Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

BVerfG I: Warum braucht man dafür das BVerfG?, oder: Anhörungpflicht vor nachteiliger Kostenentscheidung

In die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen von ganz oben, also vom BVerfG.

Und den Opener macht der BVerfG, Beschl. v. 03.02.2022 – 2 BvR 1910/21 – zur Anhörungspflicht vor einer nachteiligen Kostenentscheidung. In dem entschiedenen Fall hatte ein LG hat dem Beschuldigten im Rahmen einer Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ohne vorherige Anhörung seine notwendigen Auslagen auferlegt. Dagegen hat der Beschuldigte sofortige Beschwerde eingelegt, die das OLG als unzulässig verworfen hat. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig angesehen. Sie sei nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegt worden. Das begründet es damit, dass die vom OLG als unzulässig verworfene sofortige Beschwerde offensichtlich aussichtslos sei gewesen und deswegen nicht zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gehört habe. Darüber hinaus sah das BVerfG nicht die Begründungsanforderungen für eine Verfassungsbeschwerde als erfüllt an.

Aber:

„2. Jedoch bestehen – ungeachtet der in der Verfassungsbeschwerde fehlenden ausdrücklichen oder konkludenten Rüge eines Gehörsverstoßes gemäß Art. 103 Abs. 1 GG – verfassungsrechtliche Bedenken gegen die nicht angegriffene Anhörungsrügeentscheidung des Landgerichts München I vom 6. Juli 2021 – 16 Ns 113 Js 238036/15 (2) -. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 1. Juni 2021 dem Beschwerdeführer ohne vorherige Anhörung im Rahmen der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO seine notwendigen Auslagen auferlegt. Es erscheint im Hinblick auf die den Beschwerdeführer belastende Auslagenentscheidung verfassungsrechtlich bedenklich, die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge des Beschwerdeführers, mit der er insbesondere die Nichtberücksichtigung seines äußerst zeitnah an das Landgericht übersandten Schriftsatzes vom 2. Juni 2021 rügte, allein deswegen zu verwerfen, weil dem Beschwerdeführer bei nicht zustimmungsbedürftigen Einstellungen außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 33 Abs. 1 StPO kein Anspruch auf rechtliches Gehör zustehe.

Diese Begründung legt nahe, dass das Landgericht den Umfang des Gehörsanspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG verkannt hat. Die Vorschriften der §§ 33, 33a StPO beschränken die gebotene Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse, sondern erfassen über den Wortlaut der Bestimmungen hinaus jeden Aspekt rechtlichen Gehörs. Dazu gehört im Grundsatz die Gelegenheit, sich vor einer belastenden Entscheidung zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2018 – 2 BvR 745/18 -, Rn. 57 m.w.N.). Vor einer Auslagenentscheidung ist der Betroffene zu hören, wenn er durch das Auferlegen der eigenen Auslagen oder der Auslagen des Nebenklägers beschwert wird (vgl. VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2019 – 1/18 -, juris, Rn. 12 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. März 2004 – 4 Ws 65/04 -, juris, Rn. 8; OLG Oldenburg, Beschluss vom 2. Juli 2010 – 1 Ws 296/10 -, juris, Rn. 4; OLG Dresden, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 Ws 457/14 u.a. -, juris, Rn. 10).“

Manchmal ist es gut, wenn das BVerfG in seinen Entscheidungen Selbstverständlichkeiten noch einmal hervorhebt. So wie hier. Obwohl es an sich nicht nötig sein sollte

Außer der Reihe: Volltext zum 5. Ss des BGH zu Encro, oder: Daten sind verwertbar – mich wundert das nicht

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Und dann auch heute ein Beitrag außerhalb des normalen Programms, und zwar:

Es hatten ja gestern bereits einige Blogs pp. über den BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21– betreffend die Frage der Verwertbarkeit von EncroChat-Daten berichtet. Bislang hatte dazu ja nur der 6. Strafsenat des BGH in einem obiter dictum Stellung genommen (vgl. hier:StPO I: “Negativer BGH-Räusperer” zu EncroChat, oder: “im Ergebnis….gewonnene Erkenntnisse…verwertbar”).

Jetzt hat sich dann aber auch der 5. Strafsenat zu einem Urteil des LG Hamburg Stellung geäußert. Dazu hat der BGH eine PM herausgegeben, jetzt gibt es auch bereits den Volltext, auf den ich hier verweise. Im Übrigen stelle ich nur die PM ein – alles andere bitte selbst lesen.

Und: Mich überrascht der Beschluss nicht. Ich hatte dieses Ergebnisses beim BGH vorausgesagt. Es liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BGH. Danach ist letztlich (fast) alles verwertbar, es sei denn man kann ggf. das BVerfG gar nicht mehr umgehen.

Hier dann die PM, und zwar:

„Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Juli 2021 verworfen.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zehn Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Einziehung von Taterlösen über mehr als 70.000 Euro angeordnet. In einigen Fällen waren zentrale Beweismittel SMS-Nachrichten des Angeklagten, die dieser über den Anbieter EncroChat zur Organisation des Drogenhandels versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision u.a. gerügt, dass diese von französischen Behörden 2020 erlangten und der deutschen Justiz übermittelten Daten nicht als Beweismittel hätten verwertet werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten auf Antrag des Generalbundesanwalts verworfen. Er hat entschieden, dass die von Frankreich übermittelten Daten des Anbieters EncroChat als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie im vorliegenden Fall der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

1. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen gab es in Frankreich 2017 und 2018 Hinweise darauf, dass Tatverdächtige organisierten Drogenhandel (bis zu 6 kg Heroin und 436 kg Marihuana) über besonders verschlüsselte Mobiltelefone („Kryptohandys“) des Anbieters EncroChat abwickelten. Mit diesen Geräten konnte man weder telefonieren noch das Internet nutzen, sondern lediglich Chat-Nachrichten (SMS) versenden, Notizen anlegen oder Sprachnachrichten speichern und versenden. Eine Kommunikation war nur zwischen Nutzern von EncroChat möglich. Aufgrund einer besonderen Ausstattung der Telefone und einer besonderen Verschlüsselungstechnik konnten Strafverfolgungsbehörden weder auf die damit geführte Kommunikation zugreifen noch die Geräte inhaltlich auslesen oder orten. Mit diesen Merkmalen und einer Garantie der Anonymität wurden die Geräte beworben. Allerdings konnte man sie nicht von offiziellen Verkaufsstellen, sondern nur von speziellen Verkäufern über anonyme Kanäle zu einem hohen Preis von 1.610 Euro für einen Nutzungszeitraum von sechs Monaten erwerben. Ein legal existierendes Unternehmen „EncroChat“ war ebenso wenig zu finden wie Verantwortliche dieser Firma oder ein Unternehmenssitz.

b) Die französischen Strafverfolgungsbehörden leiteten ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts einer kriminellen Vereinigung ein und fanden heraus, dass die verschlüsselte Kommunikation zwischen EncroChat-Nutzern über einen im französischen Roubaix betriebenen Server lief. Mit Genehmigung durch ein französisches Gericht griffen sie auf die Daten auf dem Server zu. Hierbei ergab sich, dass 66.134 SIM-Karten eines niederländischen Anbieters im System eingetragen waren, die in einer Vielzahl europäischer Länder verwendet wurden. Eine Dechiffrierung mehrerer tausend „Notizen“ von EncroChat-Nutzern belegte, dass diese zweifelsfrei mit illegalen Aktivitäten wie insbesondere Drogenhandel mit bis zu 60 kg Kokain in Verbindung standen.

c) Auf Antrag der französischen Staatsanwaltschaft wurde in Frankreich richterlich u.a. die Installation einer Abfangeinrichtung zu den über den französischen Server laufenden und auf den Telefonen gespeicherten Daten ab dem 1. April 2020 genehmigt. Nach ersten Erkenntnissen wurden von den in Frankreich aktiven Telefonen sicher jedenfalls 63,7 % für kriminelle Zwecke verwendet, die übrigen Geräte (36,3 %) waren entweder teils inaktiv oder noch nicht ausgewertet. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen nach der Auswertung der im ersten Monat erlangten Daten von einer „nahezu ausschließlich kriminellen Klientel“ der EncroChat-Nutzer aus.

d) Dem Bundeskriminalamt wurden über Europol Erkenntnisse zugleitet, wonach in Deutschland eine Vielzahl schwerster Straftaten von EncroChat-Nutzern begangen wurden. Die Zentralstelle zur Bekämpfung für Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt ein. In diesem Verfahren erging am 2. Juni 2020 eine an Frankreich gerichtete Europäische Ermittlungsanordnung mit dem Antrag, die Deutschland betreffenden EncroChat-Daten zu übermitteln und deren Verwendung in deutschen Strafverfahren zu erlauben. Beides genehmigte ein französisches Gericht am 13. Juni 2020.

2. Folgende rechtlichen Erwägungen waren für den Bundesgerichtshof entscheidend:

a) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht. Da eine Verwertung von wie hier erlangten Daten einen Eingriff in das von Art. 10 GG geschützte Fernmeldegeheimnis enthalten kann, muss von Verfassungs wegen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders beachtet werden. In Anlehnung an Verwendungsbeschränkungen wie § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO dürfen derart erlangte Daten zur Überführung solcher besonders schwerer Straftaten verwendet werden, für deren Aufklärung die eingriffsintensivsten Ermittlungsmaßnahmen des deutschen Strafverfahrensrechts – namentlich eine Online-Durchsuchung oder eine akustische Wohnraumüberwachung – angeordnet werden dürften. Hierzu gehören regelmäßig die in Rede stehenden Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz.

b) Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

aa) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, richtet sich ausschließlich nach deutschem Recht. Eine Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen am Maßstab ausländischen Rechts findet dabei nicht statt. Es kommt damit auch nicht entscheidend darauf an, ob eine wie hier in Frankreich allein nach französischem Recht durchgeführte Maßnahme auch in Deutschland hätte angeordnet werden können. Dies ist nicht Voraussetzung für einen Transfer der nach französischem Recht von französischen Behörden erlangten Beweise in ein deutsches Strafverfahren. Die unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen in Frankreich und Deutschland können auf der Ebene der Beweisverwertung kompensiert werden. Deshalb gelten hierfür die unter a) genannten besonders hohen Voraussetzungen.

bb) Ein Verstoß der Beweiserhebung gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden „ordre public“ liegt nicht vor. Nach den den französischen Behörden nach dem ersten Datenzugriff vorliegenden Informationen ging es bei den Ermittlungen nicht um eine anlasslose Massenüberwachung einer Vielzahl auch unverdächtiger Handy-Nutzer. Vielmehr stellte sich EncroChat für die französischen Behörden als ein von vorneherein auf die Unterstützung krimineller Aktivitäten ausgerichtetes und im Verborgenen agierendes Netzwerk dar. Aufgrund der ersten Erkenntnisse einer nahezu ausschließlich kriminellen Nutzung solcher Telefone war ein Nutzer hiernach schon allein aufgrund des mit erheblichen Kosten einhergehenden Erwerbs eines auf normalem Vertriebsweg nicht erhältlichen EncroChat-Handys krimineller Aktivitäten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel oder Geldwäsche verdächtig.

cc) Ein möglicher Verstoß französischer Behörden gegen die Pflicht, Deutschland zeitnah über das Bundesgebiet betreffende Abhörmaßnahmen zu unterrichten, kann schon angesichts der späteren allseitigen Genehmigung der Datenverwendung kein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Unterrichtungspflicht dem Individualschutz der Betroffenen vor einer Beweisverwendung im Inland dient. Jedenfalls würde aber die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses führen. Rechtlich unbedenklich ist auch, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main einen umfassenden Beweistransfer in einem gegen Unbekannt geführten Verfahren auf einer allgemeinen, letztlich aber jeden Nutzer konkret betreffenden Verdachtslage beantragt hat.

dd) Einen etwaigen Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften beim Datenaustausch oder der sonstigen Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Polizeibehörden vor Erlass der Europäischen Ermittlungsanordnung hat die Revision nicht geltend gemacht. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass ein durchgreifender Rechtsfehler aufgrund der nachträglichen Einholung einer Einwilligung ohnehin nicht auf der Hand liegt, zumal die grenzüberschreitende Übermittlung von Erkenntnissen zur Strafverfolgung nach den europäischen Rechtshilfevorschriften auch ohne Rechtshilfeersuchen ohne weiteres zulässig ist. An die Verwertung der aus einem solchen Informationsaustausch stammenden Daten sind jedenfalls keine höheren Anforderungen als an die Verwertung von durch eine Europäische Ermittlungsanordnung erlangten Daten zu stellen. Eine gezielte oder systematische Umgehung dem individuellen Rechtsschutz von Beschuldigten dienender Vorschriften durch französische oder deutsche Behörden ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst konkret ersichtlich.2

Nun schauen wir mal, was das BVerfG, das in dem Verfahren betreffend den Beschluss des 6. Strafsenats schon mit der Frage befasst sein soll, mit der Problematik macht. Viel Hoffnung habe ich in dem Verfahren wegen der verfahrensrechtlichen Besonderheiten nicht. Aber auch zum Beschluss des 5. Strafsenats habe ich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG nicht viel Hoffnung.

Einspruchseinlegung im OWi-Verfahren nur durch beA?, oder: Nein, sagt das AG Hameln.

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So, heute ist Freitag, also an sich Gebührentag. Aber heute gibt es ein Vorprogramm, nämlich ein Beschluss aus dem Bußgeldverfahren. Grund: M.E. ist der Beschluss von Bedeutung – ich bin gerade in dieser Woche zweimal nach der Problematik gefragt worden – und mein nächster OWi-Tag dauert. Daher jetzt außer der Reihe.

In dem AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, den ich hier jetzt vorstelle und auf den ich bei Beck-Online gestoßen bin, geht es um diese Frage, ob nämlich der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nach § 67 OWiG nach dem 1.1.2022 per elektronischem Dokument eingelegt werden muss. Das ist in der Literatur umstritten und wird auch, wie ich inzwischen lesen durfte, von den Bußgeldbehörden unterschiedlich gesehen. M.E. muss er nicht, da der Wortlaut der Regelung des § 110c OWiG i.V.m. § 32d StPO eindeutig ist.

So auch das AG. Der Betroffene hatte in dem vom AG entschiedenen Fall gegen den am 04.01.2022 zugestellten Bußgeldbescheid am selben Tag Einspruch eingelegt. Diesen, per Telefax eingelegten, Einspruch hat die Verwaltungsbehörde mit Bescheid vom 18.01.2022 als unzulässig verworfen, da sie die Ansicht vertreten hat, diese Verfahrenshandlung bedürfe seit dem 01.01.2022 der Übermittlung per elektronischem Dokument. Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der Erfolg hatte:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache Erfolg.

Die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid per Telefax widerspricht nicht der gesetzlichen Form, insbesondere nicht der nach § 110 c S. 1 OWiG i.V.m. § 32 d S. 2 StPO vorgeschrieben Übermittlung per elektronischem Dokument.

Gem. § 32 d S. 2 StPO haben Verteidiger und Rechtsanwälte seit dem 01.01.2022 „die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage“ als elektronisches Dokument zu übermitteln. § 110 c S. 1 OWiG erklärt diese Vorschrift für das Bußgeldverfahren entsprechend anwendbar.

Der Umfang der entsprechenden Anwendung ist – soweit ersichtlich – obergerichtlich noch nicht entschieden.

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass sich die entsprechende Anwendung des § 32 d S. 2 StPO unter Berücksichtigung des § 110 a IV OWiG im Bußgeldverfahren auf den Einspruch und seine Begründung sowie die Rechtsbeschwerde und ihre Begründung erstreckt (Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110 c Rn. 13, BeckOK StVR/Krenberger, 13. Ed. 15.10.2021, OWiG, § 110 c Rn. 13). Diese Auslegung entspräche auch der grundsätzlich vom Gesetzgeber intendierten strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs, die für solche schriftlichen Erklärungen bestehen soll, bei denen es – wie hier im Falle der Einspruchseinlegung – ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation, in der zudem die für eine elektronische Kommunikation erforderliche Infrastruktur fehlen kann, abzugeben sind (BT-Drs. 18/9416, 50 f.).

Dieser extensiven Auslegung des § 110 c S. 1 OWiG kann jedoch nicht gefolgt werden, da sie mit der Systematik und dem Wortlaut des § 32 d S. 2 StPO unvereinbar ist.

§ 32 d S. 2 StPO beinhaltet eine abschließende Aufzählung von zwingend formbedürftigen Verfahrenshandlungen, die den „Einspruch und die Einspruchsbegründung“ ausdrücklich auslassen und damit insoweit auch keine zwingende Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs vorsehen.

Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 67 OWiG) entspricht in der Strafprozessordnung dem Einspruch gegen den Strafbefehl (§ 410 StPO), der jedoch in § 32 d S. 2 StPO nicht genannt ist. Vielmehr werden dort lediglich (bestimmte) Rechtsmittel aus dem 3. Buch sowie (bestimmte) Beteiligungsrechte aus dem 5. Buch der StPO genannt. Die der Berufung bzw. Revision entsprechenden Rechtsmittel im Ordnungswidrigkeitengesetz sind jedoch im fünften Abschnitt unter III. aufgeführt und erfassen lediglich die Rechtsbeschwerde und deren Zulassung (§§ 79, 80 OWiG), nicht hingegen den Einspruch aus § 67 OWiG, der im separaten Unterabschnitt „I. Einspruch“ steht und zudem einen Rechtsbefehl „eigener Art“ darstellt (vgl. Göhler, Kurzkommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 18. Auflage 2021, Vorbem. zu § 67 OWiG, Rn. 1).

Die hier vertretene Auslegung widerspricht auch nicht der Intention des Gesetzgebers, durch zwingend vorgeschriebene Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs einen Medienwechsel herbeiführen zu wollen (BT-Drs. 18/9416, 1). Der Gesetzgeber hat von vornherein die Möglichkeit der obligatorisch elektronisch vorzunehmenden Verfahrenshandlungen in § 32 d S. 2 StPO ausdrücklich auf lediglich einzelne ausgewählte schriftliche Erklärungen beschränkt, obwohl auch andere schriftliche Erklärungen denkbar wären, in denen eine besonders eilbedürftige Situation auszuschließen ist, wie beispielsweise der zweiwöchig mögliche Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 I StPO). Dem Gesetzgeber bleibt unbenommen, weitere schriftliche Erklärungen der zwingenden elektronischen Form zu unterwerfen oder die Vorschrift des § 110 c StPO derart zu konkretisieren, dass sie sich auf die Einspruchseinlegung gemäß § 67 OWiG erstreckt.“

M.E. zutreffend. Die Verwaltungsbehörde hat bei der „Anhörung“ durch das Gericht erklärt, „dass sie den nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichts nicht entgegentrete.“ Ehrt sie.

Im Übrigen:Ich würde dennoch auch bei der Einspruchseinlegung die Form des § 32d StPO beachten, bis obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Sicher ist sicher.

StrEG III: Verfahrenseinstellung nach § 170 StPO, oder: Keine Billigkeitsentscheidung – Cannabissamen aus NL?

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum StrEG, und zwar zur Entschädigung nach Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, und zwar:

Stellung genommen hat zunächst das LG Mainz im LG Mainz, Beschl. v. 11.01.2022 – 3 Qs 79/21 – zur Frage: Entschädigung in den Fällen der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nach § 2 StrEG oder nach § 3 StrEG. Das LG sagt:

„Da die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO daher nicht als Ermessensentscheidung erging (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, S 170 Rn. 13 f.), bestimmt sich die Entschädigungspflicht insoweit nur nach § 2 StrEG — nicht auch § 3 StrEG —, so dass sie unabhängig von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls und von Billigkeitsgründen besteht. Entsprechendes gilt auch, soweit der angefochtene Beschluss eine Entschädigungspflicht für die stattgehabte Durchsuchung feststellte, denn diese war — rechtskräftig festgestellt — rechtswidrig, so dass die Erledigung eines daran anknüpfenden Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft einzig nach § 170 Abs. 2 StPO und wiederum ohne Ermessen, nämlich aus tatsächlichen Gründen — wegen fehlenden Anfangsverdachts (vgl. KK-StPO/Moldenhauert a.a.O. Rn. 18) — in Betracht kam.“

Und dann noch der LG Magdeburg, Beschl. v. 25.01.2022 – 21 Qs 1/22, das ebenfalls meint, dass ein Fall des § 3 StrEG, in dem eine Entschädigung lediglich nach Ermessen im Umfang der Billigkeit nach den Umständen des Falles gewährt werden kann, bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht vorliegt. Zudem macht das LG ganz interessante Ausführungen zu § 5 Abs. 2 StrEG in den Fällen der Bestellung von Cannabissamen in den Niederlanden:

„Es kann dahinstehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO überhaupt darauf gestützt werden kann, dass der ehemals Beschuldigte sich aufgrund einer eigenen Würdigung des Akteninhalts durch das entscheidende Gericht in Wahrheit im Sinne des ursprünglichen Tatvorwurfs strafbar verhalten habe. Denn jedenfalls vorliegend ist ein solches Verhalten dem Akteninhalt bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Zwar mag einiges für die Annahme sprechen, der ehemals Beschuldigte habe sich Cannabissamen aus den Niederlanden bestellt. Anders wäre die solche enthaltende an ihn adressierte Briefsendung kaum erklärlich. Jedoch stellt der Erwerb und Besitz von Cannabissamen nicht ohne weiteres vorwerfbares Verhalten dar. Nach Anlage I zum BtMG — Spiegelstrich „Cannabis“, Spiegelstich „ausgenommen“, Buchstabe a) — ist der Samen des Cannabis von den Betäubungsmitteln ausgenommen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Hieraus folgt, dass verschiedene erlaubte Formen der Verwendung von Cannabissamen denkbar sind, etwa als Tierfutter (vgl. Patzak, in: Körner/PatzakNolkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 29, Rn. 37 <beck-online>). Da bei der Wohnungsdurchsuchung keine anderweitigen mit dem Anbau von Betäubungsmitteln in Verbindung stehenden Utensilien bei dem ehemals Beschuldigten gefunden wurden, kann eine Bestellung von Cannabissamen zu erlaubten Zwecken vorliegend auch nicht aus-geschlossen werden. Da der erlaubte Erwerb von Cannabissamen also in Betracht kommt, kann hierin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme liegen. Zwar ist das Entstehen eines Anfangsverdachts gegen den Adressaten durch das Auffinden von Cannabissamen in einer Briefsendung nachvollziehbar, weil nach kriminalistischer Erfahrung aus den Niederlanden bestellte Cannabissamen häufig zum unerlaubten Anbau von — und in der Folge Besitz von und Handel mit — Cannabis verwendet werden. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Einordnung von Cannabissamen als Betäubungsmittel nicht dazu führen, dass jeder Umgang mit solchen ohne weiteres bereits als grob fahrlässig in Bezug auf entsprechende Straf-verfolgungsmaßnahmen anzusehen wäre.“

StrEG II: Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO, oder: Billigkeitsentscheidung ist eine Ausnahme

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In der zweiten Entscheidung geht es um die Entschädigung für eine Durchsuchung nach Einstellung des Verfahrens. Das AG hatte eine Entschädigung abgelehnt, das LG Flensburg bestätigt die Entscheidung im LG Flensburg, Beschl. v. 11.02.2022 – I Qs 54/20 – die Entscheidung:

„2. Soweit die sofortige Beschwerde der ehemals Beschuldigten zulässig ist, hat sie jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat, richtet sich die Frage einer Entschädigung im Hinblick auf die Durchsuchungsmaßnahme nach § 3 StrEG, der im Gegensatz zu § 2 StrEG eine Entschädigung nur nach Billigkeitsgesichtspunkten gewährt.

Die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur geht davon aus, dass die Billigkeitsentscheidung nach § 3 StrEG nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Voraussetzung ist, dass sich der Fall von anderen Fällen auffallend abhebt, wobei eine Entschädigung regelmäßig nur dann als billig angesehen werden kann, wenn der Vollzug der vorläufigen Strafverfolgungsmaßnahmen sich zum Zeitpunkt der Einstellung in der Rückschau als grob unverhältnismäßig herausstellt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.11.2012, Ws 321/12, zitiert nach juris) —insbesondere bei einer Einstellung nach § 153 StPO werden Billigkeitsgründe nur dann vorliegen, wenn der bei der Einstellung bestehende Tatverdacht erheblich hinter dem Tatverdacht zurück-bleibt, der zu der Verfolgungsmaßnahme geführt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 3 StrEG, Rn. 2).

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Das Amtsgericht Flensburg hat die Durchsuchung mit Beschluss vom 30.05.2016 angeordnet unter anderem auch wegen des Verdachts der Hinterziehung von Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer. Im Hinblick auf diese Delikte war zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung zwar kein Tatverdacht mehr bezüglich einer täterschaftlichen Begehung gegeben, wohl aber ein Tatverdacht bezüglich einer Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung der Umsatzsteuer für die Jahre 2013 und 2014, der Körperschaftssteuer für das Jahr 2013 sowie bezüglich einer Beihilfe zu einer versuchten Hinterziehung der Körperschaftssteuer 2014. Der gegen die ehemals Beschuldigte bestehende Tatverdacht blieb damit zum Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung nicht erheblich hinter dem Tatverdacht zurück, der zur Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme geführt hat, vielmehr hätte — wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat — auch dieser Verdacht einer Bei-hilfe zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses führen können, § 102 StPO, denn hierfür reicht, dass aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte oder aufgrund kriminalistischer Erfahrungen angenommen werden kann, dass der Verdächtige .als Teilnehmer einer Straftat in Betracht kommt. Als Verdachtsgrad genügt damit ein Anfangsverdacht (vgl. m.w.N.: BeckOK/Hegmann, StPO, 42. Edition, § 102, Rn. 1, zitiert nach beck-online).

Diese Voraussetzung war vorliegend auch zum Zeitpunkt der Einstellung erfüllt, denn ausweislich ihrer eigenen Ausführungen hat die ehemals Beschuldigte erkannt, dass die ihr vom Geschäfts-führer der „PP UG“ übermittelten Zahlen nicht plausibel waren, dennoch hat sie auf Basis dieser Zahlen die entsprechenden Voranmeldungen getätigt (vgl. BI. 79).“