Dieselskandal I: Wenn der Vorsitzende selbst Mercedes fährt, oder: Befangen

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Heute am Feiertag – Tag der Deutschen Einheit – hier dann zwei BGH Entscheidungen zum Zivilverfahrensrecht.

Bei der ersten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 28.97.2020 – VI ZB 94/19. Es geht um die Befangenheit eines Richters des OLG_Senats, bei dem eine Klage betreffend Dieselsknadal anhängig war. Der Vorsitzende Richter des Senats, der   ebenfalls Halter eines vom Dieselskandals betroffen Mercedes war/ist, hatte den Parteien angezeigt, Ansprüche gegen den Händler oder Hersteller seines Mercedes zu prüfen. Dafür habe er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten. Das angebotene Update am Kfz habe er wegen der ungewissen technischen Folgen nicht durchführen lassen. Die Beklagte hatte den Vorsitzenden daraufhin wegen Besorgnis zur Befangenheit abgelehnt. Das OLG hat keinen Ablehungsgrund gesehen. Anders der BGH:

„2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Umstand, dass der Vorsitzende Richter des Berufungssenats unter Einschaltung eines Vertragsanwalts des ADAC prüft, ob er den Händler oder den Hersteller seines Mercedes (die Beklagte) in Anspruch nimmt, zu Unrecht nicht als Ablehnungsgrund gemäß § 42 ZPO angesehen.

a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303 Rn. 9; vom 7. November 2018 – IX ZA 16/17, ZIP 2018, 2503 Rn. 1 mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der „böse Schein“, d.h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (vgl. BVerfG, NJW 2012, 3228 Rn. 13 mwN). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist u.a. dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen – sei es auch nur mittelbaren – wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303 Rn. 9; vom 24. November 2014 – BLw 2/14, MDR 2015, 608 Rn. 3).

Eine Ablehnung wegen Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend macht, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – II ZB 14/19, MDR 2020, 303 Rn. 10). Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber ernsthaft in Erwägung zieht. Zwar hat er den Sachverhalt in eigener Sache dann noch nicht abschließend gewürdigt. Aus Sicht der Partei besteht aber Anlass zu der Befürchtung, dass der Richter etwaige Erwägungen und Beweggründe, die bei seiner vorläufigen Betrachtung des Sachverhalts für eine Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Partei in eigener Sache sprechen, auf das Verfahren überträgt.

b) Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor.

Seiner dienstlichen Äußerung zufolge prüft der Vorsitzende Richter, nachdem er sich gegen das Software-Update entschieden hat, ob er den Händler oder den Hersteller seines Mercedes – also die Beklagte – in Anspruch nimmt. Die Ernsthaftigkeit dieser Prüfung ergibt sich daraus, dass er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten hat. Schon im Rahmen der Beratung zum Software-Update hat sich der ADAC zu möglichen Ansprüchen von Betroffenen gegen den Fahrzeughersteller geäußert, erklärt, ein rechtliches Vorgehen empfehle sich dann, wenn eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung bestehe, und auf die Möglichkeit hingewiesen, sich zur Klärung des weiteren Vorgehens von einem ADAC-Vertragsanwalt kostenlos beraten zu lassen. Von dieser Möglichkeit hat der Vorsitzende Richter Gebrauch gemacht. Es geht ihm damit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht mehr nur um ein Update und dessen technische Auswirkungen. Auch geht sein Interesse über bloße Sozialbefangenheit oder Gruppenbetroffenheit hinaus. Es besteht die Möglichkeit, dass er im vorliegenden Rechtsstreit den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen wie in eigener Sache (dort mit anwaltlicher Hilfe) zu beurteilen hat, ob nämlich Käufern von Fahrzeugen der Marke Mercedes, die vom sogenannten Abgasskandal betroffen sind, gegen die Beklagte als Herstellerin Schadensersatzansprüche zustehen. Dies ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Von welchen Erwägungen er sich bei seiner Entscheidung in eigener Sache leiten lassen wird und ob die diesbezüglichen Vermutungen des Berufungsgerichts zutreffen, ist dabei unerheblich. Denn es genügt bereits der „böse Schein“, die tatsächliche Einstellung des Richters ist nicht ausschlaggebend.“

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