Haushaltsführungsschaden, oder: Nicht Tabellenwerk, sondern „individuelle Lebensumstände“ als Grundlage

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Urt. v. 22.05.2020 – 22 U 699/19 – zur Bemessung und zum Prozessvortrag für die Bemessung eines Haushaltsführungsschadens Stellung genommen:

2. Im Ergebnis des Verfahrens sind genügten Anknüpfungstatsachen für eine gerichtliche Schadensschätzung (§ 287 ZPO) festgestellt.

a) Darlegung- und beweisbelastet für Grund und Höhe des Anspruchs ist die Klägerin. An deren Vortrag sind jedoch keine überspannten Anforderungen zu stellen (BGH, Urteil vom 19. September 2017 – VI ZR 530/16 –, NJW 2018, 864 Rn. 20; Seiler, in: Thomas/Putzo, 40. Aufl. 2019, § 287 Rn. 5, 9). Werden keine konkreten Umstände vorgetragen, muss sich die Klägerin als Anspruchsteller allerdings mit einer Mindestschätzung zufriedengeben (Pardey, Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl. 2018, S. 52; Schah Sedi, Praxishandbuch Haushaltsführungsschaden, 2017, Rn. 16; Abschlag von 10 % auf die Tabellenwerte OLG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2018 – 12 U 223/17 –, juris Rn. 4).

aa) Der Haushaltsführungsschaden kann nicht anhand von Tabellenwerken in entindividualisierter Weise berechnet werden. Er muss vielmehr stets bei der konkreten Lage der individuell betroffenen Person und deren individuellen Lebensumständen ansetzen. Eine Berechnung allein anhand statistischer Durchschnitte zu den Arbeitszeiten und ohne Reflexion zu den einzelnen Arbeitsbereichen und mit abstrakten Behinderungsgraden ist nicht möglich. Eine Berechnung allein anhand der Tabelle würde den hier relevanten Vermögensschaden unzulässigerweise dem immateriellen Schaden nach § 253 BGB annähern (Pardey, a.a.O, S. 53 f.; zur Relevanz einer rein tabellengestützten Schadensberechnung in der außergerichtlichen Regulierungspraxis Schah Sedi, a.a.O., Rn. 13). Über diese rechtsdogmatische Erwägung hinaus ist dies auch Folge fehlender systematischer und nachvollziehbarer Tabellenwerke, die jenseits eines konkreten Sachverhalts zuverlässige Anhaltspunkte für eine tatrichterliches Schätzung (§ 287 ZPO) oder Berechnung des Haushaltsführungsschadens bieten würden.

Der Bundesgerichtshof hat es zwar in der Vergangenheit unbeanstandet gelassen, wenn sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Schätzung mangels konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung auf ein anerkanntes Tabellenwerk und die dort angegebenen Erfahrungswerte, namentlich auf das Werk von Pardey, stützt (BGH, Urteile vom 29. März 1988 – VI ZR 87/87 –, juris Rn. 13; und vom 3. Februar 2009 – VI ZR 183/08 –, juris Rn. 5). Diese Rechtsprechung erlaubt aber nicht, auf die Geltendmachung einzelfallbezogener Tatsachen ganz zu verzichten (OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2019 – I-9 U 102/18 –, juris Rn. 36).

Inzwischen sind die verfügbaren Tabellenwerke überdies intensiver Kritik ausgesetzt. Sie bieten aus sich heraus keine hinreichende Grundlage für eine Schadensschätzung (§ 287 ZPO). Sie mögen Erfahrungssätze bilden, die ein Tatgericht nicht unberücksichtigt lassen kann. Die etwa im Werk von Pardey (Haushaltsführungsschaden) angegebenen Arbeitszeiten sind aber oft willkürlich gewählt, nicht empirisch abgesichert und werden der heutigen Lebenswirklichkeit oft nicht gerecht (zur Kritik an den verfügbaren Tabellenwerken OLG Celle, Urteil vom 26. Juni 2019 – 14 U 154/18 –, juris Rn. 162-170, zu den Tabellen von Pardey Rn. 163-168, zu den Tabellen von Schah Sedi Rn. 170; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 41-44). Die Tabellenwerke können daher nicht zur Begründung des Ersatzanspruchs der Höhe nach herangezogen werden, sondern lediglich zur Prüfung der Plausibilität der Angaben der Geschädigten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Januar 2019 – 1 U 158/16 –, juris Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 40, 45; OLG Hamm, Urteil vom 26. April 2019 – I-9 U 102/18 –, juris Rn. 36; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juni 2017 – 1 W 23/17 (PKH) –, juris Rn. 22; vgl. auch OLG Dresden, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, juris Rn. 2; HansOLG Hamburg, Urteil vom 8. November 2019 – 1 U 155/18 –, juris Rn. 85) und sind vom Tatgericht in jedem Einzelfall kritisch zu hinterfragen.

bb) Für die gerichtliche Geltendmachung eines Haushaltsführungsschadens ist daher es erforderlich, die Größe des Haushalts und die Dauer der betroffenen Tätigkeiten anzuführen, die der Geschädigte durch seine Verletzung nicht mehr ausführen konnte oder worin er beeinträchtigt war (OLG Dresden, Beschluss vom 3. Januar 2018 – 4 W 1152/17 –, juris Rn. 2; OLG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2018 – 12 U 223/17 –, juris Rn. 4; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02. Januar 2019 – 1 U 158/16 –, juris Rn. 49; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Oktober 2018 – 22 U 97/16 –, juris Rn. 37). Vorzutragen sind die konkrete Arbeitsleistung des Geschädigten vor dem Schadensereignis einschließlich der verwendeten Zeit, welche konkreten Tätigkeiten nach dem Schadensereignis nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeführt werden können, die zeitliche Differenz für die Tätigkeit nach dem Schadensereignis, die Umverteilung der Arbeit in der Familie und Angaben zu Größe und Ausstattung des Haushalts sowie zum Familieneinkommen (Schah Sedi, a.a.O.; Pardey, a.a.O., S. 52).

Dieser Umfang der notwendigen Darlegungen folgt aus den gerichtlichen Bemessungsmethoden für den Haushaltsführungsschaden. Hierfür stehen grundsätzlich gleichwertig die Differenz- und die Quotenmethode zur Verfügung (zu diesen beiden Berechnungsmethoden Pardey, Haushaltsführungsschaden, 9. Aufl., S. 98 ff.; Schah Sedi, a.a.O., § 2 Rn. 9). Nach der Differenzmethode ergibt sich der Haushaltsführungsschaden aus der Differenz zwischen der vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandten Zeit und entweder dem nach dem Schadensereignis für das gleiche Ergebnis erforderlichen Zeitaufwand (Mehrbedarf) oder der nach dem Schadensereignis noch zumutbaren Zeit für die Haushaltsführung. Nach der Quotenmethode ergibt er sich ausgehend von der vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandten Zeit aus dem Verhältnis, in dem die Fähigkeit zur Haushaltsführung durch das Schadensereignis gemindert ist.

Grundlage der Schadensermittlung ist damit unabhängig von der Berechnungsmethode die vom Geschädigten vor dem Schadensereignis für die Haushaltsführung aufgewandte Zeit. Diese wird von den individuellen Verhältnissen geprägt. Namentlich kommt es auf die Größe des Haushalts nach Anzahl, Alter und Anwesenheit der zum Haushalt gehörenden Personen und der Wohn- und ggfs. der zugehörigen Gartenfläche, auf das Haushaltseinkommen, auf die Verteilung der Hausarbeit zwischen den zum Haushalt gehörenden Personen, auf die technische Ausstattung des Haushalts einschließlich des Maßes, in dem vorhandene technische Geräte (z.B. Kaffeemaschine, Mikrowelle, Thermomix, Brotbackautomat, Geschirrspüler, Waschmaschine, Trockner, Bügelautomat, Nähmaschine, Staubsauger, Saugroboter) tatsächlich genutzt werden, auf die Ernährungsgewohnheiten nach Anzahl und Ausführung der Mahlzeiten einschließlich der Zahl der teilnehmenden Haushaltsangehörigen und den Umfang der unentgeltlichen Hilfe zugunsten Dritter an. Die Substantiierung dieser Angaben erfordert zudem Ausführungen dazu, wie sich die Zeiten der Hausarbeit unter Berücksichtigung weiterer Aktivitäten (Schlaf, Erwerbsarbeit, Pausen, Hobbys, Sport, Entspannung, soziale Kontakte, Ehrenämter) in den Tagesablauf des Geschädigten einfügen.

b) Diesen Anforderungen genügte die Klägerin zunächst nicht vollauf. Im Ergebnis der Vernehmung der Geschädigten und ihres Ehemannes durch das Landgericht kann die Höhe des Haushaltführungsschadens allerdings geschätzt werden…..“

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