Archiv der Kategorie: Straßenverkehrsrecht

Änderungen der FeVO durch das CanG und KCanG, oder: Auswirkungen auf Entziehungsverfahren?

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Und dann heute am Samstag ein wenig Verwaltungsrecht.

Den Opener macht der OVG Lüneburg, Beschl. v. 2309.2024 – 12 PA 27/24 –,  der sich mit der Frage befasst, ob die Rechtsänderungen der Fahrerlaubnis-Verordnung durch das Cannabisgesetz bei vor dem 01.04.2024 verwaltungsbehördlich abgeschlossenem Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren Auswirkungen haben. Das OVG sagt: Nein:

„Die Änderungen der Fahrerlaubnis-Verordnung durch das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (BGBl. 2024 I Nr. 109) am 1. April 2024 sind für den vorliegenden Fall ebenso unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.6.2024 – BVerwG 3 B 11.23 -, juris, Rn. 5) wie die Änderungen des § 24a StVG – namentlich in Gestalt der Einfügung eines Abs. 1a – durch das am 22. August 2024 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl. I Nr. 266).

In Verfahren über Anfechtungsklagen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis ist der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt grundsätzlich derjenige des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.6.2024 – BVerwG 3 B 11.23 -, a. a. O.), hier also derjenige des Erlasses der Entziehungsverfügung vom 28. März 2022 durch deren Zustellung (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 10.8.2020 – 12 LB 64/20 -, DAR 2021, 164 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 31) am 30. März 2022. In Fällen, in denen die Fahrerlaubnisentziehung – wie hier – auf einer Verneinung der Fahreignung des Betroffenen nach Anwendung der Beweisregel (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2024 – 12 ME 19/24 -, DVBl. 2024, 1046 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 45, m. w. N.) des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV (i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV) beruht, gilt allerdings die Besonderheit, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der nicht befolgten behördlichen Begutachtungsanordnung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt deren Erlasses ankommt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2024 – 12 ME 19/24 -, a. a. O., juris, Rn. 33, m. w. N.), und d. h. im vorliegenden Falle auf den Zeitpunkt der Zustellung dieser Anordnung am 12. Februar 2022.

War eine Begutachtungsanordnung zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig, ist in Anwendung der Beweisregel des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung gegebenen gesamten Sachlage, insbesondere der damals für die Nichtvorlage des geforderten Gutachtens maßgeblichen Gründe, deshalb auf eine Nichteignung des Betroffenen geschlossen werden konnte, weil sich in der Nichtbeibringung des Gutachtens seine aktuelle Weigerung manifestierte, den notwendigen eigenen Teil zur Sachaufklärung beizutragen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 17.9.2019 – 12 ME 100/19 -, Blutalkohol 56, 416 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 18). Da es dabei im Kern um die Beurteilung einer Tatsachenfrage geht, nämlich derjenigen, ob ein nicht kooperatives Verhalten des Betroffenen vorgelegen hat, das als ein – kraft der Beweisregel als entscheidend definiertes – Indiz für das Vorliegen der von der Behörde befürchteten Eignungsmängel spricht, muss diese Beurteilung vor ihrem damaligen rechtlichen Hintergrund erfolgen. Es wäre dagegen unhistorisch – und deshalb ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung – rückwirkend die Maßstäbe auszutauschen, anhand derer sich entscheidet, ob ein Betroffener hinreichend kooperierte.

Anders als wohl im Bußgeldverfahren (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.8.2024 – 2 ORbs 95/24 [1537 Js 37043/23] -, juris, Rn. 6) ist daher nicht etwa der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG (wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, dass bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, das mildeste Gesetz anzuwenden ist) in der Weise heranzuziehen, dass darauf abzuheben wäre, ob auch nach dem zwischenzeitlich geänderten Recht ein hinreichender Anlass für die (nicht befolgte) Anordnung einer Begutachtung bestanden hätte. Denn ein betroffener Fahrerlaubnisinhaber musste und konnte in der Vergangenheit seine Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung selbstverständlich nur an der damaligen Rechtslage ausrichten. Seine mangelnde Bereitschaft zu einer ihm damals obliegenden Mitwirkung verliert ihre indizielle Bedeutung aber nicht, wenn nach aktuellem Recht eine entsprechende Mitwirkung nicht (mehr) eingefordert würde. Die Richtigkeit dieser Sichtweise wird durch die Überlegung bestätigt, dass unter den aufgrund mangelnder Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers behördlich nicht aufklärbaren Tatsachen (gerade) auch solche fahreignungsrelevanten Umstände sein können, die nach dem – ihm allerdings günstigeren – aktuellen Recht ebenfalls einen Fahreignungsmangel begründet hätten.

Da der Normgeber – anders als etwa im Strafrecht mit dem durch Art. 13 CanG eingefügten Art. 316p EGStGB – eine Übergangsregelung, aus der sich eine Rückwirkung der hier in Rede stehenden Rechtsänderungen ergäbe, nicht geschaffen hat, sind diese Änderungen für den vorliegenden Fall nicht relevant.

Auf der Grundlage der nach den vorstehenden Ausführungen jeweils maßgeblichen vormaligen Rechtslage ist dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass gegen den angefochtenen Bescheid aller Voraussicht nach nichts zu erinnern ist…..“

OWi II: Polizeiliche Sicherstellung des Führerscheins, oder: Anrechnung auf die Fahrverbotsdauer

Im zweiten Posting dann mal etwas aus dem vollstreckungsrechtlichen Bereich, und zwar den AG Landstuhl, Beschl. v. 05.09.2024 – 2 OWi 157/24. Es geht um die Anrechnung einer polizeirechtlichen Sicherstellung des Führerscheins auf ein Fahrverbot im Vollstreckungsverfahren.

Folgender Sachverhalt: Der Führerschein des Betroffenen war am Tattag, dem 25.05.2023, nach einer Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG durch Anordnung einer Polizeibeamtin auf der Grundlage von § 22 Nr. 1 POG RP präventiv zur „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr“ „kurzzeitig sichergestellt“ und sodann in amtlichen Gewahrsam verbracht worden. Der Führerschein wurde von dem Betroffenen erst nach dem 28.07.2023 wieder aus dem amtlichen Gewahrsam abgeholt, wo er sich seit der Sicherstellung am 25.05.2023 durchgängig befunden hatte. Der Betroffene hat gegenüber der Verwaltungsbehörde beantragt, die Dauer, in der sich sein Führerschein infolge der vorbezeichneten Sicherstellungsanordnung in amtlichem Gewahrsam befand, auf das rechtskräftig gegen ihn verhängte Fahrverbot anzurechnen. Die Verwaltungsbehörde hat die beantragte Anrechnung abgelehnt. Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG als unbegründet verworfen:

„2.1 Das Amtsgericht Landstuhl ist gem. § 103 Abs. 1 Nr. 3, § 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 68 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 OWiG, § 4 StrafZustV RP für die Entscheidung über die begehrte Anrechnung örtlich und sachlich zuständig, weil der Begehungsort der dem Vollstreckungsverfahren zu Grunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeit im Bezirk dieses Gerichts liegt (§ 7 OWiG) und es sich bei der Nichtanrechnungsentscheidung durch die Verwaltungsbehörde um eine nicht von § 103 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 OWiG umfasste, bei der Vollstreckung getroffene Maßnahme i.S.d. § 103 Abs. 1 Nr. 3 OWiG handelt (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2021, § 14 Rn. 1).

Dem statthaften und auch sonst zulässigen Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung bleibt der Erfolg indes versagt, weil sich die Nichtanrechnung der Dauer, in der sich der Führerschein infolge der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung in amtlichem Gewahrsam befand, durch die Verwaltungsbehörde jedenfalls im Ergebnis als zutreffend erweist.

2.2 Gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 StVG wird die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO auf das Fahrverbot angerechnet. Nach § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 StPO gleich. Hieran fehlt es vorliegend, weil dem Betroffenen die Fahrerlaubnis nicht gem. § 111a StPO vorläufig entzogen wurde. Sein Führerschein war auch nicht gem. § 94 StPO verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt. Rechtsgrundlage für die am 25.05.2023 erfolgte Sicherstellung war vielmehr ausweislich des Sicherstellungsprotokolls ausschließlich § 22 Nr. 1 POG RP.

Auf die Frage, ob eine Sicherstellung des Führerscheins nach polizeirechtlichen Vorschriften überhaupt rechtmäßig erfolgen kann, kommt es nicht entscheidungserheblich an (ebenso offengelassen durch BGH, NJW 1969, 1308 (1310 a.E.)), denn einer Anrechnung sind ohnehin nur solche Maßnahmen zugänglich, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen. Andere Maßnahmen, wie etwa eine Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins alleine aus beweisrechtlichen Gründen (§ 94 Abs. 1 StPO), sind nach zutreffender Auffassung nicht auf ein später verhängtes Fahrverbot anzurechnen (so jeweils für § 51 Abs. 5 Satz 2 StGB König, in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; Grohmann, DAR 1988, 45 ff.; a.A. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 51 Rn. 14). Für eine Differenzierung nach Maßnahmen, die im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen und anderen Maßnahmen spricht insbesondere der teleologische Zusammenhang von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG zu § 111a StPO und § 69 StGB. Nach § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO endet eine Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins in den dort bestimmten Fällen nur, wenn diese im Hinblick auf eine mögliche Einziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB erfolgt ist, die Maßnahme ihre Rechtsgrundlage also ausschließlich in § 94 Abs. 3 i.V.m. § 94 Abs. 1 oder 2 StPO gefunden hat (Hauschild, in: MüKo-StPO, 2. Aufl.2023, § 111a Rn. 40; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 73). Eine (auch) zu Beweiszwecken erfolgte Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 Abs. 1 oder 2 StPO) kann demnach nicht gem. § 111a Abs. 5 Satz 1 StPO beendet werden; ebenso kann die gem. § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderliche Bestätigung einer (auch) zu Beweiszwecken erfolgten Beschlagnahme nicht nach § 111a Abs. 4 StPO durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ersetzt werden. Ein nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbewehrtes Verbot des Führens von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr folgt indes lediglich aus solchen Maßnahmen nach § 94 StPO, die nach Lage der Dinge zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; ders., in: LK-StGB, 13. Aufl. 2020, § 44 Rn. 72; in diese Richtung auch BGH, NJW 1982, 182 (183); OVG Schleswig, DAR 1968, 135). Das Führen eines Kraftfahrzeugs während der Dauer einer auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung des Führerscheins ist nicht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbar, sondern lediglich nach § 75 Nr. 4 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 FeV ahndbar (OLG Köln, NJW 1968, 666; Hühnermann, in: Burmann u.a., StVR, 28. Aufl. 2024, § 21 Rn. 42; König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 21 StVG Rn. 22; Hauck, in: LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 111a Rn. 72; Trupp, NZV 2004, 389 (394)). Demnach kann auch eine Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage nicht von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG erfasst sein, weil diese nicht im Hinblick auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern alleine aus präventiven Gründen erfolgt.

2.3 Eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 Satz 3 StVG für den Fall einer Sicherstellung des Führerscheins auf polizeirechtlicher Grundlage scheidet aus, weil im Hinblick auf die Eingriffsintensität keine Vergleichbarkeit mit den von § 25 Abs. 6 Sätze 1 und 3 StVG erfassten Maßnahmen besteht. Denn wie bereits dargestellt, hätte sich der Betroffene nicht strafbar, sondern lediglich ahndbar gemacht, wenn er während der Dauer der auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten Sicherstellung seines Führerscheins ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Die lediglich zur Gefahrenabwehr erfolgte Sicherstellung des Führerscheins ist zudem im Vergleich zu Maßnahmen nach §§ 94, 111a StPO für den Betroffenen weit weniger belastend, weil sie nach Wegfall der Gefahrenlage aufgehoben wird und damit regelmäßig nur von kurzer Dauer ist. Nach dem Sachverhaltsvermerk von PKin … vom 31.07.2023 sowie ihrer Stellungnahme gegenüber der Verwaltungsbehörde vom 22.07.2024, an deren Richtigkeit zu zweifeln das Gericht jeweils keinen Anlass hat, war dies auch vorliegend der Fall.

Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Beschluss vom 16.07.2020 eine analoge Anwendung von § 25 Abs. 6 StVG für möglich gehalten hat (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 16.07.2020 ? 1 Ss-OWi 309/20, BeckRS 2020, 28167 (Rn. 8)), ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem hiesigen Sachverhalt nicht vergleichbar. Denn in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wurde dem Betroffenen anlässlich der dort verfahrensgegenständlichen Tat die Fahrerlaubnis von der Fahrerlaubnisbehörde während des laufenden Bußgeldverfahrens ohne ausreichende Grundlage sofort vollziehbar entzogen. Die Entziehungsentscheidung wurde erst knapp fünf Monate später vom Verwaltungsgericht aufgehoben und hätte wegen § 43 Abs. 2 VwVfG HE, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zur Folge gehabt, dass sich der Betroffene gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht hätte, wenn er bis zur Aufhebung durch das Verwaltungsgericht ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

2.4 Auf die Frage, ob der Betroffene subjektiv davon ausging, dass die Sicherstellung jedenfalls bis zum 28.07.2024 angedauert habe und ihm infolgedessen das Führen eines Kraftfahrzeugs verboten gewesen sei, kommt es nicht an. Ein Irrtum des Betroffenen über die Rechtswirkungen der erfolgten Sicherstellung hätte lediglich im Erkenntnisverfahren Berücksichtigung finden können; eine Berücksichtigung im Vollstreckungsverfahren kommt hingegen nicht mehr in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.01.2016 ? 1 OWi SsBs 3/16, BeckRS 2016, 12320 (Rn. 5f.); vgl. zur Berücksichtigungsfähigkeit im Erkenntnisverfahren auch OLG Koblenz, Blutalkohol 41 (2004), 533 (534)).“

OWi I: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Beschränkung noch nach rechtlichem Hinweis?

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Heute gibt es dann mal OWi-Entscheidungen. An der „Front“ ist es im Moment aber sehr ruhig, es gibt wenig Entscheidungen, über die man berichten kann.

Hier kommt dann als Opener der OLG Jena, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORbs 371 SsBs 96/24 – zur Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid. Mit Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, auf der Bundesautobahn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h überschritten zu haben. Gegen ihn wurde deshalb eine Geldbuße von 320 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde am 12.07.2023 zugestellt. Hiergegen richtete sich der am selben Tage zunächst vollumfänglich erhobene Einspruch des Betroffenen.

Mit Verfügung vom 02.11.2023 wies das AG den Betroffenen nach Eingang der Akten bei Gericht darauf hin, dass wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise unter Erhöhung der Geldbuße und unter Ausdehnung des Fahrverbots in Betracht komme. Auf die Terminsanberaumung vom 29.11.2023 hin beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.02.2024 „namens und in Vollmacht des Betroffenen“, diesen vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Zudem werde der gegen den Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt.

Mit Beschluss vom 26.02.2024 wies das AG den Betroffenen darauf hin, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach dortiger Auffassung unwirksam sein dürfte. Die Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) sei so untrennbar mit der Rechtsfolge, namentlich dem Fahrverbot, verbunden, dass sie nicht unabhängig voneinander betrachtet werden könnten. Eine Rechtsmittelbeschränkung sei regelmäßig unwirksam, wenn anstelle der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit tatsächlich eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht komme. Wolle der Betroffene dem entgehen, müsse er den Einspruch in Gänze zurücknehmen.

Der Verteidiger ist dem entgegengetreten. Das AG verurteilte den Betroffenen dann dennoch  wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h außerorts bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zu einer Geldbuße von 640 Euro. Daneben verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Das OLG hat das Urteil des AG im Schuldspruch aufgehoben und im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen wegen der im Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts eine Geldbuße von 320 Euro verhängt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet wird.

Das hat das OLG umfangreich begründet. Da die angeprochenen Fragen alle nicht neu sind, verweise ich wegen der Einzelheiten der Begründung auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze der OLG-Entscheidung ein, nämlich:

1. Die horizontale Beschränkung eines Einspruchs auf die Rechtsfolgen ist zulässig, soweit der Bußgeldbescheid die in § 66 OWiG niedergelegten Voraussetzungen erfüllt, die Erklärung des Betroffenen zweifelsfrei und unbedingt erfolgt, im Fall der Vertretung eine wirksame Ermächtigung zur Abgabe der Einspruchsbeschränkung vorlag und die Erklärung dem erkennenden Richter vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung vorliegt.

2. Ein etwaig erteilter richterlicher Hinweise betreffend die Schuldform (hier: mögliche Verurteilung wegen einer Vorsatz-Tat) steht dem nicht entgegen, selbst wenn der Bußgeldbescheid keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Schuldform enthält, die vorgesehene Rechtsfolge sich aber innerhalb des Regelrahmens der Bußgeldkatalogverordnung bewegte und die vorgeworfene Schuldform (hier: Fahrlässigkeit) hieraus abgeleitet werden kann.

Eins habe ich dann aber doch noch, nämlich << Werbemodus an>> den Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, die man hier bestellen bzw. vorbestellen kann. In beiden Werken sind die vom OLG angeprochenen Fragen behandelt. <<Werbemodus aus>>.

 

Gefährdungshaftung – beim Betrieb eines Kfz, oder: Fahrzeugkollision auf dem Sylt Shuttle

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Und dals zweite Entscheidung dann der OLG Schleswig, Beschl. v. 31.07.2024 – 7 U 48/24 – zur Frage der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG  bei einer Kollision der abgestellten Fahrzeuge auf dem Autozugtransport nach Sylt, also dem Sylt Shuttle.

Die Klägerin, eine GmbH verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung ihres Pkws während der Fahrt auf einem Autozug nach Sylt (Sylt-Shuttle).

Am 24.08.2022 wurde der Pkw der Klägerin (Mercedes-Benz) in Niebüll auf den Autozug nach Westerland (Sylt) verladen. Im Pkw befanden sich der Geschäftsführer der Klägerin sowie die Zeugin H.. Entsprechend einer Lautsprecherdurchsage der DB als Betreiberin der Zugverbindung war im klägerischen Fahrzeug die Handbremse angezogen und ein Gang eingelegt. Hinter diesem Pkw stand ein Mercedes Sprinter mit französischen Kennzeichen, geführt vom Fahrer T.. Dieser Sprinter wurde von DB-Mitarbeitern vor der Fahrt angegurtet. Während des ersten Abschnitts der Fahrt des Zuges nach Sylt kam es zweimal dazu, dass nach einem Anfahren und Abstoppen des Zuges der Sprinter von hinten gegen das klägerische Fahrzeug stieß, die Gurte waren gerissen. Am Klägerfahrzeug entstand ein Schaden in Höhe ca. 20.000,– EUR.

Die Klägerin hat behauptet, der französische Fahrer habe die Handbremse nicht angezogen und keinen Gang eingelegt gehabt. Die Gurte hätten nur der zusätzlichen Sicherung neben Handbremse und Gang gedient, unter diesen Umständen das Gewicht des Beklagtenfahrzeugs aber nicht halten können. Nach den zwei Anstößen habe der französische Fahrer die Bremse angezogen, deshalb sei es danach zu keinen weiteren Aufschlägen mehr gekommen.

Die Beklagte hat behauptet, dass selbst bei nicht angezogener Handbremse (was bestritten sei) die Gurte nicht hätten reißen dürfen, dies sei nur durch Verschleiß/Materialermüdung zu erklären. Außerdem sei für den Schaden allein die DB verantwortlich. Die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung für das Kraftfahrzeug greife nicht, weil dieses lediglich wie eine Ware auf dem Zug transportiert worden sei.

Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin H. Außerdem hat es den Geschäftsführer der Klägerin persönlich angehört und dann der Klage gem. §§ 7,17 StVG in vollem Umfang stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung der beklagten Versicherung, die keinen Erfolg hatte. Darauf hatte das LG hingewiesen und die Beklagte dann dann ihre Berufung zurückgenommen.

„Der Senat hat mit Verfügung vom 31.7.2024 auf Folgendes hingewiesen und der Beklagten geraten, die Rücknahme ihrer Berufung – aus Kostengründen- in Erwägung zu ziehen:

1. Bei der Neufassung des § 7 Abs. 1 StVG zum 01.08.2002 hat sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung des „Betriebsbegriffs“ – abweichend von der engen maschinentechnischen Auffassung des Reichsgerichts- von der verkehrstechnischen Auffassung leiten lassen. Der Zweck des Gesetzes, die Verkehrsteilnehmer vor den wachsenden Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs zu schützen, macht es erforderlich, den Begriff „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ weit zu fassen. Die Gefahren, die durch das Kraftfahrzeug in den Verkehr getragen werden, gehen nicht nur von dem Motor und seiner Einwirkung auf das Fahrzeug aus, sondern mit der Zunahme des Verkehrs mehr und mehr von der gesamten Abwicklung des Verkehrs und im besonderen Maße von Kraftfahrzeugen, die nach der diese Umstände nicht berücksichtigenden maschinenrechtlichen Auffassung eigentlich nicht „im Betrieb“ sind. Die Haftung aus Betriebsgefahr verwirklicht sich auch dann, wenn einzig die von außen wirkende Kraft des Windes den Schaden im ruhenden Verkehr bewirkt (vgl. BGH v. 11.02.2020 – VI ZR 286/19ZfSch 2020, 614 ff. „Der umgewehte Auflieger“) Denn § 7 Abs. 1 StVG beschränkt die Einstandspflicht nicht auf fahrzeugspezifische Gefahren in dem Sinne, dass der in Rede stehende Schaden allein durch ein Fahrzeug verursacht werden können müsste. Die Beeinflussung von Fahrzeugen (insbesondere mit höheren Aufbauten) durch Wind stellt grundsätzlich auch eine typische Gefahrenquelle des Straßenverkehrs dar, die bei wertender Betrachtung vom Schutzzweck der Gefährdungshaftung miterfasst wird (vgl. Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 7 StVG, Rn. 29). 2) Das Beweisangebot (Zeugnis des Fahrers T.) dürfte gem. §§ 529, 531 ZPO verspätet sein. Der Zeuge wurde – wie das Landgericht richtig erkannt hat – erstinstanzlich nur für die unstreitige Tatsache benannt, dass die Spanngurte im Verlauf der Fahrt rissen und es zu einem Kontakt zwischen dem Sprinter und dem klägerischen Mercedes kam. Erstmals im zweiten Rechtszug ist der Zeuge jedoch für die Behauptung benannt worden, dass er beim Bahntransport tatsächlich die Handbremse angezogen und einen Gang eingelegt hatte. Dies hat die Klägerin stets bestritten, im Übrigen spricht auch das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme dagegen.

Die Beklagte hat daraufhin Ihre Berufung mit Schriftsatz vom 8.8.2024 zurückgenommen. Die Entscheidung des Landgerichts zur Haftung der Beklagten aus §§ 7 I STVG, 115 VVG ist damit rechtskräftig geworden.“

 

Grundlage für Schätzung des merkantilen Minderwerts, oder: Abzug des Umsatzsteueranteils

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Heute im Kessel Buntes mal wieder zwei Entscheidungen zum Verkehrszivilrecht.

Zunächst hier ein Hinweis auf das BGH, Urt. v. 16.7.2024 – VI ZR 205/23 zum Schadensersatz nach einem Kfz-Unfall und da zur Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts und zum Abzug des Umsatzsteueranteils.

Die Klägerin nimmt den Beklagten als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem ihr Fahrzeug erheblich beschädigt wurde. Die volle Haftung des Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit.

Die Klägerin ist vorsteuerabzugsberechtigt. Eine Sachverständige ermittelte einen merkantilen Minderwert in Höhe von 500 EUR. Der Beklagte erstattete insoweit lediglich einen Betrag in Höhe von 420,17 EUR mit der Begründung, dass ein Abzug in Höhe des Umsatzsteueranteils vorzunehmen sei. Die Klägerin hat eingewandt, die Berechnung durch die Sachverständige sei bereits auf der Grundlage des Nettowertes getroffen worden. Mit der Klage hat sie die Differenz in Höhe von 79,83 EUR nebst Zinsen geltend gemacht.

Das AG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die Berufung der Klägerin hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Sie hatte in der Revision beim BGH Erfolg.

Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Die BGH-Entscheidung hat folgende Leitsätze:

    1. Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts ist ein hypothetischer Verkauf des Fahrzeugs. Dabei ist von Netto-, nicht von Bruttoverkaufspreisen auszugehen.
    2. Wurde davon abweichend der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abgezogen wird.