Archiv der Kategorie: Strafrecht

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)

Corona I: Zur Coronaimpfung „Impfen macht frei, oder: Verharmlosen von NS-Verbrechen

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Und heute zum Wochenstart dann noch einmal zwei Entscheidungen zu den „Nachwehen“/Nachwirkungen der Corona-Pandemie. In beiden Entscheidungen geht es um die Volksverhetzung (§ 130 StGB)

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 20.03.2023 – 206 StRR 1/23. Das LG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung verurteilt. Dazu hatte es folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte veröffentlichte am 11. November 2020 über seinen öffentlich einsehbaren Facebook-Account ein zweigeteiltes Bild, auf dessen unterer Hälfte der Eingang eines Konzentrationslagers (mutmaßlich des KZ Auschwitz) mit dem Schriftzug über dem Eingangstor „Arbeit macht frei“ zu sehen ist. In der oberen Hälfte wird eine diesem Eingang nachempfundene Zeichnung mit der Abwandlung dargestellt, dass der Schriftzug „Impfen macht frei“ angebracht ist. Unter diesem Schriftzug werden zwei schwarz uniformierte Männer mit jeweils einer überdimensionierten Spritze in der Hand dargestellt. Das Bild ist mit dem Kommentar „Alles schon mal dagewesen“ nebst einem Emoji, das sich die Augen zuhält und einem weiteren, das mit zwei Fingern ein V-Zeichen bildet, versehen. Die Darstellung wurde bis zum 20. November 2020 von wenigstens 52 weiteren Nutzern der Plattform Facebook „geliked“ sowie 26 Mal kommentiert.“

Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt, die beim BayObLG keinen Erfolg hatte. Ich stelle hier nur den Leitsatz zu der Entscheidung ein. Die Ausführliche Begründung dann bitte im Volltext nachlesen:

Die öffentliche Darstellung des Eingangstors eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „Impfen macht frei“ und zweier schwarz uniformierter Männer jeweils mit einer überdimensionierten Spritze in der Hand – versehen mit dem Kommentar: „Alles schon mal dagewesen“ – erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB in der Tatbestandsvariante des Verharmlosens.

Strafe III: Erörterung eines Bewährungswiderrufs, oder: Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von BtM

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Und dann zum Tagesschluss noch der KG, Beschl. v. 03.03.2023 – (3) 161 Ss 212/22 (73/22) – u.a. zur Frage der Erforderlichkeit von Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln im Hinblick auf die Strafzumessung.

Das AG hat den Angeklagten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das LG verworfen. Die Revision hatte hinsichtlich einer vom LG gebildeten Gesamtstrafe (§ 55 StGB) Erfolg, die Strafzumessung im Übrigen hat das KG nicht beanstandet:

„b) Die dem Tatgericht obliegende Strafzumessung hält sachlich rechtlicher Überprüfung stand.

Es ist grundsätzlich die Aufgabe des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1995 – 3 StR 478/95 –, juris). Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist regelmäßig nur bei beachtlichen Rechtsfehlern in dem Sinne, dass die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen, bestimmende Strafzumessungstatsachen übergangen wurden oder sich die verhängte Freiheitsstrafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs offenkundig löst, möglich (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2012  – 3 StR 413/11  –, juris m.w.N.).

(1) Im Hinblick auf § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB und den Strafzweck der Resozialisierung ist der Umstand drohenden Bewährungswiderrufs regelmäßig zu erörtern, wenn auf Grund eines möglichen Widerrufs die gesamte Länge der zu verbüßenden Haft diejenige der neu verhängten Strafe beträchtlich übersteigt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 – (3) 121 Ss 170/21 (62/21) –, juris m.w.V.). Eine Erörterung oder gar strafmildernde Bewertung eines möglicherweise drohenden Bewährungswiderrufs kann jedoch im Einzelfall dann unterbleiben, wenn ein übermäßiges Gesamtvollstreckungsübel namentlich aus spezialpräventiven Gründen nicht naheliegt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 , a.a.O.; OLG Hamburg NStZ-RR 2017, 72), etwa bei Intensiv- oder Serientätern, bei hoher Rückfallgeschwindigkeit oder bei einer Tat kurz nach der Haftentlassung, nachdem die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 03. August 2021 – 2 StR 129/20 –, juris; Senat, Beschluss vom 11. Februar 2022 a.a.O.).

Den vorstehenden Anforderungen wird die Strafzumessungsentscheidung gerecht. Das Landgericht hat zutreffend auf den Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG abgestellt und seine umfassenden Strafzumessungserwägungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung den infolge der erneuten Verurteilung drohenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus der Verurteilung des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. August 2021 – Az. 260 Ds 96/20 – nur im Zuge der Prognoseentscheidung nach § 56 Abs. 1 StGB explizit erwähnt hat. Denn ungeachtet des Umstandes, dass die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGHSt 65, 75; Senat, Beschluss vom 29. April 2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22) –, juris m.w.V.), sind im vorliegenden Fall ausführliche Erörterungen zum möglichen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht angezeigt. Zwar droht dem Angeklagten bei Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Verfahren 260 Ds 96/20 die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, die die hier verhängte Strafe von sechs Monaten beträchtlich übersteigt. Jedoch hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Intensivtäter handelt und die früheren Verurteilungen im notwendigen Umfang geschildert. Vor diesem Hintergrund konnte eine ausführliche Erörterung des Bewährungswiderrufs oder gar dessen strafmildernde Bewertung unterbleiben.

(2) Die Strafzumessung hält auch insoweit der rechtlichen Überprüfung stand, als dass das Landgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Buprenorphin in den Subutex-Tabletten getroffen hat. Der Wirkstoffgehalt des gehandelten Rauschgifts ist grundsätzlich für die Bestimmung des Unrechts- und Schuldgehalts einer Straftat rechtlich belangvoll (vgl. BGH NStZ 2023, 46; KG, Beschluss vom 4. Januar 2012 – (4) 1 Ss 466/11 (322/11), BeckRS 2012, 12416; OLG München Beschluss vom 6. August 2009 – 4 St RR 113/09, BeckRS 2010, 30585). Von genaueren Feststellungen kann aber ausnahmsweise abgesehen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß im Rahmen des § 29 Abs. 1 und 3 BtMG zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen kann. Dies kann insbesondere bei Kleinstmengen der Fall sein, da der Schuldgehalt der Tat durch die Qualität des Rauschgifts nicht wesentlich geprägt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 250, Patzak, NStZ 23,17; BeckOK BtMG/Becker, 16. Ed. 15.9.2022, BtMG § 29 Rn. 145g).

Im vorliegenden Fall kann ausnahmsweise aufgrund der gehandelten Kleinstmenge von der Bestimmung des genauen Wirkstoffgehalts abgesehen werden.

Bezüglich der hier gegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte eine Tablette Subutex für 10,- € an den Zeugen M. verkauft und im Übrigen 12 weitere Subutex-Tabletten bei sich geführt habe, um auch diese gewinnbringend an weitere Abnehmer zu veräußern. Bei dieser Menge an Subutex handelt es sich um eine Kleinstmenge an Rauschgift unabhängig vom Gehalt des Buprenorphin der einzelnen Tablette, wobei eine Tablette eine Konsumeinheit darstellt. Dies ergibt sich auch daraus, dass die geringe Menge an Buprenorphin im Sinne des § 29 Abs. 5 BtMG bei 1-3 Konsumeinheiten Subutex liegt (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1659; MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 4. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1680) und die nicht geringe Menge bei einem Wirkstoffgehalt von 416,67 mg Buprenorphin liegt (vgl. BGH NJW 2007, 2054). Auch unter Annahme der höchsten am Arzneimarkt erhältlichen Dosis von 8 mg Buprenorphin pro Subutex-Tablette (vgl. BGH NJW 2007, 2054) übersteigt der Wirkstoffgehalt 104 mg Buprenorphin nicht. Bei einer solchen Sachlage ist der Wirkstoffgehalt kein bestimmender Faktor bei der Strafzumessung im Sinne des § 46 StGB und das Absehen diesbezüglicher Feststellungen – wie vorliegend – ist rechtsfehlerfrei.“

Strafe II: Begründung der kurzen Freiheitsstrafe, oder: Der „typisch verklärte Blick“ des BtM-Konsumenten?

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.08.2023 – 3 ORs 42/23. Ein Klassiker, nämlich die Begründung der kurzfristigen Freiheitsstrage (§ 47 StGB).

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zu Bewährung ausgesetzt wurde. Dagegen die Sprungrevision, die Erfolg hatte. Es passt mal wieder nicht:

„Die Erörterungen im Rechtsfolgenausspruch begegnen hinsichtlich des Strafausspruchs rechtlichen Bedenken.

Die Tatrichterin ist von dem zutreffenden Strafrahmen ausgegangen. Die Ausführungen zu der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB halten rechtlicher Prüfung jedoch nicht stand.

§ 47 StGB ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nur im Ausnahmefall in Betracht kommt. Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten statt einer (möglichen) Geldstrafe darf nur verhängt werden, wenn besondere Umstände entweder in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters gegeben sind. Die Freiheitsstrafe muss nach einer Gesamtwürdigung der die Tat und Täterpersönlichkeit kennzeichnenden Umstände unerlässlich sein. Mit Blick auf diesen Ausnahmecharakter erfordert die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine eingehende und nachvollziehbare Begründung (vgl. BGH StV 1982, 366; 1994, 370; OLG Köln, Beschluss vom 18. Februar 2003 – Ss 36/03422; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg StGB § 47 Rn. 1). Aus dieser Begründung muss sich ergeben, aufgrund welcher konkreten Umstände sich die Tat oder der Täter derart von dem Durchschnitt solcher Taten oder dem durchschnittlichen Täter abhebt, dass eine Freiheitsstrafe ausnahmsweise unerlässlich ist (OLG Karlsruhe StV 2005, 275). Bejaht der Tatrichter – wie vorliegend – eine positive Sozialprognose iSv § 56 Abs. 1 StGB, bedarf es grundsätzlich einer eingehenden Darlegung und Würdigung der Gründe, welche die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter iSv § 47 Abs. 1 StGB (dennoch) unerlässlich machen (vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 399), dies gilt umso mehr, wenn es sich um einen bislang nicht vorbelasteten Täter handelt (MüKoStGB/Maier StGB § 47 Rn. 59).

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Die Tatrichterin begründet die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe einzig damit, dass es sich bei dem Angeklagten um einen „anhaltenden Betäubungsmittelkonsumenten“ handele.

Diese Annahme findet in den Urteilsgründen bereits keine hinreichende Tatsachengrundlage, die eine Überprüfung durch den Senat ermöglichen würde. In den Feststellungen des angefochtenen Urteils heißt es insoweit: „Sowohl bei der Durchsuchung am 3.2.22, wie auch an dem Tag der Hauptverhandlung, stand der Angeklagte unter dem Einfluss von unbekannten Betäubungsmitteln“. Die Annahme der Betäubungsmittelabhängigkeit stützt das Amtsgericht ausschließlich auf die Angaben des Zeugen Richter, dass der Angeklagte bei der Durchsuchung seiner Wohnung wie auch am Tag der Hauptverhandlung „einen typisch verklärten Blick gehabt, als würde er selbst Drogen konsumieren“, sowie aus dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung. Es handelt sich um eine bloße Annahme, die nicht mit Tatsachen belegt wird. Die Urteilsgründe verhalten sich weder dazu, warum der Zeuge oder die erkennende Richterin über die Sachkunde verfügten, eine etwaige Beeinflussung durch ein Betäubungsmittel feststellen zu können, noch wieso daraus auf einen anhaltenden Betäubungsmittelkonsum geschlossen werden kann. Objektive Beweismittel, die den Schluss einer Beeinträchtigung durch Betäubungsmittel am Tag der Durchsuchung stützen könnten, wie z.B. ein Protokoll über etwaige körperliche Auffälligkeiten des Angeklagten oder das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung etwaiger Blutproben oder andere Beweismittel, die auf einen Eigenkonsum hindeuten, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Dies gilt gleichermaßen für die Annahme einer (klinischen) Betäubungsmittelabhängigkeit wie auch für die Annahme, der Angeklagte habe am Hauptverhandlungstag unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden.

Unabhängig von den fehlenden objektiven Anknüpfungspunkten begegnet es auch erheblichen Bedenken, von einer (möglichen) zweimaligen Beeinflussung durch Betäubungsmittel auf eine Betäubungsmittelabhängigkeit zu schließen. Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme aus, dass Drogenabhängigkeit ein Zustand seelischer oder seelischer und körperlicher Abhängigkeit von einer legalen oder illegalen Droge mit zentralnervöser Wirkung ist, der durch die periodische oder ständig wiederholte Einnahme dieser Substanz charakterisiert ist, dessen Merkmale je nach Art der eingenommenen Droge variieren. Zur Feststellung einer Drogenabhängigkeit müssen die Einzelheiten über die Art der Droge, die Dauer des Konsums, die Dosierung sowie sonstige Umstände festgestellt werden, die Hinweise auf das Ausmaß der Abhängigkeit geben können, möglichst genau geklärt werden. Hieran fehlt es in dem angefochtenen Urteil gänzlich.

Unabhängig davon, dass die Feststellungen, auf denen das Tatgericht seine Entscheidung stützt, insoweit bereits lückenhaft sind, lässt die Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe die erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit vermissen. Das Tatgericht hat sich insoweit weder mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Angeklagte bislang unbestraft ist und sich vollständig zu seiner Tat bekannt hat, noch damit, dass eine positive Sozialprognose vorliegt. Diese gewichtigen Umstände werden jedoch heranzuziehen sein.“

Strafe I: Immer wieder Doppelverwertungsverbot, oder: Das Leid der Angehörigen bei einer Tötung

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Und heute dann Strafzumessung, und zwar einmal BGH und zweimal OLG.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 23.05.2023 – 2 StR 428/22. Das LG hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen die Revision. Der BGH hat wegen des Strafausspruchs „durchgreifende rechtliche Bedenken“. D.h.: Er hat aufgehoben:

„a) Soweit die Strafkammer zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, des sich über einen langen, mehrere Stunden andauernden Tatzeitraums habe ihm – trotz seines eingeschränkten Konfliktbewältigungspotentials – zahlreiche Gelegenheiten geboten, von der Einwirkung auf seine Lebensgefährtin Abstand zu nehmen, besorgt der Senat, dass das Landgericht damit fehlerhaft dem Angeklagten entgegen § 46 Abs. 3 StGB zur Last gelegt hat, dass er die Tat überhaupt vollendete, anstatt davon Abstand zu nehmen und damit vom Versuch der Tötung zurückzutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2019 – 5 StR 467/19; ausf. mit weiteren Nachweisen zur Rspr. MK-Maier, StGB, 4. Aufl., § 46, Rn. 540). Das Landgericht beschränkt sich insoweit – wie die weitere Formulierung belegt, der Angeklagte habe sich über offenkundige, körperliche Ausfallerscheinungen hinweggesetzt, ohne sich hierdurch in seiner Tatbegehung beirren zu lassen – nicht lediglich darauf, das Tatunrecht in seiner konkreten Ausgestaltung in den Blick zu nehmen. Vielmehr würdigt es zu Lasten des zunächst mit Körperverletzungsvorsatz handelnden Angeklagten, dass dieser schließlich den Todeserfolg vorsätzlich herbeigeführt hat. Dies verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB.

b) Im Hinblick auf die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe seiner Tochter durch die Tat seine Mutter genommen, berücksichtigt es das mit nahezu jeder Tötung einhergehende Leid der Angehörigen. Dies stellt – wenn es sich nicht um besondere Auswirkungen der Tat handelt – keinen Strafschärfungsgrund dar (st. Rspr.; vgl. Senat, NJW 2017, 1253, 1255; zuletzt BGH, Urteil vom 4. April 2023 – 1 StR 488/22).

c) Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte.“