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StPO I: Verlesung von Observationsberichten, oder: Muss ein individueller Urheber erkennbar sein?

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Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 04.0.42023 – 3 StR 68/22. Das OLG München hatte die Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig gesprochen. Dagegen die Revisionen, mit denen die Sach- und Verfahrensrüge erhoben worden ist. Die Revisionen hatten keinen Erfolg. ich stelle hier nur die Ausführungen des BGH zur Verfahrensrüge vor. Mit denen hatte die Angeklagten die auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO gestützte Verlesungen von „Observationsberichten, Vermerken und Lichtbildmappen“ beanstandet: Wie gesagt – ohne Erfolg:

„a) Ihnen liegt im Wesentlichen das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:

Auf Anordnung des Vorsitzenden wurden unter anderem zwölf Observationsberichte als Urkunden zur Beweiserhebung in der Hauptverhandlung verlesen. Zehn Berichte weisen als Urheber eine näher bezeichnete Stelle des Bundeskriminalamtes unter Hinzufügung einer Tagebuchnummer aus, zwei weitere die „Polizeiinspektion Spezialeinheiten N. MEK“. Den Berichten des Bundeskriminalamtes sind in den Strafakten individuell unterzeichnete Vorblätter vorangestellt. Die Verteidiger widersprachen der Erhebung und Verwertung der Urkunden als Beweismittel insbesondere mit der Begründung, zu dem oder den Verfassern der Berichte fänden sich dort keine Angaben. Das Oberlandesgericht führte in mehreren Beschlüssen aus, nach dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO genüge es, wenn aus der Urkunde ersichtlich werde, von welcher Behörde die Erklärung stamme.

b) Es bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, inwieweit im Einzelfall der individuelle Urheber einer Urkunde ersichtlich sein muss, die eine Erklärung der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen enthält und die nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden soll; denn bei Annahme eines solchen Erfordernisses ist diesem bei den in Rede stehenden Berichten des Bundeskriminalamtes genügt. Hinsichtlich der beiden Berichte der b. Polizeiinspektion ist jedenfalls auszuschließen, dass das Urteil auf ihnen beruht. Hierzu im Einzelnen:

aa) Der Wortlaut des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verhält sich nicht dazu, ob ein individueller Urheber von in einer Urkunde enthaltenen Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen erkennbar sein muss oder es ausreicht, solche Erklärungen allgemein einer Strafverfolgungsbehörde zuordnen zu können. In systematischer Hinsicht könnte allerdings zu bedenken sein, dass die Vorschrift den Grundsatz der persönlichen Vernehmung nach § 250 StPO einschränkt und danach ein Bezug zu einer bestimmten Person zu verlangen sein könnte (vgl. zum Ausnahmecharakter des § 256 StPO etwa BGH, Beschluss vom 3. September 2019 – 3 StR 291/19, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Gutachten 2 Rn. 11, 12; Urteil vom 4. Juli 2019 – 4 StR 508/18, NStZ-RR 2019, 285, 286; zu einer individuellen Zuordnung BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Nr. 5 Ermittlungsmaßnahmen 4; SSW-StPO/Franke, 5. Aufl., § 256 Rn. 11). Zudem wird für – im Gesetzgebungsverfahren als vergleichbar angesehene (s. BT-Drucks. 15/1508 S. 26) und vom Gesetzeswortlaut ähnlich geregelte – Zeugnisse oder Gutachten öffentlicher Behörden gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO gefordert, dass sich ergibt, von wem die Erklärung für die Behörde abgegeben wurde (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 256 Rn. 41; KMR/R. Fischer, StPO, 111. EL, § 256 Rn. 41; BGH, Urteil vom 21. September 2000 – 1 StR 634/99, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Behörde 3; Beschluss vom 6. März 2001 – 1 StR 14/01, juris; zum ärztlichen Attest BGH, Beschluss vom 7. August 2019 – 1 StR 57/19, juris Rn. 5 mwN; Urteil vom 10. März 2021 – 6 StR 285/20, NStZ 2021, 507, 508). Für eine Überprüfung, ob die Erklärung tatsächlich von einer Strafverfolgungsbehörde stammt und es sich nicht lediglich um einen Entwurf handelt, kann die Erkennbarkeit des Erklärenden ebenfalls sachdienlich sein.

bb) Auch wenn aus diesen Gründen eine Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO nur dann zulässig sein sollte, falls die Person des Erklärenden ersichtlich ist, ist diese Anforderung in Bezug auf die Berichte des Bundeskriminalamtes erfüllt. Aus den jeweils – zumeist ausdrücklich „i.A.“ oder „i.V.“ namentlich unterschriebenen – Vorblättern ergibt sich, auf wen die zugehörigen Berichte zurückzuführen sind und dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf handelt. So hat der Unterzeichnende jeweils bestätigt, dass die beigefügten Dokumente die im Rahmen der näher dargelegten Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse enthielten (vgl. zu einem angefügten Schreiben – in Bezug auf § 256 Abs. 1 Nr. 3 StPO – BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 2 StR 111/07, StraFo 2007, 331); Detailinformationen zu bestimmten Erkenntnissen, etwa der ermittelnde Beamte, könnten bei Bedarf über die Führungsgruppe erfragt werden.

Darauf, ob die erklärende Person die Erkenntnisse unmittelbar selbst gewonnen hat oder lediglich aufgrund fremder, namentlich durch mehrere Observationsbeamte zusammengetragener Erkenntnisse – gleichsam vom Hörensagen – berichtet, kommt es nicht an (vgl. allgemein zur Verlesung von Observationsberichten BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 484/15, BGHR StPO § 256 Abs. 1 Nr. 5 Ermittlungsmaßnahmen 3 Rn. 2; ablehnend SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 256 Rn. 33; Conen in Festschrift Eisenberg, 2019, S. 377, 381 ff.; s. im Übrigen zu Behördenerklärungen LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 256 Rn. 12; zum Zeugen vom Hörensagen etwa BGH, Urteil vom 1. August 1962 – 3 StR 28/62, BGHSt 17, 382, 383 f.). Hierfür spricht bereits die Gesetzesbegründung, die regelmäßig auf gesammelten Erkenntnissen beruhende Schlussberichte lediglich insoweit für nicht verlesbar ansieht, als darin der Inhalt einer Vernehmung wiedergegeben wird (BT-Drucks. 15/1508 S. 26).

cc) Die mit dem jeweiligen Vorblatt zu den Akten gelangten Observationsberichte durften unabhängig davon als Beweismittel genutzt werden, ob die vorangestellten Schreiben selbst verlesen wurden. Die Verlesung von Urkunden kann nach Maßgabe der Aufklärungspflicht auf die für die Entscheidung bedeutsamen, aus sich heraus verständlichen Teile beschränkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 – GSSt 1/10, BGHSt 56, 109 Rn. 34; Urteil vom 8. März 1960 – 5 StR 17/60, GA 1960, 277; KK-StPO/Diemer, 9. Aufl., § 249 Rn. 28; MüKoStPO/Kreicker, § 249 Rn. 43). In diesem Sinne bedeutsam sind die Schreiben der Koordinierungsstelle des Bundeskriminalamtes indes nicht, da sie hauptsächlich für die im Wege des Freibeweises zu klärenden Frage der Verlesbarkeit anderer Teile der Urkunden relevant sind (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 2 StR 111/07, StraFo 2007, 331; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Februar 1983 – 2 Ss 349/82, StV 1983, 273; BeckOK StPO/Ganter, 46. Ed., § 256 Rn. 23).

dd) In Bezug auf zwei Berichte über die Observation durch eine b.      Spezialeinheit am 24. Mai 2013 kommt es entscheidend weder darauf an, ob insofern die vom Generalbundesanwalt vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rügen durchgreifen, noch, ob in der Sache die Urheber der Erklärungen erkennbar sind. Denn mit Blick auf die dichte übrige Beweislage ist auszuschließen, dass sich die Berücksichtigung der Berichte bei der Überzeugungsbildung des Oberlandesgerichts zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt hat.“

ich bin gespannt, was der BGH mal macht, wenn er die Frage entscheiden muss. Zumindest haben wir hier schon mal einen Hinweis, in welche Richtung es gehen könnte.