Archiv der Kategorie: Zivilrecht

Corona II. Sitzungspolizeiliche „Corona-Anordnung“, oder: Es gilt die 3-G Regel und das Maskengebot

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Und als zweite Entscheidung kommt hier dann der VGH Mannheim, Beschl. v. 01.08.2022 – 2 S 437/22 – zur sitzungspolizeilichen Anordnung wegen Corona. Gestritten wird um die sitzungspolizeiliche Anordnung einer Einzelrichterin einer Kammer des VG Freibur. Die hatte

„auf der Grundlage von § 176 Abs. 1 GVG Folgendes bestimmt:

1. 3-G Regel: Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ist für gegen COVID-19 geimpfte oder von COVID-19 genesene Personen gestattet.

Nicht immunisierten Personen ist die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nur nach Vorlage eines auf sie ausgestellten Antigen- oder PCR-Testnachweises mit negativem Ergebnis gestattet. Die zugrundeliegende Testung darf im Falle eines Antigen-Schnelltests maximal 24 Stunden, im Falle eines PCR-Tests maximal 48 Stunden zurückliegen. Ein Testnachweis ist ein Nachweis über einen Test, der von einem der folgenden Leistungserbringer vorgenommen oder überwacht wurde.

Zur Vornahme oder Überwachung des Tests sind berechtigt:

• die zuständigen Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die von ihnen betriebenen Testzentren,

• die von diesen Stellen als weitere Leistungserbringer beauftragten Dritten und

• Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken, medizinische Labore, Rettungs- und Hilfsorganisationen, und die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Testzentren.

Der Impf-, Genesenen- oder Testnachweis ist zur Kontrolle bereitzuhalten.

2. Abstandsgebot…

3. Mund-Nasen-Schutz

Die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten sowie Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher und die als Teil der Öffentlichkeit an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden Personen haben im Gerichtssaal einen Atemschutz, welcher die Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards erfüllt, zu tragen.“

Gegen diese Anordnung hatte der Kläger, der Rechtsanwalt ist und sich in dem Verfahren vor dem VG, in dem er sich gegen die Zahlung eines Rundfunkbeitrags wandte und die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine Zweitwohnung rückwirkend ab 01.01.2013 begehrte, Beschwerde eingelegt. Ohne Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Ein Rechtsbehelf gegen eine auf § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung ist grundsätzlich nicht statthaft.

2. Eine Ausnahme gilt, wenn der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden.

3. Es ist nicht zu beansatnden, wenn ein Gericht eine Testung von Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigen- oder PCR-Test für geeignet hält/hielt, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus SARS-Cov-2 während der mündlichen Verhandlung zu reduzieren.

Die Entscheidung/Grundsätze gelten nicht nur im Verwaltungsgerichtsverfahren, sondern auch im Straf- und/oder Zivilverfahren.

Ablehnung I: Unparteilichkeit des Sachverständigen?, oder: Wir bilden einen Arbeitskreis….

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Im „Kessel Buntes“ köcheln heute zwei Entscheidungen zu Ablehnungsfragen, allerdings stammen die aus dem Zivilrecht.

Ich beginne mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.06.2022 – 3 W 26/22. In dem hat das OLG zur Besorgnis der Befangenheit betreffend einen Sachverständigen Stellung genommen. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem um einen Kostenvorschuss zur Mangelbeseitigung sowie um Schadensersatz wegen Mängeln eines Industrieestrichbodens, der von der Streithelferin als Subunternehmerin der Beklagten in einer Produktionshalle der Klägerin eingebracht wurde. In dem Beweisbeschluss zu den Beweisfragen der Mangelhaftigkeit des Bodens, der erforderlichen Mangelbeseitigungsarbeiten und deren Kosten wurde zum Sachverständigen ein Sachverständiger bestimmt, der u.a. Mitglied des „Arbeitskreises M.“ des Bundesverbandes E. und Belag e.V., der lediglich aus drei bzw. vier weiteren Mitgliedern besteht, zu denen auch der Geschäftsführer der Streithelferin der Beklagten gehört.

Das OLG hat gesagt: Besorgnis der Befangenheit begründet:

„….. Sie ist auch begründet, da nach Auffassung des Senats Umstände vorliegen, die aus Sicht der Klägerin Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen und somit die Besorgnis der Befangenheit wecken können, sodass dem klägerischen Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen stattzugeben war.

1. Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden, aus denen nach § 42 ZPO die Ablehnung eines Richters möglich ist, somit also wegen der Besorgnis der Befangenheit. Eine solche ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an einer Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Sachverständigen aufkommen lassen (vgl. gesetzliche Definition in § 1036 Abs. 2 Satz 1 ZPO; G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Auflage, § 42 Rn. 8). Geeignet, ein entsprechendes Misstrauen zu rechtfertigen, sind alle objektiven Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei einer Gesamtbetrachtung aus Sicht einer ruhig und vernünftig denkenden Partei die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (Zöller, a.a.O., Rn. 9). Nicht erforderlich ist, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist (Zöller, a.a.O.). Es ist auch unerheblich, ob er sich selbst für (un-)befangen hält (Zöller, a.a.O. m.w.N.). Entscheidend ist allein, ob sich aus Sicht des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung aller Umstände ausreichende Gründe für eine entsprechende Besorgnis ergeben (Zöller, a.a.O. m.w.N.).

2. Ein Ablehnungsgrund in diesem Sinne kann sich unter anderem aus einer besonderen fachlichen oder persönlichen Nähe zu einer Partei ergeben. Dabei kann auch die Nähe zu der Streithelferin einer der Parteien genügen, insbesondere wenn deren Verhältnis zur unterstützten Partei wiederum – wie vorliegend, da die Streithelferin bei der Ausführung des streitgegenständlichen Gewerks als Subunternehmerin der Beklagten tätig wurde – von einer besonderen Nähe oder Abhängigkeit geprägt ist.
11a) Eine bloße Bekanntschaft oder rein kollegiale Zusammenarbeit zwischen Sachverständigem und Partei oder Streithelfer ist für sich genommen zwar nicht genügend, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. Scheuch in: BeckOK ZPO, 44. Edition, § 406 Rn. 22). So wäre es etwa für sich genommen kein Ablehnungsgrund, dass der Sachverständige – wie er in seinem Schreiben vom 26.03.2022 ausgeführt hat (Bl. 213 d.A.) – mit dem Geschäftsführer der Streithelferin „in den vergangenen Jahren gelegentlich beruflich zu tun hatte“ (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.10.2013, Az. 3 W 48/13), was sich aufgrund des begrenzten Kreises derjenigen, die sich innerhalb Deutschlands mit dem Thema „M.“ auseinandersetzen, entsprechend der nachvollziehbaren Darstellung des Sachverständigen kaum vermeiden lässt.

b) Vorliegend kommt jedoch hinzu, dass sowohl der Sachverständige als auch der Geschäftsführer der Streithelferin dem „Arbeitskreis M. / S.“ des Bundesverbandes E. und Belag e.V. angehören. Nach dem aktuellen Internetauftritt des Verbandes (https://…..html) besteht der Arbeitskreis neben dem Sachverständigen aus nur drei weiteren Mitgliedern, wobei der Geschäftsführer der Streithelferin … als dessen … fungiert. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats eine längerfristige fachliche Verbundenheit, aus der nach der maßgeblichen Sicht der Klägerin vernünftigerweise Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen folgen können.

(1) Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden (Beschluss vom 03.08.2000, Az. X ZR 33/97), dass der Umstand, dass ein Sachverständiger Präsident einer Vereinigung sei, welcher auch der Beklagte angehöre und nach deren Satzung er gehalten sei, die Interessen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu begründen geeignet sei. Der vorliegende Fall liegt aber anders. Denn der Geschäftsführer der Streithelferin ist nicht etwa Vorsitzender irgendeiner größeren Vereinigung, als deren bloßes Mitglied er den Sachverständigen kennt. Er ist vielmehr … eines kleinen Arbeitskreises, dem auch der Sachverständige angehört und der gerade zu derjenigen Materie ins Leben gerufen wurde, welche dieser im Streitfall begutachten soll.

(2) Ein Arbeitskreis ist eine Vereinigung mehrerer Personen, die idealerweise – wie wohl vorliegend – eine bestimmte Expertise zu einem Sachgebiet aufweisen, die gegründet wird, um gemeinsam zu bestimmten fachbezogenen Themen Ideen oder gangbare Wege zur Erreichung bestimmter Ziele zu erarbeiten. Entsprechend dem Internetauftritt des Bundesverbandes E. und Belag e.V. besteht eine „wesentliche Aufgabe“ von dessen Arbeitskreisen darin, „den Betrieben des Fußbodenbaus technische Hilfestellungen durch Arbeits- und Hinweisblätter sowie durch Fortbildungsveranstaltungen zu geben“. Ziel des „Arbeitskreises M. / S.“ ist es somit, fachliche Vorgaben zu erarbeiten, an denen sich Handwerker, die in diesem Fachbereich tätig sind, orientieren und nach denen sie sich richten können.

(3) Zwar sind grundsätzlich die üblichen Kontakte im fachlichen Bereich nicht ausreichend, um aus objektiver Sicht die Besorgnis einer Befangenheit zu erregen, so etwa bei Wissenschaftlern die Teilnahme an Fachkongressen zum wissenschaftlichen Austausch oder die gemeinsame Mitwirkung an Fachpublikationen (BeckOK ZPO, a.a.O., Rn. 22.1 m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine langfristigere enge Zusammenarbeit insbesondere zu der zu begutachtenden Materie besteht (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 08.11.2012, Az. 32 W 24/12, juris Rn. 7 f.; BeckOK ZPO, a.a.O.). Dies ist vorliegend der Fall. Arbeitskreise sind zunächst einmal auf Dauer angelegt, es geht dabei um die gezielte und intensive gemeinsame Erarbeitung von Konzepten oder Regelwerken.

(4) Dabei kann im Übrigen aus Sicht des Senats dahinstehen, ob vorliegend eine solche Zusammenarbeit zwischen dem Sachverständigen und dem Geschäftsführer der Streithelferin in der Vergangenheit bereits erfolgt ist. Denn allein die Tatsache, dass beide demselben Arbeitskreis angehören, der sich gerade mit der im vorliegenden Fall zu begutachtenden Materie beschäftigt und für M. die bundesweiten Vorgaben gemeinsam erarbeiten soll, nach denen im vorliegenden Rechtsstreit unter Umständen wiederum die Mangelhaftigkeit der Werkleistung der mit der Einbringung eines solchen Bodens betrauten Streithelferin und der Mangelbeseitigungsaufwand durch den Sachverständigen beurteilt werden müssten, rechtfertigt aus Sicht der Klägerin als Werkbestellerin bereits die Sorge, der Sachverständige könnte sich im Rahmen seiner Begutachtung zu Gunsten der Beklagten beziehungsweise der Streithelferin von sachfremden Erwägungen leiten lassen, zumal die Streithelferin sich in dem Fall, dass die von ihr unterstützte Beklagte den Rechtsstreit verlieren sollte, als deren Subunternehmerin gegebenenfalls Regressansprüchen ausgesetzt sähe.“

beA I: Personelle Reichweite der (Neu)Regelungen, oder: Anwaltszwang und Rechtsanwaltsgesellschaft

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Im „Kessel Buntes“ köchelt heute dann mal wieder etwas zum elektronischen Dokument und/oder bea. Zunächst noch einmal zwei Entscheidungen zur „personellen Reichweite“ der Regelung. Da stelle ich aber nur die Leitsätze vor:

Seit dem 01.0.2022 müssen Rechtsanwälte ihre Anträge und Schreiben an die Gerichte elektronisch übermitteln. Per Fax eingereichte Schriftsätze wahren keine Fristen mehr. Dies gilt unabhängig davon, ob für das Verfahren Anwaltszwang herrscht oder nicht.

Die für Rechtsanwälte bestehende Übermittlungspflicht (im Sinne des § 52d Satz 1 FGO) gilt seit dem 1. Januar 2022 auch für Rechtsanwaltsgesellschaften.

Der im Vorprozess mit der Sache befasste Richter, oder: Befangen im Vergütungsprozess?

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Und als zweite dann der schon etwas ältere LG Köln, Beschl. v. 10.02.2022 – 3 S 9/21. Das LG hat zu der Frage Stellung genommen, ob der im Vorprozess bereits mit der Sache befasste Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltsvergütungsprozess ausgeschlossen ist bzw. die Besorgnis der Befangenheit angenommen werden kann. Das LG hat die Frage verneint:

„2. Die Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltsvergütungsprozess stellt ferner weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund noch einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit dar. Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Entscheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus (BGH, NJW 1960, 1762). Im Streitfall hat die abgelehnte Vorsitzende Richterin, die im Anwaltsvergütungsprozess in erster Instanz tätig werden soll, nur in einem Vorprozess mitgewirkt, der Anlass für die streitgegenständliche Vergütungsklage gegeben hat. Dieser Fall wird von dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst. (vgl. zur Frage des späteren Anwaltshaftungsprozesses BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13) Eine entsprechende Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf den hier gegebenen Fall der Vorbefassung scheidet ebenfalls aus. Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es geht im Anwaltsvergütungsprozess nicht um eine auch nur mittelbare Überprüfung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung. Die Frage, ob dem Rechtsanwalt gegen den Mandanten eine Vergütung zusteht, ist nach gänzlich anderen Gesichtspunkten zu entscheiden als der Vorprozess. Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hatte, ist hingegen ohne Belang (BGHZ 174, 205 [209] = NJW 2008, 1309 Rn. 9).

3. Die bloße Mitwirkung an der im Vorprozess ergangenen Entscheidung stellt im nachfolgenden Vergütungsprozess auch keinen Ablehnungsgrund nach § 42 II ZPO dar. Begründete bereits die Mitwirkung im Vorprozess die Besorgnis der Befangenheit, führte dies auf dem Umweg über § 42 ZPO im Endergebnis zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO, die aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen ist. (BGH, Beschluss vom 18.12.2014 – IX ZB 65/13). Die Ablehnung von Richtern ist grundsätzlich nur dann begründet, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, ein Misstrauen der Antrag stellenden Partei gegen die Unparteilichkeit der Richter zu rechtfertigen (§ 42 II ZPO). Entscheidend ist dabei die Frage, ob aus Sicht der Ablehnenden objektive Gründe vorliegen, die auch nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit der zuständigen Richter zu zweifeln (st. Rspr.; BGH, B v 26.04.2016 – VIII ZB 47/15 -, Rn. 21, juris, mwN). Daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, den Fall neu und unabhängig zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus. Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. MüKoZPO/Gehrlein, § 42 Rn. 15 f.).

Das Vorbringen des Klägers ist darüber hinaus nicht geeignet, um bei vernünftiger Betrachtung Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Vorsitzenden Richterin zu rechtfertigen. Besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergeben könnte, dass die hier abgelehnte Vorsitzende Richterin aus der Sicht einer verständigen Partei gehindert sein könnten, den Anwaltsvergütungsfall objektiv und angemessen zu beurteilen, sind nicht ersichtlich. Soweit der Kläger angeführt hat, es bestehe die Besorgnis, dass die Vorsitzende Richterin im Vergütungsstreit nicht unvoreingenommen sei, und einen ihr unbequemen Prozessanwalt „abstrafen“ wollen, kann dies die objektive Annahme der Voreingenommenheit gegenüber dem Kläger nicht rechtfertigen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn über die Vorbefasstheit hinaus die Unparteilichkeit eines abgelehnten, mit der Sache vorbefassten Richters auf Grund von – das Gebot der Sachlichkeit verletzenden – Äußerungen, Maßnahmen oder Verhalten in Zweifel zu ziehen ist. (BGH, Beschluss vom 27. 4. 1972 – 4 StR 149/72). Dabei ist die subjektive Sicht des Klägers nicht ausschlaggebend. Auf einen objektiven Maßstab kann nicht verzichtet werden, wie schon aus dem Begriff (das Misstrauen) „rechtfertigen” ergibt. (BGH, NJW-RR 1986, 738) Unter Anlegung dieses objektiven Maßstabes ist eine Verletzung des Gebots der Sachlichkeit nicht gegeben. Die Beurteilung der Entscheidungsreife eines Rechtsstreits obliegt dem entscheidenden Spruchkörper, auch die Verpflichtung zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Inhalt eines gerichtlich beauftragten Sachverständigengutachtens sowie die gewissenhaften Befragung des Sachverständigen liegt in der Pflicht der Vorsitzenden und rechtfertigen es nicht, aus objektiver Sicht an der Unvoreingenommenheit der Vorsitzenden Richterin zu zweifeln. Gleiches gilt für die Protokollierung von von Seiten der Prozessvertreter getätigten Aussagen. Dass die Vorsitzende Richterin Aussagen protokolliert hat, die nicht getätigt wurden, hat der Kläger nicht vorgetragen.“

Wie berechnet sich der Haushaltsführungsschaden?, oder: LG Tübingen macht es nach den Sätzen des JVEG

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Tübingen, Urt. v. 15.09.2022 – 5 O 29/21 -, nimmt das LG zum Haushaltsführungsschaden Stellung.

Der Kläger hat bei einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte unsteitig allein haftet eine HWS-Distorsion sowie Prellungen erlitten. Der Kläger macht u.a. einen

Der Kläger trägt weiter vor, dass er einen Haushaltsführungsschaden erlitten habe. Der Kläger, der inzwischen 70 Jahre alt ist, lebt mit seiner Ehefrau und einem erwachsenen Sohn, der zu 100 % schwerbehindert ist, zusammen. Im Haushalt der Familie ist es so vereinbart war, dass der Kläger den Haushalt bewältig, während die Frau erwerbstätig war. Er trägt weiter vor, dass im Durchschnitt aller Wochentage 3,5 Stunden pro Tag anfallen würden, sowie die Zeiten für Fahrten wegen des behinderten Sohnes. Während der Dauer von 95 Tagen, in denen er sich im Krankenhaus befunden habe, wären so 332,5 Stunden angefallen, dazu kämen jeweils 13 Logopädietermine und 26 Fahren zu Behindertentransportveranstaltungen des Sohnes, wodurch sich weitere 13 Stunden jeweils ergeben hätte, sodass er insgesamt für 358,5 Stunden jeweils 10,00 €, somit 3.585,00 €, begehre.

Das LG hat als Haushaltsführungsschaden 1.303,40 EUR zugesprochen und führt dazu aus:

„Das Gericht erachtet sich aufgrund eigener Erfahrung für den zeitlichen Umfang als sachkundig zur Beurteilung von anfallender Haushaltsarbeit in Haushalten der Größenordnung 1 – 4 Personen, worunter auch der vorliegende Haushalt fällt.

Unter Berücksichtigung der üblicherweise anfallenden Zeiten für die Nahrungsmittelzubereitung, die Reinigungsarbeiten, die Arbeiten bezüglich der Versorgung der Wäsche und der weiteren im Haushalt üblicherweise anfallenden Arbeiten erscheint der klägerseits geltend gemachte Zeitraum von 3,5 Stunden pro Tag nachvollziehbar und zutreffend.

Plausibel und nicht substantiiert bestritten erscheint sodann die Arbeitsverteilung im Haushalt, die der Altersstruktur entspricht.

Danach war von 3,5 Stunden pro Tag auszugehen. Hinsichtlich der Einschränkung konnte das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W folgen, aus denen hervorgeht, dass längstens 2 Wochen 100 % Einschränkungen bestanden, sodann längstens 3 weitere Wochen mit 40 % und 3 weitere Wochen mit 20 %. Bei einem Stundensatz von 14,00 €, auf dessen Höhe noch einzugehen sein wird, und 3,5 Stunden pro Tag, sowie 7 Tagen pro Woche ergeben sich insgesamt 380 %, somit 1.303,40 €.

Zum Stundensatz:

Das erkennende Gericht legt seit Jahren bei Haushaltsführungsschäden den Betrag zugrunde, der sich aus § 21 JVEG ergibt; die Zugrundelegung erfolgt auf der Basis von § 287 ZPO (vgl. z. B. LG Tübingen, Urteil von 10.12.2013, 5 O 80/13, Juris).

Das Gericht hat in der zitierten Entscheidung ausgeführt:

„Als Stundensatz wurden unter Anwendung von § 287 ZPO…12,00 € (Anm.: heute 14,00 €) zugrunde gelegt. Der Gesetzgeber geht in § 21 JVEG von einer Entschädigung von Nachteilen bei der Haushaltsführung von (Anm.: heute) 14,00 € aus. Damit gibt der Gesetzgeber eine eigene, pauschalierende Bewertung für den Wert dieser Tätigkeiten ab; auch unter pauschalierender Anwendung von  § 287 ZPO ist kein Grund ersichtlich, bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens hiervon abzuweichen. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn ein Unfallverletzter für die Zeit, in der er verletzungsbedingt den Haushalt nicht führen kann, eine geringere Entschädigung erhalten würde, als in der Zeit, in der er wegen desselben Unfalls Monate später vor Gericht als Zeuge aussagt und deswegen an seiner Haushaltstätigkeit gehindert ist.“

Die obergerichtliche Rechtsprechung ist diesen Erwägungen bisher, unterstützt von einigen wenigen Literaturstellen, nicht gefolgt, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 18.10.2018, 22 U 97/16, Juris. Dort ist ausgeführt, dass die Anknüpfung des Landgerichts Tübingen an § 21 JVEG abzulehnen wäre, weil der Anknüpfungspunkt ein anderer wäre.

Zur weiteren Begründung wird auf einen Aufsatz von Wenker verwiesen. Wenker wiederum hat sich in einer Urteilsanmerkung mit der Rechtsprechung des Landgerichts Tübingen befasst (Wenker, Juris PR-VerkR 3/2016, Anmerkung 3, Juris). Zur Begründung führt Wenker aus, dass bei der Bemessung eines Haushaltsführungsschadens es nicht um eine Inanspruchnahme von wenigen Stunden als Zeuge ginge, sondern um einen deliktischen Schadensersatzanspruch für einen längeren Zeitraum. Diese Begründung erscheint nicht tragfähig.

Zunächst ist bereits nicht ersichtlich, weshalb es bei einer Inanspruchnahme von wenigen Stunden um andere Bemessungskriterien gehen soll, als bei einer längeren Inanspruchnahme. Die Ausgangslage ist in beiden Situationen dieselbe:

Der den Haushalt Führende ist daran gehindert. Es mag durchaus in einzelnen Fällen nachvollziehbar sein, wenn ein Gericht hier auf aufwändige Art und W exakte oder vermeintlich exakte Berechnungen vornimmt. Dessen ungeachtet gilt jedoch auch für die Bemessung des Haushaltsführungsschadens das Schätzungsermessen gemäß § 287 ZPO. Bei der Ausübung dieses Ermessens hat der Richter im Regelfall gesetzliche bzw. gesetzgeberische Pauschalierungserwägungen zu bedenken. Hier hat sich der Gesetzgeber in § 21 JVEG mit dieser Problematik befasst. Er hat dabei nicht unterschieden, ob die Inanspruchnahme des Zeugen nur kurzfristig oder in mehreren Terminen erfolgt. Ein Grund, bei der Bemessung des Haushaltsführungsschadens hier nach der Dauer der Inanspruchnahme zu differenzieren, ist daher nicht ersichtlich.

Auch die Erwägungen von Balke, SVR 2016, 60 – 62, Juris, helfen hier nicht weiter. Balke führt aus, dass das Landgericht Tübingen verkannt habe, dass keine Zeugenentschädigung, sondern ein Schadenersatz geltend gemacht worden wäre. Auch diese Begründung erscheint nicht tragfähig. Dem Gericht war und ist bewusst, dass im einen Fall Schadensersatz, im anderen Fall Zeugenentschädigung verlangt wird. Bei der Schätzung des Entschädigungsbetrages beim Schadenersatz geht es jedoch nicht darum, zwischen verschiedenen Funktionen eines Geschädigten zu unterscheiden, sondern nur darum, die Höhe des Schadens zu schätzen. Die Höhe des Schadens entspricht jedoch in tatsächlicher Hinsicht der Zeugenentschädigung; in beiden Fällen fällt der geschädigte Zeuge für einen bestimmten Zeitraum als Erbringer von Haushaltsführungsleistungen aus.

Hinzu kommt eine weitere Erwägung:

In beiden Fällen trägt letztendlich die Kosten der Schädiger. Der Schädiger bezahlt sowohl den eigentlichen Schadenersatz, als auch im Rahmen der Gerichtskostenabrechnung die vom Staat zunächst noch vorgeschossene Zeugenentschädigung. Das bedeutet, dass praktisch der Schädiger aus eigenen Mitteln dem geschädigten Zeugen für diejenigen Stunden, in denen er bei Gericht sitzt, 14,00 € pauschaliert bezahlen muss, für diejenigen Stunden, in denen er krank zu Hause beispielsweise liegen muss oder sich im Krankenhaus befindet und seine Haushaltstätigkeit nicht nachgehen kann, nur einen aufwendig ermittelten, wesentlich geringeren Betrag. Diese Differenzierung findet im Gesetz keine Grundlage.

Das Gericht hält daher an der entsprechenden Anwendung von § 21 JVEG im Rahmen der Schätzung des Schadens gemäß § 287 ZPO fest und legt daher 14,00 € pro Stunde pauschal zugrunde.“