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Zustellung I: Hauptverhandlungsprotokoll fertig?, oder: Zustellung vor Fertigstellung?

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eute am Donnerstag gibt es dann drei Entscheidungen zu Zustellungsfragen, also StPO. Die Entscheidungen stammen aus dem Straf- und dem Bußgeldverfahren.

Den Opener macht der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.10.2023 – 7 ORs 37/23. Es geht um die Auslegung eines Rechtsmittels und eben um die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung.

Das AG hat einen Strafbefehl gegen den Angeklagten erlassen. Zu der auf Einspruch des Angeklagten anberaumten Hauptverhandlung erschien der Angeklagte nicht. Das AG hat den Einspruch gegen den Strafbefehl verworfen. Das Verwerfungsurteil vom 24.04.2023 wurde dem Angeklagten am 17.062023 zugestellt.

Hiergegen legte der Angeklagte mit am 22.06.2023 eingegangenen Schreiben „der Ordnung halber, um Ihre rechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen und gleichsam keine Fristen zu versäumen […] Revision“ ein. Das AG hat das Rechtsmittel als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO gewertet und nach Anhörung des Angeklagten die Revision nach Ablauf der in § 345 Abs. 1 StPO vorgesehenen Revisionsbegründungsfrist mit Beschluss vom 09.082023 als unzulässig verworfen. Gegen den Beschluss legte der Angeklagte nach Zustellung „Widerspruch/Einspruch oder dergleichen“ ein. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das OLG sieht den vom Angeklagten eingelegten „Widerspruch/Einspruch oder dergleichen“ gemäß § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO an. Der sei zulässig und auch begründet.

Zu dem Rechtsmittel des Angeklagten führt das OLG aus, dass es nicht als Revision, sondern als Berufung anzusehen sei. Insoweit bitte im Volltext lesen. Dazu hier nur der Leitsatz:

Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 StPO ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 StPO angerufene Revisionsgericht hat auch zu prüfen, ob das Rechtsmittel überhaupt als Revision anzusehen ist. Eine Auslegung der Rechtsmittelerklärung ist veranlasst, wenn mehrere Rechtsmittel zulässig sind und unklar bleibt, welches eingelegt werden soll. Das Rechtsmittel ist so zu deuten, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist; im Zweifel gilt das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt.

Und zur Wirksamkeit der Zustellung heißt es:

„2. Das als Berufung zu qualifizierende Rechtsmittel gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Hanau vom 24. April 2023 ist auch bereits wirksam eingelegt, obschon dieses Urteil bislang nicht wirksam zugestellt und damit die Rechtsmittelfrist noch nicht in Gang gesetzt wurde.

Eine wirksame Zustellung eines Urteils setzt gemäß der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 273 Abs. 4 StPO die vorherige Fertigstellung des Protokolls voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 246/12 = NStZ 2014, 420, 41; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 273 Rn 34). Die Fertigstellung des Protokolls erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der für die Beurkundung des gesamten Protokollinhalts erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (BGH Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 246/12, a.a.O., m.w.N.). Der Tag der Fertigstellung muss nach § 271 Abs. 1 S. 2 StPO im Protokoll vermerkt oder auf sonstige Weise aktenkundig gemacht werden. Das in der Praxis übliche Vorgehen, den Fertigstellungstag unter dem Protokoll anzubringen, war ausweislich des in dem Protokoll enthaltenen Passus „Das Protokoll wurde fertiggestellt am:“, auch im vorliegenden Fall angelegt. Allerdings fehlt es an dieser Stelle an einer Eintragung des maßgeblichen Datums, das sich auch nicht aus anderen Umständen ergibt, wie etwa dem ausdrücklich in § 271 Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehenen Vermerk oder auch der Übersendung des Protokolls an den Angeklagten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15. September 1969 – AnwSt (B) 2/69 = NJW 1970, 105 f.). Eine Anfertigung eines Vermerks betreffend den Zeitpunkt der Fertigstellung im Wege einer dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden und der Protokollführerin ist aus Gründen der Rechtssicherheit nach der bereits tatsächlich erfolgten Zustellung nicht mehr möglich, um Unsicherheiten über die Wirksamkeit der Zustellung des Urteils und den hiervon abhängigen Fristenlauf zu verhindern; in diesem Fall muss die Zustellung – nachdem die Fertigstellung aktenkundig gemacht wurde – erneut veranlasst werden.

Die bislang fehlende Zustellung des Urteils steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels indes nicht entgegen. Ein Rechtsmittel kann eingelegt werden, wenn und sobald die angefochtene Entscheidung ergangen ist; nicht erforderlich ist, dass der Rechtsmittelführer Kenntnis von dem Erlass der Entscheidung hatte (vgl. BeckOK-Cirener StPO, 49. Edition, Stand: 1. Oktober 2023, § 296 Rn 5). Allerdings steht es dem Angeklagten frei, nach der wirksamen Zustellung des Verwerfungsurteils vom 24. April 2023 und der damit (erstmals) in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist, einen Wechsel von dem Rechtsmittel der Berufung hin zu dem Rechtsmittel der Revision zu erklären (vgl. LG Freiburg, Beschluss vom 3. März 2021 – 2/20 7 Ns 680 Js 39626/15). Hiervon wäre – aus den oben dargelegten Gründen – indes nur im Falle einer zweifelsfreien Erklärung auszugehen, wobei dem Angeklagten bewusst sein muss, dass – anders als im Falle der Berufung – eine Revision binnen Monatsfrist nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zu begründen ist und dies nur durch eigene Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle bzw. einen von einem Rechtsanwalt einzureichenden Schriftsatz geschehen kann (vgl. § 345 Abs. 1 StPO).“

StPO III: Rechtshilfe bei der Haftbefehlsverkündung, oder: Wenn das ersuchte Gericht „nicht darf“

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Und dann als letzte Entscheidung noch der AG Bautzen, Beschl. v. 26.02.2024 – 47 Gs 123/24. Mit dem Beschluss hat das AG ein Rechtshilfeersuchen des AG Oranienburg zur Verkündung eines Haftbefehls abgelehnt.

Das AG Oranienburg hatte gegen den Beschuldigten am 02.10.2023 gemäß § 230 Abs. 2 StPO Haftbefehl erlassen, da dieser in einem dort anhängigen Strafverfahren zu einer Hauptverhandlung am 20.09.2023 wegen des Verdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte u.a. unentschuldigt ferngeblieben ist. Das AG hat das Ersuchen, dem Beschuldigten, der sich in anderer Sache in Haft in der JVA B. befindet, den Haftbefehl zu verkünden, gemäß § 158 Abs. 2 S. 1 GVG zurückgewiesen:

„Grundsätzlich besteht die Pflicht des Amtsgerichts Bautzen zur Leistung von Rechtshilfe in Strafsachen nach §§ 156, 157 Abs. 1 GVG. Das Ersuchen eines nicht vorgesetzten Gerichts ist jedoch abzulehnen, wenn die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist, § 158 Abs. 2 Satz 1 GVG. Das Amtsgericht Bautzen ist – sich dem OLG Jena und dem OLG Frankfurt a.M. (Beschluss vom 23.06.1988 – 3 Ws 575/88) anschließend – der Auffassung, dass die ersuchte Rechtshilfe unzulässig ist, da die erbetene Amtshandlung (derzeit) ausschließlich dem ersuchenden Amtsgericht Oranienburg als dem nach §§ 115 Abs. 1, 126 Abs. 1 StPO zuständigen Gericht zugewiesen ist. Nach § 115 Abs. 1 StPO ist der Haftbefehl dem Beschuldigten von dem zuständigen Gericht zu verkünden. Dies ist das Gericht, das den Haftbefehl erlassen hat oder nach der Anklageerhebung mit der Sache befasst ist. Die Übertragung dieser Zuständigkeit im Wege der Rechtshilfe ist nach Ansicht des Amtsgerichts Bautzen unzulässig, da die §§ 115, 115a StPO eng auszulegende spezielle Zuständigkeitsnormen sind, die (insbesondere auch) dem Schutz der Rechte des Beschuldigten dienen. Dies folgt daraus, dass das nächste Amtsgericht im Sinne des § 115a StPO nur eine eingeschränkte Prüfungs- und Entscheidungkompetenz hat. Nichts anderes würde letztlich auch für das – mit der zugrundeliegende Sache nicht vertraute – Rechtshilfegericht gelten, dem die Zuständigkeit nach § 115 StPO übertragen werden würde. Denn der Kenntnismangel des Rechtshilfegerichts ermöglicht eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Sache und den persönlichen Umständen des Beschuldigten nur sehr eingeschränkt. Zudem wäre dem Beschuldigten bei einer Verkündung des Haftbefehls im Wege der Rechtshilfe nach § 115 StPO, anders als bei § 115a StPO (dort vorgesehen in Abs. 3), das Recht genommen, dem mit der Sache vertrauten Gericht bei der Vorführung seine Argumente vorzutragen. Er wäre dazu auf den Rechtsbehelf der Haftbeschwerde oder auf das Haftprüfungsverfahren beschränkt.

Da sich der Verfolgte derzeit in Strafhaft (Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe) befindet und nicht vorläufig festgenommen wurde, laufen auch keine Vorführungsfristen, die (derzeit) eine Vorführung nach § 115a StPO vor das Amtsgericht Bautzen rechtfertigen würden. Zudem ist für den Verfolgten Überhaft notiert. Bei der zu erwartenden Haftentlassung am 18.03.2024 kann die Vollstreckung der Haft noch im Anschluss eingeleitet werden. Hierfür ist die derzeitige Vorführung und Verkündung des Haftbefehls jedoch nicht erforderlich.“

StPO II: War (Revisionssenats)Vorsitzende befangen?, oder: Abgelehnte Verlängerung der Begründungfrist

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In dem zweiten Beschluss, den ich heute vorstelle, dem BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 4 StR 239/23, geht es um die Frage der Befangenheit im Revisionsverfahren.

Der Angeklagte ist om LG u.a. wegen Betruges in 64 Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden. Im Revisionsverfahren hat der GBA beantragt, das Rechtsmittel nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Der Antrag wurde einem der beiden Pflichtverteidiger ordnungsgemäß zugestellt; die so in Lauf gesetzte Frist zur Stellungnahme endete am 15.08.2023.

Nach der Zustellung des Antrags beantragte der Angeklagte, die Frist zur Abgabe der Gegenerklärung zu verlängern, woraufhin ihm der Vorsitzende mitteilte, dass der Senat nicht vor dem 02.09.2023 entscheiden werde. Mit Schriftsatz vom 23.08.2023 legitimierte sich ein weiterer Rechtsanwalt für den Angeklagten, ersuchte um Akteneinsicht und beantragte „zur Begründung der Revision“ eine Fristverlängerung bis mindestens zum 26.09.2023. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin die Übersendung der Akten und teilte dem neu eingetretenen Verteidiger zugleich mit, dass die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht verlängerbar sei.

Kurz darauf wandte sich der Angeklagte nochmals selbst an den BGH und beantragte erneut Fristverlängerung, nunmehr bis zum 28.09.2023 und „zur Stellungnahme auf den Antrag des Generalbundesanwalts“, woraufhin der Vorsitzende ihm mitteilte, dass eine Fristverlängerung nicht möglich sei.

Hierauf reagierte der Angeklagte mit insgesamt fünf jeweils gleichlautend begründeten Befangenheitsanträgen gegen den Senatsvorsitzenden, in denen er jeweils ausführte, dass durch die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowohl seinem neuen Verteidiger als auch ihm selbst verwehrt werde, zum Verwerfungsantrag des GBA Stellung zu nehmen. Außerdem hätten seine „Pflichtanwälte“ keine umfassende Stellungnahme abgegeben. Hieraus resultiere ein „Rechtsanspruch auf neue Verteidiger“, von dem der Vorsitzende „keinen Gebrauch gemacht“ habe.

Der BGH hat den ersten Befangenheitsantrag als unbegründet und die weiteren Ablehnungsgesuche jeweils als unzulässig verworfen. Tags darauf verwarf der Senat die Revision größtenteils nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. hier: BGH, Beschl. v. 15.11.2023 – 4 StR 239/23).

Der BGH hat die Ablehnungsanträge zurückgewiesen:

„1. Sämtliche Ablehnungsgesuche des Angeklagten richten sich ausschließlich gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin. Soweit der Befangenheitsantrag vom 8. Oktober 2023 mit „Befangenheitsantrag gegen erkennende Richter des 4. Strafsenats des BGH“ überschrieben ist, ergibt sich aufgrund seines ausschließlich auf prozessleitende Anordnungen des Vorsitzenden rekurrierenden Inhalts und der in der Begründung des Gesuchs mehrfach gebrauchten Singularform („des Richters“) eindeutig, dass auch dieser Ablehnungsantrag ausschließlich gegen den Vorsitzenden gerichtet ist. Weitere Mitglieder des Senats werden hingegen weder namentlich noch in sonst eindeutig bestimmbarer Weise bezeichnet.

2. Die Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin vom 11. September, 18. September, 8. Oktober und 21. Oktober 2023 sind bereits unzulässig.

Denn diesen Ablehnungsgesuchen ist – auch eingedenk der gebotenen engen Auslegung des § 26a StPO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 16; Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, juris Rn. 9) – kein tauglicher Grund zur Ablehnung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu entnehmen. Bei dem Vorbringen handelt es sich ausschließlich um Wiederholungen der bereits im Gesuch vom 5. September 2023 ausgeführten eigenen Bewertung der Verfahrenslage durch den Angeklagten. Dies steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung dieser Ablehnungsgesuche gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 1; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Der Senat kann offenlassen, ob das Ablehnungsgesuch vom 5. September 2023 zulässig ist und ihm die Behauptung eines konkreten Verhaltens des Vorsitzenden als Anknüpfungspunkt der Ablehnung sowie die Voraussetzungen der Rechtzeitigkeit des Vorbringens und deren Glaubhaftmachung (§§ 26 Abs. 2 Satz 1, 25 Abs. 2 StPO) noch hinreichend zu entnehmen sind. Der Ablehnungsantrag ist jedenfalls unbegründet.

a) Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters ist nur gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. September 2020 – 5 StR 630/19, juris Rn. 18; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 21; Urteil vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341). Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 24; Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209; Beschluss vom 8. März 1995 – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 69, 71). Knüpft die Richterablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vorbefassung des abgelehnten Richters mit der Sache an, ist dieser Umstand regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2023 – 4 StR 67/22, juris Rn. 10; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im Allgemeinen nicht begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16, juris Rn. 22 mwN). Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und der damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerung hinausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ-RR 2022, 345, 348 f. mwN).

b) Ausgehend von diesen Maßstäben begründet weder die Ablehnung einer Fristverlängerung durch den Vorsitzenden noch die unterlassene Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers die Besorgnis der Befangenheit.

Die in den Ablehnungsgesuchen thematisierten Mitteilungen des Vorsitzenden an den Angeklagten und an seinen Verteidiger Rechtsanwalt S., wonach eine Fristverlängerung nicht in Betracht komme, entsprechen – sowohl im Hinblick auf die Frist des § 345 Abs. 1 StPO als auch des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO – der Gesetzeslage (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 4; Beschluss vom 24. Januar 2017 – 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; Beschluss vom 13. Dezember 2007 – 1 StR 497/07, juris Rn. 4). Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass Stellungnahmen zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO selbst dann nicht abgewartet zu werden brauchen, wenn sie ausdrücklich in Aussicht gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 189/21, juris Rn. 3; Beschluss vom 30. Juli 2008 – 2 StR 234/08, NStZ-RR 2008, 352). Dies gilt selbst dann, wenn der Beschwerdeführer gleichzeitig um Überlassung der Akten bittet (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1990 – 4 StR 263/90, juris Rn. 4; Löwe-Rosenberg/Franke, 26. Aufl., § 349 Rn. 20). Die Ablehnung eines weiteren Entscheidungsaufschubs durch den Vorsitzenden war – zumal nach anfänglichem Zuwarten mit einer Entscheidung auf eine entsprechende Eingabe des Angeklagten hin – in Ermangelung eines sachlichen Grundes hierfür unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes sachgerecht.

Gleiches gilt für die von dem Angeklagten angeführten Erwägungen, der Vorsitzende habe ihm einen oder mehrere weitere Pflichtverteidiger beiordnen und für die Übermittlung des Antrags des Generalbundesanwalts an ihn persönlich Sorge tragen müssen. Der Angeklagte ist durch zwei Pflichtverteidiger vertreten. Anhaltspunkte dafür, dass durch diese eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleistet ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag des Angeklagten noch sind solche Umstände sonst ersichtlich. Ob ein Verteidiger von der Möglichkeit zur Stellungnahme zum Antrag des Generalbundesanwalts Gebrauch macht, obliegt allein seiner Verantwortung (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20 mwN). Eine Pflicht des Revisionsgerichts oder des Vorsitzenden, auf die Abgabe einer Stellungnahme nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hinzuwirken, existiert ebenso wenig wie eine solche zur zusätzlichen Übermittlung der Antragsschrift nach § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO an den verteidigten Beschwerdeführer persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 5 StR 278/01, juris Rn. 1 mwN).

Angesichts dieser Sachlage besteht für den Angeklagten bei vernünftiger Würdigung kein Grund zu der Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.“

Und wer gedacht hat, dass die Sache damit ihr Ende gefunden hat. Nein, es gibt noch Anhörungsrügen. Auf die komme ich noch zurück.

StPO I: Ablehnung einer Schöffin durch die StA, oder: Persönliche Beziehungen allein reichen nicht, aber ….

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Und heute dann mal wieder Verfahrensrecht, also ein wenig StPO, und zwar zweimal BGH, einmal AG.

Ich starte mit dem BGH, Urt. v. 25.10.2023 – 2 StR 195/23 – zur Ablehnung einer Schöffin durch die Staatsanwaltschaft, das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen ist.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zu Einfuhr von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen des LG war der Angeklagte von einem gesondert verfolgten B. beauftragt, von diesem in den Niederlanden bestelltes zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmtes Marihuana abzuholen. Zur Verbringung der Betäubungsmittel nach Deutschland hatte der Angeklagte den Opel Corsa seiner damaligen Lebensgefährtin organisiert. Der Angeklagte fuhr in dem Opel Corsa und B. in seinem SUV Seat nach E. Dort tauschten sie die Fahrzeuge und B. lud das Rauschgift in Abwesenheit des Angeklagten in den Opel Corsa, mit dem er das Marihuana über die Grenze nach Deutschland verbrachte. Der Angeklagte fuhr mit dem Seat voraus, um bei eventuellen Kontrollen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein bis zwei Tage nach ihrer Rückkehr tauschten sie die Fahrzeuge zurück und der Angeklagte erhielt eine Entlohnung von 500 EUR.

Die Staatsanwaltschaft hat Revision zu Lasten des Angeklagten eingelegt. Ihre Verfahrensrüge  hat sie damit begründet, dass bei dem Urteil eine Schöffin mitgewirkt habe, nachdem sie wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei (§ 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2, § 28 Abs. 2 Satz 2, § 31 Abs. 1 StPO). Dieser Rüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die an dem angefochtenen Urteil mitwirkende Schöffin J. teilte dem Vorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag nach Verlesung der Anklage mit, dass es sich bei dem Angeklagten um den ehemaligen Partner ihrer „angeheirateten Nichte“ handele, den sie auf Familienfeiern fünf- bis sechsmal getroffen und mit dem sie sich auch unterhalten habe. Die Beziehung zwischen der „Nichte“ und dem Angeklagten sei beendet, ihr letzter persönlicher Kontakt zum Angeklagten sei über drei Jahre her. Nach Bekanntgabe dieser Umstände durch den Vorsitzenden gegenüber den Verfahrensbeteiligten erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass das im Anklagesatz erwähnte Tatfahrzeug, der Opel Corsa, der „Nichte“ gehöre, diese aber nicht gewusst habe, wofür der Angeklagte sich das Fahrzeug geliehen habe.

Nach einer circa fünfundvierzigminütigen Sitzungsunterbrechung verlas die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ein gegen die Schöffin gerichtetes Ablehnungsgesuch und begründete dieses mit deren „Verwandtschaftsverhältnis“ zur Eigentümerin des mutmaßlichen Tatfahrzeugs. In ihrer sich anschließenden dienstlichen Äußerung bestätigte die abgelehnte Schöffin, dass die durch den Vorsitzenden vorgetragenen Tatsachen zu ihrer Bekanntschaft zum Angeklagten zutreffend seien. Die Strafkammer hat den Ablehnungsantrag zurückgewiesen und zugleich die Selbstanzeige der Schöffin als unbegründet erachtet. Sie hat ausgeführt, dass mangels enger persönlicher Beziehung der Schöffin zum Angeklagten eine Besorgnis der Befangenheit nicht bestehe.

Nach Auffassung des BGH beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht die Mitwirkung der Schöffin als erkennende Richterin.

Zunächst hier die Leitsätze, die sich mit der Frage befassen, ob auch die StA die Besorgnis der Befangenheit geltend machen kann, und zwar:

  1. Bei den gesetzlichen Vorschriften, nach denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 24 Abs. 1 und 2, § 31 StPO), handelt es sich nicht um Rechtsnormen, die im Sinne des § 339 StPO lediglich zugunsten des Angeklagten wirken.
  2. Die Staatsanwaltschaft kann in Ausübung ihrer Rolle als „Wächterin des Gesetzes“ Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Entscheidung über von ihr gestellte Ablehnungsgesuche ungeachtet von deren Angriffsrichtung mit der Revision rügen.
  3. Ein Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft ist gerechtfertigt, wenn sie bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist.

Zum Befangenheitsgrund führt der BGH dann aus:

„c) Der Zurückweisungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab der § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO nicht stand. Das feststehende Verfahrensgeschehen, auf dessen Grundlage der Senat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen hat, ob das Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2018 – 1 StR 571/17, Rn. 4; vom 18. Mai 2022 – 3 StR 181/21, NStZ 2023, 168, 170 Rn. 47), ist geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen die abgelehnte Schöffin zu begründen.

aa) Die Ablehnung eines (Berufs-)Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO, der nach § 31 Abs. 1 StPO für einen Schöffen entsprechend gilt, gerechtfertigt, wenn die ablehnende Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist (vgl. allgemein zu § 24 StPO BGH, Urteil vom 28. Januar 1998 – 3 StR 575/96, BGHSt 44, 4, 7). Nicht erheblich ist, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03, NStZ-RR 2004, 208, 209).

bb) Dabei ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass die §§ 22, 23 StPO Ausschlussgründe aufgrund typisierter Verhältnisse oder Beziehungen erschöpfend regeln. Sie sind eng auszulegen und dürfen nicht dadurch erweitert werden, dass für bestimmte Fälle § 24 StPO allgemein „zur Lückenfüllung“ herangezogen wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 Ws 156/16, Rn. 8; KK-StPO/Heil, 9. Aufl., § 24 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 22 Rn. 3).

Grundsätzlich gilt daher, dass, soweit nicht die im Gesetz aufgeführten persönlichen Verhältnisse oder Beziehungen vorliegen, von der Fähigkeit des Richters auszugehen ist, sich von Befangenheit frei zu halten (vgl. Löwe/Rosenberg/Siolek, StPO, 27. Aufl., § 24 Rn. 30; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 24 StPO, Rn. 9). Gleichwohl vermögen persönliche Beziehungen des Richters zu Angeklagten, Verletzten oder Zeugen je nach Intensität und konkreter Sachlage die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. KK-StPO/Heil, 9. Aufl., § 24 Rn. 12). Sie lassen eine Ablehnung aber nur dann als begründet erscheinen, wenn eine besonders enge Beziehung vorliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 24 Rn. 11 („eng befreundet“); SK-StPO/Wolter, 5. Aufl., § 24 StPO Rn. 18, 20; weitgehender wohl MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 2. Aufl., § 24 Rn. 28 („freundnachbarschaftliche Verhältnisse“ reichen teilweise aus)) oder ein besonderer Zusammenhang mit der Strafsache besteht, der besorgen lässt, dass der Richter der Sache nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit gegenübersteht (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 48. Ed., § 24 Rn. 10; SSW-StPO/Kudlich/Noltensmeier-von-Osten, 5. Aufl., § 24 StPO, Rn. 9; Temming in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 24 Rn. 13; Fischer/Kudlich, JA 2020, 641, 646).

cc) Hiervon ausgehend ist es zunächst nicht zu beanstanden, dass das Landgericht allein in der persönlichen Bekanntschaft der Schöffin zum Angeklagten keinen Befangenheitsgrund gesehen hat. Es fehlt an einer persönlichen Beziehung mit der für die Begründung einer Besorgnis der Befangenheit erforderlichen Intensität zwischen den beiden Personen. So kam es bis zur Hauptverhandlung zu lediglich fünf oder sechs Begegnungen mit nur kurzen Unterhaltungen. Hinzu tritt, dass seit dem letzten persönlichen Kontakt mehr als drei Jahre vergangen sind und auch eine indirekte persönliche Beziehung zum Angeklagten aufgrund der – zwischenzeitlich beendeten – Partnerschaft zu der „Nichte“ der Schöffin nicht (mehr) existiert.

dd) Allerdings hat es das Landgericht versäumt, die persönlichen Beziehungen der Schöffin in eine Gesamtschau einzuordnen, was hier zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit führt.

Besondere Umstände ergeben sich vorliegend daraus, dass die fortbestehende persönliche Beziehung der Schöffin zu ihrer „Nichte“, der ehemaligen Lebensgefährtin des Angeklagten, einen Zusammenhang zu der Strafsache aufweist. Diese war die Eigentümerin des für die Einfuhrtaten (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) genutzten Tatfahrzeugs. Zwar würde eine etwaige Verfahrensbeteiligung der „Nichte“ als Zeugin eine Besorgnis der Befangenheit noch nicht ohne weiteres begründen. Dem steht bei der anzunehmenden Schwägerschaft dritten Grades (§ 1590 BGB) die gesetzgeberische Wertung des § 22 Nr. 3 StPO entgegen. Der durch den PKW als Tatmittel begründete enge Sachbezug zu der Strafsache berührt aber das Verhältnis der Schöffin zum Angeklagten dergestalt, dass diese ein Interesse daran haben könnte, dass zwischen der Betäubungsmitteleinfuhr und ihrer „Nichte“ keine Verbindung hergestellt und diese nicht zu einer potentiell Tatbeteiligten wird und so, je nach Einlassung des Angeklagten, diesem wohlwollend oder ablehnend gegenüberzustehen.

Aus Sicht der ablehnenden Staatsanwaltschaft war damit bei verständiger Würdigung dieser Gesamtumstände die Besorgnis gerechtfertigt, der Schöffin fehle die erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit. Die zu einer möglichen Befangenheit unergiebige dienstliche Äußerung der Schöffin vermag diese Wertung nicht auszuräumen, erschöpft sie sich doch allein darin, die Bekanntschaft zum Angeklagten zu bestätigen.“

StPO II: Sachverständige verhindert – Kammer verlegt, oder: Verteidiger hat Urlaub – Kammer verlegt nicht

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Nürnberg Beschl. v. 26.09.2023 – Ws 846/23. Der Beschluss ist schon etwas älter, was daran liegt, dass das OLG ihn jetzt erst veröffentlicht/versandt hat. Der Beschluss ist aber auf jeden Fall berichtenswert und ein schönes Osterei 🙂 . Denn es ght um eine Problematik, bei der es in der Praxis immer wieder Streit gibt. Nämlich: Terminsverlegung wegen Urlaubs des Verteidigers. So auch hier:

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger. Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Beleidigung  zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Dagegen die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft .

Die Vorsitzende der Berufungskammer bestimmt dann am 22.06.2023 Termin zur Hauptverhandlung auf den 26.09.2023. Der Gerichtsärztliche Dienst beim OLG Nürnberg teilt daraufhin mit Schreiben vom 06.07.2023 mit, dass der Sachverständige Dr. S. am 26.09.2023 im Urlaub sei und bat um vorherige Terminabsprache. Nach Absprache mit dem Sachverständigen Dr. S. verlegte die Vorsitzende der Berufungskammer mit Verfügung vom 06.07.2023 den Termin auf den 24.10.2023.

Daraufhin bittet der Verteidiger mit Schreiben vom 17.07.2023  um Terminsverlegung. Begründung: Er habe an diesem Tag bereits Urlaub eingetragen, da er gerne seinen Geburtstag feiern möchte. Er bestätigte auf telefonische Rückfrage der Geschäftsstelle vom 18.07.2023, dass er am 24.10. unter keinen Umständen zum Termin kommen könne.

Die Staatsanwaltschaft A. verweist zum Terminsverlegungsantrag offenabr nur auf die Kommentierung zu § 213 StPO in Meyer-Goßner/Schmitt unter Randnummer 7. Der Vorsitzende lehnt die beantragte Terminsverlegung ab. Dagegen wendete sich der Verteidiger nun mit Beschwerde. Und die hat beim OLG Erfolg

Das OLG sieht die Beschwerde als zulässig an, und zwar weil einer der Ausnahmefälle vorliege, da die Ermessenausübung des LG betreffend die Ablehnung der Terminsverlegung rechtsfehlerhaft sei und eine besondere selbständige Beschwer bewirke.

Zur Begründetheit führt das OLG dann u.a. aus:

„b) Die Ablehnung der begehrten Terminsverlegung erweist sich vorliegend als ermessensfehlerhaft.

Zutreffend hat der Verteidiger bereits selbst darauf hingewiesen, dass er zwar als Verteidiger kein Recht auf vorherige Terminsabsprache hat, dass aber eine Terminsverfügung dann prozessordnungswidrig sein kann, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass dieser die Termine wegen anderer Verteidigungen oder Verhinderung durch Urlaub nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminsanberaumung hätte nehmen können (s.a. OLG Dresden a.a.O., Rn. 10). Dies ist vorliegend der Fall. Während die Verlegung des ursprünglich anberaumten, mit den Verfahrensbeteiligten zuvor nicht abgestimmten Termins vom 26.09.2023 wegen vorgetragenen Urlaubs des Sachverständigen ohne Weiteres vorgenommen wurde, lehnte die Vorsitzende den bereits frühzeitig vom Verteidiger gestellten und mit seinem Urlaub begründeten Antrag vom 17.07.2023 auf Verlegung des (nicht mit ihm abgestimmten) Termins vom 24.10.2023 mit Verfügung vom 27.07.2023 ohne weitere Begründung ab. Auch die Begründung in der Nichtabhilfeentscheidung trägt dem Recht der Angeklagten, durch den Verteidiger ihres Vertrauens, der sie schon seit mehreren Jahren vertritt, in der Hauptverhandlung vertreten zu werden, nicht genügend Rechnung. Das Verfahren unterliegt nicht dem besonderen Beschleunigungsgebot. Es ist nicht erkennbar und auch nicht in der Nichtabhilfeentscheidung dargetan, dass einer erneuten Terminsfindung nach dem 24.10.2023 außergewöhnliche Schwierigkeiten entgegenstehen würden. Der Verteidiger hatte bereits zum Zeitpunkt seines Terminsverlegungsantrags für den 24.10.2023 einen vollständigen Tag Urlaub geplant und in der Kanzlei eingetragen. Die Nichtabhilfeentscheidung lässt keinen nachvollziehbaren Grund erkennen, der einen Verzicht des Verteidigers auf zumindest einen halben Urlaubstag gebietet. Dabei muss es grundsätzlich zunächst dem Verteidiger überlassen bleiben, wie er seinen lange geplanten Urlaubstag verbringt und wann er mit der Feier seines Geburtstags und dem Empfang von Gratulanten beginnt.

c) Die angefochtene Verfügung ist nach alledem aufzuheben. Weil nach dem Vorstehenden nur eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, nämlich die Aufhebung des für den 24.10.2023 anberaumten Termins in Betracht kommt, kann der Senat als Beschwerdegericht diese Entscheidung auch selbst treffen (OLG Dresden a.a.O. Rn. 13)….“

Man fragt sich wirklich, was eine solche Vorgehensweise soll – und das OLG legt ja auch den Finger in die (große) Wunde: Der Terminsverlegungsantrag des Sachverständigen geht ohne Probleme durch und der Verteidigers wird ohne Begründung abgeschmettert. Das ist nicht nachvollziebar. Und die Staatsanwaltschaft als „objektivste Behörde der Welt“ (?). Die sagt dazu offebar nichts, sonder verweist nur auf eine Kommentierung, die die Entscheidung des Vorsitzenden nun wahrlich nicht trägt. Schon schlimm. Beides.