Archiv der Kategorie: Straßenverkehrsrecht

OWi I: Die Gestaltung des Bußgeldbescheides, oder: Konkreter Tatvorwurf nur in einer „Anlage“

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Und weil es gestern so schön war, heute dann gleich noch einmal OWi-Entscheidungen.

Zunächst kommt hier der KG, Beschl. v. 18.09.2023 – 3 ORbs 184/23 – 122 Ss 86/23 – zur Gestaltung des Bußgeldbescheides. Dazu das KG:

„Erläuternd bemerkt der Senat kursorisch:

Es entspricht gängiger Praxis der Polizei Berlin, bei Verkehrsordnungswidrigkeiten den konkreten Tatvorwurf in einem als Anlage bezeichneten Dokument zu bezeichnen. Der Senat beanstandet diese Praxis, zumal bei gänzlich einfach und leicht verständlich gelagerten Sachverhalten, nicht (vgl. etwa Beschluss vom 23. November 2015 – 3 Ws (B) 550/15 –). Er bewertet die Anlage, die zusammen mit dem Bußgeldbescheid erzeugt und durch ausdrückliche Inbezugnahme („siehe Anlage“) inkorporiert wird, als Bestandteil des Bußgeldbescheids (so i. E. auch OLG Düsseldorf NStZ 1992, 39 m.w.N.). Dies entspricht auch erkennbar der Gestaltungsabsicht der Verwaltungsbehörde, denn die Anlage enthält mit dem konkreten Tatvorwurf die Essenz des Bußgeldbescheids.

Die gängige Praxis der Polizei Berlin unterscheidet sich damit von dem Fall, dass dem Bußgeldbescheid bereits zuvor erzeugte Aktenbestandteile als Anlagen beigefügt werden (vgl. AG Dortmund StraFo 2019, 333). Ob auch bei dieser Vorgehensweise – entgegen der Rechtsprechung des Amtsgerichts Dortmund – von einem wirksamen Bußgeldbescheid ausgegangen werden könnte, muss der Senat nicht entscheiden.

In der Sache gilt, dass der Bußgeldbescheid in so verstandener Gänze sowohl seine Informations- als auch seine Umgrenzungsfunktion erfüllt.“

OWi III: Schulungsnachweis für Auswerter der Messung, oder: Nicht erforderlich

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Und als letzte Entscheidung heute dann KG, Beschl. v. 18.09.2023 – 3 ORbs 170/23 – 162 Ss 85/23 – zur Frage: Braucht der Auswerter einer Messung einen Schulungsnachweis?

Das KG sagt – allerdings „nicht tragend“: Das ist nicht erforderlich:

Erläuternd bemerkt der Senat:

„Die Generalstaatsanwaltschaft führt in ihrer dem Betroffenen bekannten Zuschrift zutreffend aus, dass die Verfahrensrügen unzulässig sind. Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde zum „Antrag, den aktuellen Schulungsnachweis der Auswertebeamtin beizuziehen“, verfehlen die nach §§ 71 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Anforderungen an die Darstellung des Verfahrensgeschehens.

Lediglich informatorisch ist zudem anzumerken, dass die Überlegung des Amtsgerichts, eines förmlichen Schulungsnachweises bedürfe es für die Auswertungsperson nicht, überzeugt. Nachvollziehbar argumentiert das Amtsgericht damit, der Auswerter bediene nicht das Messgerät und insbesondere schaffe oder verändere er keine Beweismittel (so auch OLG Celle, Beschluss vom 23. Januar 2019 – 3 Ss OWi 13/19 – [BeckRS 2019, 2551]; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 5. Aufl. § 5 Rn. 63 a.E.). Tatsächlich dürfte die Frage, ob die mit der Auswertung der Messdaten betraute Person ihre Aufgabe kompetent und zuverlässig erfüllt hat, der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegen und – im Grundsatz – auch ohne Formalnachweis an der Richtigkeitsvermutung standardisierter Messverfahren teilhaben können. Dies gilt erst recht, wenn dem Tatgericht die Auswertetätigkeit bei dem betroffenen Messverfahren als besonders wenig komplex bekannt ist oder wenn es die Auswerteperson als erfahren und/oder zuverlässig kennt.“

OWi II: Fahreridentifizierung anhand eines Lichtbildes, oder: Noch einmal ein Ordnungsruf an das AG

Im zweiten Posting dann der OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.10.2023 – 2 ORBs 168/23 – mit einer Problematik, die früher ein Dauerbrenner war, heute allerdings in der Rechtsprechung keine große Rolle mehr spielt. Nämlich Fahreridentifizierung anhand eines Lichtbildes und Anforderungen an die Urteilsgründe.

Hier musste das OLG – trotz der Klärung dieser Frage in der Rechtsprechung – doch noch einmal eine AG „zur Ordnung rufen“. Das führt dann dazu, dass das OLG die Grundsätze der Rechtsprechung sehr schön zusammengefasst hat:

„Die Rechtsbeschwerde ist vom rechtsunterzeichnenden Einzelrichter zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung zugelassen worden, da die Urteilsgründe im Hinblick auf die Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gerecht werden.

Insoweit wird verwiesen auf die grundlegende Entscheidung BGHSt 41, 376 ff:

„Daraus folgt für die Anforderungen an die Urteilsgründe: Diese müssen so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

aa) Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Aufgrund der Bezugnahme, die deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein muß (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 267 Rdn. 8; vgl. auch BayObLG NZV 1995, 163, 164), wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 267 Rdn. 10) und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist (vgl. OLG Celle VM 1985, 53; OLG Stuttgart VRS 77, 365; OLG Karlsruhe DAR 1995, 337).

Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto – wie etwa ein (Front-) Radarfoto, das die einzelnen Gesichtszüge erkennen lässt – zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist. Es bedarf weder einer Auflistung der charakteristischen Merkmale, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betroffenen stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. Solche Ausführungen wären auch überflüssig und ohne Wert: Die Überprüfung, ob der Betroffene mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre ihm zudem unmöglich. Als Grundlage für die Überprüfung der generellen Ergiebigkeit des Fotos könnten Beschreibungen der Abbildung dem Rechtsmittelgericht keine besseren Erkenntnisse vermitteln, als sie ihm aufgrund der – durch die Bezugnahme ermöglichten – eigenen Anschauung zur Verfügung stehen.

Daraus, dass § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO eine Verweisung nur „wegen der Einzelheiten“ erlaubt, folgt nicht, dass der Tatrichter auch im Falle der Bezugnahme die abgebildete Person (nach Geschlecht, geschätztem Alter, Gesichtsform und weiteren, näher konkretisierten Körpermerkmalen) zu beschreiben habe. Mit der Beschränkung der Verweisungsbefugnis auf „die Einzelheiten“ will das Gesetz sicherstellen, dass die Schilderung des „Aussagegehalts“ der in Bezug genommenen Abbildung nicht ganz entfällt; die Urteilsgründe müssen aus sich selbst heraus verständlich bleiben (LR-Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 267 Rdn. 11). In den hier zu beurteilenden Fallgestaltungen – Foto aus einer Verkehrsüberwachung – reicht es dazu aber aus, wenn das Urteil mitteilt, dass es sich bei dem in Bezug genommenen Lichtbild um ein – nach Aufnahmeort und -zeit näher bezeichnetes – Radarfoto (Foto einer Rotlichtüberwachungsanlage usw.) handelt, das das Gesicht einer männlichen oder weiblichen Person zeigt. Weitere Angaben sind, um den Verständniszusammenhang zu wahren, nicht erforderlich (OLG Stuttgart VRS 77, 365). Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die vom vorlegenden Oberlandesgericht angeführte Entscheidung vom 4. September 1979 – 5 StR 445/79 (bei Pfeiffer NStZ 1981, 296) – betrifft nicht den Fall einer Bezugnahme auf Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Auch das Urteil vom 20. November 1990 – 1 StR 588/90 (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 1) – verhält sich nicht dazu, wie der Begriff „Einzelheiten“ im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist.

Ist das Foto – etwa aufgrund schlechterer Bildqualität (z.B. erhebliche Unschärfe) oder aufgrund seines Inhalts – zur Identifizierung eines Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind um so höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die – auf dem Foto erkennbaren – charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben.

bb) Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muß er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muß das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird. Die Zahl der zu beschreibenden Merkmale kann dabei um so kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrer Zusammensetzung geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher zu erkennen. Dagegen muß die Beschreibung um so mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind ebenfalls zu schildern.“

(BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95 –, BGHSt 41, 376-385, Rn. 21 – 26)

Das Amtsgericht hat betreffend die Identifizierung aber weder auf das Messfoto verwiesen, so dass es dem Senat nicht zugänglich ist, noch hat es das Foto in einer Art und Weise beschrieben, dass dem Senat allein anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht worden wäre, ob das Foto generell zur Identifizierung geeignet ist. Weder die Qualität des Messfotos, noch die Feststellung des Amtsgerichtes, auf dem Messfoto sei keine x-jährige Person zu erkennen, ist für den Senat damit überprüfbar. Der Hinweis auf das Messfoto auf Seite 4 Abs. 3 der Urteilsgründe ist im Zusammenhang mit den Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgt und angesichts der auch im Übrigen verwendeten Klammerzusätze „(Bl. …d.A.)“, die auch Urkunden betreffen, als Verweis ungeeignet.“

Die GStA hatte gemeint, es reiche ein Hinweis an das AG auf die ständige Rechtsprechung des OLG. Das sieht das OLG aber im Hinblick auf den BVerfG, Beschl. v. 27.10.2015 – 2 BvR 3071/14 – anders. Daher Zulassung der Rechtsbeschwerde und (Teil)Aufhebung.

OWi I: Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse, oder: Nur auf „Autobahnen“ i.e.S.

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Und dann auf in den Dienstag und an dem gibt es heute (endlich) mal wieder OWi-Enscheidungen. Ein paar haben sich angesammelt.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 26.09.2023 – 201 ObOWi 971/23. Das AG hatte den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 11 Abs. 2 StVO verurteilt, begangen worden sein sollte der Verstoß auf einer innerörtlichen Straße, die autobahnänhlich ausgebaut war.

Das geht nicht, sagt das BayObLG:

„1. Die Urteilsfeststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen §§ 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 11 StVO nicht, da auch bei Befahren einer autobahnähnlich ausgebauten Straße innerorts der Tatbestand nicht erfüllt ist.

a) Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist in erster Linie der Wortlaut (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1986 – 2 StR 33/86 = BGHSt 34, 211 = NJW 1987, 1280 = NStZ 1987, 323 = StV 1987, 151), wobei der Wortsinn einerseits die Grenze der Auslegung bestimmt, andererseits aber bei der Auslegung zwischen den möglichen Wortbedeutungen bis zur „äußersten sprachlichen Sinngrenze“ gewählt werden darf, jenseits dieser beginnt der Bereich der Analogie (vgl. KK-OWiG/Rogall 5. Aufl. § 3 Rn. 76, 53 m.w.N.). Eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird. Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG NJW 2012, 669, 671 m.w.N.). Dies gilt für die Auslegung von Verordnungen in gleicher Weise (vgl. BayObLG, Beschl. v. 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21, BeckRS 2022, 149 = NStZ 2022, 495 = DAR 2022, 156).

b) Die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse gilt dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 StVO nach nicht für den innerstädtischen Verkehr auf einer Bundesstraße (vgl. auch LG Hamburg, Urt. v. 18.02.2022 – 306 O 471/20 = BeckRS 2022, 3593). Der autobahnähnliche Ausbau ändert daran nichts.

§ 11 Abs. 2 StVO benennt lediglich Autobahnen sowie Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung. Eine Autobahn kann zwar auch innerstädtisch verlaufen, dies ist hier aber nicht festgestellt. Die Eigenschaft einer Straße als Autobahn wird nicht durch begriffliche Merkmale oder ihren Ausbau, sondern durch die rechtsgestaltende Wirkung des Verkehrszeichens Z 330.1 der Anlage 3 zur StVO begründet (Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. § 18 StVO Rn. 1 unter Verweis auf OLG Hamm VRS 48, 65 und OLG Karlsruhe VRS 60, 227). Hier handelte es sich nach den Feststellungen bei der von dem Betroffenen befahrenen Straße um eine Bundesstraße mit baulich getrennten, zweistreifigen Richtungsfahrbahnen im Bereich einer geschlossenen Ortschaft. Damit lag weder das Befahren einer Autobahn noch einer Außerortsstraße vor.

c) Für dieses Ergebnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 11 Abs. 2 StVO. Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 StVO dient dazu, bei Unfällen auf der Autobahn oder Außerortsstraßen den Sicherungs- und Rettungskräften einen schnellen und möglichst sicheren Zugang zu ermöglichen, um einerseits schneller bei Verletzungen tätig werden zu können und andererseits auch sicherzustellen, dass der Unfall und seine Auswirkungen auf den Verkehr schnell beseitigt werden können (Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. § 11 StVO Rn. 8). Der Seitenstreifen außerorts muss für Pannenfahrzeuge freigehalten werden und ist teilweise zu schmal für Einsatzfahrzeuge. Innerorts und auf einspurigen Straßen wird für die Rettungs- und Polizeifahrzeuge die Fahrt regelmäßig dadurch geschaffen, dass die Fahrzeuge an den rechten Rand fahren (Müther a.a.O. Rn. 19). Somit gebietet es auch der Zweck des § 11 Abs. 2 StVO nicht, die Bildung einer Rettungsgasse innerorts verpflichtend anzunehmen.

d) Soweit das Tatgericht darauf abgestellt hat, dass eine Rettungsgasse auch innerorts auf einer autobahnähnlich ausgebauten Kraftfahrstraße zu bilden sei, überschreitet eine derartige Auslegung des § 11 Abs. 2 StVO die Grenze des möglichen Wortsinns, so dass ein Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG geregelten Bestimmtheitsgrundsatz bzw. gegen das Analogieverbot (vgl. BeckOK-OWiG/Gerhold [39. Ed.-Stand: 01.07.2023] § 3 Rn. 30) durch die bußgeldrechtliche Ahndung vorliegt.“

Aber:

„2. Nachdem im Urteil festgestellt ist, dass der Betroffene ein aufgrund eines Verkehrsunfalls zum Einsatz gekommenes Polizeifahrzeug für mindestens fünf Minuten an der Weiterfahrt gehindert hat, kommt aber die Begehung einer Ordnungswidrigkeit des Betroffenen nach §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO in Betracht. Dazu, ob das Einsatzfahrzeug mit blauem Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn fuhr, und zum konkreten Verhalten des Betroffenen zum Zeitpunkt der Wahrnehmung des Einsatzfahrzeugs im Sinne eines ‚sofort freie Bahn-Schaffens‘ nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO, verhält sich das Urteil nicht. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, da in der neuen Verhandlung ergänzende Feststellungen zu dieser Frage zu treffen sein werden, ebenso dazu, ob der Betroffene noch die Möglichkeit gehabt hätte, sein Fahrzeug so zu stellen, dass eine sofortige freie Durchfahrt durch das Einsatzfahrzeug möglich gewesen wäre.“

Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Alkoholfahrt, oder: BAK 1,17 ‰ und fast ohne Ausfallerscheinungen

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Und die zweite Entscheidung kommt dann mit dem BayVGH, Beschl. v. 16.10.2023 – 11 CE 23.1306 – auch aus Bayern. Entschieden worden ist über die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach einer Alkoholfahrt mit einer BAK 1, 17 ‰ und nahezu keine Ausfallerscheinungen.

Folgender Sachverhalt:

„Die Antragsteller, dem das Landratsamt Regensburg am 7. August 2015 eine Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L erteilt hatte, begehrt nach deren Entziehung deren Neuerteilung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Am 18. Januar 2022 ging beim Landratsamt ein polizeiliches Schreiben ein, wonach gegen den Antragsteller wegen einer Trunkenheitsfahrt am 25. November 2021 ermittelt wurde. Bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle habe der Antragsteller auf Frage verneint, alkoholische Getränke konsumiert zu haben. Nach Feststellung von Alkoholgeruch habe ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest um 0:22 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l ergeben. Ein Drogenschnelltest sei negativ verlaufen. Eine freiwillige Blutentnahme um 0:50 Uhr habe eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 ‰ ergeben. Da die Polizeibeamten den Antragsteller ab Beginn der Verkehrskontrolle bis zur Blutentnahme beaufsichtigt hätten, sei ein Nachtrunk auszuschließen. Während der Nachfahrt bis zur Kontrollörtlichkeit hätten keine und während der polizeilichen Maßnahmen keine starken alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt werden können. Der Denkablauf, das Verhalten und die Aussprache des Antragstellers seien normal gewesen. Zudem habe er den Anweisungen und dem Gesprächsverlauf klar folgen können. Zusammenfassend habe er einen leicht alkoholisierten Eindruck auf die Beamten gemacht, der keinen Rückschluss auf die festgestellte Alkoholisierung erlaubt habe. Während der kompletten Sachbearbeitung habe er sich kooperativ und einsichtig verhalten. Der Gang (geradeaus) des Antragstellers war nach dem ärztlichen Bericht sicher; auch die Finger-Finger-Prüfung und die Finger-Nase-Prüfung habe er sicher absolviert. Die Sprache sei deutlich gewesen und seine Pupillen seien unauffällig gewesen. Eine Pupillen-Lichtreaktion habe nicht festgestellt werden können. Der Denkablauf des Antragstellers sei geordnet, sein Verhalten beherrscht sowie seine Stimmung unauffällig gewesen. Ein äußerlicher Anschein von Alkoholeinfluss sei leicht bemerkbar gewesen.

Das Amtsgericht Regensburg verurteilte den Antragsteller mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 4. Februar 2022, im Rechtsfolgenausspruch geändert durch Beschluss vom 2. März 2022, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis, zog den Führerschein ein und ordnete eine Sperrfrist von sieben Monaten an.

Am 23. Juni 2022 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.

Daraufhin forderte ihn das Landratsamt mit Schreiben vom 9. Dezember 2022 gestützt auf § 20, § 22 i.V.m § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a Alt. 2 FeV auf, ein Gutachten zu seiner Fahreignung trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch und zu seinem Trennungsvermögen beizubringen. Bei ihm sei von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung auszugehen, da er mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 ‰ noch in der Lage gewesen sei, die medizinischen Tests größtenteils sicher zu absolvieren und ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Die fahrlässige Trunkenheitsfahrt vom 25. November 2021 habe sein Trennungsvermögen in Zweifel gezogen. Es sei von Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zu FeV auszugehen. Ob er den vorliegenden Alkoholmissbrauch inzwischen beendet und die Fahreignung bereits wiedererlangt habe (vgl. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV), bedürfe der Überprüfung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung.

Der Antragsteller ließ durch seinen Bevollmächtigten ein Attest seines Hausarztes vom 19. Dezember 2022 übersenden, wonach er sich seit dem 28. Oktober 2020 regelmäßig, etwa vierteljährlich, bei diesem in Behandlung befindet und der Arzt in Zusammenschau des körperlichen Gesamtbilds, insbesondere des neurologischen Status, und der laborchemischen Diagnostik, insbesondere in Anbetracht normwertiger Transaminasen und eines unauffälligen (auch nicht grenzwertigen) CDT-Werts, einen chronischen Alkoholkonsum für ausgeschlossen hält. Hinsichtlich des Führens eines Kraftfahrzeugs bestünden keine Einschränkungen. Beigefügt waren Laborbefunde vom 23. Dezember 2021 und vom 9. Juni, 4. August und 16. Dezember 2022.

Am 10. Mai 2023 ließ er beim Verwaltungsgericht Regensburg Untätigkeitsklage auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L erheben und zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragen.

Über die Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat es mit Beschluss vom 7. Juli 2023 mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe – ungeachtet der regelmäßigen Unzulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache – keinen vorläufig zu sichernden Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, da das Landratsamt zu Recht die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert habe, das der Antragsteller nicht vorgelegt habe. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV ordne die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn in der Vergangenheit die Fahrerlaubnis – auch durch strafgerichtliche Entscheidung – aus einem der unter den Buchst. a bis c genannten Gründe entzogen worden sei. Im Hinblick darauf habe das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 ‰ die Gutachtensaufforderung nach Buchst. d aus systematischen Gründen nicht ausschließlich auf die strafgerichtliche Entscheidung gestützt werden könne. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV setze das Vorliegen von Zusatztatsachen voraus, die unter Berücksichtigung der Wertungen in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c geeignet seien, die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen. Dies sei beim Antragsteller der Fall. Trotz seines verhältnismäßig hohen Blutalkoholgehalts seien bei ihm nach den polizeilichen Ermittlungsunterlagen während der Nachfahrt bis zur Kontrollörtlichkeit und während der polizeilichen Maßnahmen und nach dem ärztlichen Protokoll nahezu keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt worden. Der Denkablauf, das Verhalten und die Aussprache des Antragstellers seien als normal beschrieben worden. Korrespondierend sei im ärztlichen Protokoll vermerkt, dass der Gang (geradeaus), die Finger-Finger- und Finger-Nase-Prüfung sicher, die Sprache deutlich und die Pupillen unauffällig gewesen seien. Eine Pupillen-Lichtreaktion habe nicht festgestellt werden können. Der Denkablauf sei geordnet, sein Verhalten beherrscht und die Stimmung unauffällig gewesen, auch wenn der äußerliche Anschein eines Alkoholeinflusses leicht erkennbar gewesen sei. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sei in einem solchen Fall von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung und der damit verbundenen Gefahr einer erneuten Trunkenheitsfahrt auszugehen. Dies gelte auch bei Berücksichtigung des ärztlichen Attests vom 19. Dezember 2022. Allein die vergleichsweise pauschale Verneinung eines chronischen Alkoholkonsums könne die durch die Zusatztatsachen hervorgerufenen Eignungszweifel nicht in gleichem Umfang entkräften wie ein Gutachten.

Dagegen die Beschwerde des Antragstellers, die keinen Erfolg hatte. Denn:

Hat der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt eine BAK von unter 1,6 Promille, aber mindestens 1,1 Promille (hier: 1,17 Promille), ist von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung und einer damit verbundenen Gefahr für eine erneute Trunkenheitsfahrt auszugehen, wenn der Betroffene nahezu keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen gezeigt hat. Fehlende Ausfallerscheinungen sind dann als „zusätzliche Tatsache“ im Sinne von §?13 S.?1 Nr.?2 Lit. a 2. Alt. FeV zu deuten, die auf Alkoholmissbrauch hindeuten, sodass eine MPU anzufordern ist.