Archiv der Kategorie: Hauptverhandlung

BGH I: Hat die Hauptverhandlung schon begonnen?, oder: Wer ist „gesetzlicher Richter“?

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Ich stelle heute drei BGH-Entscheidungen vor. Die beiden ersten sind zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt.

Hier dann zunächst das BGH, Urt. v. 17.01.2024 – 2 StR 459/22 – zum Begriff des Beginns der Hauptverhandlung und zum gesetzlichen Richter.

Der Angeklagte ist vom LG wegen eines Verstoßes gegen das BtMG verurteilt worden. Dagegen die Revision des Angeklagten, mit der Verfahrensrüge und Sachrüge erhoben hat. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Bei der Verfahrensrüge ging es um folgendes Verfahrensgeschehen: Der Vorsitzende der Strafkammer hatte den mit den Verfahrensbeteiligten abgesprochenen Beginn der Hauptverhandlung auf den 08.04.2022 und weiteren Fortsetzungstermine festgesetzt. Da der 08.04.2022 kein regulärer Sitzungstag der Strafkammer war, wurden ihr die Ersatzschöf­fen D und B zugewiesen. Die Gerichtsbesetzung wurde den Be­teiligten mit Verfügung vom 31.03.2022 mitgeteilt.

Der Verteidiger eines Mit­angeklagten teilte dem Vorsitzenden am 05.04.2022 mit, sein Mandant sei mittels PCR-Test positiv auf das Coronavirus getestet wor­den; eine Vorführung könne deshalb nicht erfolgen. Der Vorsitzende benachrichtigte die Verfahrensbeteiligten per E-Mail da­raufhin, dass die Sache dennoch aufgerufen werden solle; ggf. könne ein Rechtsgespräch geführt werden.

Am 08.04.2022 rief der Vorsitzende dann die Sache auf. Als Schöffen wirkten die ehrenamtlichen Richter D und B mit. Der Vorsitzende gab nach der Bestellung von Pflichtverteidigern be­kannt, dass das Verfahren nicht abgetrennt, sondern abgewartet werden solle, wie die COVID-19-Erkrankung ver­laufe. Die Hauptverhandlung wurde sodann bis zur Fortsetzung am 26.04.2022 unterbrochen. Im Anschluss führte die Strafkammer einschließlich der Schöffen außer­halb der Hauptverhandlung mit den weiteren Verfahrensbeteiligten ein nichtöf­fentliches Rechtsgespräch. Am 26.04.2022 rief der Vorsitzende die Sache in unveränderter Besetzung auf und setzte die Verhandlung fort. Einen förmlichen Einwand gegen die Gerichtsbesetzung oder das Vorgehen des Vorsitzenden er­hob keiner der Verfahrensbeteiligten. Die Revision des Angeklagten beanstandet, die Hauptverhandlung habe erst am 26.04. 2022 begonnen. Deshalb hätten auch die für diesen Tag  als ordentlichen Sitzungstag der Strafkammer bestimmten Schöf­fen Z  und Bä am Urteil mitwirken müssen.

Ich stelle hier nur die Leitsätze des BGH ein. Wegen der Einzelheiten der doch recht umfangreichen Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext:

    1. Die Hauptverhandlung beginnt gemäß § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO mit demAufruf der Sache; damit sind die für diesen Sitzungstag bestimmten Schöffen zur Verhandlung und Entscheidung in der Sache berufen.
    2. Das grundrechtsgleiche Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann durch den Aufruf der Sache im Einzelfall verletzt werden, wenn sich der Vorsitzende dafür mit missbräuchlichen Erwägungen entscheidet.

Missbrauch hat der BGH hier im Übrigen verneint.

Strafantrag II: Beschränkung eines Strafantrages, oder: Wenn sich Strafanträge widersprechen….

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung dann das KG, Urt. v. 30.11.2023 – 2 ORs 31/23 – 121 Ss 130/23 -, also auch nicht mehr ganz taufrisch. zur Beschränkung eines Strafantrages2 ORs 31/23

Das AG hatte den Angeklagten  wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Zu dem für das Verfahren bdeutsame Geschehen hat das LG im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„„1. Am 4. Juli 2020 gegen 15:30 Uhr führten die Zeugen PM L und PM Ko am G S in Berlin-T eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten durch. Die beiden Polizeibeamten hatten sich vor Ort im Zusammenhang mit zwei Großdemonstrationen, namentlich einer Motorraddemonstration sowie einer Anti-Rassismus-Demonstration, postiert. Die Unterredung der beiden Polizeibeamten mit dem Angeklagten während der insgesamt etwa achtminütigen Kontrolle erfolgte mit lauten und deutlich vernehmbaren Stimmen. In einem Abstand von nur etwa zwei bis drei Metern zu der Maßnahme hielten sich kurzzeitig mehrere unbekannt gebliebene Personen – insbesondere zwei einzelne Männer sowie ein Paar – auf. Einer der Männer, der ersichtlich das gesprochene Wort der beiden Polizeibeamten und des Angeklagten akustisch wahrnahm, unterhielt sich über eine Minute lang mit dem Zeugen Ko, während der Zeuge L mit dem Angeklagten und dessen Unterlagen zu dem Motorrad befasst war. Der unbekannte Mann schaltete sich zudem gegen Ende der Kontrollmaßnahme mit einem eigenen – nicht näher feststellbaren – Wortbeitrag in die Kommunikation zwischen den beiden Beamten und dem Angeklagten ein. Darüber hinaus passierten zahlreiche Fußgänger, Fahrrad- und Rollerfahrer in einem Abstand von wenigen Metern den unmittelbaren Nahbereich der polizeilichen Maßnahme.

Der Angeklagte nahm die Polizeikontrolle – ohne das Wissen der beiden Zeugen L und Ko – in Wort und Bild mittels einer an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen zunächst auf seinem Instagramprofil und ab dem 8. Juli 2020 auf seinem unter seinem Künstlernamen „Ku“ betriebenen Y-Kanal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er einen Weichzeichner verwendete, um die beiden Beamten unkenntlich zu machen.

Der Zeuge L stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach §§ 201, 201a Abs. 2 StGB beschränkte.

2. Am 30. März 2021 zwischen 16:20 Uhr und 17:00 Uhr führten die Zeugen PM N und POM B am Pa Platz in Berlin-M eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten sowie weiterer Motorräder der Begleiter des Angeklagten durch. Der Angeklagte und seine unbekannt gebliebenen Begleiter hielten sich gemeinsam mit den beiden Polizeibeamten in dem Kontrollbereich um die Motorräder auf. Zudem passierten während der Maßnahme zahlreiche unbekannt gebliebene Personen – zu Fuß und mit dem Fahrrad – in einem Abstand von wenigen Metern das Geschehen, wobei sie teilweise zwischen den kontrollierten Motorrädern hindurchliefen und sich mehrere von ihnen interessiert dem Geschehen zuwandten. Da die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und den beiden Beamten jeweils mit lauter und deutlich wahrnehmbarer Stimme erfolgte, befanden sich sowohl die Begleiter des Angeklagten als auch die Passanten in Hörweite des Geschehens.

Der Angeklagte nahm auch diese Polizeikontrolle – ohne das Wissen der beiden Zeugen N und B – in Wort und Bild mittels der an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen auf seinem Y-Kanal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er die Identität der beiden Beamten mittels Verpixelung sowie Stimmenverzerrung unkenntlich machte.

Der Zeuge B stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB beschränkte.“

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft  Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Revision hatte teilweise Erfolg:

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat die Berufungskammer in beiden verfahrensgegenständlichen Fällen eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund einer sogenannten faktischen Öffentlichkeit (vgl. LG Kassel StV 2020, 161; MüKoStGB-Graf, 4. Aufl., § 201 Rdn. 17a; Fischer, StGB 69. Aufl. § 201 Rn. 4) sowie wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 2 StGB verneint.

2. Ebenso zutreffend hat die Strafkammer hinsichtlich einer Strafbarkeit gemäß § 42 BDSG wegen der Tat vom 4. Juli 2020 ein Verfahrenshindernis angenommen.

a) Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 BDSG handelt es sich bei den Straftatbeständen nach § 42 Abs. 1 und 2 BGSG jeweils um absolute Antragsdelikte. Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen durch den Senat ergab das Fehlen eines wirksamen Strafantrages sowohl in Bezug auf § 42 BDSG als auch hinsichtlich einer etwaigen Strafbarkeit nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG, die gemäß § 33 Abs. 2 KunstUrhG ebenfalls einen wirksamen Strafantrag voraussetzt.

b) Der Zeuge PM L hat seinen innerhalb der Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB gestellten Strafantrag – entgegen der Auffassung der Revisionsführerin – wirksam auf die Straftatbestände der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201 und § 201a Abs. 2 StGB beschränkt.

Grundsätzlich gilt der Strafantrag bei idealkonkurrierenden Delikten für sämtliche in der Handlungseinheit verwirklichten Antragsdelikte (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2021 – (2) 121 Ss 92/21(14/21) – mwN). Eine Beschränkung auf eine von mehreren zusammentreffenden Gesetzesverletzungen (§ 52 StGB) ist jedoch zulässig (vgl. Senat aaO mwN). Ist eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung weder erklärt, noch sonst eindeutig erkennbar, umfasst der Strafantrag den gesamten geschichtlichen Vorgang, welcher der Beschuldigung zugrunde liegt (vgl. BGHSt 33, 114, 116; Senat aaO; LK-StGB/Greger/Weingarten, 13. Aufl., § 77 Rn. 20-21; MüKoStGB-Mitsch aaO § 77b Rn. 40).

Aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung des von dem Zeugen PM L gestellten Strafantrags auf die beiden genannten Strafvorschriften und des eindeutigen Wortlauts des Antrags ist für eine Auslegung dahin, dass die Strafverfolgung wegen aller in Betracht kommender Delikte und damit auch solcher nach dem BDSG oder KunstUrhG gewünscht wird, kein Raum (vgl. SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., § 77 Rn. 25).

3. Etwas anderes gilt für die Tat vom 30. März 2021 und den von dem Zeugen POM B deswegen fristgerecht gestellten Strafantrag. Der Zeuge hat nicht nur am Ende seines Berichts vom 10. April 2021 Strafantrag wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 StGB gestellt, sondern zusätzlich ein Strafantragsformular unterzeichnet, auf dem zwar das Datum neben der Unterschrift des Antragstellers fehlt, das ausweislich des Datums neben der Unterschrift des polizeilichen Sachbearbeiters aber am 21. April 2021 zu den Ermittlungsakten gelangte und seinem Wortlaut nach unbeschränkt ist. Damit widersprechen sich die beiden durch den Zeugen POM B jeweils form- und fristgerecht gestellten Strafanträge untereinander, so dass sich eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung auf das Delikt der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes dem Antrag jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen lässt. Die bloße Hervorhebung einzelner tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte stellt noch keine Antragsbeschränkung dar (vgl. LK-StGB/Greger/Weingarten aaO). Ist eine Beschränkung – wie hier – nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, ist der Strafantrag als unbeschränkter zu behandeln (vgl. BGHSt aaO; MüKoStGB-Mitsch aaO mwN).

4. Nach dem Vorstehenden ist die Berufungskammer hinsichtlich der Tat vom 30. März 2021 zu Unrecht vom Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung im Hinblick auf über § 201 StGB hinausgehende Straftatbestände ausgegangen und hat folgerichtig lediglich Feststellungen zum (objektiven) Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB getroffen. Das angefochtene Urteil entspricht daher insoweit nicht den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen. …… „

Strafantrag I: Schriftform als Wirksamkeitserfordernis, oder: Online-Strafanzeige

Bild von Tumisu auf Pixabay

Und dann auf die 16. KW., allerdings womit 🙂 ?. Ich habe im Moment kein „Klima“, kein „beA“. Also gibt es StPO – das geht immer 🙂 -, und daraus zwei Entscheidungen zum Thema Strafantrag, und zwar einmal vom BGH und einmal vom KG.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 21.11.2023 – 4 StR 72/23 -, also schon etwas älter und inzwsichen auch schon veröffentlicht. Aber dennoch..

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die teilweise Erfolg hatte. Der BGH hat das Urteil in drei Fällen der Verurteilung aufgehoben und eingestellt:

„In den Fällen II.5, II.7 und II.8 der Urteilsgründe war das Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen, weil der Verurteilung wegen Verleumdung in drei Fällen gemäß § 187 StGB ein Verfahrenshindernis entgegensteht. Es fehlt an dem nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB, § 158 Abs. 2 StPO erforderlichen schriftlichen Strafantrag der Verletzten.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 8. Juli 2021 erstattete die Zeugin G. online auf dem Portal des Polizeipräsidiums Anzeige und schilderte, dass ein ihr unbekannter Mann am Vortag an ihrer Arbeitsstelle, in der Personalabteilung und in einer anderen Filiale ihres Arbeitgebers angerufen und behauptet habe, die Zeugin habe seinen Sohn sexuell belästigt und missbraucht. Zur Vorgeschichte schildert die Zeugin in der Online-Anzeige, dass dieser Mann ihre Cousine zwei Monate zuvor auf Snapchat kontaktiert und sie aufgefordert habe, ihr Trikot hochzuheben. Nach dem Telefonat habe sie den Mann aufgefordert damit aufzuhören und mit dem Gang zur Polizei gedroht. In der Folge wurde die Zeugin am 27. August 2021 in dem daraufhin eingeleiteten Verfahren wegen versuchten sexuellen Missbrauchs zum Nachteil ihrer Cousine polizeilich vernommen. Dabei machte sie auch Angaben zu der Verleumdung an ihrer Arbeitsstelle, die Anlass für ihre Anzeige war. Das Vernehmungsprotokoll wurde von der Zeugin unterschrieben. In dem weiteren Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung zu ihrem Nachteil erschien die Zeugin dann nicht mehr zur Vernehmung.

2. Damit ist dem sich aus § 158 Abs. 2 StPO ergebenden Schriftformerfordernis für einen Strafantrag nicht genügt.

a) § 158 Abs. 2 StPO verlangt grundsätzlich die Unterschrift des Antragsstellers (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 4 StR 168/20 Rn. 6 mwN). Dazu kann auch ein unterschriebenes Vernehmungsprotokoll ausreichen, sofern dadurch der Verfolgungswille unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1995 – 2 StR 462/94 Rn. 6). Für eine vergleichbare zweckorientierte Abschwächung des Formerfordernisses, wie sie für die Einreichung in Papierform anerkannt ist, lässt die für die Einreichung elektronischer Dokumente allein maßgebliche Vorschrift des § 32a StPO keinen Raum (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 398/21, BGHSt 67, 69 Rn. 9).

b) Daran gemessen genügen weder die online auf dem Portal des Polizeipräsidiums erstattete Anzeige noch das unterschriebene Vernehmungsprotokoll den Formerfordernissen eines Strafantrags.

Die Anzeige, die die Geschädigte am 8. Juli 2021 online auf dem Portal des Polizeipräsidiums erstattet hat, enthält keine Unterschrift. Auch das unterschriebene Vernehmungsprotokoll genügt den Anforderungen nicht, denn ein unmissverständlicher Verfolgungswille hinsichtlich des Antragsdelikts der Verleumdung lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Soweit sich die Zeugin bei dieser Vernehmung zu den Verleumdungen äußert, beschreibt sie lediglich den Grund für ihre Anzeige; dass sie aber auch hinsichtlich dieser Delikte zu ihrem Nachteil eine Strafverfolgung erstrebt, ergibt sich daraus nicht.“

Die richtige Form des Strafantrages ist ja derzeit ggf. noch ein Verteidigungsansatz. Durch das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“  sind aber Änderungen beim Schriftformerfordernis betreffend den Strafantrag geplant. Ich habe darüber berichtet. Das macht es demnächst ggf. schwieriger.

News: CanG reicht nicht für EncroChat-Verwertung, oder: Freispruch in „Encro-Chat-Komplex-Verfahren

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann mal wieder eine Sondermeldung.

Die befasst sich mit einem BtM-Verfahren aus dem Komplex Encro-Chat, auf das ich gerade hingewiesen worden bin. Tja, ist die Frage: Ist es Encro-Chat oder „neues“ BtM-Recht. Nun ich glaube eher wohl das neue BtM-Recht.,

Über die Ticker läuft dazu gerade eine PM des LG Mannheim zu dem dort anhängigen Verfahren 5 KLs 804 Js 28622/21. Das hat heute mit einem Freispruch geendet. Alles weitere dazu in der PM des LG, in der es heißt:

„Verfahren aus dem Komplex Encro-Chat 

(5 KLs 804 Js 28622/21) endet mit Freispruch

1.    Dem Angeklagten ist mit Anklageschrift vom 12. Mai 2022 zur Last gelegt worden, er habe von Spanien aus handelnd im April bzw. Mai 2020 in fünf Fällen Mengen zwischen 15 kg und 250 kg Marihuana, und zwar insgesamt rund 450 kg aufgrund entsprechender Vereinbarungen nach Deutschland in den Raum Mannheim geliefert. Er habe sich deshalb – jedenfalls nach damals gültiger Rechtslage – wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG strafbar gemacht.

Die dem Verfahren zugrundeliegenden Erkenntnisse beruhen maßgeblich auf der Auswertung von Chatnachrichten, die französische Behörden in Zusammenarbeit mit niederländischen Behörden sowie Eurojust und Europol im Frühjahr 2020 erlangt hatten, nachdem es ihnen gelungen war, die Kommunikation auf Servern eines Dienstleistungsunternehmens („Encro-Chat“) sicherzustellen. Dieses Dienstleistungsunternehmen hatte den Kunden eine verschlüsselte Kommunikation über sog. Encro-Chat-Handys angeboten, die vor einer staatlichen Überwachung geschützt seien.

Aufgrund dieser auch an deutsche Strafverfolgungsbehörden weiter geleiteten Erkenntnisse kam es in der Folgezeit zu einer Vielzahl von Strafverfahren im gesamten Bundesgebiet. In einer grundlegenden Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof (vgl. Beschluss v. 2. März 2022 – Az. 5 Str 457/21, abzurufen über die Homepage des Bundesgerichtshofs) mit der Frage der Verwertbarkeit der aus der Sicherstellung der Encro-Chats erlangten Erkenntnisse beschäftigt und diese Erkenntnisse nur dann für verwertbar erklärt, wenn sie zur Aufklärung einer Straftat verwendet werden, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können. Dabei seien die Wertung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO sowie die einschränkenden Voraussetzungen in § 100b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO in den Blick zu nehmen, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Beurteilung der Verwertbarkeit der Zeitpunkt der Verwertung der Daten sei (vgl. RN 68 – 70 der Entscheidung des Bundesgerichtshofs).

Mögliche Verwendungszeitpunkte sind

–      die Entscheidung über die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft,

–      die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Anklageerhebung durch das erkennende Gericht bzw.

–      die Urteilsberatung bzw. Urteilsverkündung durch das erkennende Gericht.

2.    Die 5. Große Strafkammer hat den Angeklagten heute von den oben genannten Vorwürfen freigesprochen und zur Begründung ausgeführt,

–      dass im Hinblick auf das seit 1. April 2024 gültige Cannabisgesetz (kurz CanG) ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine ausreichende Grundlage für eine Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der sichergestellten Kommunikation mehr vorhanden sei,

–      die zunächst in der Hauptverhandlung abgegebene, dann jedoch widerrufene geständige Einlassung nicht ausreichend qualifiziert gewesen sei und damit keine Verurteilungsgrundlage biete und

–      im Übrigen keine weiteren verwertbaren Beweismittel vorhanden seien, die eine Verurteilung rechtfertigen würden.

Hinsichtlich der Verwertbarkeit der sog. Encro-Chat-Daten hat die Kammer darauf hingewiesen, dass die nach der Rspr. des Bundesgerichtshofs für die Beurteilung der Verwertbarkeit maßgebliche Regelung des § 100e Abs. 6 StPO durch das seit dem 1. April 2024 gültige Cannabisgesetz durch die teilweise Neuregelung der in Bezug genommenen Regelung des § 100b StPO (vgl. Art. 13a CanG) sowie vor allem durch die Neuregelung der Strafbarkeit bzgl. Cannabisprodukten in § 34 Konsumcannabisgesetz (kurz KCanG) eine grundlegende Änderung erfahren habe.

Die Strafbarkeit bzgl. Cannabisprodukten sei aus den §§ 29 ff BtMG herausgenommen und in § 34 KCanG geregelt worden. Als Folge sei auch § 100b Abs. 2 StPO durch die Einfügung der Nr. 5a (und auch der hier nicht relevanten Nr. 5b) geändert worden. Demnach sei eine Anwendbarkeit des § 100b StPO nur möglich, wenn sich der Angeklagte gem. § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG strafbar gemacht habe.

Für die Beurteilung der Strafbarkeit sei im vorliegenden Verfahren nicht mehr das BtMG (dort §§ 29 ff BtMG) die maßgebliche Grundlage, sondern – sofern es ausschließlich um Cannabis gehe – § 34 KCanG. Eine Strafbarkeit des Angeklagten käme im vorliegenden Verfahren jedoch „nur“ nach § 34 Abs. 3 Nr. 1und Nr. 4 KCanG, nicht aber nach § 34 Abs. 4 CanG in Betracht.

Da § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO unverändert fortgelte und es demnach für die Frage der Verwertbarkeit darauf ankomme, ob die Voraussetzungen des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO zum Zeitpunkt der Urteilsberatung bzw. Urteilsverkündung vorliegen und dies nicht der Fall sei, sei die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass die sog. Encro-Chat Daten und damit die Erkenntnisse aus der sichergestellten Kommunikation nicht verwertbar seien.

Der Angeklagte sei daher – da auch keine weiteren Grundlagen für eine Verurteilung vorhanden seien – freizusprechen gewesen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zwar der Haftbefehl im vorliegenden Verfahren aufgehoben worden ist, der Angeklagte sich jedoch aufgrund eines Haftbefehls in einem weiteren Verfahren weiterhin in Untersuchungshaft befindet.“

Mal schauen, was daraus wird…

Verteidiger waren übrigens die Kollegen Patrick Welke, Heidelberg, und Alexander Klein, Ludwigshafen.

Zustellung III: Reichweite einer Zustellungsvollmacht, oder: Keine Erstreckung auf andere Verfahren

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und dann noch die dritte Entscheidung, der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 14.03.2024 – 12 Qs 7/24 – ebenfalls zur Wirksamkeit einer Zustellung. Konkret geht es um die Wirksamkeit bzw. Reichweite einer Zustellungsvollmacht.

Folgender Sachverhalt: Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das PflVversG benannte die Angeklagte am 06.10.2020 den M mit dessen Zustimmung als Zustellungsbevollmächtigten. In dem Vollmachtformular fand sich dazu folgender Eintrag:

Zustellungsvollmacht … wegen (Straftat(en) / Ordnungswidrigkeiten(en) / verletzte Bestimmung(en) / Fundstelle(n): PflVersG i.S. NEA – …

Ich erteile hiermit unwiderruflich Herrn/Frau M … die Vollmacht zum Empfang sämtlicher gerichtlicher/staatsanwaltlicher Mitteilungen, Zustellungen oder Ladungen …“

Die Polizei nahm dieses Formular auch zur Akte des Vorgangs gegen die Angeklagte, in dem es um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz geht und nun der LG-beschluss ergangen ist. In diesem Verfahren erließ das AG am 20.11.2020 Strafbefehl gegen die Angeklagte. Dieser wurde am 25.11.2020 an M zugestellt.

Die Angeklagte nahm am 12.07.2023 auf der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Einsicht in hiesige Verfahrensakte. Mit Schreiben vom 15.08.2023 wandte sie sich gegen den in der Akte enthaltenen Strafbefehl.

Das AG hat den Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet und den Einspruch gegen den Strafbefehl als unzulässig verworfen.. Hiergegen legte die Angeklagte „Beschwerde“ ein. Die hatte Erfolg:

„1. Der Angeklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO analog). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 294/15, juris Rn. 2; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.09.2023 – 12 Qs 66/23, juris Rn. 10). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht. So liegen die Dinge hier, weil das Amtsgericht die Angeklagte so behandelt hat, als hätte sie die Einspruchsfrist versäumt, was tatsächlich nicht der Fall war.

a) Die Zustellung des Strafbefehls an M entfaltete keine Rechtswirkungen zum Nachteil der Angeklagten. Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten auch gegenüber dem Vollmachtgeber ist, dass erster vom letzteren wirksam benannt wurde und der Bevollmächtigte mit seiner Bestellung auch einverstanden war (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2017 – 1 Ws 274/06, juris Rn. 7). Beides war nicht der Fall.

aa) M wurde von der Beschwerdeführerin schon nicht für Zustellungen im hiesigen Verfahren wegen Verstößen gegen das TierSchG benannt. Bei der Benennung einer Person als Zustellungsbevollmächtigten handelt es sich um die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Empfangsvollmacht, die entweder generell oder aber auch nur für einzelne Fälle erteilt werden kann. Nur soweit sie erteilt ist, kann auch wirksam an die benannte Person zugestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2016 – VI ZB 21/15, juris Rn. 45 m.w.N.). Ist eine Zustellungsvollmacht nur für ein Ermittlungsverfahren erteilt worden, kann auf ihrer Grundlage in anderen Ermittlungsverfahren nicht wirksam zugestellt werden. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin, wie sie in ihrem Schreiben vom 15.08.2023 ausführt, allein eine Empfangsvollmacht für Zustellungen im Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz erteilt und nicht auch bezüglich des hiesigen Schuldvorwurfs. Wenn es in der Urkunde heißt, dass die Vollmacht „zum Empfang sämtlicher … Zustellungen oder Ladungen“ berechtige, dann ist das nämlich dahin zu verstehen, dass damit der Empfang sämtlicher Schriftstücke gemeint ist, der den im Formular umrissenen Gegenstand („wegen …: PflVersG i.S. NEA -…“) betrifft. Eine Auslegung dahin, dass jedweder Schriftverkehr mit den Strafverfolgungsbehörden ohne eine zeitliche und gegenständliche Begrenzung umfasst sein sollte, hat den Wortlaut der Vollmachtsurkunde gegen sich und wird weder dem Interesse des Vollmachtgebers noch dem des Bevollmächtigten gerecht.

bb) Im Übrigen war M auch nicht damit einverstanden, dass Zustellungen an ihn gerichtet werden, die nicht den Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz betreffen. Das ergibt sich aus dem Telefonvermerk der Justizangestellten K des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 09.01.2024, wonach M mitteilte, gar nicht zu wissen, wie es zu seiner Benennung als Zustellungsbevollmächtigter gekommen sei. Die Kammer hat ergänzend dazu telefonisch bei M angefragt. Er teilte mit, nur einmal der Bevollmächtigung im Zusammenhang mit der Entstempelung eines Kfz der Angeklagten zugestimmt zu haben und ansonsten nicht.

b) Der Zustellungsmangel wurde nicht gem. § 37 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch die von der Angeklagten genommene Akteneinsicht geheilt (vgl. BayObLG Beschluss vom 16.06.2004 – 2Z BR 253/03, juris Rn. 9; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.08.2021 – 12 Qs 58/21, juris Rn. 12). ….“