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StPO III: Einseitiger Widerruf der Zustellungsvollmacht, oder: Geht das?

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Und dann noch zum Schluss hier noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.05.2023 – 12 Qs 38/23. In ihm hat das LG zur (weiteren) Wirksamkeit einer nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO erteilte Zustellungsvollmacht Stellung genommen.

Der einer Körperverletzung verdächtige Beschuldigte wurde am 01.02.2022 von der Polizei zur Sache vernommen. Weil er keine feste Wohnadresse im Inland angeben konnte, ordnete der zuständige Staatsanwalt an, der Beschuldigte solle einen Zustellungsbevollmächtigten benennen. Daraufhin unterschrieb der Beschuldigte ein Formular, in dem er dem Polizeibeamten POM S von der Polizeiinspektion F „unwiderruflich … Vollmacht zum Empfang sämtlicher gerichtlicher Mitteilungen, Zustellungen und Ladungen“ erteilte. Auf dem Formular finden sich oberhalb der Unterschrift des Beschuldigten die von ihm handgeschriebenen, durchgestrichenen Worte „unter Vorbehalt“. Am 02.02.2022 ging ein Fax des Beschuldigten bei der Polizeiinspektion F ein. Dieses bestand aus seiner Kopie des Formulars, auf das er – mit seiner Unterschrift versehen – geschrieben hatte: „Hiermit widerrufe ich die Zustellvollmacht“.

Am 01.02.2022 erließ das AG einen Strafbefehl gegen den Beschuldigten. Dieser wurde vom Postboten am 06.09.2022 in der Polizeiinspektion F übergeben. Nach Anbringung des Rechtskraftvermerks leitete die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung ein.

Am 22.02.2023 wurde der Beschuldigte am Flughafen Berlin bei der Ausreise kontrolliert und aufgrund des zwischenzeitlich erlassenen Vollstreckungshaftbefehls angehalten. Nach Zahlung der Geldstrafe konnte er seinen Flug antreten. Am 01.03.2023 ging beim AG der Einspruch der Verteidigerin gegen den Strafbefehl samt Wiedereinsetzungsantrag ein. Der Beschuldigte habe, so die Begründung, von dem gegen ihn erlassenen Strafbefehl keine Kenntnis gehabt dieser sei nicht wirksam zugestellt worden. Das AG hat Einspruch und Wiedereinsetzungsantrag verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beschuldigten. Ohne Erfolg:

„1. Der Strafbefehl wurde am 6. September 2022 wirksam an den Zustellungsbevollmächtigten zugestellt, sodass die Einspruchsfrist zwei Wochen später ablief. Demgemäß hat das Amtsgericht den Einspruch zutreffend als verfristet verworfen.

a) Der Beschuldigte hat – nach entsprechender Anordnung (§ 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 StPO) – POM S wirksam zur Entgegennahme von Zustellungen bevollmächtigt. Unschädlich ist, dass er dabei auf dem Vollmachtformular die Worte „unter Vorbehalt“ angebracht hat. Selbst wenn man der Verteidigung darin folgt, dass diese Bemerkung vom Beschuldigten nicht durchgestrichen, sondern unterstrichen worden sei, entfaltet sie keine Rechtswirkungen, weil Aussage und Gehalt des Vorbehalts unklar blieben und der Vorbehalt angesichts der Unterzeichnung der Vollmacht nach Lage der Dinge ohnehin eine unbeachtliche protestatio facto contraria darstellte.

b) Die Zustellungsvollmacht wurde nicht wirksam widerrufen. Vor Abschluss des Verfahrens kann diese vom Vollmachtgeber nämlich nicht einseitig zum Erlöschen gebracht werden (KG, Beschluss vom 19. September 2011 -1 Ss 361/11, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 1. Juni 2004 – 1 Ss 311/03, NStZ-RR 2004, 373, 375; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juli 1986 – 5 Ss [OWi] 237/86-197/86 I, VRS 71, 369, 370; Claus in SSW-StPO, 5. Aufl., § 37 Rn. 43; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 116a Rn. 6; Lind in LR-StPO, 27. Aufl., § 116a Rn. 29; Graf in KK-StPO, 9. Aufl., § 116a Rn. 9). Der abweichenden Auffassung, die Zustellungsvollmacht bleibe gegenüber dem Gericht (nur) so lange wirksam, bis ihm deren Erlöschen angezeigt worden ist (Graalmann-Scheerer in LR-StPO, 27. Aufl., § 37 Rn. 6), folgt die Kammer nicht. Zwar hat diese Auffassung die Wertung des § 170 BGB für sich, allerdings wird diese dadurch überlagert, dass die Erteilung der Zustellungsvollmacht der Durchführung eines hoheitlichen Verfahrens dient, was leerliefe, wäre die Vollmacht widerruflich.

c) Die Zustellung konnte wirksam in der Dienststelle des Bevollmächtigten ausgeführt werden, denn bei dieser handelt es sich um dessen Geschäftsraum i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 37 Abs. 1 StPO (vgl. Graalmann-Scheerer in LR-StPO, 27. Aufl., § 37 Rn. 71; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 37 Rn. 13). Daher konnte ein an ihn gerichtetes Schriftstück bei Nichtantreffen des Bevollmächtigten an eine dort beschäftigte Person übergeben werden. So war das hier, als der Postbote den Strafbefehl an D aushändigte. Zu Unrecht beruft sich die Verteidigung in dem Zusammenhang auf den Beschluss der Kammer vom 23. August 2021 (12 Qs 57/21, juris). Dort scheiterte die Zustellung daran, dass der benannte Bevollmächtigte bei Zugang des Schriftstücks bereits aus dem Polizeidienst ausgeschieden und sein Nachfolger nicht bevollmächtigt war. Hier geht es dagegen lediglich darum, dass der Bevollmächtigte bei Eintreffen des Postboten gerade nicht auf der Wache anwesend war und deshalb eine Ersatzzustellung vorgenommen wurde.

d) Nach allem wahrte der Einspruch vom 1. März 2023 die zweiwöchige Einlegungsfrist (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO) nicht, sodass er zu verwerfen war (§ 411 Abs. 1 Satz 1 StPO).

2. Zu Recht hat das Amtsgericht dem Beschuldigten keine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gewährt, denn er hat die Frist nicht ohne Verschulden versäumt.

a) Dem Angeklagten obliegt nach der Erteilung der Zustellungsvollmacht, selbst dafür zu sorgen, dass der Bevollmächtigte ihn zuverlässig unterrichten kann. Gegebenenfalls muss er sich beim Bevollmächtigten über den etwaigen Eingang von Schriftstücken informieren (Kammer, Beschluss vom 23. August 2021 – 12 Qs 57/21, juris Rn. 10 m.w.N.). Das hat der Beschuldigte unterlassen. Auf fehlendes Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO) kann er sich dabei nicht berufen. Am 1. Februar 2022 hat nämlich eine körperliche Auseinandersetzung des Beschuldigten mit dem Zeugen K stattgefunden, die bei letzterem nicht unerhebliche Verletzungen zur Folge hatte. Der Beschuldigte wurde daraufhin von der Polizei als Beschuldigter belehrt und vernommen, wobei er behauptete, selbst angegriffen worden zu sein. Damit war ihm jedenfalls klar, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet worden ist. In dieser Situation oblag es ihm, sich nach dessen Fortgang zu erkundigen. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass seine – auch von der Verteidigerin vorgetragene – Sichtweise, er habe in Notwehr gehandelt und sei deshalb unschuldig, sich im Verfahrensfortgang durchsetzt, weshalb er auch keinen amtlichen Schriftverkehr zu erwarten hätte. Im Gegenteil, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht haben den Akteninhalt gegen den Beschuldigten gewertet, weshalb der hier angegriffene Strafbefehl erging.

b) Schuldhaft, weil durch schutzwürdiges Vertrauen nicht gedeckt, meinte der Beschuldigte, es werde deshalb keine Post für ihn beim Bevollmächtigten eingehen, weil er die Zustellungsvollmacht widerrufen habe. Gegen das Vertrauen auf die Wirksamkeit seines Widerrufs spricht allerdings schon, dass er die Vollmacht ausdrücklich unwiderruflich erteilt hat und dies auch aus der ihm mitgegebenen Kopie des Formulars, die er für den Widerruf nutzte, ersichtlich war.

c) Schließlich durfte der Beschuldigte nicht darauf vertrauen, er müsse deshalb mit keiner Zustellung rechnen, weil er die Zustellungsvollmacht „unter Vorbehalt“ unterschrieben habe. Unbeschadet der rechtlichen Unbestimmtheit dessen wurde der Beschuldigte nach dem glaubhaften und unwidersprochen gebliebenen Vermerk der polizeilichen Sachbearbeiterin POM´in B ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein solcher Zusatz „nicht geht“, woraufhin der Beschuldigte ihn selbst durchgestrichen habe. Das ist in sich schlüssig. Demgegenüber ist die Behauptung des Beschuldigten, bei dem Strich handele es sich um eine (bekräftigende) Unterstreichung, schon deshalb unplausibel, weil der Strich die Buchstaben augenscheinlich nicht unter-, sondern durchstreicht.

d) Darauf, dass die Ausführungen der Verteidigerin keinerlei Glaubhaftmachung (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO) zur Stützung des Wiedereinsetzungsantrags enthielten, kam es nach alldem nicht mehr an.“

StPO II: Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses, oder: Name des Angeklagten und Aktenzeichen fehlen

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Celle, Beschl. v. 31.01.2023 – 3 Ss 3/23, nimmt das OLG in einem Verfahren wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte u.a. zur Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses des AG und damit zur Verfahrensgrundlage Stellung. Es sieht die insoweit erhobenen Angriffe der Revision als nicht begründet an:

„1. Soweit die Revision die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses bezweifelt, weil der hierzu verwendete Vordruck nicht vollständig ausgefüllt worden ist, liegt ein Verfahrenshindernis, das zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens nach § 206a StPO führt, nicht vor.

Die Revision macht jedoch im Ansatz zutreffend geltend, dass das den Eröffnungsbeschluss enthaltende Schriftstück aus sich heraus oder in Verbindung mit anderen Urkunden oder Aktenbestandteilen eindeutig erkennen lassen muss, dass der zuständige Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat. Hierfür ist die Verwendung von Vordrucken grundsätzlich zulässig. Sie müssen aber eindeutig abgefasst sein; bei einem unvollständig ausgefüllten Vordruck ist der Eröffnungsbeschluss nur dann ordnungsmäßig erlassen, wenn sich die fehlenden Teile aus den ausgefüllten Teilen des Vordruckes, auch z.B. aus einer evtl. anschließenden Terminsverfügung, unzweideutig ergänzen lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 2016 – III-1 RVs 55/16 –, juris). Ein ausgefüllter Vordruck, bei dem weder die Anklage konkretisiert noch der Angeschuldigte bezeichnet ist, enthält in der Regel keinen wirksamen Eröffnungsbeschluss (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. Januar 2012 – 1 Ss 59/11 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. März 2009 – 1 Ss 13/09 –, juris). Ein wirksamer Eröffnungsbeschluss liegt nach der Rechtsprechung jedoch vor, wenn dieser den Namen des Angeklagten sowie – mit der Bezeichnung der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft sowie des Js-Aktenzeichens – eine ausreichende Bezeichnung der Anklage enthält, so dass deutlich geworden ist, in welchem Verfahren die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet werden soll (BGH, Beschluss vom 17. September 2019 – 3 StR 229/19 –, juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist vorliegend ein wirksamer Eröffnungsbeschluss gegeben, denn der ausgefüllte und von der Amtsrichterin unterschriebene Vordruck bezeichnet die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft, deren Aktenzeichen und das Datum der Anklageschrift. Der Umstand, dass es im ausgefüllten Vordruck lediglich („In pp.“) heißt und diesem der Name des damaligen Angeschuldigten nicht zu entnehmen ist, führt vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung. Denn in Fällen, bei denen sich das Verfahren – wie hier – nur gegen einen einzigen Angeklagten richtet und sich aus einer zugleich unterschriebenen Terminsverfügung eindeutig der Wille des Gerichts ergibt, das Hauptverfahren nach Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen gegen diesen Angeklagten eröffnen zu wollen, ist die namentliche Bezeichnung des Angeklagten ausnahmsweise entbehrlich.“

Na ja. Das Strafverfahren als Puzzle. Und: Auch, wenn der Amtsrichter überlastet sein sollte, für eine ordnungsgemäße Verfahrensgrundlage sollte die Zeit reichen.

Die Unvollständigkeit des EÖB muss übrigens nicht ausdrücklich gerügt werden. Dessen Vollständigkeit/Wirksamkeit wird vom Revisionsgericht von Amts wegen geprüft. Aber „erinnern“ kann man natürlich 🙂 .

Wegen der anderen vom OLG angesprochenen Frage – Bemessung des Tagessatzes – komme ich noch einmal auf die Entscheidung zurück.

StPO I: Verlesung von Observationsberichten, oder: Muss ein individueller Urheber erkennbar sein?

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Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 04.0.42023 – 3 StR 68/22. Das OLG München hatte die Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig gesprochen. Dagegen die Revisionen, mit denen die Sach- und Verfahrensrüge erhoben worden ist. Die Revisionen hatten keinen Erfolg. ich stelle hier nur die Ausführungen des BGH zur Verfahrensrüge vor. Mit denen hatte die Angeklagten die auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO gestützte Verlesungen von „Observationsberichten, Vermerken und Lichtbildmappen“ beanstandet: Wie gesagt – ohne Erfolg:

„a) Ihnen liegt im Wesentlichen das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:

Auf Anordnung des Vorsitzenden wurden unter anderem zwölf Observationsberichte als Urkunden zur Beweiserhebung in der Hauptverhandlung verlesen. Zehn Berichte weisen als Urheber eine näher bezeichnete Stelle des Bundeskriminalamtes unter Hinzufügung einer Tagebuchnummer aus, zwei weitere die „Polizeiinspektion Spezialeinheiten N. MEK“. Den Berichten des Bundeskriminalamtes sind in den Strafakten individuell unterzeichnete Vorblätter vorangestellt. Die Verteidiger widersprachen der Erhebung und Verwertung der Urkunden als Beweismittel insbesondere mit der Begründung, zu dem oder den Verfassern der Berichte fänden sich dort keine Angaben. Das Oberlandesgericht führte in mehreren Beschlüssen aus, nach dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO genüge es, wenn aus der Urkunde ersichtlich werde, von welcher Behörde die Erklärung stamme.

b) Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, inwieweit im Einzelfall der individuelle Urheber einer Urkunde ersichtlich sein muss, die eine Erklärung der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen enthält und die nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden soll; denn bei Annahme eines solchen Erfordernisses ist diesem bei den in Rede stehenden Berichten des Bundeskriminalamtes genügt. Hinsichtlich der beiden Berichte der b. Polizeiinspektion ist jedenfalls auszuschließen, dass das Urteil auf ihnen beruht. Hierzu im Einzelnen:

aa) Der Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verhält sich nicht dazu, ob ein individueller Urheber von in einer Urkunde enthaltenen Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen erkennbar sein muss oder es ausreicht, solche Erklärungen allgemein einer Strafverfolgungsbehörde zuordnen zu können. In systematischer Hinsicht könnte allerdings zu bedenken sein, dass die Vorschrift den Grundsatz der persönlichen Vernehmung nach § 250 StPO einschränkt und danach ein Bezug zu einer bestimmten Person zu verlangen sein könnte (vgl. zum Ausnahmecharakter des § 256 StPO etwa BGH, Beschluss vom 3. September 2019 – 3 StR 291/19, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Gutachten 2 Rn. 11, 12; Urteil vom 4. Juli 2019 – 4 StR 508/18, NStZ-RR 2019, 285, 286; zu einer individuellen Zuordnung BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Nr. 5 Ermittlungsmaßnahmen 4; SSW-StPO/Franke, 5. Aufl., § 256 Rn. 11). Zudem wird für – im Gesetzgebungsverfahren als vergleichbar angesehene (s. BT-Drucks. 15/1508 S. 26) und vom Gesetzeswortlaut ähnlich geregelte – Zeugnisse oder Gutachten öffentlicher Behörden gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO gefordert, dass sich ergibt, von wem die Erklärung für die Behörde abgegeben wurde (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 256 Rn. 41; KMR/R. Fischer, StPO, 111. EL, § 256 Rn. 41; BGH, Urteil vom 21. September 2000 – 1 StR 634/99, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Behörde 3; Beschluss vom 6. März 2001 – 1 StR 14/01, juris; zum ärztlichen Attest BGH, Beschluss vom 7. August 2019 – 1 StR 57/19, juris Rn. 5 mwN; Urteil vom 10. März 2021 – 6 StR 285/20, NStZ 2021, 507, 508). Für eine Überprüfung, ob die Erklärung tatsächlich von einer Strafverfolgungsbehörde stammt und es sich nicht lediglich um einen Entwurf handelt, kann die Erkennbarkeit des Erklärenden ebenfalls sachdienlich sein.

bb) Auch wenn aus diesen Gründen eine Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO nur dann zulässig sein sollte, falls die Person des Erklärenden ersichtlich ist, ist diese Anforderung in Bezug auf die Berichte des Bundeskriminalamtes erfüllt. Aus den jeweils – zumeist ausdrücklich „i.A.“ oder „i.V.“ namentlich unterschriebenen – Vorblättern ergibt sich, auf wen die zugehörigen Berichte zurückzuführen sind und dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf handelt. So hat der Unterzeichnende jeweils bestätigt, dass die beigefügten Dokumente die im Rahmen der näher dargelegten Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse enthielten (vgl. zu einem angefügten Schreiben – in Bezug auf § 256 Abs. 1 Nr. 3 StPO – BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 2 StR 111/07, StraFo 2007, 331); Detailinformationen zu bestimmten Erkenntnissen, etwa der ermittelnde Beamte, könnten bei Bedarf über die Führungsgruppe erfragt werden.

Darauf, ob die erklärende Person die Erkenntnisse unmittelbar selbst gewonnen hat oder lediglich aufgrund fremder, namentlich durch mehrere Observationsbeamte zusammengetragener Erkenntnisse – gleichsam vom Hörensagen – berichtet, kommt es nicht an (vgl. allgemein zur Verlesung von Observationsberichten BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 484/15, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Nr. 5 Ermittlungsmaßnahmen 3 Rn. 2; ablehnend SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 256 Rn. 33; Conen in Festschrift Eisenberg, 2019, S. 377, 381 ff.; s. im Übrigen zu Behördenerklärungen LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 256 Rn. 12; zum Zeugen vom Hörensagen etwa BGH, Urteil vom 1. August 1962 – 3 StR 28/62, BGHSt 17, 382, 383 f.). Hierfür spricht bereits die Gesetzesbegründung, die regelmäßig auf gesammelten Erkenntnissen beruhende Schlussberichte lediglich insoweit für nicht verlesbar ansieht, als darin der Inhalt einer Vernehmung wiedergegeben wird (BT-Drucks. 15/1508 S. 26).

cc) Die mit dem jeweiligen Vorblatt zu den Akten gelangten Observationsberichte durften unabhängig davon als Beweismittel genutzt werden, ob die vorangestellten Schreiben selbst verlesen wurden. Die Verlesung von Urkunden kann nach Maßgabe der Aufklärungspflicht auf die für die Entscheidung bedeutsamen, aus sich heraus verständlichen Teile beschränkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 – GSSt 1/10, BGHSt 56, 109 Rn. 34; Urteil vom 8. März 1960 – 5 StR 17/60, GA 1960, 277; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 28; MüKoStPO/Kreicker, § 249 Rn. 43). In diesem Sinne bedeutsam sind die Schreiben der Koordinierungsstelle des Bundeskriminalamtes indes nicht, da sie hauptsächlich für die im Wege des Freibeweises zu klärenden Frage der Verlesbarkeit anderer Teile der Urkunden relevant sind (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 2 StR 111/07, StraFo 2007, 331; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Februar 1983 – 2 Ss 349/82, StV 1983, 273; BeckOK StPO/Ganter, 46. Ed., § 256 Rn. 23).

dd) In Bezug auf zwei Berichte über die Observation durch eine b.      Spezialeinheit am 24. Mai 2013 kommt es entscheidend weder darauf an, ob insofern die vom Generalbundesanwalt vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rügen durchgreifen, noch, ob in der Sache die Urheber der Erklärungen erkennbar sind. Denn mit Blick auf die dichte übrige Beweislage ist auszuschließen, dass sich die Berücksichtigung der Berichte bei der Überzeugungsbildung des Oberlandesgerichts zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt hat.“

ich bin gespannt, was der BGH mal macht, wenn er die Frage entscheiden muss. Zumindest haben wir hier schon mal einen Hinweis, in welche Richtung es gehen könnte.

StPO II: Umfang der Mitteilung zu einer Verständigung, oder: Auch der Gesprächsinhalt interessiert

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Und als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 14.02.2023 – 5 StR 527/22 – zur Mitteilung in Zusammenhang mit einer Absprache/Verständigung.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Erfolg hatte:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Erhebung der Anklage fand auf Anregung der Vorsitzenden ein Verständigungsgespräch statt, an dem neben den Mitgliedern der Strafkammer unter anderem Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft sowie die Verteidiger des Angeklagten und des nicht revidierenden Mitangeklagten teilnahmen. Im Verlauf des Gesprächs äußerten die zuständige Staatsanwältin und später auch die Vorsitzende ihre Strafmaßvorstellung für den Angeklagten für den Fall einer geständigen Einlassung. Dessen Verteidiger äußerte sich ablehnend. Das Gespräch wurde letztlich ergebnislos beendet. Die Vorsitzende fertigte einen Vermerk über das Gespräch an, der zu den Akten genommen und den Verteidigern per Fax übermittelt wurde.

Am ersten Tag der Hauptverhandlung stellte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes fest, „dass Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung“ stattgefunden hätten. Sie nahm Bezug auf den hierzu gefertigten Vermerk. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger bestätigten, den Vermerk zu kennen. Über das Verständigungsgespräch und dessen Inhalt teilte die Vorsitzende ansonsten nichts mit. Auch der Vermerk wurde nicht verlesen oder sonst bekanntgegeben. Weitere Erklärungen wurden von den Verfahrensbeteiligten nicht abgegeben.

2. Es liegt danach ein durchgreifender Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

a) Indem die Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt des Gesprächs mitteilte, genügte sie nicht der sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen, die ohne Einschränkungen auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen gilt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; Urteil vom 18. November 2020 ‒ 2 StR 317/19, wistra 2021, 290 Rn. 45 mwN).

b) Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Zwar war der Angeklagte durch seinen Verteidiger in inhaltlich nicht näher bekannter Weise mündlich über das Verständigungsgespräch und dessen Ergebnislosigkeit informiert worden (zum Fehlen eines aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgenden Vortragserfordernisses hierzu vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2019 – 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87; vom 3. August 2022 – 5 StR 62/22). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sein Prozessverhalten bei einer durch die Vorsitzende erteilten Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 118; MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 96).“

StPO I: Das hohe Gut „letztes Wort des Angeklagten“, oder: Letztes Wort, wenn Angeklagter zurückkommt.

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Und heute dann 3 x StPO vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 StR 10/23. Das LG hatte die Angeklagte S.  wegen unerlaubten Erbringens von Zahlungsdiensten verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die mit der Verfahrenrüge der Verletzung des § 258 Abs. 2 StPO – also letztes Wort – Erfolg hatte:

„2. Die Revision der Angeklagten S. dringt mit der Verfahrensbeanstandung durch, ihr sei entgegen § 258 Abs. 2 StPO nicht das letzte Wort gewährt worden.

a) Der Rüge liegt im Wesentlichen das folgende Geschehen zugrunde:

Die Angeklagte war am 21. Tag der Hauptverhandlung nicht erschienen. Nach einem entsprechenden Beschluss des Landgerichts gemäß § 231 Abs. 2 StPO wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt. Am selben Tag erhielten die Verteidiger beider Angeklagter und der Mitangeklagten das Wort für ihre Schlussvorträge sowie der Angeklagte und die Mitangeklagten das letzte Wort. Am nächsten Hauptverhandlungstag war die Angeklagte von Beginn an anwesend. Der Vorsitzende verkündete einen Kammerbeschluss und nach Unterbrechung der Verhandlung das Urteil, ohne der Angeklagten das letzte Wort zu erteilen.

b) Diese Verfahrensweise entsprach nicht § 258 Abs. 2 StPO, nach dem der Angeklagten das letzte Wort gebührt.

Danach ist sie gemäß § 258 Abs. 3 StPO auch dann zu befragen, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für sie gesprochen hat. Die zeitweise Verhandlung in ihrer Abwesenheit nach § 231 Abs. 2 StPO enthebt das Landgericht nicht von der Pflicht, der wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt sie in die Hauptverhandlung zurück, nimmt sie ihre Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat sie nicht dadurch verwirkt, dass sie während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten. Dem Recht der Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 StPO den Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzte persönlich abschließend zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist (s. insgesamt BGH, Beschluss vom 27. Februar 1990 – 5 StR 56/90, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 2 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 258 Rn. 20).

Diese Anforderungen wurden nicht eingehalten.

c) Soweit das Urteil die Angeklagte betrifft, beruht es im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei Erteilung des letzten Wortes noch Ausführungen gemacht und dies sich auf die Entscheidung des Landgerichts ausgewirkt hätte (vgl. zum Beruhen etwa BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2002 – 3 StR 499/01, wistra 2002, 308; vom 11. März 2014 – 5 StR 70/14, StraFo 2014, 251; vom 20. August 2008 – 5 StR 350/08, NStZ 2009, 50; vom 2. Mai 1989 – 5 StR 154/89, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1; BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 1980 – 2 BvR 705/79, BVerfGE 54, 140, 142; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 35 f.). Allein daraus, dass die in L.     lebende Angeklagte zu dem auf den Schlussvortrag des Staatsanwalts folgenden Hauptverhandlungstag nicht erschien, ist nicht zu folgern, sie habe wie zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich nicht äußern wollen. So ließ sich etwa der ebenfalls zuvor schweigende Angeklagte erst im Rahmen seines letzten Wortes zur Sache ein.

d) Danach ist die Verurteilung der Angeklagten S. insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben…..“