestellter Verfügung darauf hingewiesen hatte, dass die Frist zur Berufungsbegründung abgelaufen sei, ohne dass eine Begründung eingegangen sei, hat das OLG die Berufung mit Beschluss vom 11.10.2019 – dem Kläger zugestellt am 18.10.2019 – als unzulässig verworfen. Mit am 16.10.2019 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage eines Screenshots der vom EGVP automatisch erstellten Eingangsbestätigung darauf hingewiesen, dass sie die Berufungsbegründung fristgerecht über das beA eingereicht habe. Der Berufungsbegründungsschriftsatz wurde daraufhin auf dem Server aufgefunden und manuell ausgedruckt. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte beim BGH Erfolg:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger jedenfalls in seinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren und Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.

a) Beide Rechte werden den Parteien eines Zivilrechtsstreits durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG garantiert. Die Gerichte dürfen danach aus eigenen oder ihnen zurechenbaren Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen für die Beteiligten keine Verfahrensnachteile ableiten. Allgemein sind sie zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. Außerdem dürfen sie den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 110, 339, juris Rn. 10 f.; BVerfG, NJW-RR 2008, 446, juris Rn. 9).

b) Mit diesen Anforderungen ist die angefochtene Entscheidung nicht vereinbar.

aa) Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers mangels Begründung als unzulässig verworfen, obwohl die Berufungsbegründung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen war. Der Kläger hatte den Begründungschriftsatz als elektronisches Dokument über das besondere elektronische Anwaltspostfach an das EGVP des Berufungsgerichts übermittelt; das Dokument war auf dem für den Empfang bestimmten Server des Gerichts gespeichert worden. Dies genügte zur Fristwahrung (§ 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – X ZR 119/18, z.V.b; Bacher NJW 2015, 2753, 2756). Der Umstand, dass das elektronische Dokument weder von einem Client-Rechner des Berufungsgerichts abgeholt noch ausgedruckt worden war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Hierbei handelt es sich um gerichtsinterne Vorgänge, die für den Zeitpunkt des Eingangs des Dokuments nicht von Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 – X ZR 119/18, Rn. 12; vom 28. Mai 2020 – I ZR 214/19, Rn. 7; Bacher, aaO). Aus dem gerichtsinternen Versäumnis, die Berufungsbegründung beim Eingangsserver abzuholen, durften für den Kläger keine Verfahrensnachteile resultieren.

bb) Dieser Beurteilung steht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Soll der Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz darin liegen, dass eine Partei auf einen Hinweis nicht rechtzeitig reagiert hat, kann diese einschneidende Folge nur dann gerechtfertigt werden, wenn der Partei vom Gericht eine Frist gesetzt worden ist oder so viel Zeit seit dem Hinweis verstrichen ist, dass – ggfs. auch unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Umstände – mit einer Stellungnahme nicht mehr gerechnet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.“

Man fragt sich: warum beA, wenn die eingegangenen Dokumente dort nicht „abgeholt“ werden.

Dieselskandal II: Berufungsbegründung, oder. Bloß Wiederholungen reichen nicht

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Die zweite Entscheidung, der BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – VI ZB 67/19 – stammt auch aus dem Komplex „Dieselskandal“.

In diesem Verfahren ging es aber um den Erwerb eines VW Golf im Jahr 2014, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war. Nach Bekanntwerden der manipulierten Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und Rückrufaufforderung durch das Kraftfahrtbundesamt war auf das Fahrzeug des Klägers dann das von VW entwickelte Software-Update aufgespielt wordem.

Der Kläger hat VW noch auf Schadensersatz in Anspruch genommen und hat  die Zahlung eines Betrages von 2.800 EUR nebst Zinsen als Ausgleich für den durch die Betroffenheit des Fahrzeugs von dem sogenannten „Dieselskandal“ verursachten Minderwert des Fahrzeuges im Falle eines Weiterverkaufs verlangt. Daneben hat er beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der manipulierten Motorsoftware des von ihm erworbenen Fahrzeugs resultieren, und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Gestützt hat der Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.

Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, VW hafte jedenfalls nicht auf den geforderten merkantilen Minderwert des Wagens. Selbst wenn arglistig getäuscht worden sein sollte, werde nicht das Interesse des Erwerbers an einer ordnungsgemäßen Erfüllung geschützt – dies liege aber dem Ausgleich einer Wertminderung zugrunde. Das gleiche Schicksal ereilte den Feststellungsantrag für zukünftige Schäden: Die pauschale Behauptung, infolge des Updates könne es zu Folgeschäden kommen, sei ebenso unzureichend wie der Hinweis auf andere vorstellbare Konsequenzen wie steuerliche Nachteile. Daraufhin legte der Klägerim Juli 2019 Berufung ein, die das OLG Oldenburg als unzulässig verworfen hat. Begründung: Der Schriftsatz dessen Anwalts setze sich mit dem Urteil und den tragenden Gründen überhaupt nicht auseinander, sondern bestehe aus Wiederholungen des erstinstanzlichen Vortrags.

Das hatte beim BGH Bestand:

„Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281 mwN).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 21. August 2019 inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 – VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5 mwN). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 – VI ZB 54/19 aaO Rn. 6 mwN). Bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird (vgl. Senatsurteil vom 22. November 2011 – VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 6 mwN; BGH, Urteil vom 4. Juli 2013 – III ZR 52/12, NJW-RR 2014, 492 Rn. 56 mwN).

2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Sie enthält hinsichtlich keiner der streitgegenständlichen prozessualen Ansprüche einen hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils.

a) Im Hinblick auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch geht bereits die Zusammenfassung der Entscheidungsgründe in der Berufungsbegründung, wonach nach Auffassung des Landgerichts die Beklagte weder arglistig getäuscht habe noch eine sittenwidrige Schädigung des Klägers vorliege, und die erste inhaltliche Rüge, das Landgericht sehe die Voraussetzungen des Betrugs- tatbestandes nach § 263 Abs. 1 StGB zu Unrecht als nicht vorliegend an, am Inhalt des landgerichtlichen Urteils vorbei. Denn das Landgericht hat sich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche nicht befasst, sondern die Klageabweisung hinsichtlich des geltend gemachten Ersatzanspruches wegen des angeblichen merkantilen Minderwertes des Fahrzeuges ausschließlich damit begründet, dass diese Position nach den vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlagen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersatzfähig ist. Die Berufungsbegründung lässt nicht erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe sie den hierzu vom Landgericht angeführten Argumenten entgegensetzen will.

aa) Mit der Ansicht des Landgerichts, der als Schadensposition geltend gemachte merkantile Minderwert des Fahrzeugs betreffe das von deliktischen Ansprüchen nicht erfasste Erfüllungsinteresse, setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt sich zu dieser Frage auch nichts aus den von der Berufungsbegründung hinsichtlich der „Makelbehaftung“ des Fahrzeugs angeführten gerichtlichen Entscheidungen.

bb) Auf die vom Landgericht gesehenen Widersprüche im erstinstanzlichen Klägervortrag zur hypothetischen Entscheidung des Klägers bei unterstelltem Wissen von einer Softwaremanipulation geht die Berufungsbegründung ebenfalls nicht ein, sondern wiederholt lediglich den erstinstanzlichen Vortrag, der Kläger hätte das Fahrzeug nicht bzw. nicht so erworben. Soweit die Berufungsbegründung insoweit ergänzend auf angeblich vom Landgericht berücksichtigten Vortrag des Klägers zu Äußerungen der Verkäuferseite bei Vertragsabschluss abhebt, findet sich weder an der von der Berufungsbegründung benannten noch an einer sonstigen Stelle des angegriffenen Urteils eine entsprechende Feststellung.

cc) Die weitere Erwägung des Landgerichts, der Kläger hätte jedenfalls vortragen und unter Beweis stellen müssen, dass der nicht mit der Beklagten identische Verkäufer das Fahrzeug bei Kenntnis von der Softwaremanipulation zu einem geringeren Preis angeboten hätte, greift die Berufungsbegründung nicht an. Auch soweit das Landgericht konkreten Vortrag des Klägers zur Höhe des täuschungsbedingten Minderwertes des Fahrzeugs vermisst, tritt die Berufungsbegründung dem nicht entgegen, sondern verweist lediglich auf Instanzrechtsprechung, die einen merkantilen Minderwert der vom „Dieselskandal“ betroffenen Fahrzeuge in allgemeiner Form bejaht habe. Dass das Landgericht dem insoweit vom Kläger erstinstanzlich beantragten Sachverständigenbeweis nicht nachgegangen ist, wird von der Berufungsbegründung nicht gerügt.

b) Hinsichtlich des vom Landgericht für unzulässig gehaltenen Feststellungsantrags bringt die Berufungsbegründung vor, aufgrund des Einbaus der Optimierungssoftware bestehe die Möglichkeit, dass zukünftig Schäden am Fahrzeug entstehen könnten, und verweist hierzu auf landgerichtliche Rechtsprechung, wonach „nicht auszuschließen“ bzw. „keineswegs abwegig“ sei, dass die Beseitigung der Manipulationssoftware negative Auswirkungen auf Fahrzeug und Fahrleistungen haben könne. Die Berufungsbegründung setzt aber der maßgeblichen Erwägung des Landgerichts nichts entgegen, wonach eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende – bei reinen Vermögensschäden für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendige (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 – XI ZR 384/03, VersR 2006, 1219 Rn. 27 mwN) – hinreichende Wahrscheinlichkeit solcher Schäden vom Kläger nicht dargelegt sei. Auch in diesem Zusammenhang wird im Übrigen das Übergehen eines Beweisangebotes nicht gerügt.

c) Bezüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geht die Berufungsbegründung in keiner Weise auf die vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB unabhängigen Erwägungen des Landgerichts zur fehlenden Erforderlichkeit eines außergerichtlichen Vorgehens ein.“

Dieselskandal I: Wenn der Vorsitzende selbst Mercedes fährt, oder: Befangen

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Heute am Feiertag – Tag der Deutschen Einheit – hier dann zwei BGH Entscheidungen zum Zivilverfahrensrecht.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 28.97.2020 – VI ZB 94/19. Es geht um die Befangenheit eines Richters des OLG_Senats, bei dem eine Klage betreffend Dieselsknadal anhängig war. Der Vorsitzende Richter des Senats, der   ebenfalls Halter eines vom Dieselskandals betroffen Mercedes war/ist, hatte den Parteien angezeigt, Ansprüche gegen den Händler oder Hersteller seines Mercedes zu prüfen. Dafür habe er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten. Das angebotene Update am Kfz habe er wegen der ungewissen technischen Folgen nicht durchführen lassen. Die Beklagte hatte den Vorsitzenden daraufhin wegen Besorgnis zur Befangenheit abgelehnt. Das OLG hat keinen Ablehungsgrund gesehen. Anders der BGH:

„2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Umstand, dass der Vorsitzende Richter des Berufungssenats unter Einschaltung eines Vertragsanwalts des ADAC prüft, ob er den Händler oder den Hersteller seines Mercedes (die Beklagte) in Anspruch nimmt, zu Unrecht nicht als Ablehnungsgrund gemäß § 42 ZPO angesehen.

a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303 Rn. 9; vom 7. November 2018 – IX ZA 16/17, ZIP 2018, 2503 Rn. 1 mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der „böse Schein“, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (vgl. BVerfG, NJW 2012, 3228 Rn. 13 mwN). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist u.a. dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen – sei es auch nur mittelbaren – wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303 Rn. 9; vom 24. November 2014 – BLw 2/14, MDR 2015, 608 Rn. 3).

Eine Ablehnung wegen Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend macht, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303 Rn. 10). Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber ernsthaft in Erwägung zieht. Zwar hat er den Sachverhalt in eigener Sache dann noch nicht abschließend gewürdigt. Aus Sicht der Partei besteht aber Anlass zu der Befürchtung, dass der Richter etwaige Erwägungen und Beweggründe, die bei seiner vorläufigen Betrachtung des Sachverhalts für eine Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Partei in eigener Sache sprechen, auf das Verfahren überträgt.

b) Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor.

Seiner dienstlichen Äußerung zufolge prüft der Vorsitzende Richter, nachdem er sich gegen das Software-Update entschieden hat, ob er den Händler oder den Hersteller seines Mercedes – also die Beklagte – in Anspruch nimmt. Die Ernsthaftigkeit dieser Prüfung ergibt sich daraus, dass er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten hat. Schon im Rahmen der Beratung zum Software-Update hat sich der ADAC zu möglichen Ansprüchen von Betroffenen gegen den Fahrzeughersteller geäußert, erklärt, ein rechtliches Vorgehen empfehle sich dann, wenn eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung bestehe, und auf die Möglichkeit hingewiesen, sich zur Klärung des weiteren Vorgehens von einem ADAC-Vertragsanwalt kostenlos beraten zu lassen. Von dieser Möglichkeit hat der Vorsitzende Richter Gebrauch gemacht. Es geht ihm damit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mehr nur um ein Update und dessen technische Auswirkungen. Auch geht sein Interesse über bloße Sozialbefangenheit oder Gruppenbetroffenheit hinaus. Es besteht die Möglichkeit, dass er im vorliegenden Rechtsstreit den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen wie in eigener Sache (dort mit anwaltlicher Hilfe) zu beurteilen hat, ob nämlich Käufern von Fahrzeugen der Marke Mercedes, die vom sogenannten Abgasskandal betroffen sind, gegen die Beklagte als Herstellerin Schadensersatzansprüche zustehen. Dies ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Von welchen Erwägungen er sich bei seiner Entscheidung in eigener Sache leiten lassen wird und ob die diesbezüglichen Vermutungen des Berufungsgerichts zutreffen, ist dabei unerheblich. Denn es genügt bereits der „böse Schein“, die tatsächliche Einstellung des Richters ist nicht ausschlaggebend.“

Haushaltsführungsschaden, oder: Nicht Tabellenwerk, sondern „individuelle Lebensumstände“ als Grundlage

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Urt. v. 22.05.2020 – 22 U 699/19 – zur Bemessung und zum Prozessvortrag für die Bemessung eines Haushaltsführungsschadens Stellung genommen:

2. Im Ergebnis des Verfahrens sind genügten Anknüpfungstatsachen für eine gerichtliche Schadensschätzung (§ 287 ZPO) festgestellt.

a) Darlegung- und beweisbelastet für Grund und Höhe des Anspruchs ist die Klägerin. An deren Vortrag sind jedoch keine überspannten Anforderungen zu stellen (BGH, Urteil vom 19. September 2017 – VI ZR 530/16 –, NJW 2018, 864 Rn. 20; Seiler, in: Thomas/Putzo, 40. Aufl. 2019, § 287 Rn. 5, 9). Werden keine konkreten Umstände vorgetragen, muss sich die Klägerin als Anspruchsteller allerdings mit einer Mindestschätzung zufriedengeben (Pardey, Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl. 2018, S. 52; Schah Sedi, Praxishandbuch Haushaltsführungsschaden, 2017, Rn. 16; Abschlag von 10 % auf die Tabellenwerte OLG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2018 – 12 U 223/17 –, juris Rn. 4).

aa) Der Haushaltsführungsschaden kann nicht anhand von Tabellenwerken in entindividualisierter Weise berechnet werden. Er muss vielmehr stets bei der konkreten Lage der individuell betroffenen Person und deren individuellen Lebensumständen ansetzen. Eine Berechnung allein anhand statistischer Durchschnitte zu den Arbeitszeiten und ohne Reflexion zu den einzelnen Arbeitsbereichen und mit abstrakten Behinderungsgraden ist nicht möglich. Eine Berechnung allein anhand der Tabelle würde den hier relevanten Vermögensschaden unzulässigerweise dem immateriellen Schaden nach § 253 BGB annähern (Pardey, a.a.O, S. 53 f.; zur Relevanz einer rein tabellengestützten Schadensberechnung in der außergerichtlichen Regulierungspraxis Schah Sedi, a.a.O., Rn. 13). Über diese rechtsdogmatische Erwägung hinaus ist dies auch Folge fehlender systematischer und nachvollziehbarer Tabellenwerke, die jenseits eines konkreten Sachverhalts zuverlässige Anhaltspunkte für eine tatrichterliches Schätzung (§ 287 ZPO) oder Berechnung des Haushaltsführungsschadens bieten würden.

Der Bundesgerichtshof hat es zwar in der Vergangenheit unbeanstandet gelassen, wenn sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Schätzung mangels konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung auf ein anerkanntes Tabellenwerk und die dort angegebenen Erfahrungswerte, namentlich auf das Werk von Pardey, stützt (BGH, Urteile vom 29. März 1988 – VI ZR 87/87 –, juris Rn. 13; und vom 3. Februar 2009 – VI ZR 183/08 –, juris Rn. 5). Diese Rechtsprechung erlaubt aber nicht, auf die Geltendmachung einzelfallbezogener Tatsachen ganz zu verzichten (OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2019 – I-9 U 102/18 –, juris Rn. 36).

Inzwischen sind die verfügbaren Tabellenwerke überdies intensiver Kritik ausgesetzt. Sie bieten aus sich heraus keine hinreichende Grundlage für eine Schadensschätzung (§ 287 ZPO). Sie mögen Erfahrungssätze bilden, die ein Tatgericht nicht unberücksichtigt lassen kann. Die etwa im Werk von Pardey (Haushaltsführungsschaden) angegebenen Arbeitszeiten sind aber oft willkürlich gewählt, nicht empirisch abgesichert und werden der heutigen Lebenswirklichkeit oft nicht gerecht (zur Kritik an den verfügbaren Tabellenwerken OLG Celle, Urteil vom 26. Juni 2019 – 14 U 154/18 –, juris Rn. 162-170, zu den Tabellen von Pardey Rn. 163-168, zu den Tabellen von Schah Sedi Rn. 170; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 41-44). Die Tabellenwerke können daher nicht zur Begründung des Ersatzanspruchs der Höhe nach herangezogen werden, sondern lediglich zur Prüfung der Plausibilität der Angaben der Geschädigten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Januar 2019 – 1 U 158/16 –, juris Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 40, 45; OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2019 – I-9 U 102/18 –, juris Rn. 36; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juni 2017 – 1 W 23/17 (PKH) –, juris Rn. 22; vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, juris Rn. 2; HansOLG Hamburg, Urteil vom 8. November 2019 – 1 U 155/18 –, juris Rn. 85) und sind vom Tatgericht in jedem Einzelfall kritisch zu hinterfragen.

bb) Für die gerichtliche Geltendmachung eines Haushaltsführungsschadens ist daher es erforderlich, die Größe des Haushalts und die Dauer der betroffenen Tätigkeiten anzuführen, die der Geschädigte durch seine Verletzung nicht mehr ausführen konnte oder worin er beeinträchtigt war (OLG Dresden, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, juris Rn. 2; OLG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2018 – 12 U 223/17 –, juris Rn. 4; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02. Januar 2019 – 1 U 158/16 –, juris Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 37). Vorzutragen sind die konkrete Arbeitsleistung des Geschädigten vor dem Schadensereignis einschließlich der verwendeten Zeit, welche konkreten Tätigkeiten nach dem Schadensereignis nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeführt werden können, die zeitliche Differenz für die Tätigkeit nach dem Schadensereignis, die Umverteilung der Arbeit in der Familie und Angaben zu Größe und Ausstattung des Haushalts sowie zum Familieneinkommen (Schah Sedi, a.a.O.; Pardey, a.a.O., S. 52).

Dieser Umfang der notwendigen Darlegungen folgt aus den gerichtlichen Bemessungsmethoden für den Haushaltsführungsschaden. Hierfür stehen grundsätzlich gleichwertig die Differenz- und die Quotenmethode zur Verfügung (zu diesen beiden Berechnungsmethoden Pardey, Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl., S. 98 ff.; Schah Sedi, a.a.O., § 2 Rn. 9). Nach der Differenzmethode ergibt sich der Haushaltsführungsschaden aus der Differenz zwischen der vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandten Zeit und entweder dem nach dem Schadensereignis für das gleiche Ergebnis erforderlichen Zeitaufwand (Mehrbedarf) oder der nach dem Schadensereignis noch zumutbaren Zeit für die Haushaltsführung. Nach der Quotenmethode ergibt er sich ausgehend von der vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandten Zeit aus dem Verhältnis, in dem die Fähigkeit zur Haushaltsführung durch das Schadensereignis gemindert ist.

Grundlage der Schadensermittlung ist damit unabhängig von der Berechnungsmethode die vom Geschädigten vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandte Zeit. Diese wird von den individuellen Verhältnissen geprägt. Namentlich kommt es auf die Größe des Haushalts nach Anzahl, Alter und Anwesenheit der zum Haushalt gehörenden Personen und der Wohn- und ggfs. der zugehörigen Gartenfläche, auf das Haushaltseinkommen, auf die Verteilung der Hausarbeit zwischen den zum Haushalt gehörenden Personen, auf die technische Ausstattung des Haushalts einschließlich des Maßes, in dem vorhandene technische Geräte (z.B. Kaffeemaschine, Mikrowelle, Thermomix, Brotbackautomat, Geschirrspüler, Waschmaschine, Trockner, Bügelautomat, Nähmaschine, Staubsauger, Saugroboter) tatsächlich genutzt werden, auf die Ernährungsgewohnheiten nach Anzahl und Ausführung der Mahlzeiten einschließlich der Zahl der teilnehmenden Haushaltsangehörigen und den Umfang der unentgeltlichen Hilfe zugunsten Dritter an. Die Substantiierung dieser Angaben erfordert zudem Ausführungen dazu, wie sich die Zeiten der Hausarbeit unter Berücksichtigung weiterer Aktivitäten (Schlaf, Erwerbsarbeit, Pausen, Hobbys, Sport, Entspannung, soziale Kontakte, Ehrenämter) in den Tagesablauf des Geschädigten einfügen.

b) Diesen Anforderungen genügte die Klägerin zunächst nicht vollauf. Im Ergebnis der Vernehmung der Geschädigten und ihres Ehemannes durch das Landgericht kann die Höhe des Haushaltführungsschadens allerdings geschätzt werden…..“