Das AG hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG verworfen. Dagegen die Revision der StA, die keinen Erfolg hatte:
„Die wegen der wirksamen Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf die Frage der Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nur noch diese Frage betreffende Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, weil es zu einer günstigen Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB gelangt ist und auch die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht nach § 56 Abs. 3 StGB gebietet, ist frei von Rechtsfehlern.
1. Wie die Strafzumessung ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Einschätzung des Tatrichters grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; BayObLG, Urt. v. 24.09.2021 – 202 StRR 98/21 bei juris). Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es deshalb die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, ist mithin vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (stRspr., vgl. nur BayObLG a.a.O.).
2. Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt nur dann vor, wenn der Bewährungsentscheidung ein im Gesetz nicht vorgesehener Maßstab zugrunde gelegt wird, die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB verkannt werden oder sich die Würdigung des Tatgerichts deshalb als unvollständig und damit als rechtsfehlerhaft erweist, weil sie nicht alle für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat oder die Begründung der Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt ist.
3. Die Darlegungen des Landgerichts für seine Erwartung, der Angeklagte werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), halten unter Berücksichtigung dieses Maßstabs einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Für eine günstige Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, die Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angeklagten, der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich anders als in der Vergangenheit verhalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1988 – 1 StR 138/88 = StV 1989, 15 = NStE Nr 22 zu § 56 StGB = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9; BayObLG a.a.O.). Der Bewährungsbruch belegt vielmehr, dass die frühere Prognose falsch war, weshalb eine erneute günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen kann (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 6. Aufl. Rn. 212). Zwar ist in solchen Fällen eine erneute Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. vom 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; BayObLG a.a.O.). Indes muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten in Zukunft heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. Lagen die Gesichtspunkte, die bei isolierter Betrachtung für eine günstige Legalprognose sprechen können, dagegen schon im Zeitpunkt der Verwirklichung der abzuurteilenden Taten vor, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die durch das frühere Bewährungsversagen und die Begehung der neuen Taten trotz langjährigen Strafvollzugs indizierte negative Kriminalprognose zu entkräften (BayObLG a.a.O.).
b) Derartige nachträgliche Umstände, die trotz des Bewährungsversagens gleichwohl die Erwartung rechtfertigen, dass sich der Angeklagte nunmehr die jetzige Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten begehen wird, hat das Landgericht mit sorgfältigen Erwägungen, die insbesondere die Ursachen für die bisherige Delinquenz des Angeklagten, nämlich seinen jahrelangen Alkoholabusus und seine persönliche Überforderung im Umgang damit, akribisch herausarbeiten, rechtsfehlerfrei angenommen.
aa) Das Landgericht hat dabei zunächst in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend erkannt, dass der zwar bei isolierter Betrachtung auch für die anzustellende Kriminalprognose an sich günstige Gesichtspunkt der beruflichen und sozialen Einordnung des Angeklagten deshalb nicht ausschlaggebend für eine nochmalige Strafaussetzung zur Bewährung sein kann, weil es sich insoweit nicht um neu hervorgetretene Umstände handelt. Vielmehr hat sich der Angeklagte in der Vergangenheit wiederholt strafbar gemacht, obwohl er ständig einer Erwerbstätigkeit nachging.
bb) Allerdings hat das Landgericht nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten hervorgetretene und unter Berücksichtigung der Feststellungen im Berufungsurteil für die Legalprognose durchaus relevante Aspekte herausgearbeitet und ist im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise trotz des Bewährungsbruchs zu einer günstigen Kriminalprognose gelangt.
(1) Das Landgericht hat insbesondere den vom Angeklagten in der Vergangenheit langjährig praktizierten Alkoholmissbrauch als ursächlich für seine bisherigen Straftaten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt, was durch die Schilderung der den Vorstrafen zugrunde liegenden Sachverhalte auch für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargetan wird.
(2) Bei dieser Ausgangssituation hat die Berufungskammer rechtsfehlerfrei dem Gesichtspunkt, dass sich der Angeklagte einsichtig und sogar „therapiewillig“ zeigt, besondere Bedeutung beigemessen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen seit der Tatbegehung keinen Alkohol mehr konsumiert hat. Soweit die Revision dies mit der Sachrüge anzugreifen versucht, kann sie damit nicht durchdringen, zumal entgegen der Revision nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Tatrichter „ungeprüft“ die „eigenen Angaben“ des Angeklagten übernommen habe. Immerhin hat das Landgericht in diesem Zusammenhang auch darauf abgehoben, dass der Angeklagte sei Tatbegehung strafrechtlich unauffällig geblieben ist, sodass die Revision einen diesbezüglichen sachlich-rechtlichen Mangel der Beweiswürdigung nicht aufzeigt.
(3) Die mit dem Bewährungsbeschluss angeordnete Unterstellung des Angeklagten unter die Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers konnte die Strafkammer, die einen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten gewonnen hat, unter Berücksichtigung der im Berufungsurteil genau dargestellten Analyse der Persönlichkeit des Angeklagten durchaus als weiteren erheblichen Umstand einstufen, der die im Rahmen der gebotenen Gesamtschau dem Tatrichter obliegende Legalprognose trotz des Bewährungsversagens zu stützen vermag. Die Wertung der Berufungskammer, der Angeklagte wirke im Umgang mit seinem „punktuell übermäßigen Alkoholkonsum“, den er aber nach den tatrichterlichen Feststellungen gleichwohl steuern konnte, „hilflos und überfordert“, hat das Revisionsgericht hinzunehmen. Bei dieser Einschätzung hat das Landgericht der Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers, der nach § 56d Abs. 3 Satz 1 StGB dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite zu stehen hat, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise maßgebliche Relevanz beigemessen.
(4) Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung, in die auch die gegen eine günstige Legalprognose sprechenden Gesichtspunkte eingestellt und zutreffend gewichtet wurden, hat die Berufungskammer die erteilten Weisungen zur Alkoholabstinenz und zur Wahrnehmung von Suchberatungsgesprächen, die in § 56c Abs. 1 Satz 1 StGB ihre Grundlage haben, mit Blick auf die Ursachen der bisherigen Delinquenz des Angeklagten rechtsfehlerfrei als zusätzliche konstellative Faktoren für die positive Kriminalprognose berücksichtigt.
4. Ohne Rechtsfehler ist die Berufungskammer schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nicht nach § 56 Abs. 3 StGB gebietet. Strafaussetzung zur Bewährung kann nach dieser Vorschrift nur versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 06.07.2017 – 4 StR 415/16 = NJW 2017, 3011 = VRS 132, 22 [2017] = NStZ 2018, 29 = BGHR StGB § 56 Abs 3 Verteidigung 23 = Fundstelle StV 2018, 411 m.w.N.). Auch dies hat das Landgericht unter nicht zu beanstandender Bezugnahme auf die im Zusammenhang mit der Bejahung der günstigen Legalprognose vorgenommene Abwägung rechtsfehlerfrei verneint. Der Umstand, dass der Verurteilung der Straftatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB zugrunde liegt, stellt die Einschätzung der Berufungskammer nicht infrage, zumal es nicht zulässig wäre, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung von vornherein auszuschließen (BGH a.a.O.; OLG Bamberg, Urt. v. 14.03.2017 – 3 OLG 6 Ss 22/17 = OLGSt StPO § 318 Nr 30 = StV 2018, 276, jew. m.w.N.).“