Archiv der Kategorie: Beweiswürdigung

OWi I: Wenn beim Rotlichtverstoß Angaben des Polizeibeamten nicht reichen, oder: Augenblicksversagen

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Heute und morgen dann noch „normale Berichterstattung“, bevor dann Weihnachtsruhe eintritt. Ein sicherlich anderes Weihnachten als in den vergangenen Jahren, aber: Ruhe dann eben doch.

Ich stelle dann heute hier noch einmal OWi-Entscheidungen vor, und zwar zunächst den BayObLG, Beschl. v. 04.08.2020 – 201 ObOWi 927/20, der sich mit einem Rotlichtverstoß befasst. Das BayObLG hat die Verurteilung des Betroffenen, bei dem das AG von einem Fahrverbot abgesehen hatte, auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin, aufgehoben. Begründung:

Zunächst: Die Urteilsgründe waren anch Auffassung des BayObLG lückenhaft:

„2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht hinreichend gerecht. Der Beweis-würdigung fehlt hinsichtlich der festgestellten Rotlichtdauer von „über“ 1 Sekunde eine tragfä-hige Grundlage. Das Amtsgericht trifft im Rahmen der Beweiswürdigung u.a. folgende Fest-stellungen:

„Auf Grund der Aussage von POMin L., die der Betroffenen folgte und sie unmittelbar danach anhielt – steht zum ein fest, dass der Pkw zum Tatzeitpunkt von der Betroffenen geführt wurde und zum anderen, dass die von ihr überfahrene Rotphase länger als 1 Sekunde andauerte. Insoweit gab die Zeugin glaubwürdig an, sicher zu sein, dass die von der Betroffenen passierte Ampel schon deutlich länger als 1 Sekunde rot zeigt. Die Betroffene, die den Rotlichtverstoß nicht in Abrede stellen wollte […]“

Das Amtsgericht hat sich zur Feststellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes somit allein auf die Bekundungen der Polizeibeamtin und die Angabe der Betroffenen, sie wolle den Verstoß nicht in Abrede stellen, gestützt. Zwar können für den Beweis eines – auch eines qualifizierten – Rotlichtverstoßes grundsätzlich auch Schätzungen von Zeugen, insbesondere von Polizei-beamten, herangezogen werden. Hier ist aber nicht erkennbar, ob die Aussage der Beamtin das Ergebnis richtig ermittelter objektiver Anknüpfungstatsachen und deren richtiger Verknüp-fung aufgrund verkehrsanalytischer Erfahrungssätze ist, oder ob es sich lediglich um eine freie Schätzung handelt. Zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich sind freie Schät-zungen aufgrund gefühlsmäßiger Erfassung generell ungeeignet, da erfahrungsgemäß hierbei ein erhebliches Fehlerrisiko besteht (BayObLGSt 2002, 100, 101). Tatsächliche Anhaltspunkte, die die Richtigkeit der Schätzung überprüfen ließen, etwa die Geschwindigkeit der Betroffenen und ihr Abstand von der Haltelinie beim Umschalten auf Rotlicht, werden im Urteil nicht mitge-teilt. Es wird auch nicht mitgeteilt, ob es sich um eine gezielte Rotlichtüberwachung, bei der die Wahrnehmung der hierbei tätigen Polizeibeamten entsprechend geschärft ist (vgl. OLG Hamm NZV 2010, 44f.), oder aber lediglich um eine zufällige Rotlichtüberwachung, bei der die wahr-nehmenden Polizeibeamten in der Regel weniger aufmerksam sind, gehandelt hat. Feststel-lungen, mit welcher Methode die Zeugin den Rotlichtverstoß gemessen hat, fehlen im Urteil.

Die Feststellung, die Betroffene habe den Rotlichtverstoß nicht in Abrede stellen wollen, belegt den qualifizierten Rotlichtverstoß ebenfalls nicht tragfähig, denn daraus ergibt sich zum einen nicht, dass die Dauer des Rotlichts eingeräumt wurde, und zum anderen führt das Amtsgericht auch nichts dazu aus, ob die Betroffene überhaupt Angaben zur konkreten Dauer machen konnte.“

Und:

„2. Die Feststellungen im angefochtenen Urteil sind auch hinsichtlich des Rechtsfolgenaus-spruchs lückenhaft. Die Feststellungen des Amtsgerichts hinsichtlich eines sog. Augenblicks-versagens zeigen durchgreifende Rechtsfehler auf.

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 07.07.2020 wie folgt aus: „Das angegriffene Urteil enthält keine konkreten Feststellungen zur genauen Dauer der Rotlichtphase beim Überfahren der Haltelinie bzw. Einfahrt in den Kreuzungsbereich durch die Betroffene, dem Fahrverhalten der Betroffenen bei Annäherung und Erreichen der Lichtzei-chenanlage, der Beobachtungsposition der den Rotlichtverstoß feststellenden Polizeibeamten, der Methode zur Feststellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes und sonstigen Umständen zur Tatsituation, beispielsweise Verkehrsdichte, vorausfahrenden sowie nachfolgenden Fahr-zeugen oder Haltemöglichkeiten für den Fall einer Fahrzeugpanne, die Rückschlüsse darauf ermöglichen, ob das von der Betroffenen geltend gemachte Ereignis des plötzlichen Aufleuch-tens einer Warnleuchte geeignet war, […] ein Augenblicksversagen anzunehmen, das ein Ab-sehen vom Regelfall des Fahrverbots zu begründen vermag. Das Ereignis des plötzlichen Auf-leuchtens von Warnleuchten müsste einem unübersichtlichen, besonders schwierigen, überra-schenden oder verwirrenden Verkehrsgeschehen gleichstehen. Dies erfordert zumindest Fest-stellungen dazu, welche konkreten Warnleuchten aufleuchteten, ob und ggf. welche sonstigen Auffälligkeiten am Fahrzeug der Betroffenen plötzlich auftraten, in welcher zeitlichen Phase der Annäherung an die Ampelanlage dies erfolgte und wie sich das sonstige Verkehrsgeschehen darstellte. Zudem erscheinen die Urteilsgründe insofern widersprüchlich, als das Tatgericht einerseits zwar von einer Verunsicherung der Betroffenen ausgeht, andererseits aber zugleich annimmt, dass bei einer blinkenden Kontrollleuchte nicht sofort ein schwerwiegender Defekt zu erwarten sei, sondern die Weiterfahrt problemlos möglich sei. Dadurch ist aber die angenom-mene Verunsicherung der Betroffenen nicht nachvollziehbar begründet, zumal Fehlfunktionen des Fahrzeugs nicht festgestellt sind. Bei vorliegenden Defekten erscheint demgegenüber ein Anhalten aus Sorge um Schäden am Fahrzeug die naheliegende Reaktion im Gegensatz zu einer Weiterfahrt. Damit setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Tatge-richt keine eigenen, die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigenden Feststellungen getrof-fen, sondern im Wesentlichen die Ausführungen der Betroffenen übernommen hat.“

Beweiswürdigung I: Tatmotivation, oder: Erfolgreiche materielle Rüge

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Nach dem gestrigen „OWi-Marathon“ heute dann ein etwas ruhigerer Tag mit drei Entscheidungen zu Beweiswürdigungsfragen.

Ich eröffne dann mit dem schon etwas älteren BGH, Urt. v. 20.11.2019 – 2 StR 175/19, in dem der BGH die Beweiswürdigung in einer „Totschlagssache“ beanstandet:

„2. Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt zur Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.

Das Nichtvorliegen niedriger Beweggründe hat die Schwurgerichtskammer damit begründet, es bleibe „maßgeblich für den (nicht ausschließbar) spontanen Tatentschluss, die S. G. zu töten, ein Motivbündel aus Angst, Eifersucht, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und [innerer] Zerrissenheit, sich zwischen seiner Familie und seiner großen Liebe zu entscheiden zu müssen“ (UA S. 40).

Welches dieser Motive handlungsleitend gewesen sei, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, juris Rn. 9 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, juris Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. August 2019 – 1 StR 218/19; Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 27. April 2017 – 4 StR 434/16, juris Rn. 8).

b) Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung zur Tatmotivation des Angeklagten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Der Angeklagte hat in seinem in der Hauptverhandlung am 22. August 2018 abgelegten, vom Landgericht als glaubhaft bewerteten Geständnis gerade nicht vorgebracht, die Getötete aus Angst, Eifersucht, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und innerer Zerrissenheit erwürgt zu haben. Er hat vielmehr geschildert, die Auseinandersetzung habe damit begonnen, dass die – wegen von ihm vermuteter Sexualkontakte zu anderen Männern zur Rede gestellte – S. G. ihm eröffnet habe, sich von ihm eingeengt zu fühlen und zu erwägen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Deswegen sei er sehr wütend geworden und habe ihr vorgeworfen, dass er ihretwegen Frau und Kinder aufgegeben habe. Sie hingegen habe ihn angeschrien, was er denke, wer er sei. Es sei ihre Entscheidung, mit wem sie zusammen sei. Er sei ehrlos und seine Frau habe ihn bestimmt verlassen, weil er krankhaft eifersüchtig sei. Durch diese Äußerungen habe er sich sehr gekränkt gefühlt und ihr eine Backpfeife verpasst. Sie habe zurückgeschlagen. Es sei ein Hin und Her entstanden. Plötzlich habe er ihr mit seinen Händen den Hals zugedrückt.

bb) Diese Einlassung drängte zu der naheliegenden Schlussfolgerung, dass der Angeklagte die Getötete aus denselben Beweggründen erwürgte, aus denen heraus er ihr unmittelbar zuvor eine Backpfeife versetzt hatte, nämlich aus Wut und aus Kränkung aufgrund ihrer Äußerungen. Das Landgericht hat es versäumt, diese sich aufdrängende Motivlage in seine Erwägungen einzubeziehen. Die Beweiswürdigung bleibt infolge dieses Erörterungsmangels lückenhaft.

cc) Es ist nicht auszuschließen, dass die Schwurgerichtskammer bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der Angeklagte aus Wut und Kränkung den Entschluss fasste, S. G. zu er- würgen. Auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums ist es nicht auszuschließen, dass das Landgericht einen solchen Handlungsantrieb als niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet hätte, zumal der Angeklagte angesichts seines eigenen Verhaltens keinen nachvollziehbaren Anlass hatte, sich gekränkt zu fühlen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 . 5 StR 399/19).“

OWi II: „…. Verteidigerbüros … überfluten mit ausufernden Schriftsätzen, oder: Angefressen?

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Und als zweite Entscheidung dann das AG St. Ingbert, Urt. v. 10.11.2020 – 23 OWi 62 Js 1144/20 (2176/20). Gegenstand des Urteils: Verwertbarkeit einer Messung, Rohmessdaten usw.

Hier die Leitsätze – nicht von mir – sondern so stehen sie auf der Seite „Bürgerservice Saarland“.

1. In Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist eine stark zunehmende Tendenz von spezialisierten ortsansässigen wie auch überörtlichen (online-) Verteidigerbüros zu verzeichnen, Behörden und Gerichte zu „überfluten“ mit ausufernden Schriftsätzen und Anträgen (auf Beiziehung diverser Daten und Unterlagen, Akteneinsicht in solche Unterlagen, weitere Beweiserhebungen, Aussetzung der Hauptverhandlung etc.), Widersprüchen zur Verwertung von Beweismitteln (z.B. den Messfotos) sowie Vorlage von sog. Sachverständigengutachten, womit die Ordnungsgemäßheit von Messverfahren und Messungen in Frage gestellt werden soll, dies selbst bei geringfügigen Geldbußen.

2. Durch die Vorlage solcher Schriftsätze und Anträge – in zahlreichen Verfahren immer wieder uniform gleichlautend abgefasst, teils auch mit unzutreffenden oder irreführenden Zitaten aus der Rechtsprechung – sowohl gegenüber der Verwaltungsbehörde (oft verbunden mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG) wie auch gegenüber dem Gericht (vor und in der Hauptverhandlung) wird faktisch ein regulärer Geschäftsbetrieb erschwert, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Verfahren mit angemessenem Aufwand in angemessener Zeit angesichts kurzer Verjährungsfrist von absolut 2 Jahren – ab Tattag – erledigt werden müssen.

3. Diese „Strategie“ steht in diametralem Kontrast zu Sinn und Zweck des sog. standardisierten Messverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – gerade für den Bereich der massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten mit vergleichsweise geringfügigen Sanktionen – und würde dazu führen, müsste all diesen Anträgen ernsthaft nachgegangen werden, dass Verkehrsverstöße nicht mehr effektiv ermittelt und sanktioniert werden könnten, was eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit zur Folge hätte.

4. Die derart erwarteten Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit von Verfahren und den vermeintlich erforderlichen Grundrechteschutz von Betroffenen erscheinen angesichts weltweit wohl höchsten Standards der Messgeräte und Messverfahren überspannt entgegen der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zum Strafverfahren): Müsste das Gericht allen Anträgen des Angeklagten auf weitere Sachaufklärung nachgehen, gewänne der Angeklagte einen Einfluss auf Dauer und Umfang des Verfahrens, der über das zu seiner Verteidigung Gebotene hinausginge und dazu führen könnte, dass die rechtsstaatlich geforderte Beschleunigung des Strafverfahrens ernstlich gefährdet wäre (BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. August 2003 – 2 BvR 1071/03).

5. Hier könnte ein Einschreiten des Gesetzgebers für Klarheit sorgen, durch unmissverständliche Richtlinien festzuschreiben, welcher Daten und Dokumente es zur Ermittlung und Sanktionierung von Verkehrsverstößen bedarf, um einer uneinheitlichen Handhabung, wie sie in der Praxis vorkommt, entgegenzuwirken.

Da ist aber einer „angefressen“. Ich frage mich im Übrigen: Wie soll der Gesetzgeber das „festschreiben“. Das sind doch letztlich alles Einzelfälle. Im Übrigen: Wenn die Messungen so sicher sind/wären, erklärt sich mir nicht, warum Sachverständige immer wieder zu fehlerhaften Messungen kommen.

Nun ja, wir werden sehen, wie es weiter geht. Der Weg zum OLG dürfte auf der Hand liegen. das kann dan mal so richtig – Bamberg und das BayoBlG lassen grüßen -, was es vom VerfGH Saarland hält und der kann sich dann ggf. auch noch einmal äußern.

Urteilsgründe II: Ist „Beweiswürdigung“ denn so schwer?, oder: Thema verfehlt

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich zur der heutigen Tagesthematik vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 11.03.2020 – 2 StR 380/19. Schon etwas älter, aber ein schönes (?) Beispiel, wie der BGB eine Beweiswürdigung auseinander nehmen kann.

Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften, sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften. Dem BGH gefällt – wie egsagt – die Beweiswürdigung des LG nun gar nicht:

„a) Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen.

Dies gilt gleichermaßen für die Beweiswürdigung. Den gesetzlichen (§ 267 Abs. 1 Satz 2 StPO) Anforderungen an eine – aus sich heraus verständliche (vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 268/05, NStZ-RR 2007, 22 und vom 25. Oktober 1995 – 3 StR 391/95, NStZ-RR 1996, 109) – Beweiswürdigung genügt es, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben (vgl. bereits BGH, Urteil vom 23. November 1954 – 5 StR 392/54; Beschlüsse vom 21. Juli 2011 – 5 StR 32/11 BeckRS 2011, 22848; vom 25. Oktober 2011 – 5 StR 357/11, NStZ-RR 2012, 18). Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis daher nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720 und vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17, BeckRS 2018, 13607). Eine Dokumentation des Ermittlungsverfahrens und der Beweisaufnahme ist damit ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2017 – 3 StR 111/17, BeckRS 2017, 123281; vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 145/17, BeckRS 2017, 131902; 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, BeckRS 2018, 3956; vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17, BeckRS 2018, 13607). Neben einem klaren sprachlichen Ausdruck dient die Gliederung der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 18. April 1994 – 5 StR 160/94, NStZ 1994, 400). Dabei sollte durch das Gliederungssystem insbesondere erkennbar sein, auf welche Feststellungskomplexe sich die jeweiligen Ausführungen etwa zur Beweiswürdigung beziehen.

b) Diesen grundlegenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist revisionsgerichtlich nicht nachvollziehbar.

aa) Es fehlt bereits an einer verständlichen Darstellung des Einlassungsverhaltens des Angeklagten. Es ist unklar, wie sich dieser konkret zu den fünf Tatvorwürfen verhalten hat. Überdies wird – auch aus der Gesamtschau der Urteilsurkunde – nicht deutlich, in welchem Umfang die Strafkammer von einem glaubhaften „Teilgeständnis“ des Angeklagten ausgegangen ist.

….

bb) Da unklar bleibt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Strafkammer ein glaubhaftes Geständnis hinsichtlich der Taten zum Nachteil seiner Tochter W. angenommen hat, eröffnen die Urteilsgründe dem Revisionsgericht auch nicht die Prüfung, ob das Landgericht mit Recht seine Überzeugungsbildung nicht an den strengen Anforderungen der Beweiskonstellation „Aussage-gegen-Aussage“ gemessen hat (vgl. hierzu KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 100 ff.).

…..

cc) Die fehlende Verständlichkeit der Urteilsgründe erstreckt sich auch auf die übrige Beweiswürdigung. Diese differenziert nicht zwischen einzelnen Tatvorwürfen, sondern weist – ohne Absätze oder andere Gliederungen – auf etwa 25 eng bedruckten Seiten in ersichtlich chronologischer Weise aus, was Gegenstand der Hauptverhandlung war (UA S. 9 bis 34). Angaben zu Zeugenaussagen oder anderen Beweisergebnissen sowie gerichtliche (Zwischen-)Würdigungen finden sich zusammenhangslos eingestreut. Eine geschlossene und nachvollziehbare Darstellung etwa zu Zeugenaussagen fehlt, sodass revisionsgerichtlich auch nicht nachvollzogen werden kann, ob die Strafkammer zu recht der „Entstehungsgeschichte der Aussagen“ besondere Bedeutung bei ihrer Würdigung zugemessen hat (UA S. 10, 12, 16, 22).

……

dd) Die mehrfachen pauschalen Bewertungen der Strafkammer, dass die Feststellungen auf den „glaubhaften Angaben aller gehörter Zeugen“ beruhten (UA S. 9) und keine Anhaltspunkte dafür erkennbar gewesen seien, dass „der Angeklagte von irgendeiner Seite zu Unrecht belastet“ worden sei (UA S. 9, 30), ersetzen eine nachvollziehbare Darlegung der diesen Schluss tragenden Gründe nicht. …….“

In der Schule hätte man zusammenfassend geschrieben: Thema verfehlt.

SV-Gutachten II: Urteilsgründe, oder: DNA-Mischspur und Werkzeugspurengutachten

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, dem BGH, Beschl. . v. 29.07.2020 – 6 StR 211/20 -, nimmt der BGH zum Umfang der Urteilsgründe in den Fällen, in denen das Urteil auf ein Sachverständigengutachten gestützt ist, Stellung.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Einbruchdiebstahls in drei Fällen, versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen und Diebstahls in zwei Fällen verurteilt. In einigen der Urteilsfälle hat der BGH das landgerichtliche Urteil wegen nicht ausreichender Feststellungen bzw. Darlegungen in den Urteilsgründen aufgehoben:

„1. In den von der Aufhebung umfassten Fällen hat das Landgericht bei der auf die Ergebnisse von Sachverständigengutachten gestützten Feststellung der Täterschaft der durchweg schweigenden Angeklagten seiner Darlegungspflicht nicht genügt.

a) In den Fällen 1 bis 7 hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten V. , im Fall 12 von derjenigen des Angeklagten P. auf der Grundlage von DNA-Mischspuren gewonnen, die an den Einbruchsobjekten gesichert wurden. Das Urteil beschränkt sich dabei auf die Mitteilung der (hohen) biostatistischen Wahrscheinlichkeit einer Spurenlegung durch die jeweiligen Angeklagten.

Dies genügt nicht den Anforderungen, die an die Darstellung von DNA-Gutachten bei Mischspuren zu stellen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2019 – 5 StR 419/19, und vom 20. November 2019 – 4 StR 318/19, NJW 2020, 350, jeweils mwN). Insbesondere erörtert die Strafkammer nicht, wie viele DNA-Systeme untersucht wurden und in wie vielen davon Übereinstimmungen mit den DNA-Merkmalen der Angeklagten festgestellt wurden. Zwar kann im Urteil die DNA-Analyse der Hauptkomponente einer Mischspur nach den für die Einzelspur entwickelten Grundsätzen dargestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, Rn. 10 ff.), wenn die Peakhöhen von Hauptkomponente zu Nebenkomponente durchgängig bei allen heterozygoten DNA-Systemen im Verhältnis 4:1 stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 6 StR 183/20). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Der Senat kann daher nicht den Beweiswert überprüfen, den die Strafkammer den DNA-Spuren beigemessen hat.

Im Fall 12 der Urteilsgründe war auch der Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten V. aufzuheben, weil die Feststellung seiner Täterschaft insbesondere auf telefonische Kontakte zwischen den beiden Angeklagten im Tatzeitraum und mithin auf derjenigen der Täterschaft des Angeklagten P. beruht.

b) Im Fall 13 stützt das Landgericht die Feststellung der Täterschaft des Angeklagten P. auf Hebelspuren an Terrassentür und Esszimmerfenster des angegangenen Hauses, weil diese durch den Schraubendreher dieses Angeklagten verursacht worden seien. Nach den für überzeugend erachteten Ausführungen des kriminaltechnischen Sachverständigen stehe „aus formenkundlicher Sicht aufgrund übereinstimmender Spurenbreite und übereinstimmender Oberflächenmerkmale als individualisierende Gebrauchsmerkmale an der Schaufelspitze“ fest, dass die gesicherten Prägespuren mit dem sichergestellten Schlitzschraubendreher verursacht worden seien.

Ein Vergleichsgutachten betreffend Werkzeugspuren ist indes kein standardisiertes Verfahren, bei dem eine derart auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung der tatgerichtlichen Überzeugungsbildung ausreichen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 11; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 90b). Vielmehr gelten weitergehende Darlegungsanforderungen; es sind so viele Anknüpfungstatsachen und vom Sachverständigen gezogene Schlussfolgerungen wiederzugeben, dass das Revisionsgericht die Schlüssigkeit des Gutachtens überprüfen kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1992 – 1 StR 494/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4). Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt.“