Archiv der Kategorie: Strafrechtsentschädigung

Verkehrsrecht II: StrEG wegen vorläufiger Entziehung, oder: Hat der Beschuldigte eine Fahrerlaubnis?

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Die zweite Entscheidung stammt vom LG Koblenz. Das hat im LG Koblenz, Beschl. v. 16.1.2020 – 2 Qs 73/20 – zur Entschädigung nach dem StrEG in den Fällen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis Stellung genommen. Das besondere in dem Fall: Der vormals Beschuldigte war gar nicht der richtige Beschuldigte des Verfahrens, sondern das war ein anderer, der sowohl einen sehr ähnlichen Nachnamen als auch den gleichen zweiten Vornamen wie der Beschwerdeführer trägt und zudem am selben Tag, wenn auch in einem anderen Geburtsjahr, wie dieser geboren wurde. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle war der bulgarische Führerschein dieses weiteren Beschuldigten aufgrund des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt, gemäß §§ 94, 98 StPO beschlagnahmt und sichergestellt worden. Im nachfolgenden Ermittlungsverfahren wurde sodann durch die Staatsanwaltschaft aufgrund der Namensverwechselung ein § 111a-Beschluss gegen den vormals Beschuldigten erlassen. Die Führerscheinstelle teilte dann aber mit, dass der der Beschwerdeführer, der „falsche Beschuldigte“ nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis sei. Er hat dann nach der Einstellung des Verfahrens gegen ihn eine Entschädigung für die erlittenen Strafvollstreckungsmaßnahmen beantragt. Damnit hatte er keinen Erfolg:

In der Sache bleibt der sofortigen Beschwerde. jedoch der Erfolg versagt.

„Die Entschädigungspflicht nach § 2 StrEG ist gemäß § 8 Abs. 1 StrEG im vorliegenden Verfahren zunächst lediglich dem Grunde nach festzustellen. Sie bindet nur hinsichtlich der Person des Berechtigten, hinsichtlich Art und Zeitraum (§ 8 Abs. 2 StrEG) der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahme und hinsichtlich etwaiger Versagungsgründe (§§ 5, 6 StrEG).

Diese Grundentscheidung steht damit unter dem stillschweigenden Vorbehalt, dass dem Angeklagten durch die vollzogene Strafverfolgungsmaßnahme möglicherweise ein Schaden entstanden ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird erst im Betragsverfahren nach §§ 10, 13 StrEG geprüft. Von einer Grundentscheidung über die Entschädigungspflicht des Staates für eine bestimmte Strafverfolgungsmaßnahme darf deshalb grundsätzlich nicht unter Hinweis auf mangelnde Kausalität abgesehen werden (vgl. OLG Bamberg, NStZ 1989, 185).

Die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 2 StrEG liegen jedoch schon dem Grunde nach nicht vor.

Im Gegensatz zu der in § 1 StrEG geregelten Entschädigung für Urteilsfolgen sieht das Gesetz in § 2 StrEG vor, dass eine Entschädigung für vorläufige Strafverfolgungsmaßnahmen von deren Vollzug abhängt. Sonstige, nicht aus dem Vollzug, sondern infolge der bloßen Anordnung einer Maßnahme entstandenen Schäden sind demnach schon dem Grunde nach nicht entschädigungsfähig (KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 4 Ws 118/08 – juris).

Ein solcher Vollzug der Maßnahme ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar ist die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich bereits mit der Zustellung der Entscheidung vollzogen, da sie bereits dann ihre volle Wirkung gegenüber dem Führerscheinberechtigten entfaltet. Der hier betroffene Fall weicht jedoch von dem Regelfall, in dem eine tatsächlich erteilte Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, ab. Zustellung des Beschlusses und tatsächlicher Vollzug der Maßnahme fallen vorliegend auseinander, da die bloße Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis gegenüber dem vormals Beschuldigten nicht die bezweckte Wirkung entfaltet, da er selbst gar keine Fahrerlaubnis besitzt. Die von § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG abgesicherte Rechtsposition ist für den Beschwerdeführer hier durch die Zustellung des Beschlusses deshalb gar nicht betroffen.

Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, dass ein Vollzug der Maßnahme deshalb gegeben sei, weil nach der Zustellung, unabhängig davon ob tatsächlich eine Fahrerlaubnis erteilt sei, der Entzug der Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt werde und ein entsprechender Eintrag in das Verkehrsregister erfolge, führt dies zu keiner anderen Bewertung.

Zunächst ist zu beachten, dass die von dem Beschwerdeführer begehrten Schäden, namentlich die Kosten eines Verteidigers zur Abwendung einer Strafverfolgungsmaßnahme, nicht unmittelbar aus den vom Beschwerdeführer bezeichneten Maßnahmen zum Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahme ‚herrühren. Der Schaden muss jedoch unmittelbar durch die betroffene Strafverfolgungsmaßnahme entstanden sein, um eine Erstattungsfähigkeit dem Grunde nach zu begründen (vgl. Kunz in Münchner Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2018, § 2 StrEG Rn. 15).

Darüber hinaus ist aber auch unter Berücksichtigung dieser über den tatsächlichen Entzug der Fahrerlaubnis hinausgehenden Folgen kein Vollzug der Maßnahme nach § 111a StPO feststellbar. Der Schutzzweck des § 111a StPO als vorbeugende Maßnahme umfasst allein die Absicherung der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB. Sie sichert dagegen z. B. nicht die isolierte Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Auflage 2020, § 111a Rn. 1). Die genannten Anordnungen und Eintragungen können daher auch nicht als Grundlage für den Vollzug der Maßnahme herangezogen werden, da sie im vorliegenden Fall nicht über, den Schutzzweck der Maßnahme des § 111a StPO hinaus gehen dürfen und deshalb im vorliegenden Fall des Fehlens einer Fahrerlaubnis keine weitergehende Wirkung entfalten konnten als die Anordnung selbst. Diese war für den vormals Beschuldigten jedoch mangels bestehender Fahrerlaubnis wirkungslos.

Zwar kann auch die – von § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG explizit nicht geregelte – bloße Anordnung einer Maßnahme nach § 111a StPO verschiedene negative Auswirkungen für den Betroffenen haben.

Eine allgemeine entsprechende Anwendung des StrEG auf weitere, vom Wortlaut nicht erfasste Maßnahmen und Sachverhalte ist jedoch grundsätzlich nicht zulässig, da die Rechtsordnung spezielle Regelungen zur entsprechenden Anwendung des StrEG enthält und im Wege des Umkehrschlusses eine analoge Anwendung ausscheidet (KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 4 Ws 118/08 – juris).

Im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei der Anwendung des § 2 StrEG muss die Entschädigungspflicht des Staates deshalb auf die Fälle beschränkt sein, in denen der durch § 2 StrEG ausdrücklich festgelegte Schutzbereich betroffen ist.“

Strafrechtsentschädigung, oder: Nach Teileinstellung gibt es (noch) keine Entschädigung

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt aus dem Bereich der Strafrechtsentschädigung. Das OLG Celle hat im OLG Celle, Beschl. v. 29.01.2020 – 4 Ws 3/20 – zur Strafrechtsentschädigung Stellung genommen.

Die OLG Entscheidung hat folgenden Sachverhalt:

„Der Beschuldigte begehrt Entschädigung für die am 23. Mai 2018 durchgeführte Durchsuchung seiner Wohnung und die Sicherstellung der dabei aufgefundenen Sachen.

Die Bundesanwaltschaft leitete Ende des Jahres 2017 gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB ein. Dem lagen Angaben des Beschuldigten zugrunde, die dieser im Rahmen seines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 13. Oktober 2017 in B. getätigt hatte. Danach habe sich der Beschuldigte – möglicherweise gezwungenermaßen – ab März bzw. April 2015 für gut eineinhalb Monate in einem Ausbildungslager der in S. operierenden militant-islamistischen Gruppierung Al-Shabab aufgehalten und sei dort militärisch – insbesondere in der Erlernung von Enthauptungstechniken –  unterwiesen worden.

Nach Abgabe des Verfahrens an die Generalstaatsanwaltschaft Celle erließ der Ermittlungsrichter beim Oberlandesgericht Celle am 6. April 2018 einen Durchsuchungsbeschluss betreffend die Person des Beschuldigten und seine Wohnung. Bei der am 23. April 2018 durchgeführten Durchsuchung wurden die im Tenor benannten Gegenstände sichergestellt.

Die Auswertung der sichergestellten Gegenstände haben keine Hinweise ergeben, die eine Mitgliedschaft oder Nähe des Beschuldigten zur terroristischen ausländischen Vereinigung der Al-Shabab belegten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat daher durch Verfügung vom 4. Dezember 2019 das Verfahren, soweit es eine Straftat nach §§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB oder wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145d StGB zum Gegenstand hatte, mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und die noch sichergestellten Gegenstände freigegeben.

Aufgrund abweichender Angaben des Beschuldigten im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am 23. Mai 2018 zu seinen zuvor im Rahmen des Asylverfahrens getätigten Ausführungen sowie Auswertungen von auf den Mobiltelefonen gespeicherten Chatverläufen hat die Generalstaatsanwaltschaft hingegen im selben Zuge einen Anfangsverdacht wegen einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bejaht und deshalb unter dem Aktenzeichen 41 Js 34/19 ein – noch nicht abgeschlossenes – Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Verfahren ist im weiteren Verlauf an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig abgegeben worden (dortiges Az. 651 Js 69295/29).

Der Bescheid über die Teileinstellung des Verfahrens ist dem Beschuldigten am 7. Januar 2020 zugestellt worden. Mit am 21. Januar 2020 beim Senat eingegangenen Schreiben begehrt der Beschuldigte, die Entschädigungspflicht für die im Tenor benannten Maßnahmen festzustellen.“

Das OLG meint dazu:

„Der Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für in diesem Verfahren erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen erweist sich bereits als (derzeit) nicht zulässig.

Ob und inwieweit eine Entschädigung für die dem Beschuldigen durch bisherigen Strafverfolgungsmaßnahmen erlittenen Schäden aufgrund der gesetzlich geregelten Ausschlussgründe nach den §§ 5, 6 StrEG zu versagen ist, ist daher in der Sache nicht zu entscheiden.

1. Die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über den Antrag ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 StrEG.

2. Zwar ist der Antrag fristgerecht binnen einen Monats nach Zustellung der Einstellungsmitteilung erhoben (§ 9 Abs. 1 S. 4 StrEG).

3. Gleichwohl war die Feststellung einer Entschädigungsverpflichtung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht veranlasst.

a) Im Falle einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft kommt eine Grundentscheidung über die Feststellung einer Entschädigung regelmäßig nur dann in Betracht, wenn es sich um eine endgültige Einstellung des Ermittlungsverfahrens und nicht lediglich um eine Teileinstellung handelt (vgl. MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 9 Rn. 6-7). Dies ist darin begründet, dass bei der Behandlung von Strafverfolgungsmaßnahmen der Grundsatz der Verfahrenseinheit gilt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 252, NStZ 1991, 141; OLG Koblenz NStZ-RR 1999, 52; MüKoStPO aaO). Denn Entschädigungsfragen lassen sich auch in einem auf verschiedene Tatvorwürfe gerichteten oder sogar in verschiedenen Teilabschnitten durchgeführten Straf- bzw. Ermittlungsverfahren regelmäßig erst nach Abschluss des gesamten Verfahrens einheitlich beurteilen. Eine isolierte Betrachtung von in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen scheidet für gewöhnlich aus, da am Ende des Verfahrens eine Gesamtabwägung zwischen den insgesamt verhängten Rechtsfolgen und sämtlichen Strafverfolgungsmaßnahmen vorzunehmen ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 252 m.w.N.).

Anders liegt der Fall nur dann, wenn beispielsweise bei verschiedenen prozessualen Taten nach § 264 StPO eine eindeutige Ausscheidbarkeit im Sinne einer klaren Zuordnung der Maßnahme zu dem Verfahrensteil, der die Teileinstellung betrifft, möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1991, 141; Kunz, StrEG 4. Aufl. § 4 Rn. 8). Dies setzt jedoch voraus, dass sich eine Strafverfolgungsmaßnahme völlig isoliert auf denjenigen Verfahrensteil bezogen hat, welcher mit der Teileinstellung beendet worden ist.

b) So liegt der Fall hier jedoch nicht. Zwar betrifft der Verdacht einer möglichen mitgliedschaftlichen Betätigung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland aufgrund von Handlungen des Beschuldigten im März bzw. April 2015 eine andere prozessuale Tat als etwaige unrichtige Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 13. Oktober 2017 in B. Gleichwohl lassen sich sowohl die erfolgte Durchsuchung als auch die dabei sichergestellten Gegenstände nicht ausschließlich dem Verdacht einer mitgliedschaftlichen Betätigung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zuordnen. Vielmehr dienten als Grundlage des Tatverdachts für eine Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG neben den Angaben des Beschuldigten auch die Erkenntnisse, die aufgrund der Auswertung der bei der Durchsuchung erlangten Aufzeichnungen sowie elektronischen Geräte erlangt worden sind. Die Durchsuchung diente damit der weiteren Sachverhaltsaufklärung sowohl in Bezug auf einen Anfangsverdacht für eine Mitgliedschaft in der Vereinigung Al-Shabab als auch bezüglich unrichtiger Angaben im Rahmen des Asylverfahrens. Eine Trennbarkeit von Ermittlungshandlungen, welche eine Abweichung vom Prinzip der Verfahrensidentität rechtfertigen würde, liegt daher gerade nicht vor. Die Beurteilung des Gesamtvorgangs der Durchsuchung und der dabei sichergestellten Gegenstände lässt sich vorliegend mithin erst nach Abschluss des weiter anhängigen Strafverfahrens wegen des Verdachts nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG treffen.c

c) Der Antragsteller ist deshalb gehalten, seinen Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu stellen, wenn auch das derzeit noch anhängige Verfahren wegen eines Verstoßes nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG abgeschlossen ist. Zuständig für die dann zu treffende Entscheidung ist dass für das Verfahren wegen der Tat nach § 45 AufenthG zuständige Gericht. (§ 9 Abs. 1 S. 1 StrEG; vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1999, 52).“

OWi II: Fahrverbot bei Drogen-/Trunkenheitsfahrt, oder: Fahrverbot in der Regel zu verhängen

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Die zweite OWi-Entscheidung ist eine Fahrverbotsentscheidung. Sie kommt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 18.12.2019 – 2 Ss (OWi) 338/19 – zu den Anforderungen an die Urteilsgründe im Fall der Verhängung eines Fahrverbotes Stellung genommen.

Verurteilt worden ist der Betroffene wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG. Insoweit hat das OLG keine Bedenken und verwirft die Rechtsbeschwerde. Aber hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hat es wegen eines Begründungsmangels aufgehoben:

„b) Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils kann hingegen keinen Bestand haben.

Nach ständiger Rechtsprechung der hiesigen Senate für Bußgeldsachen ist bei einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG grundsätzlich eine zweistufige Prüfung vorzunehmen, ob trotz des Vorliegens eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG abgesehen werden kann. Gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG kann die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen bei einem Verstoß gegen § 24 StVG für bis zu drei Monate verbieten, im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug zu führen. Folgerichtig kommt nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 BKatV die Anordnung eines Fahrverbots nach 25 Abs. 1 S. 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugs in der Regel in Betracht, wenn er einen der in der Regelung nachgehend aufgeführten Tatbestände verwirklicht hat. Demgegenüber statuiert § 25 Abs. 1 S. 2 StVG, dass in der Regel ein Fahrverbot anzuordnen ist, wenn gegen einen Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG eine Geldbuße verhängt wird. Die Regelung wird durch § 4 Abs. 3 BKatV ergänzt, wonach bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG ein Fahverbot nach § 25 Abs. 1 S. 2 StVG in der Regel anzuordnen ist.

Der Senat hatte sich angesichts des unterschiedlichen Wortlauts der Vorschriften mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Anforderungen bei einem Verstoß gegen § 24a StVG in Ansehung der anderslautenden Formulierung von § 25 Abs. 1 S. 2 StVG an eine solche Prüfung zu stellen sind.

aa) Einerseits soll es nach der Rechtsprechung des OLG Hamm, Beschluss vom 06. September 2001 – 2 Ss OWi 787/01 – auch bei Fahrten unter Einfluss von Alkohol oder Rauschmitteln in der Regel nicht zu beanstanden sein, wenn den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit bewusst war, gegen eine Erhöhung der Geldbuße vom Fahrverbot abzusehen. Andererseits wird vielfach statuiert, dass § 25 Abs. 1 S. 2 StVG die Verhängung des Fahrverbots in das Ermessen des Gerichts stelle, so dass dieses grundsätzlich erkennbar von seinem Ermessen Gebrauch machen müsse (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. März 1980 – 2 Ss OWi 196/80 -; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. Januar 2004 – 1 Ss 242/03 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Dezember 2016– 2 Owi 3 SsBs 86/16 -).

bb) Ein einen Ermessensgebrauch einschränkender Wille des Gesetzgebers folgt auch nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 7/133). Zwar war die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren der Ansicht, dass bei einem Kraftfahrer, der sich sämtlichen Aufklärungs- und Belehrungsversuchen unzugänglich gezeigt hat, der trotz ständiger Berichterstattung über alkoholbedingte Verkehrsunfälle mit seinem Leben und dem Leben seiner Mitbürger gespielt hat, indem er sich im berauschten Zustand an das Steuer seines Fahrzeuges gesetzt hat, die Zahlung einer Geldbuße allein nicht mehr ausreicht. Das Fahrverbot sollte demnach in jedem Fall angeordnet werden, wenn nicht ganz besondere Umstände vorlägen, die einen Verzicht auf die Anordnung rechtfertigen würden – es sollte dem Betroffenen gleichsam eine Mahnung sein. Diese Erwägungen zeigen, dass der Gesetzgeber selbst bei Rauschfahrten dem Tatrichter zwar ein eng umgrenztes, aber eben doch ein Ermessen hinsichtlich der Entscheidung über das Fahrverbot einräumen wollte.

cc) Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des Saarländischen Oberlandesgericht Saarbrücken an, wonach angesichts des erhöhten Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG sich die Angemessenheit der Anordnung eines Fahrverbots von selbst versteht. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich zum Ausdruck bringt, dass er sich der ihm durch § 2 Abs. IV BKatV eingeräumten Möglichkeit bewusst gewesen ist (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11. April 2002 – Ss (B) 13/02 m.w.N -). Erforderlich ist aber, dass sich anhand der Ausführungen des Tatrichters zumindest konludent nachvollziehen lässt, dass er die Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot in Ausnahmefällen erkannt und ausgeschlossen hat (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, a.a.O).

Diesen Mindestanforderungen an eine Ermessensausübung wird das vorliegende Urteil nicht gerecht. Aus diesem ergibt sich nur, dass das Amtsgericht gemäß Nr. 242 BKat, § 4 Abs. 3 BKatV die Regeldgeldbuße nebst dem Regelfahrverbot verhängt hat. Der Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen kann insoweit keinen Bestand haben.

Unbeschadet der obigen Ausführungen neigt der Senat jedoch der Auffassung zu, dass es in Fällen, in denen das Ermessen des Tatrichters hinsichtlich des Fahrverbots ersichtlich auf Null reduziert ist – etwa, weil der Grenzwert im Rahmen des § 24a StVG um ein Vielfaches überschritten wurde oder es sich um einen unbelehrbaren Wiederholungstäter handelt – ausnahmsweise als vertretbar erscheinen könnte, wenn die Prüfung des Vorliegens eines Ausnahmefalls in den Urteilsgründen nicht zum Ausdruck kommt. Eine solche offensichtliche Reduzierung des Ermessens auf Null kann vorliegend allerdings nicht angenommen werden. Der Tatrichter wird sich insoweit zumindest mit den Umständen der fehlenden Voreintragungen sowie des jugendlichen Alters des Betroffenen und des langen Zurückliegens der zu ahndenden Tat auseinanderzusetzen haben. Überdies wird er aufzuklären haben, ob der Betroffene in der Zwischenzeit verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist.“

OWI I: Poliscan Speed, Vorsatz, Absehen vom Fahrverbot, oder: Dann machen wir es eben selbst

Den heutigen OWi-Tag eröffne ich mit dem  OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.09.2019 – IV-4 RBs 96/19. Er hat die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand, bei der das AG von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat. Dagegen die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die zum Erfolg führt. Das OLG hat selbst wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt und ein Fahrverbot verhängt:

Hier zunächst die beiden ersten Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Bei einer Geschwindigkeitsmessung mittels des Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts Typ PoliScan Speed handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren.
  2. Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um fünfundsechzig Prozent kann regelmäßig von vorsätzlicher Tatbegehung ausgegangen werden.

Und zum Fahrverbot führt das OLG dann u.a. aus:

„c) Bei Zugrundelegung dieser Voraussetzungen ist ein Absehen vom Fahrverbot nicht gerechtfertigt.

Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls, in dem entgegen der Regel von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden könnte, liegen nicht vor. Weder weicht nach den vom Amtsgericht festgestellten objektiven Gegebenheiten die Gefährlichkeit des konkreten Verstoßes des Betroffenen von der typischen Gefahrensituation ab, die Anlass für die gesetzlich geregelte außerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung ist, noch ist das Maß seines Verschuldens besonders gering. Der Betroffene hat die zulässige Geschwindigkeit vorsätzlich überschritten. Auch sonst sind keine besonderen Ausnahmeumstände in seiner Person gegeben.

Existenzgefährdende Auswirkungen des Fahrverbotes für den Betroffenen sind nicht ersichtlich. Angesichts der verkehrstechnisch guten Lage seines Wohnortes bedarf es nicht einmal der Heranziehung eines Fahrers.

Von seinem Wohnsitz in der Stadt Meerbusch (Ortsteil Strümp) ist die benachbarte Landeshauptstadt Düsseldorf mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder unter Inanspruchnahme von Taxis oder Mietwagen in angemessener Zeit erreichbar.

Dort hat der Betroffene unmittelbaren Anschluss an ein Verkehrsnetz von nationaler und internationaler Bedeutung. Vom Flughafen Düsseldorf stehen ihm Direktverbindungen in mehrere große deutsche Städte und Wirtschaftsregionen zur Verfügung. Die Stadt Düsseldorf ist des Weiteren über ihren Hauptbahnhof und Zentralen Omnibusbahnhof an das Eisenbahn- und Fernbusliniennetz angeschlossen. Insbesondere die Anbindung an das ICE-Liniennetz der Deutschen Bahn ermöglichen es dem Betroffenen, alle Regionen Deutschlands in angemessener Zeit zu erreichen. Soweit der Betroffene abseits der so erreichbaren Wirtschaftsmetropolen und großen Städte Kunden zu betreuen hat, ist ihm zuzumuten, zur Weiterfahrt den dortigen öffentlichen Personennahverkehr in Anspruch zu nehmen oder sich der Benutzung eines Taxis oder Mietwagens zu bedienen. Nach Ansicht des Senats kann so in angemessener Zeit – auch im Vergleich zum Automobilverkehr – jeder Ort in Deutschland erreicht werden. Im Übrigen dürfte eine vorausschauende Planung der Reisen zu einer Optimierung der Geschäftstermine führen. Die Kosten für den Gebrauch der öffentlichen Verkehrsmittel werden durch den Wegfall der Kosten für den Einsatz des PKW kompensiert. Angesichts dessen vermag der Senat auszuschließen, dass der Betroffene durch ein zweimonatiges Fahrverbot in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht wäre oder nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigungen seiner Berufsausübung unterläge.“

Ermessen bei der Strafrechtsentschädigung, oder: Wenn die Beschuldigte „zugedröhnt“ war

entnommen wikidmeia.org
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Und die zweite Entscheidung des Tages kommt vom KG. Sie hat auch mit Gebühren und/oder Kosten zu tun, allerdings schon „etwas weiter weg“. Da KG hat nämlich im KG, Beschl. v. 13.02.2019– 3 Ws 35/19 – und älter ist der Beschluss auch noch – über eine Entschädigung nach dem StrEG entschieden. Auch dazu kann ich Entscheidungen aus den Instanzen gut gebrauchen.

Ergangen ist die Entscheidung nach einem Sicherungsverfahren wegen  versuchter gefährlicher Körperverletzung. Das LG hat mit Urteil vom 29.06.2018 den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Es war zwar davon überzeugt, dass die Beschwerdeführerin in der Nacht zum 12.03.2018  im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat der versuchten gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten dadurch begangen hat, dass sie mit einem Messer auf ihn einstach, jedoch versehentlich nur das Funkgerät traf. Die Strafkammer hat die Beschuldigte jedoch nicht mehr für gefährlich gehalten. Eine Entschädigung für die einstweilige Unterbringung – die Beschuldigte befand sich aufgrund Unterbringungsbefehls des AG Tiergarten vom 04.04.2018 bis zum 29.06.2018 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs – hat das LG im Urteil abgelehnt. Hiergegen wendet sich die ehemalige Beschuldigte mit der sofortigen Beschwerde. Die hatte beim KG keinen Erfolg:

Das Landgericht hat die Entschädigung zu Recht versagt.

1. Nach den bindenden (vgl. §§ 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, 464 Abs. 3 Satz 2 StPO) Feststellungen liegt bereits nahe, dass die ehemalige Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahmen grob fahrlässig verursacht hat, weshalb eine Entschädigung schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen wäre. Denn die Beschwerdeführerin hatte ausweislich der Urteilsfeststellungen gut 24 Stunden vor dem Tatgeschehen in einem Club, in dem sie bis zur Mittagszeit des Folgetags blieb, zunächst „etwas Amphetamin“ und sodann „ihre übliche Menge Ecstasy, Ketamin und Amphetamin“ eingenommen, um schließlich „etwas Alkohol“ zu trinken (UA S. 6). Am Nachmittag des Folgetags, dem Tattag, brach die Beschwerdeführerin, die ersichtlich nicht geschlafen hatte, zusammen. In der Folge nahm sie zunächst „noch mehr Amphetamin“ und schließlich „drei Pillen Ecstasy, zwei Einheiten Ketamin und ‚viel‘ Amphetamin“ ein (UA S. 6). Es liegt auf der Hand, dass der allein der Beschwerdeführerin anzulastende exzessive Drogenkonsum im Zusammenwirken mit der Schlaflosigkeit die psychotisch konnotierte rechtswidrige Tat zumindest erheblich begünstigt hat.

2. Ob der Rauschgiftkonsum und die Schlaflosigkeit Condicio sine qua non für die rechtswidrige Tat waren, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass diese Umstände ohne Einfluss auf das Tatgeschehen geblieben wären, hätte die Strafkammer des Landgerichts die Entschädigung mit Recht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG versagt.

Denn die Beschwerdeführerin hat die ihr vorgeworfene rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. In einem solchen Fall ist die Versagung der Entschädigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG die Regel (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 249; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 6 StrEG Rn. 6). Allerdings muss der Ermessensentscheidung grundsätzlich eine Gesamtwürdigung vorausgehen, in welche die Schwere des Tatvorwurfs und der eingetretenen Störung des Rechtsfriedens, die Gefährlichkeit des Täters sowie das Maß des Sonderopfers, das der Betroffene durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden hatte, einfließen müssen (vgl. KG NStZ-RR 2013, 32).

Der Senat, der als Beschwerdegericht eine eigene Sachentscheidung trifft und eigenes Ermessen ausübt, folgt den vom Landgericht angestellten Überlegungen u. a. zur Schwere des Vorwurfs und der Beeinträchtigung des Rechtsfriedens sowie zum Gewicht eines von der Beschwerdeführerin erbrachten Sonderopfers (UA S. 15 f.) uneingeschränkt. Hier könnte sogar in Frage gestellt werden, ob die an paranoider Schizophrenie leidende Beschwerdeführerin, die ohne die im Krankenhaus des Maßregelvollzugs veranlasste Behandlung und Medikation gefährlich geblieben und unterzubringen gewesen wäre, überhaupt ein Sonderopfer erbracht hat. Jedenfalls verdichtet sich die Gesamtwürdigung des Landgerichts noch durch das von der Strafkammer nicht in die Überlegungen eingestellte risikoerhöhende und schuldhafte Tatvorverhalten der Beschwerdeführerin, insbesondere ihren Drogenkonsum und die Schlaflosigkeit. Unter Berücksichtigung aller Umstände wäre es unbillig, die Beschwerdeführerin, die eine gefährliche Tat begangen und hierdurch ein umfangreiches Straf- bzw. Unterbringungsverfahren veranlasst hat, für ihre einstweilige Unterbringung, die rechtmäßig war, zu entschädigen.“

Liegt im Grunde auf der Linie der Entscheidungen, wenn (nur) alkohol im Spiel ist/war. Im Zweifel also auch hier: Keine Entschädigung.