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StPO II: Dreimal etwas zum Pflichtverteidiger, oder: Steuerstrafverfahren, Vollstreckung, Rückwirkung

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Im zweiten Posting des Tages dann etwas zur Pflichtverteidigung. Ja, kein „Pflichti-Tag“, dafür reichen die drei Entscheidungen nicht. Von den drei Beschlüssen betreffen zwei die Beiordnungsgründe und einer – natürlich 🙂 – zur rückwirkenden Bestellung.

Hier sind die Leitsätze der Entscheidungen:

Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 140 Absatz 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass der Verurteilte aufgrund seiner medikamentösen Einstellung, seine Rechte nicht vollumfänglich eigenverantwortlich wahrnehmen kann.

Kommt es im Verfahren zur Beantwortung der Frage, ob sich gegen die Beschuldigte ein Verdacht wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO erhärten lässt und ob ggf. im weiteren Verfahren eine entsprechende Schuld der Beschuldigten festgestellt werden kann, neben den §§ 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 68 EStG auch auf die Verordnung (EG) 883/2004 an, ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO.

Unter besonderen Umständen ist die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers zulässig. Dies kann der Fall sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.

StPO I: Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, oder: Zweifel an der Verhandlungsfäigkeit genügen

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Heute mache ich dann einen StPO-Tag.

Den Reigen eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 06.12.2023 – 5 StR 453/23 – zur Frage der Auswirkungen von Zweifeln des Gerichts an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten.

Es geht um ein Verfahren, das beim LG Bremen anhängig war. Das LG hat den Angeklagten wegen Diebstahls verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen die Revision, die mit der Verfahrensrüge Erfolg hatte..

Der BGH geht im Wesentlichen von folgendem Verfahrensgeschehen aus:

„a) Der Beanstandung liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde: Einen Tag vor Beginn der Hauptverhandlung am 20. Februar 2023 stellte der Verteidiger den Antrag, den ersten Hauptverhandlungstermin wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten aufzuheben und eine Stellungnahme der behandelnden Ärzte zur Verhandlungsfähigkeit, Aussagetüchtigkeit und Konzentrationsfähigkeit des Angeklagten sowie deren vermutlicher Dauer einzuholen. Begründet wurde dies damit, dass eine Terminsvorbereitung mit dem Angeklagten infolge psychischer Beeinträchtigung und Anzeichen von optischen und akustischen Halluzinationen nicht möglich gewesen sei. Ohne Erkundigungen des Gerichts zur Verhandlungsfähigkeit begann am nächsten Tag die Hauptverhandlung. Auf die Erklärung des Verteidigers, er halte den Angeklagten nicht für verhandlungsfähig, ordnete der Vorsitzende der Strafkammer an, dass die Hauptverhandlung nicht unterbrochen werden sollte, weil „ja insbesondere in der Hauptverhandlung geklärt werden [solle], ob die vorgeworfenen Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden“; die einzelnen Termine sollten aber maximal drei Stunden dauern. Der Verteidiger beantragte daraufhin erneut, den Termin aufzuheben und ein Sachverständigengutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten einzuholen.

In der folgenden Befragung zur Person gab der Angeklagte ein unzutreffendes Geburtsjahr an und konnte seinen Geburtsort nicht namentlich benennen; seine Antwort auf die Frage nach seiner Staatsangehörigkeit war unverständlich. Weitere Fragen wurden daraufhin nicht mehr gestellt. In der Folge beanstandete der Verteidiger die vom Vorsitzenden angeordnete Fortführung der Hauptverhandlung und beantragte eine Entscheidung des Gerichts, worauf die Strafkammer die Anordnung des Vorsitzenden ohne nähere Begründung bestätigte. Sodann wurden insbesondere die verfahrensgegenständlichen Anklageschriften und ein Strafbefehl sowie die zugehörigen Eröffnungs- und Verbindungsbeschlüsse verlesen, bevor die Hauptverhandlung für diesen Tag unterbrochen wurde.

Zwischen dem ersten und dem neun Tage später liegenden zweiten Hauptverhandlungstag ergriff das Landgericht keine Maßnahmen, um die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten aufzuklären. Der Verteidiger erkundigte sich aber bei dem den Angeklagten behandelnden Oberarzt, der ihm mitteilte, dass der Angeklagte an einer floriden Psychose mit – eher unwahrscheinlich – nicht auszuschließenden optischen sowie wahrscheinlichen akustischen Halluzinationen leide, weshalb seine Konzentrationsfähigkeit stark eingeschränkt sei, krankheitsbedingte Verkennungen, Irrtümer und Verständnisprobleme zudem erwartbar seien. Zu Beginn des zweiten Hauptverhandlungstages am 1. März 2023 stellte der Verteidiger deshalb den Antrag, das Verfahren wegen vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten vorläufig einzustellen, hilfsweise die Hauptverhandlung auszusetzen, und beantragte erneut, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten einzuholen.“

Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Das gefällt dem BGH aber nun gar nicht:

„b) Mit dieser Verfahrensweise hat das Landgericht jedenfalls an den ersten beiden Hauptverhandlungstagen im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO in Abwesenheit des Angeklagten als einer Person verhandelt, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Nach § 230 Abs. 1 StPO findet eine Hauptverhandlung gegen einen ausgebliebenen Angeklagten nicht statt; seiner Abwesenheit steht grundsätzlich seine Verhandlungsunfähigkeit gleich. Daraus folgt, soweit nicht die Abwesenheitsverhandlung ausnahmsweise, etwa nach § 231a StPO gestattet ist, dass ein nach § 338 Nr. 5 StPO zu berücksichtigendes Verbot des Weiterverhandelns gemäß § 230 StPO schon dann vorliegt, wenn das Tatgericht Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 1984 – 5 StR 449/84, NStZ 1984, 520).

Dem muss der Fall gleichstehen, in dem das Tatgericht bestehende Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit nur deshalb meint überwinden zu können, weil es einen rechtlich unzutreffenden Maßstab an die Verhandlungsfähigkeit anlegt. So verhält es sich hier:

Die Strafkammer hatte – wie sie es in dem Beschluss vom 8. März 2023, aber auch in dem angefochtenen Urteil ausgeführt hat – objektive Gründe, an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zu zweifeln, bei dem sie selbst „offensichtlich krankheitsbedingte Auffälligkeiten“ festgestellt hatte und den sie als „oftmals nur schwer erreichbar“ bezeichnete. Auch die durch den Verteidiger zwischen dem ersten und zweiten Hauptverhandlungstag von dem behandelnden Arzt eingeholten Informationen, nach denen der Angeklagte an einer floriden Psychose mit jedenfalls wahrscheinlichen akustischen Halluzinationen litt, boten nach den oben angegebenen Grundsätzen Anlass zur Abklärung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten unter Hinzuziehung fachkundiger Personen, zu der sich der Vorsitzende der Strafkammer aber erst in der Zeit nach dem zweiten Hauptverhandlungstag und vor Absetzung des Beschlusses der Strafkammer vom 8. März 2023 verstand. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Strafkammer aber bereits an zwei Hauptverhandlungstagen gegen das Verbot des Weiterverhandelns verstoßen.

Dem steht – anders als der Generalbundesanwalt meint – nicht entgegen, dass die Strafkammer Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten möglicherweise überwinden zu können glaubte, weil der Angeklagte die Geltendmachung seines Schweigerechts „im ganzen Satz“ zum Ausdruck bringen konnte und nicht zu bemerken gewesen sei, dass der Angeklagte „überhaupt nicht erkannt [habe], in welcher Situation er sich vor Gericht“ befunden habe. Unbeschadet des Umstands, dass damit der Begriff der Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 2. Februar 2022 – 5 StR 390/21 Rn. 12, BGHSt 67, 12) nicht zutreffend erfasst ist, haftet einer daraus erkennbaren eigenen Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit darüber hinaus der Makel an, dass die Strafkammer ihrer Prüfung einen falschen Maßstab zugrunde gelegt hat: Wird eine Hauptverhandlung im Sinne des sechsten Abschnitts des zweiten Buches der Strafprozessordnung (§§ 226 ff. StPO) gegen einen Angeklagten geführt, sieht § 230 Abs. 1 StPO – wie dargelegt – die Anwesenheit des Angeklagten verpflichtend vor. Das Verbot einer Hauptverhandlung gegen den ausgebliebenen Angeklagten ist zwingend, Ausnahmen davon sind nur dort und nur insoweit zulässig, als sie das Gesetz ausdrücklich bestimmt (LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 230 Rn. 3 mwN). Eine dieser Ausnahmen ist in § 415 StPO für das Sicherungsverfahren bestimmt. Liegt indes – wie hier – kein Sicherungsverfahren vor, greift auch die Ausnahmeregelung nicht. Die Regelungen für die Hauptverhandlung sind ausnahmslos anzuwenden. Das Landgericht durfte deshalb nicht unter Hinweis auf die im Sicherungsverfahren bestehenden Möglichkeiten die Anforderungen an die Anwesenheit und damit auch die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten absenken. Denn stellt sich heraus, dass gegen einen Angeklagten mangels Verhandlungsfähigkeit nicht nach den §§ 226 ff. StPO verhandelt werden kann, ist ein Übergang in ein Sicherungsverfahren ausgeschlossen, vielmehr muss das Verfahren eingestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2001 – 2 StR 498/00, BGHSt 46, 345, 346; Beschluss vom 21. Juni 2016 – 5 StR 266/16, NStZ 2016, 693). Die Staatsanwaltschaft hat sodann nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ob nach § 413 StPO ein Sicherungsverfahren durchgeführt werden soll, das sie gemäß § 414 StPO durch einen entsprechenden Antrag einzuleiten hat (vgl. LR-StPO/Gaede, 27. Aufl., § 416 Rn. 17). Dieses Regelungsgefüge würde unterlaufen, wenn die Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit in Fällen wie dem vorliegenden abgesenkt würden.

Es trifft entgegen der Auffassung des Landgerichts deshalb nicht zu, dass – solange gegen einen Angeklagten kein Sicherungsverfahren geführt wird – die Frage der Verhandlungsfähigkeit in Fällen, in denen „eine krankheitsbedingte Schuldunfähigkeit und eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu prüfen ist“, anders zu beurteilen wäre, als in jedem anderen subjektiven Strafverfahren. Vielmehr führt eine in einem solchen Verfahren festgestellte Schuldunfähigkeit zum Freispruch und gegebenenfalls zu einer Maßregel, etwa nach § 63 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2001 – 2 StR 498/00, BGHSt 46, 345, 347); die Frage der Verhandlungsfähigkeit – deren Fehlen stellt im Übrigen eine gesonderte Voraussetzung eines Sicherungsverfahrens dar (§ 413 StPO; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 2. Fe-bruar 2022 – 5 StR 390/21 Rn. 5, BGHSt 67, 12) – bleibt davon unberührt.

OWi III: Terminsverlegung nach Glatteiswarnung?, oder: Nicht bei mir, sagt das AG Germersheim

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Und dan als dritte Entscheidung des Tages ein AG-Beschluss, den mir der Kollege Gratz aus Bous geschickt hat.

Die Entscheidung hat ihren Ausgang in den Schlechtwetterwarnungen für das Saarland und Rheinland-Pfalz wegen starker Glätte, und zwar Mitte Januar u.a. auf allen Smartphones in der Region durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wegen „extremem Glatteis“. Das nimmt der Kollege zum Anlass die Verlegung einer Hauptverhandlung in einem Bußgeldverfahren zu beantragen, in dem, wie der Kollege mitteilt, dem Betroffenen, der mehr als 100 km vom AG entfernt wohnt, ein Bußgeldvon 160 EUR droht.

Das AG entscheidet dann mit dem AG Germersheim, Beschl. v. 17.01.2024 – 1 OWi 7282 Js 8075/23. Es lehnt den Antrag ab:

„Das Erscheinen ist für den Betroffenen nicht unzumutbar.

Unbestritten sind die Ausführungen des Verteidigers in seinem Schriftsatz vom 16.01.2024 hin-sichtlich Wetterwarnungen. Diese sind jedoch nicht maßgeblich. Maßgeblich sind vielmehr die tatsächlich herrschenden Verhältnisse, welche sich am Verhandlungstag nach eigener Wahrnehmung des Gerichts – welches ebenfalls aus der Region des Betroffenen an den Verhandlungsort anreiste – als leichten bis mittelmäßigen Schneefall und leichte bis mittelmäßige Glätte einzuordnen sind. Eine enorme Vielzahl an weiteren Reisenden und Arbeitenden war es ohne Beeinträchtigungen ebenfalls möglich – wie dem Gericht auch – die hier in Rede stehende Strecke ohne Wei-teres zu befahren, insbesondere da Räumdienste die Straßen problemlos befahrbar machten. Die mithin in den Wetterwarnungen ausgegebenen Befürchtungen hinsichtlich starken Beeinträchtigungen des Verkehrs sind erst gar nicht eingetreten. Es wäre dem Betroffenen ohne Weiteres möglich gewesen – bei Beachtung der tatsächlich herrschenden Verhältnisse – zu erkennen, dass eine Anreise ohne Weiteres möglich gewesen ist. Dies ist selbstverständlich dann nicht möglich, wenn – ohne den konkreten Verhältnissen Beachtung zu schenken – eine Wetterwarnung vom vorigen Tag als unüberprüften Verhinderungsgrund Glauben bzw. Argumentationsgrundlage geschenkt wird. Somit sind die vorgebrachten Tatsachen nicht geeignet eine Verhinderung zu begründen.

Im Übrigen wäre hierdurch auch keinerlei Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör zu erkennen, da der Betroffene offenkundig durch den Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen – welchem das Gericht nachkommt – verbunden mit der Durchführung des Termins keinerlei Nachteile insoweit erleidet.“

M.E. eine bemerkenswerte Begründung und Diktion, die man kurz auch so fassen könnte: Interessiert mich nicht, ich weiß es besser. Ich lasse das mal so stehen.

Im Übrigen: Ich habe auch Bedenken, ob die Argumentation hinsichtlich des rechtlichen Gehörs so zutreffend ist. Ok, der Betroffene hat den Antrag gestellt. Aber durch die Entbindung hat er doch nicht sein Recht, am Hauptverhandlungstermin teilzunehmen „verwirkt“? oder doch? Jedenfalls offenbar beim AG Germersheim.

OWi I: Einmal entbunden, immer „frei“, so der BGH, oder: Unterschied Verlegung/Aussetzung

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Heute dann OWi-Entscheidungen. Ein paar Entscheidungen habe ich, über die ich berichten kann.

Darunter  – und damit beginne ich – ist der BGH, Beschl. v. 10.10.2023 – 4 StR 94/22. Das ist die Entscheidung des BGH in der noch offenen Vorlagefrage zur Reichweite der Entbindung nach § 73  Abs. 2 OWi von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen im Bußgeldverfahren.

Es geht um folgenden Sachverhalt: Das AG hatte den Betroffenen auf seinen Antrag vom persönlichen Erscheinen entbunden. Nach einer Terminsverlegung der geplanten Hauptverhandlung sind dann weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum neuen Termin erschienen. Das AG hat daraufhin den Einspruch durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Hiergegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt.

Er bezieht sich auf einen Beschluss des OLG Bamberg, und zwar auf den OLG Bamberg, Beschl. v. 30.03.2016 – 3 Ss OWi 1502/15 – dazu: Einmal entbunden, immer entbunden….. In dem hatte das OLG entschieden, dass die antragsgemäße Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG bei einer bloßen Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortwirkt.

Das hatte das KG anders sehen wollen und die Frage daher mit dem KG, Beschl. v. 28.02.2022 – 3 Ws (B) 31/22 – dazu: OWi I: Einmal entbunden, immer entbunden….?, oder: Das KG fragt mit einer Vorlage den BGH –

zur Entscheidung vorgelegt und gefragt:

Führt die Verlegung eines Hauptverhandlungstermins dazu, dass die vorangegangene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens „verbraucht“ ist, so dass sie für den neuen Termin gegebenenfalls neu beantragt und angeordnet werden muss?

Der BGH hat nun für die Antwort ein wenig gebraucht, wohl auch, weil der GBA noch beim BayObLG angefragt hatte, ob man dort an der Rechtsprechung des OLG Bamberg festhält – die Antwort aus Bayern war klar: Natürlich – und dann hat der BGH, nachdem er die Vorlagefrage etwas enger gefasst hat, entschieden.

Und zwar hat er wie folgt geantwortet:

Die antragsgemäß nicht auf einen konkreten Termin bezogene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG wirkt bei Verlegung des Hauptverhandlungstermins fort, so dass ein Entbindungsbeschluss des Gerichts für den neuen Termin nicht erneut bean­tragt und erlassen werden muss.

Damit ist das Problem jetzt gelöst. Aber: Achtung! Beantwortet hat der BGH die Frage, wie es bei einer Terminsverlegung ist – da braucht man keinen neuen Antrag. Nicht beantwortet ist die Frage, wie es sich bei einer Aussetzung der Hauptverhandlung verhält, wo man wohl, wenn ich den BGH richtig verstehe, einen neuen Antrag braucht, die Entbindung also nicht fortwirkt. Daher als Verteidiger lieber in solchen Situationen den sicheren Weg gehen und immer einen neuen Antrag stellen.

StPO III: Ablehnung/Begriff des erkennenden Richters, oder: Welches Rechtsmittel ist zulässig?

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Und dann habe ich hier noch einen Beschluss aus dem Ablehnungrecht, und zwar den LG Stuttgart, Beschl. v. 03.01. – 8 Qs 62/23 – mit folgende Sachverhalt:

Mit Strafbefehl vom 22.11.2022 verhängte das AG gegen die Angeklagte wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe. Auf den fristgerechten Einspruch der Angeklagten beraumte das Amtsgericht die Durchführung der Hauptverhandlung für den 03.04.2023 an. In diesem Termin stellte die Angeklagte einen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit. Hierauf setzte das AG die Hauptverhandlung aus und verwarf mit rechtskräftigem Beschluss vom 05.04.2023 das mündlich gestellte Ablehnungsgesuch als unzulässig mit der Begründung, dass ein Grund der Ablehnung nicht angegeben worden sei.

Am 25.05.2023 bestimmte das AG einen neuen Termin zur Hauptverhandlung auf 12.06.2023 und ordnete mit Beschluss vom selben Tag das persönliche Erscheinen der Angeklagten hierzu an.

Zu diesem Termin zur Hauptverhandlung erschien die Angeklagte nicht. Daraufhin verwarf das AG mit Urteil vom 12.06.2023 nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 StPO ihren Einspruch. Das Urteil wurde der Angeklagten am 15.09.2023 zugestellt.

Mit Telefax stellte die Angeklagte am 22.09.2023 einen neuerlichen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden der Hauptverhandlung vom 12.06.2023 wegen der Besorgnis der Befangenheit sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Außerdem legte sie Berufung ein.

Nachdem der abgelehnte Richter am 25.09.2023 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben hatte, wies das AG das Ablehnungsgesuch der Angeklagten – ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters – mit Beschluss vom 02.11.2023 als unbegründet zurück. Der Beschluss wurde am 06.11.2023 formlos an die Angeklagte hinausgegeben.

Gegen diesen Beschluss legte die Angeklagte am 27.11.2023 sofortige Beschwerde ein. Die hatte keinen Erfolg.

Das LG äußert sich zur Zulässigkeit des Rechtsmittels, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

    1. Gegen den Beschluss über ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl ist die sofortige Beschwerde statthaft, auch wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde.
    2. Nach Verwerfung eines Einspruchs gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO wegen Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist der Amtsrichter nicht mehr erkennender Richter im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, auch wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 329 Abs. 7 StPO gestellt wurde (vgl. für die Konstellation eines Verwerfungsurteils nach einer Berufungshauptverhandlung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2018 – 4 Ws 429/17 -), so dass dann gegen die amtsgerichtliche Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch die sofortige Beschwerde statthaft ist.