Urteilsgründe II: Ist „Beweiswürdigung“ denn so schwer?, oder: Thema verfehlt

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich zur der heutigen Tagesthematik vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 11.03.2020 – 2 StR 380/19. Schon etwas älter, aber ein schönes (?) Beispiel, wie der BGB eine Beweiswürdigung auseinander nehmen kann.

Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften, sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften. Dem BGH gefällt – wie egsagt – die Beweiswürdigung des LG nun gar nicht:

„a) Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden, dass die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen.

Dies gilt gleichermaßen für die Beweiswürdigung. Den gesetzlichen (§ 267 Abs. 1 Satz 2 StPO) Anforderungen an eine – aus sich heraus verständliche (vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 268/05, NStZ-RR 2007, 22 und vom 25. Oktober 1995 – 3 StR 391/95, NStZ-RR 1996, 109) – Beweiswürdigung genügt es, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben (vgl. bereits BGH, Urteil vom 23. November 1954 – 5 StR 392/54; Beschlüsse vom 21. Juli 2011 – 5 StR 32/11 BeckRS 2011, 22848; vom 25. Oktober 2011 – 5 StR 357/11, NStZ-RR 2012, 18). Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis daher nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720 und vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17, BeckRS 2018, 13607). Eine Dokumentation des Ermittlungsverfahrens und der Beweisaufnahme ist damit ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2017 – 3 StR 111/17, BeckRS 2017, 123281; vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 145/17, BeckRS 2017, 131902; 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, BeckRS 2018, 3956; vom 30. Mai 2018 – 3 StR 486/17, BeckRS 2018, 13607). Neben einem klaren sprachlichen Ausdruck dient die Gliederung der notwendigen intersubjektiven Vermittelbarkeit der bestimmenden Beweisgründe (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 18. April 1994 – 5 StR 160/94, NStZ 1994, 400). Dabei sollte durch das Gliederungssystem insbesondere erkennbar sein, auf welche Feststellungskomplexe sich die jeweiligen Ausführungen etwa zur Beweiswürdigung beziehen.

b) Diesen grundlegenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist revisionsgerichtlich nicht nachvollziehbar.

aa) Es fehlt bereits an einer verständlichen Darstellung des Einlassungsverhaltens des Angeklagten. Es ist unklar, wie sich dieser konkret zu den fünf Tatvorwürfen verhalten hat. Überdies wird – auch aus der Gesamtschau der Urteilsurkunde – nicht deutlich, in welchem Umfang die Strafkammer von einem glaubhaften „Teilgeständnis“ des Angeklagten ausgegangen ist.

….

bb) Da unklar bleibt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Strafkammer ein glaubhaftes Geständnis hinsichtlich der Taten zum Nachteil seiner Tochter W. angenommen hat, eröffnen die Urteilsgründe dem Revisionsgericht auch nicht die Prüfung, ob das Landgericht mit Recht seine Überzeugungsbildung nicht an den strengen Anforderungen der Beweiskonstellation „Aussage-gegen-Aussage“ gemessen hat (vgl. hierzu KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 100 ff.).

…..

cc) Die fehlende Verständlichkeit der Urteilsgründe erstreckt sich auch auf die übrige Beweiswürdigung. Diese differenziert nicht zwischen einzelnen Tatvorwürfen, sondern weist – ohne Absätze oder andere Gliederungen – auf etwa 25 eng bedruckten Seiten in ersichtlich chronologischer Weise aus, was Gegenstand der Hauptverhandlung war (UA S. 9 bis 34). Angaben zu Zeugenaussagen oder anderen Beweisergebnissen sowie gerichtliche (Zwischen-)Würdigungen finden sich zusammenhangslos eingestreut. Eine geschlossene und nachvollziehbare Darstellung etwa zu Zeugenaussagen fehlt, sodass revisionsgerichtlich auch nicht nachvollzogen werden kann, ob die Strafkammer zu recht der „Entstehungsgeschichte der Aussagen“ besondere Bedeutung bei ihrer Würdigung zugemessen hat (UA S. 10, 12, 16, 22).

……

dd) Die mehrfachen pauschalen Bewertungen der Strafkammer, dass die Feststellungen auf den „glaubhaften Angaben aller gehörter Zeugen“ beruhten (UA S. 9) und keine Anhaltspunkte dafür erkennbar gewesen seien, dass „der Angeklagte von irgendeiner Seite zu Unrecht belastet“ worden sei (UA S. 9, 30), ersetzen eine nachvollziehbare Darlegung der diesen Schluss tragenden Gründe nicht. …….“

In der Schule hätte man zusammenfassend geschrieben: Thema verfehlt.

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