Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

StPO II: Einziehung einer Photovoltaikanlage, oder: Zubehör ist rechtlich selbständig

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Und als zweite Entscheidung dann das BGH, Urt. v. 12.07.2023 – 6 StR 417/22.

Das LG hat den Angeklagten F.   wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt sowie die Einziehung eines mit einer Tennishalle bebauten Grundstücks, der auf dem Hallendach installierten Photovoltaikanlage und des Wertes von Taterträgen angeordnet. Dagegen die Revision, die hinsichtlich der Einziehung teilweise Erfolg hatte:

„1. Nach den Feststellungen betrieben die bereits verurteilten D.Y., T., O.Y. sowie weitere Personen in der leerstehenden Tennishalle des Angeklagten F. eine Marihuanaplantage. In der Zeit von September 2020 bis Mai 2021 kam es zu einer Ernte und einer weiteren Anpflanzung. Wegen der ihm versprochenen Hallenmiete billigte F. den Anbau des Marihuanas zum gewinnbringenden Weiterverkauf und die Versorgung der Plantage mit Strom aus der auf dem Dach der Halle montierten Photovoltaikanlage; ferner unterstützte er beide Anbauvorgänge durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Plantagenarbeiter, Transporttätigkeiten und das Überlassen von Gerätschaften.

2. Die zum Schuld- und Strafausspruch erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

……

3. Eine weitere Verfahrensbeanstandung des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung der Photovoltaikanlage.

a) Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er auf diese Rechtsfolge weder in der zugelassenen Anklage noch in der Hauptverhandlung hingewiesen wurde.

aa) Einem Angeklagten ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge enthält, wie etwa die Maßnahme der Einziehung von Tatmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Die Hinweispflicht gilt unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20).

bb) Der danach gebotene Hinweis wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Insbesondere musste er nicht davon ausgehen, dass die Einziehung der auf dem Dach der Tennishalle installierten Photovoltaikanlage, die später der Versorgung der Marihuanaplantage mit Strom diente, schon aus ihrer Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) folgt. Denn Zubehör ist grundsätzlich rechtlich selbstständig; es unterliegt insoweit den für bewegliche Sachen geltenden Vorschriften, Zubehörstücke teilen daher nicht zwingend das rechtliche Schicksal der Hauptsache (vgl. MüKo-BGB/Stresemann, 9. Aufl., § 97 Rn. 42).

b) Auf diesem Rechtsfehler, der auch die zugehörigen Feststellungen erfasst (§ 353 Abs. 2 StPO), beruht die Einziehungsentscheidung. Denn es erscheint zumindest möglich, dass sich der Angeklagte erfolgreicher hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19).“

StPO I: Ein wirksamer Eröffnungsbeschluss fehlt, oder: Wenn im „Umlaufverfahren“ „entschieden“ wurde

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Der BGH ist in der letzten Zeit ein wenig kurz gekommen. Daher heute ein wenig StPO vom BGH.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 5 StR 136/23. Das LG hatte den wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls verurteilt. Die dagegen eingelegte Revision des Angeklagten führt dann zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses. Es fehlte an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss:

„1. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747 mwN). Der Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst, aber nicht von allen Richtern unterschrieben werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2013 – 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.; vom 21. Oktober 2020 – 4 StR 290/20, NStZ 2021, 179, jeweils mwN).

Die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage vor einer Großen Strafkammer ist stets mit drei Berufsrichtern in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen (§ 199 Abs. 1 StPO iVm § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wirken an der Eröffnungsentscheidung weniger Berufsrichter mit, ist sie unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 4 StR 310/19 mwN). Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. BGH, aaO).

2. Auch eingedenk der eingeholten dienstlichen Erklärungen der drei Berufsrichter der Strafkammer kann der Senat nicht hinreichend sicher (vgl. zu diesem Maßstab BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747) feststellen, dass das Landgericht eine wirksame Eröffnungsentscheidung getroffen hat. Der schriftliche Eröffnungsbeschluss ist nur von zwei Berufsrichtern unterschrieben worden.

a) Fehlt – wie hier – eine Unterschrift auf dem Eröffnungsbeschluss, muss anderweitig nachgewiesen sein, dass der Beschluss von allen hierzu berufenen Richtern gefasst worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225). Dies setzt eine mündliche Beschlussfassung oder eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2014 – 2 StR 516/13).

Wird der Beschluss im Umlaufverfahren – also im Wege einer schriftlichen Beratung und Abstimmung aufgrund eines Entscheidungsvorschlags (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. September 1991 – 2 B 99/91, NJW 1992, 257) – getroffen, führt das Fehlen einer Unterschrift zu dessen Unwirksamkeit, denn es handelt sich bis zur Unterzeichnung durch alle Richter lediglich um einen Entwurf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2013 – 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.; vom 29. September 2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225).

b) Zwar haben die beisitzenden Richter dienstlich erklärt, auch der Vorsitzende (dessen Unterschrift fehlt) habe an dem Beschluss mitgewirkt. Dieser hat jedoch erläutert, er habe an dem Beschluss „im Wege des Umlaufverfahrens mitgewirkt“; dass die Entscheidung auch von seinem Willen mitgetragen worden sei, ergebe sich aus einer auf dem Eröffnungsbeschluss getroffenen Verfügung und weiteren Beschlüssen vom selben Tage.

Aus den dienstlichen Erklärungen folgt weder eine konkrete mündliche Beschlussfassung noch eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung, sondern vielmehr, dass der Beschluss im Umlaufverfahren gefasst werden sollte. Weil im Umlaufverfahren nur zwei von drei Richtern den Eröffnungsbeschluss unterschrieben haben, stellt er mithin keine ausreichende Grundlage für das Verfahren dar. Die auf dem Beschlussentwurf angebrachte Verfügung des Vorsitzenden ist weder unterschrieben noch datiert und belegt deshalb seine Mitwirkung an der Beschlussfassung ebenfalls nicht.

3. Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses hat die Einstellung des Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO zur Folge. Zur Klarstellung hat der Senat das angegriffene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225; vom 13. März 2014 – 2 StR 516/13; vom 31. Juli 2008 – 4 StR 251/08; vgl. aber auch etwa BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 4 StR 310/19).“

AG III: Datenübermittlung aus Personalausweisregister, oder: Beweisverwertungsverbot?

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Und zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren, nämlich das AG Frankfurt am Main, Urt. v. 11.04.2023 – 994 OWi – 359 Js 13613/23.

Es geht um einen Abstandsverstoß im September 2022 auf der BAB A 3. Die Betroffene hatte ihre Fahrzeugführereigenschaft in Zusammenhang mit einem Entbindungsantrag eingeräumt. Die Richtigkeit der Abstandsmessung ist vom Verteidiger nicht in Zweifel gezogen. Er hatte sich jedoch darauf berufen, dass im Vorfeld der Ermittlungen Fehler passiert seien. Aufgrund eines Verstoßes gegen § 22 Abs. 3, 3 PaßG beziehungs-eise § 24 Abs. 2 und Abs. 3 PAuswG liege ein Verfahrenshindernis vor, sodass das Verfahren eingestellt oder die Betroffene freizusprechen sei. Die Betroffene hätte vor Anforderung eines Passbildes als Betroffene im Verfahren angehört werden müssen.

Das hat das AG anders gesehen:

„Sofern sich der Verteidiger darauf beruft, dass das Verfahren aufgrund eines Verfahrensfehlers wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 2 und Abs. 3 des PAuswG an einem derart schwerwiegenden Verfahrensmangel leidet, dass dies zur Einstellung beziehungsweise hier zum Freispruch hätte führen müssen, kann dem nicht entsprochen werden.

Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 PAuswG dürfen Behörden auf deren Ersuchen Daten aus dem Personalausweisregister übermitteln, wenn die ersuchende Behörde aufgrund von Gesetz oder Rechtsverordnung berechtigt ist, solche Daten zu erhalten. Dies sind etwa Strafverfolgungsbehörden und Verwaltungsbehörden im Ordnungswidrigkeitsverfahren auf Basis der vom §§ 161,163b StPO; 35, 46 Abs. 1 OWiG erhaltenen Ermächtigungsgrundlagen.

In der Hauptverhandlung verlesen worden ist Blatt 31 der Akte, der polizeiliche Vermerk des PK pp. vom 21.11.2022, wonach die Halteranschrift des zunächst im Verfahren als Betroffener geführten Herrn pp. angefahren wurde, um eine Betroffenenermittlung durchzuführen. Laut Bericht ist bei dem zuvor geführten Betroffenen pp. geklingelt worden und dieser habe die Tür aufgemacht. Nach erneuter Belehrung und Verweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht habe er hiervon Gebrauch gemacht. Im Anschluss habe Unterzeichner, pp., gefragt, ob er denn alleine wohne. Er gab ab, dass er mit seiner Frau, Frau pp. zusammenwohne, welche derzeit nicht zu Hause sei. Daraufhin habe die Streife das Haus verlassen.

Anhand eines angeforderten Lichtbildes des Personalausweises von Frau pp. sei diese sodann an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Fahrzeugführerin identifiziert worden.

Die Polizeibehörde durch PK pp. hat daher im Rahmen der allgemeinen Ermächtigungsgrundlangen zur Ermittlung des Sachverhalts betreffend des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gehandelt, wobei hierdurch die formellen Voraussetzungen des § 24 PAuswG eingehalten worden sind.

Auch im Übrigen sind keine Fehler bei der Anforderung des Bildes aus dem Personalausweis der Betroffenen erfolgt.

Es mag sein, dass in der Praxis teilweise standardmäßig Lichtbilder angefordert werden, ohne dass zunächst andere Ermittlungen durchgeführt werden. Vorliegend war jedoch die Polizeibehörde bereits bei dem zuvor als Betroffeneneigenschaft geführten Herrn pp. vor Ort und hat vor Ort Ermittlungen hinsichtlich der Betroffenen angestellt. Hierbei war aufgrund des Fahrerfotos, Blatt 7 der Akte, ersichtlich, dass es sich um eine weibliche Person handeln muss. Aufgrund der Angaben des Herrn pp., dass er mit einer Frau pp.  zusammenwohne, lag der Verdacht nahe, dass es sich hierbei um die mögliche Betroffene handeln könnte. Hiernach hat die Polizei bereits die vermutete Betroffene zum Zwecke der Identifizierung aufgesucht, diese aber nicht angetroffen im konkreten Zeitpunkt.

Dies ist vorliegend als ausreichende Ermittlungshandlung anzusehen, um es zu rechtfertigen, von der Betroffenen ein Lichtbild aus dem Personalausweis anzufordern.

Sollte dies anders gesehen werden, handelt es sich hierbei jedenfalls nicht um einen derart unerträglichen Verstoß, dass dieser zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnte, Vgl. Hornung, PaßG-PAuswG 1 Aufl. 2011, § 22 Randnummer 12 m.w.n. Willkür ist nicht ersichtlich.“

Na ja. Vorab: Das OLG Frankfurt am Main hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, das aber mit keinem Wort begründet. Nun ja, kann man machen, aber: Es gibt ja abweichende Rechtsprechung zu der Frage. Dazu hätte man ja mal ein Wort verlieren können. Und: Wie ist es denn, wenn der Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, er dann aber weiter befragt wird und er dann Angaben macht? Verwertbar? Schwierig? Jedenfalls hätte man auch dazu mal ein Wort verlieren können. Aber hat man nicht……

AG II: Endgültige Rückgabe einer Bußgeldsache, oder: Bitte beachten – Verfahren ist endgültig beendet

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Und dann als erste Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren hier der AG Landstuhl, Beschl. v. 10.07.2023 – 1 OWi 4396 Js 6726_23 jug. Mir geht hier nicht so sehr um die materielle Frage, zu der sich das AG in dem Beschluss geäußert hat, nämlich das Erlöschen der Betriebserlaubnis für ein Kfz durch nachträgliche Veränderungen. Denn da schließt sich das AG der Rechtsprechung des BGH an (vgl. dazu Anschluss an BGH, Urt. v. 11.12.2019 – VIII ZR 361/18).

Hier geht es vielmehr um die verfahrensrechtliche Frage, nämlich (endgültige) Rückgabe der Akte an das AG (§ 69 Abs. 5 OWiG) und deren Folgen. Das AG hat also „endgültig“ nach § 69 Abs. 5 Satz 2 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückgegeben. Der gibt es dann „mit auf den Weg“:

„1. Die Verwaltungsbehörde hat die nach der (ersten) Zurückverweisung des Verfahrens durch Beschluss des hiesigen Gerichts vom 10.03.2023 gebotenen Nachermittlungen nicht vorgenommen, sondern vielmehr lediglich allgemeine Ausführungen zu ihrer Rechtsauffassung gemacht und Mutmaßungen zum Bestehen einer Gefährdungslage angestellt. Dies reicht nicht aus.

1.1 Zwar ist die Verwaltungsbehörde grundsätzlich auch nach einer (ersten) Zurückverweisung des Verfahrens aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Sache sofort wieder über die Staatsanwaltschaft dem Gericht vorzulegen, jedoch hat die Vorschrift des § 69 Abs. 5 S. 2 OWiG gerade die Funktion, ein solches Vorgehen zu vermeiden (Gertler, in: BeckOK-OWiG, 38. Ed. 2023, § 69 Rn. 139). Denn es ist nicht zu erwarten, dass das Gericht den zuvor verneinten hinreichenden Tatverdacht einer Ordnungswidrigkeit anders beurteilt als zuvor, wenn ihm das Verfahren ohne weitere Aufklärung wieder vorgelegt wird. Aus diesem Grund ist es, abgesehen von Ausnahmefällen, regelmäßig aussichtslos und daher untunlich, dem Gericht – wie vorliegend – das Verfahren nach Zurückverweisung gem. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG sofort wieder über die Staatsanwaltschaft vorzulegen, ohne zuvor eine weitere Sachaufklärung veranlasst zu haben (Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 69 Rn. 59).

1.2 Hieran ändert es auch nichts, dass die Verwaltungsbehörde mit der erneuten Übersendung eigene, sich mit der Rechtsauffassung des Gerichts nicht deckende, Erwägungen zur Sach- und Rechtslage angestellt hat. Denn diese Erwägungen sind teilweise rechtsirrig und stehen zudem nicht im Einklang mit der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung. ….“

…..

Dieser Aufklärungspflicht ist die Verwaltungsbehörde vorliegend, trotz Zurückverweisung des Verfahrens an sie gem. § 69 Abs. 5. S. 1 OWiG wegen offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts durch Beschluss des hiesigen Gerichts vom 10.03.2023, nicht nachgekommen. Es wäre vielmehr geboten gewesen, entweder die mit der Fahrzeugkontrolle befassten Polizeibeamten ergänzend zu befragen oder notfalls sogar sachverständige Hilfe zum Vorliegen einer erwartbaren Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer in Anspruch zu nehmen. Sofern die Verwaltungsbehörde der Auffassung gewesen wäre, dass der Tatnachweis mit zumutbarem Ermittlungsaufwand nicht zu führen gewesen wäre, hätte es ihr auch freigestanden, das Verfahren (ggf. unter Opportunitätsgesichtspunkten) einzustellen, da sie nach der (ersten) Zurückverweisung des Verfahrens nach § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG wieder zur Herrin des Verfahrens geworden ist. Eine erneute Übersendung an das Gericht hätte dann unterbleiben können.“

Und da die Verwaltungsbehörde offenbar unbelehrbar ist, macht das AG dann noch – nach dem Motto: „Sicher ist sicher“ – ein wenig Fortbildung betreffend die Folgen der endgültigen Rückgabe:

„2. Für die weitere Bearbeitung weist das Gericht darauf hin, dass die Verwaltungsbehörde an die endgültige Rückgabe des Verfahrens gebunden ist. Dies hat zur Folge, dass die mutmaßliche Tat nicht mehr unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Insbesondere ist es der Verwaltungsbehörde verwehrt, den Bußgeldbescheid zurückzunehmen und wegen derselben prozessualen Tat einen neuen Bußgeldbescheid, ggf. auch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, gegen den Betroffenen zu erlassen (vgl. etwa Gertler, in: BeckOK-OWiG, 38. Ed. 2023, § 69 Rn. 145).“

AG I: Ist das AG an den Strafbefehlsantrag gebunden?, oder: Abweichende Kostenentscheidung im Strafbefehl

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Heute dann mal drei Entscheidungen „von ganz unten“, also von Amtsgerichten 🙂 . Zwei kommen aus dem OWi-Bereich, eine betrifft das Strafbefehlsverfahren.

Ich beginne mit dem AG Kehl, Beschl. v. 18.07.2023 – 2 Cs 308 Js 17340/22 – zum Strafbefehlsverfahren. Das AG nimmt zu einer interessanten Frage Stellung, nämlich dazu, ob das Gericht einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung erlassen kann.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die StA hatte den Erlass eines Strafbefehls u.a. mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte beantragt. Der Angeklagte habe sich tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt. Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei am Tattag gegen 0:55 Uhr „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das AG die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.

Das daraufhin vom AG eingeholte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.

Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatsanwaltschaft zwar dann mit dem Antrag vom 06.06.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des AG, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsah , dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sog. fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.

Das AG hat den Strafbefehl erlassen, aber eine vom Entscheidungsentwurf der StA abweichende Kostenentscheidung getroffen:

„Zwar bestimmt § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen darf, sondern Hauptverhandlung anberaumt, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Die Kostenentscheidung ist aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist. Vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs.

Ursprünglich bestimmte § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 01.07.1877 (RGBl. S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl. I 1924 S. 322), dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 Satz 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen ist, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharrt (Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1); zugleich bestimmte § 464 Abs. 1 Satz 1 StPO, wie immer noch, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen muss, von wem die Kosten des Verfahrens tragen sind. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – im Übrigen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens wurde durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BTDrs. 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung hat der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen für das Gutachten zu belasten wäre jedoch – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden sind, um die Staatsanwaltschaft, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte für die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst bei ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu überzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs besteht.“