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Corona II: Vorlage eines gefälschten Impfpasses, oder: Was ist für „Urkundenfälschung“ festzustellen?

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In der zweiten Entscheidung, dem  BayObLG, Beschl. v.  31.05.2023 – 207 StRR 294/22 – geht es nicht um eine materiellen Frage, sondern um die Frage nach dem erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen.

Das AG hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung („Gebrauchen einer unechten Urkunde“) verurteilt Nach den dort getroffenen Feststellungen habe der Angeklagte am 26.10.2021 in einer Apotheke einen, wie er wusste, manipulierten Impfpass vorgelegt, aus welchem hervorging, dass er vollständig gegen das SARS-COV2-Virus geimpft sei. Tatsächlich sei der Angeklagte, wie er wusste, nicht mit den angegebenen Impfstoffen geimpft gewesen. Durch die Vorlage habe er ein digitales Impfzertifikat erhalten wollen. In den Urteilsgründen ist weiter ausgeführt, dass der Impfpass mit enthaltenem Stempel der Arztpraxis und Unterschrift zusammen mit den eingeklebten C.-Aufklebern eine unechte (zusammengesetzte) Urkunde darstelle, die der Angeklagte durch deren Vorlage in der Apotheke auch gebraucht habe.

Gegen die Verurteilung hat der Angeklagte (Sprung-)Revision eingelegt, u. a. mit dem Ziel des Freispruchs. Das BayObLG hat wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben:

„1. Das zulässige Rechtsmittel hat einen mindestens vorläufigen Erfolg, weil die getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Urkundenfälschung nach § 267 StGB entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht tragen (§ 349 Abs. 4 StPO).

a) Zwar wurde die Anwendung des 267 StGB zur Tatzeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht durch §§ 277, 279 StGB a. F. gesperrt (BGH, Urteil vom 10.11.2022, 5 StR 283/22, BeckRS 2022, 31209, dort Rdn. 34 ff.).

b) Das Urteil leidet jedoch an durchgreifenden Darstellungsmängeln, weil die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft und unklar sind und damit dem Senat bereits nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglichen, ob der Angeklagte – wie vom Amtsgericht angenommen – den Tatbestand der Urkundenfälschung in der Tatmodalität des Gebrauchmachens von einer unechten oder verfälschten Urkunde i.S.v. 267 Abs. 1 3. Alt. StGB erfüllt hat (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt BayObLG, Beschluss vom 22.07.2022, 202 StRR 71/22, zitiert nach juris, m. w. N.).

aa) Nach 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen, mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann; denn nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 08.03.2022, 1 StR 483/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 6).

bb) Die Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts belegen bereits nicht, ob es sich bei dem gegenständlichen Impfpass überhaupt um eine Urkunde im Sinne des 267 Abs. 1 StGB handelte. Eine Urkunde setzt das Vorhandensein einer verkörperten Gedankenerklärung voraus, die zum Beweis bestimmt und geeignet ist und einen Aussteller erkennen lässt (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 267 Rdn. 3 m. w. N.). Keines dieser Merkmale kann den Urteilsgründen zuverlässig entnommen werden. Der Impfpass und die Eintragungen darin werden anlässlich der Feststellung des strafbaren Sachverhalts überhaupt nicht und auch später nur unzureichend beschrieben. Das tatrichterliche Urteil stellt nicht fest, welchen Inhalt die offenbar in den Impfausweis eingeklebten Impfnachweise im Einzelnen hatten und wer im Zusammenhang mit der angeblichen Impfung der Aussteller der Impfbescheinigung ist.

cc) Es kann nach diesen Feststellungen auch nicht beurteilt werden, ob der Angeklagte mit der Vorlage des Impfpasses von einer unechten oder verfälschten Urkunde Gebrauch gemacht hat.

Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der in ihr als Aussteller bezeichnet ist. Entscheidendes Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein Irrtum erregt; der rechtsgeschäftliche Verkehr wird auf einen Aussteller hingewiesen, der in Wirklichkeit nicht hinter der in der Urkunde verkörperten Erklärung steht. Nicht tatbestandsmäßig ist dagegen die Namenstäuschung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Aussteller nur über seinen Namen täuscht, nicht aber über seine Identität (BGH, Beschluss vom 19.11.2020, 2 StR 358/20, zitiert nach juris, dort Rdn. 18). Nachdem das Amtsgericht aber schon nicht mitteilt, wer nach den Eintragungen im Impfpass der Aussteller ist, unterbleiben auch die gebotenen Feststellungen dazu, ob nicht gegebenenfalls die Urkunde von dem Aussteller, sollte ein solcher ersichtlich sein, tatsächlich erstellt wurde. Eine Beweiswürdigung zu dieser für die rechtliche Einstufung der Urkunde als unecht maßgeblichen Frage findet schon gar nicht statt. Denn sollte ein aus dem Impfpass ersichtlicher Aussteller die Eintragung vorgenommen haben, würde es sich um eine echte Urkunde handeln, deren Gebrauch nicht nach § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB strafbar wäre. Auch ist auf dieser Grundlage nicht ausgeschlossen, dass nur eine (nicht strafbare) „schriftliche Lüge“ vorliegt (vgl. zu solchen Konstellationen Senat, Beschluss vom 22.05.2023, 207 StRR 239/22).

Den Ausführungen des Amtsgerichts kann schließlich auch nicht sicher entnommen werden, ob eine unechte Urkunde vorlag oder es sich um eine Verfälschung einer ursprünglich echten Urkunde handelte. Eine Verfälschung liegt in der inhaltlichen Veränderung der gedanklichen Erklärung einer ursprünglich echten Urkunde (vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.1999, 4 StR 71/99, zitiert nach juris, dort Rdn. 19), was nur dann der Fall sein kann, wenn die Urkunde von dem aus ihr hervorgehenden Aussteller stammte; eine solche käme etwa in Betracht, wenn in einen „echten“ Impfpass zusätzliche Impfungen eingetragen werden.“

OWi I: Rotlichtmessung mit privatem Mobiltelefon, oder: Verwertbar, aber bitte genaue Feststellungen

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Urheber Ulfbastel

Der ein oder andere Leser, der das Blog regelmäßig liest, wird sicherlich schon OWi-Entscheidungen vermisst haben. Stimmt, die Berichterstattung zu OWi ist im Moment mau. Das liegt aber nicht daran, dass ich an OWi keine Lust habe, sondern daran, dass es im Moment recht wenig OWi-Entscheidungen gibt. Man hat den Eindruck, dass alle gespannt auf das BVerfG warten. 🙂

Heute mache ich dann aber mal wieder einen OWi-Tag mit drei Entscheidungen. Und als erste kommt hier dann der OLG Dresden, Beschl. v. 25.05.2023 – ORbs 21 SsBs 54/23 – zu einem Rotlichverstoß. Es geht um die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Messung, bei der die Stoppuhr eines privaten Mobiltelefons benutzt worden ist. Das OLG hat die Verurteilung des Betroffenen aufgehoben, weil die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht ausreichend waren:

„Die Rechtsbeschwerde hat schon auf die Sachrüge (zumindest vorläufigen) Erfolg, weil sich die Urteilsgründe als lückenhaft erweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Antragsschrift vom 26. April 2023 Folgendes ausgeführt:

„Auch wenn im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind und sich der Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß beschränken kann, so kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand versetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn 42. 43 m w.N.). Zwar muss das Rechtsbeschwerdegericht die subjektive Überzeugung des Tatrichters von dem Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts grundsätzlich hinnehmen und ist es ihm verwehrt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der tatrichterlichen Überzeugung zu setzen. Allerdings kann und muss vom Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden, ob die Überzeugung des Tatrichters in den getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung eine ausreichende Grundlage findet. Die Urteilsgründe des Tatgerichts müssen mithin erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (St. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 22.08.2013 – 1 StR 378/13 = NStZ-RR 2013, 387, 388). Daher müssen die Urteilsgründe, wenn nicht lediglich ein sachlich und rechtlich einfach gelagerter Fall von geringer Bedeutung vorliegt, regelmäßig erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 71 Rn. 115; Göhler/Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 43, 43a jeweils m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Der Beweiswürdigung fehlt hinsichtlich der festgestellten Rotlichtdauer von 1,39 Sekunden eine tragfähige Grundlage.

a) Zwar ist die Messung nicht schon deshalb unverwertbar, weil die verwendete Stoppuhr des privaten Mobiltelefons – offensichtlich – nicht geeicht war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 m.w.N., Beck-Online). Die Eichpflicht garantiert eine besondere qualitative Sicherheit der Messung. Diesem Zweck wird aber auch dann entsprochen, wenn die qualitätsmäßigen Bedenken an der Messqualität dadurch ausgeräumt werden, dass zum Ausgleich möglicher Messungenauigkeiten und sonstiger Fehlerquellen (z.B. auch Reaktionsverzögerungen beim Bedienen des Messgeräts) bestimmte Sicherheitsabschläge vorgenommen werden. Insofern ist die Rechtslage nicht anders als bei Geschwindigkeitsmessungen mit einem ungeeichten Tachometer, die von der Rechtsprechung jedenfalls dann als beweisverwertbar anerkannt werden, wenn und soweit zum Ausgleich von Messungenauigkeiten und sonstigen Fehlerquellen ein bestimmter Sicherheitsabschlag vorgenommen wird. Der Tatrichter muss aber in einem solchen Fall auch darlegen, welche mögliche geräteeigenen Fehler der Uhr (z. B. verzögerte Reaktionszeiten des Geräts, mögliche Ungenauigkeiten bei der Zeitanzeige) und welche externen Fehlerquellen (z. B. Ungenauigkeit hinsichtlich der Fahrtzeit von der Haltelinie bis zum Bedienen der Stoppuhr) er berücksichtigt hat. Bei der Prüfung interner Fehlerquellen wird auch der Typ des eingesetzten Gerätes eine Rolle spielen. Selbst bei geeichter Stoppuhr hat der Tatrichter von dem gemessenen Wert einen über den Toleranzabzug von 0,3 Sekunden hinausgehenden Sicherheitsabzug vorzunehmen, der dem Ausgleich etwaiger Gangungenauigkeiten dient (vgl. zu alledem BayObLG, a.a.O.).

b) Das Amtsgericht hat hier schon den selbst bei geeichten Stoppuhren erforderlichen Toleranzabzug von 0,3 Sekunden der gemessenen Zeit – als Ausgleich für etwaige Reaktionsverzögerungen bei der Bedienung – nicht vorgenommen. Überdies hat es auch den erforderlichen Abzug eines weiteren Sicherheitsabschlages bei ungeeichten Messgeräten unterlassen. Es fehlen auch Angaben zum Gerätetyp des verwendeten Mobiltelefons. Zudem hätte das Amtsgericht einen weiteren Zeitabschlag aufgrund der gewählten Messmethode erörtern müssen, bei der der messende Polizeibeamte die Lichtzeichenanlage offenbar nicht selbst im Blick hatte, sondern den Messvorgang erst auf ein Signal des beobachtenden Polizeibeamten auslöste. Denn damit liegt eine zweifache Reaktionsverzögerung vor, die zu weiteren Messungenauigkeiten führen dürfte. Es ist auch nicht hinreichend ersichtlich, dass diese Ungenauigkeit bei Beginn der Messung durch eine entsprechend umgesetzte Beendigung des Messvorganges wieder ausgeglichen worden ist. Zum einen fehlt eine hinreichend klare Darstellung zur Beendigung der Messung. Zum anderen können menschliche Reaktionszeiten nicht immer als identisch unterstellt werden, insbesondere wenn sich – wie hier – rechtliche Auswirkungen aus dem Größenbereich von Hundertstel- oder Zehntelsekunden ergeben können.

c) Soweit das Gericht davon ausgegangen ist, dass selbst bei – nicht erfolgtem – Abzug von 0,3 Sekunden eine Rotlichtdauer von über einer Sekunde vorgelegen habe, weil das Auto des Betroffenen von der Haltelinie vor der Lichtzeichenanlage bis zum Kreuzungsbereich noch eine weitere Strecke zurücklegen musste, liegen keine prüfbaren Feststellungen vor. Denn es fehlt an näheren Angaben zur nach Beendigung der Messung zurückgelegten Wegstrecke bis in den unmittelbaren Kreuzungsbereich. Ebenso ist nicht dargelegt welchen etwaigen „Zuschlag“ auf das Messergebnis das Gericht aufgrund dieser Umstände angenommen hat.

Il.

Da nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, ist es insgesamt mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht durch eine ergänzende Befragung der in Betracht kommenden Zeugen und gegebenenfalls durch weitere Beweiserhebungen (Sachverständigengutachten) zu zuverlässigen Schlussfolgerungen hinsichtlich der tatsächlichen Dauer der Rotlichtphase zum maßgebenden Zeitpunkt gelangen kann.“

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.“

Haftungsverteilung bei einem „Businsassenunfall“, oder: Eigenverschulden des Fahrgastes

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Am heutigen – sommerlichen – Samstag gibt es im „Keesel Buntes“ zwei zivilrechtliche Entscheidungen zu Verkehrsunfällen.

Hier stelle ich erst einmal das OLG Schleswig, Urt. v. 25.04.2023 – 7 U 125/22 -, dass die Haftung nach einem sog. Bus(insassen)unfall zum Gegenstand hat. Gestrittemn wird um die Ansprüche aus einem Verkehrsunfall aus November 2020.

Die zum Unfallzeitpunkt 82 Jahre alte Klägerin fuhr gegen 17:40 Uhr als Passagierin eines Linienbusses zu ihrer Wohnung in einer Senioreneinrichtung . Der Beklagte zu 1), der seit 30 Jahren als Busfahrer arbeitet, lenkte den Bus. Die Klägerin saß auf einem Zweier-Sitzplatz direkt an einem der Ausgänge und beabsichtigte, an der nächsten Haltestelle auszusteigen und betätigte deshalb von ihrem Sitzplatz aus das Haltesignal. Neben ihr befanden sich lediglich fünf weitere Fahrgäste im Bus. Bei Regen und Dunkelheit näherte sich der Beklagte zu 1) mit dem Bus einem Kreuzungsbereich und wollte an der Kreuzung nach links abbiegen, wo sich dann alsbald hinter dem Kreuzungsbereich die Haltestelle befindet, an der die Klägerin aussteigen wollte. Der Linienbus hielt zunächst wegen Rotlichts an der Kreuzung. Als das Licht auf Grün umsprang, fuhr der Linienbus in den Kreuzungsbereich ein. Die Klägerin stand auf und positionierte sich am Ausgang. Sie sicherte sich mit einer Hand an der Haltestange ab, während sie in der anderen Hand einen Regenschirm und ihre Handtasche festhielt.

Im Kreuzungsbereich musste der Beklagte zu 1) den Linienbus zunächst nochmal kurz anhalten, da er vorfahrtsberechtigten Verkehr durchlassen musste. Eine im Kreuzungsbereich anwesende Fußgängerin wollte die im Bereich einer Fußgängerfurt bei für sie zeigendem Grünlicht für Fußgänger überqueren. Der Beklagte zu 1) nahm die Fußgängerin zunächst nicht wahr und fuhr wieder an, um den Linksabbiegevorgang in die Straße S.-berg zu vollenden. Nachdem der Beklagte zu 1) die Fußgängerin jedoch wahrgenommen hatte, nahm er eine scharfe Notbremsung vor, als sie sich nur etwa einen Meter vor dem Linienbus befand. Trotz der Notbremsung erfasste er die Fußgängerin K. mit dem Bus und brachte diese zu Fall, allerdings offenbar ohne dass sie Verletzungen davontrug.

Durch die plötzliche Notbremsung stürzte die Klägerin, der es nicht gelang, sich an der Haltestange festhalten. Sie ging mit dem Kopf in Fahrtrichtung voran und ohne wahrnehmbare Sicherungs- und Abwehrbewegungen direkt zu Boden, wo sie nach kurzer Rutschbewegung in Fahrtrichtung liegen blieb. Die Klägerin wurde mit dem Rettungswagen in das UKSH gebracht, wo sie bis zum 2. Dezember 2020 stationär behandelt wurde.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre Ansprüche – insoweit abweichend vom ersten Rechtszug nur noch auf der Grundlage einer Haftung der Beklagten von 50 % – weiter verfolgt. Insoweit hatte die Berufung Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

    1. Bei Businsassenunfällen verdrängt grundsätzlich das Eigenverschulden des Fahrgastes, der sich nicht ordnungsgemäß festgehalten hat, vollständig die Gefährdungshaftung aus einfacher Betriebsgefahr. Bei Vorliegen besonderer Umstände kann sich das Eigenverschulden des Fahrgastes jedoch verringern. Eine Schadensteilung 50 : 50 kommt in Betracht, wenn der Busfahrer schuldhaft eine Notbremsung vorgenommen hat.
    2. Grünes Ampellicht an einer Kreuzung bedeutet zwar, dass der Verkehrsteilnehmer nach den Regeln des § 9 StVO abbiegen darf. Nach § 9 Abs. 3 StVO muss er jedoch auf Fußgänger besondere Rücksicht nehmen und – wenn nötig – warten.
    3. Jeder Fahrgast ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische oder zu erwartende Bewegungen eines Busses nicht zu Fall kommt. Im Stadtverkehr muss ein Fahrgast jederzeit mit plötzlichen Bremsmanövern rechnen und das bei der Wahl der Sicherheitsvorkehrungen berücksichtigen. Dazu gehört u.a. auch, bei ausgelöstem Haltesignal solange sitzen zu bleiben, bis der Bus die Haltestelle erreicht hat. Bei stehendem Transport sollten sich Fährgäste im fortgeschrittenen Alter mit beiden Händen an der Haltestange festhalten.
    4. Bei einem Busunfall kommt eine hälftige Schadensteilung dem Grunde nach in Betracht, wenn der Busfahrer schuldhaft eine Notbremsung vorgenommen hat und der Fahrgast, der sich nicht ordnungsgemäß festgehalten hat, dabei verletzt wird.

StPO II: Wiedererkennen eines Unbekannten, oder: Schwierig, daher vertiefte Urteilsbegründung?

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Und im zweiten Posting dann zwei BGH-Entscheidungen zum „Wiedererkennen“, also Beweiswürdigungsfragen.

Zunächst der recht aktuelle BGH, Beschl. v. 25.05.2023 – 5 StR 483/22. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Mengeverurteilt. Dagegen die Revision, die erfolgreich war:

„2. Die Verurteilung in den Fällen II.1 und II.2 hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, der Angeklagte habe an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 18. August bis 2. Oktober 2018 an den gesondert verfolgten Gr. im Stadtgebiet von D.     im ersten Fall (II.1) mindestens 100 Gramm Crystal zum Preis von 4.500 Euro und im zweiten Fall (II.2) ein Kilogramm Marihuana zum Preis von 3.000 Euro sowie 150 Gramm Crystal zum Preis von 6.000 Euro verkauft und übergeben. Die Betäubungsmittel hatten einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 65 Prozent S-Methamphetamin-Base (Crystal) und 4 Prozent THC (Marihuana).

b) Das Landgericht hat die Feststellungen zum Tathergang und seine Überzeugung von der Täterschaft des – hierzu schweigenden – Angeklagten maßgeblich auf die Angaben des Zeugen K. gestützt. Allein dieser Zeuge hatte den Angeklagten als Täter identifiziert, allerdings nur anlässlich seiner eigenen polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Zeuge hatte bekundet, im Tatzeitraum gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Gr.         mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. In diesem Rahmen sei es bei zwei Gelegenheiten zur Übergabe größerer Betäubungsmittelmengen (wie festgestellt) durch „Tschetschenen“, darunter den Angeklagten, gekommen. Der Zeuge habe den gesondert Verfolgten mit dem Pkw zum Übergabeort, einem Hinterhof in D. gefahren. Dort habe er aus kurzer Entfernung beobachtet, wie drei „Tschetschenen“ zur Abwicklung des Geschäfts in einen dort stehenden Pkw BMW mit B.-er Kennzeichen eingestiegen seien. Der gesondert Verfolgte habe die Betäubungsmittel vom „Hauptakteur“ überreicht bekommen. Diesen habe der Zeuge später bei der Polizei „anhand der Lichtbildmappe“ als den Angeklagten identifiziert. Die weiteren Ermittlungen der Polizei ergaben, dass ein Pkw mit B.er Kennzeichen auf den Angeklagten zugelassen gewesen war und dieser, so wie vom Zeugen K.  in Bezug auf den „Verkäufer“ berichtet worden war, „etwas, mit Boxen“ „zu tun“ gehabt habe.

c) Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. August 2020 – 1 StR 178/20, NStZ 2021, 184, 185 mwN) als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

aa) In schwierigen Beweislagen, zu denen Konstellationen zählen, in denen – wie hier – der Tatnachweis im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. April 2003 – 2 BvR 2045/02, NJW 2003, 2444, 2445; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283). Um die tatgerichtliche Würdigung nachvollziehen zu können, bedarf es zudem eines Abgleichs der Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 – 5 StR 593/05, NStZ-RR 2006, 212). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.

bb) Im Urteil fehlen jegliche Angaben dazu, welche Merkmale oder Ausprägungen der Erscheinung des Angeklagten den Zeugen K. im Zeitpunkt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in die Lage versetzt haben sollen, ihn „anhand einer Lichtbildmappe“ wiederzuerkennen.Darüber hinaus gibt es im Urteil keine Täterbeschreibung. Schon aus diesen Gründen leidet die Beweiswürdigung unter erheblichen Lücken. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung „nicht direkt als den von ihm identifizierten Täter benennen“ „wollte“. Besondere Anforderungen an die Darlegungen des Identifizierungsvorgangs ergaben sich hier aber auch zusätzlich daraus, dass der Zeuge den Angeklagten vor den festgestellten Betäubungsmittelübergaben nicht kannte. Dies folgt aus seinem Bekunden, wonach ihm der gesondert Verfolgte die „Tschetschenen“ als „neue Geschäftspartner“ präsentiert habe, bevor es zu dem Treffen auf einem D.er Hinterhof kam. Für derartige Identifizierungsleistungen gilt: Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 – 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 – 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 – 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283).

Diese Anforderungen erfüllt das Urteil nicht. Zur konkreten Wahrnehmungssituation des Zeugen bei der jeweiligen Betäubungsmittelübergabe, insbesondere dazu, ob er den Angeklagten hierbei längere Zeit beobachten oder nur kurzzeitig sehen konnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie der Zeuge von seiner Position heraus den Angeklagten als „Fahrer“ und „Hauptakteur“, welcher „etwas mit Boxen zu tun“ habe, ausmachen konnte. Die Wahrnehmung solch markanter Eigenschaften erscheint angesichts dessen, dass die „Tschetschenen“ in einen parkenden Pkw stiegen, ungewöhnlich; erst recht mit Blick darauf, dass die polizeiliche Sachbearbeiterin die Angaben des Zeugen zu diesen Vorfällen als eine „absolute Randnotiz“ bezeichnete. Aufgrund der aufgezeigten Erörterungsmängel entbehrt die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Zeuge habe den Angeklagten „eindeutig“ „anhand der Lichtbildmappe“ identifiziert – ungeachtet dessen, dass auch hier erforderliche Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlage bei der Polizei fehlen (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2023 – 6 StR 110/23) – jeder Grundlage.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung der Schuldsprüche entfallen die in den Fällen II.1 und II.2 verhängten Einzelstrafen.“

Und dann weise ich in dem Zusammenhang noch hin auf den BGH, Beschl. v. 04.04.2023 – 6 StR 110/23. Auch in der Entscheidung hat der BGH die Urteilsgründe zum Wiedererkennen als nicht ausreichend beanstandet – siehe oben 🙂 .

StGB II: Feststellungen bei der Trunkenheitsfahrt, oder: Keine Mindest-BAK, Ausfallerscheinungen reichen

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um das BayObLG, Urt. v. 13.02.2023 – 203 StRR 455/22 -, das sich noch einmal zu den erforderlichen Feststellungen bei dem Vorwurf einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) äußert. Das LG hatte den Angeklagten frei gesprochen. Das hat der GStA nicht gefallen, die Revision eingelegt hat. Dem BayObLG gefällt das LG-Urteil auch nicht. Es hat den Freispruch aufgehoben:

„… 2. Ob infolge Alkoholgenusses die Grenze zwischen Fahrtüchtigkeit und Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, stellt das Gericht in freier Beweiswürdigung fest. Ist es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnisse über das Trinkgeschehen oder „beweissicherer“ Atemtests nicht möglich, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit gleichwohl nicht aus (König in LK StGB, 13. Aufl., § 316 Rn. 91, 96 f.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 316 Rn. 30 ff.; Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 316 Rn. 12; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StGB § 316 Rn. 19-20). Vielmehr besteht in der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Literatur weitgehend Übereinstimmung darüber, dass korrelierend zu einer rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden kann (vgl. etwa OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. August 1997 – 2 Ss 428/96 –, juris Rn. 11; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 4 Ss 581/2003 –, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 4. Februar 1999 – Ss 116/98 (11/99) –, juris, Rn. 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 1991 – 5 Ss 380/91 – 123/91 I –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 6. Juni 1984 – 1 Ws 405/84 –, juris, OLG Koblenz, Urteil vom 28. September 1989 – 1 Ss 310/89 –, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 15. Februar 1999 – 1 Ss 228/98 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 1 Ss 454/04 –, juris; König a.a.O.). Allerdings bedarf es aussagekräftiger Beweisanzeichen von hinreichender Überzeugungskraft, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers alkoholbedingt soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15-, juris, sowie die oben genannte obergerichtliche Rspr.). Unerlässlich für die richterliche Überzeugungsbildung ist die Feststellung einer – wenn auch nur geringen – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss (BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 8 BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 –, juris).

3. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es jedoch nicht (OLG Hamm, Beschluss vom 23. September 2003 – 1 Ss 319/03 –, juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 1 Ss 454/04 –, juris Rn. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 1991 – 5 Ss 380/91 – 123/91 I –, juris Rn. 6 m.w.N.; wohl auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 4. Februar 1999 – Ss 116/98 (11/99) –, juris, Rn. 6; OLG Köln NZV 1989, 357, 358; König a.a.O. Rn. 93 ff.; Hecker a.a.O. Rn. 12; Fischer a.a.O. Rn. 31). Der Tatrichter hat vielmehr eine umfassende Würdigung aller Beweisanzeichen vorzunehmen.

a) Eine maßgebliche Rolle kommt der festgestellten Fahrweise zu (König a.a.O. Rn. 98 ff.; Hecker a.a.O. Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9). Beachtlich ist ein Fahrfehler dann, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, der Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische Beeinträchtigung nicht unterlaufen (BayObLG, NZV 1988, 110; OLG Köln, Beschluss vom 20. Dezember 1994 – Ss 559/94-, juris). Die theoretisch stets denkbare Möglichkeit, dass einem anderen Kraftfahrer ein Fahrversagen auch dann unterlaufen wäre, wenn er keinen oder nur unerhebliche Mengen Alkohol genossen hätte, schließt die Alkoholbedingtheit des Fehlers indes nicht aus (BGH, Urteil vom 11. September 1975 – 4 StR 409/75 –, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9; König a.a.O. Rn. 99, 102 ff.). Ein Beispiel für eine Fehlleistung mit hoher Aussagekraft in Richtung auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist etwa das Geradeausfahren in einer Kurve (König a.a.O. Rn. 102; Haffner/Erath/Kardatzki NZV 1995, 301, 303; OLG Dresden, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 U 2144/21 –, juris Rn. 35 m.w.N.).

b) Befand sich der Täter – wie hier – auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden. Dabei ist der Tatrichter jedoch nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine alkohol- oder rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000 – 4 StR 171/00-, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 03. Dezember 1996 – 5 Ss 325/96 – 92/96-, juris).

c) Die Ausfallerscheinung muss zudem nicht notwendig beim Fahren aufgetreten sein (König a.a.O. Rn. 114 m.w.N.; Hecker a.a.O. Rn. 12). Die Feststellung von Fahruntüchtigkeit setzt nicht stets das Vorliegen eines Fahrfehlers voraus; die Beeinträchtigung des psycho-physischen Leistungsvermögens kann sich vielmehr auch im Verhalten vor oder nach der Tat, insbesondere bei der Kontrolle, dokumentiert haben (BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 –, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9). Anerkannte Anzeichen für fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens außerhalb von Fahrfehlern sind etwa Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung wie beispielsweise Stolpern oder Schwanken beim Gehen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 15. September 2011 – (3) 1 Ss 192/11 (73/11) –, juris Rn. 3; König a.a.O. Rn. 115; Hecker a.a.O. Rn. 12; BayObLG, Urteil vom 14. Februar 2005 – 1 StRR 188/04BayObLGSt 2004, 170, 171). Ein gewichtiges Beweisanzeichen kann auch eine lallende oder verwaschene Sprechweise sein (König a.a.O. Rn. 115; Hecker a.a.O. Rn. 12; BayObLG a.a.O.), wobei aber insoweit präzise Feststellungen notwendig sind (BayObLG, Beschluss vom 9. Mai 1988 – RReg 1 St 17/88 –, juris Rn. 15).

d) Bestehen Anhaltspunkte für eine Ausfallerscheinung, kann auch dem Ergebnis einer nicht „beweissicheren“ Atemalkoholanalyse bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte alkoholbedingt relativ fahruntüchtig war, eine Indizwirkung zukommen (OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. August 1997 – 2 Ss 428/96 –, juris Rn. 13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 4 Ss 581/2003 –, juris Rn. 7; Burmann a.a.O. Rn. 19a). Anerkanntermaßen liefert nämlich die Atemalkoholkonzentration einen Hinweis auf die alkoholische Beeinflussung des Probanden (BayObLG NZV 2000, 295, 296), auch wenn jedem Atemalkoholkonzentrationswert eine gewisse „Bandbreite“ von Blutalkoholkonzentrationswerten entsprechen kann (BGHSt 46, 358; BayObLG a.a.O.).

e) Die Beweiswürdigung, ob eine Fahruntüchtigkeit vorlag, ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16-, juris m.w.N.). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Dies gilt auch dann, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14-, juris). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.

aa) Dazu muss die Begründung so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat der Tatrichter in der Regel nach dem Tatvorwurf zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen feststellen, die er für erwiesen erachtet, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 – 4 StR 568/19-, juris m.w.N.).

bb) Ein Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegt etwa vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14-, juris). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen ( st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 –, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08-, juris m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit, sondern es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 –, juris; Urteil vom 29. Oktober 2003 – 5 StR 358/03-, juris Rn. 9 m.w.N.; vom 14. September 2017 – 4 StR 45/17-, juris Rn. 14). Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16-, juris Rn. 26 m.w.N.).

4. Die Ausführungen des Landgerichts werden bereits den Anforderungen nicht gerecht, die die höchstrichterliche Rechtsprechung nach § 267 Abs. 5 S. 1 StPO an ein freisprechendes Urteil stellt. Es fehlt an einer geschlossenen Darstellung des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts. Ein Ausnahmefall, dass Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze nicht möglich sind, liegt hier ersichtlich nicht vor.

5. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist gemessen an den oben dargestellten Vorgaben mehrere durchgreifende Rechtsfehler auf.

a) Als unzutreffend erweist sich bereits nach dem oben Dargestellten die Annahme des Landgerichts, die Verurteilung des Angeklagten setze den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ voraus. Denn wenn der Tatrichter keine bestimmte Blutalkoholkonzentration festzustellen vermag, wäre eine Überzeugungsbildung, es habe eine solche von mindestens 0,3 ‰ und nicht lediglich eine solche von 0,299 ‰ vorgelegen, nicht begründbar (so zutreffend König a.a.O. Rn. 93a).

b) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf………“

Den Rest der – wie immer beim BayObLG – sehr umfangreichen Gründe bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.