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StGB I: Versuch der gefährlicher Körperverletzung, oder: Rücktritt vom unbeendeten Versuch

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Heute ist zwar Feiertag – „Tag der deutschen Einheit“ -, aber hier geht es normal weiter. Denn wer rastet, rostet. Und gegen den Rost gibt es heite StGB-Entscheidungen.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 26.04.2023 – 5 StR 3/23 – zum Rücktritt vom Versuch. Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dagegen die teilweise erfolgreiche Revision:

„1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts entwendete der Angeklagte in einem Baumarkt Artikel im Wert von knapp 40 Euro und ging mit dem Diebesgut zu seinem vor dem Geschäft geparkten Auto. Die Ladendetektivin, die den Diebstahl beobachtet hatte und dem Angeklagten zum Parkplatz gefolgt war, forderte ihn auf, die Gegenstände herauszugeben. Anstatt der Forderung nachzukommen, stieg der Angeklagte in seinen Wagen und startete den Motor. Obwohl sie in der geöffneten Fahrertür stand, fuhr er rückwärts aus der Parkbucht. Die Detektivin musste zur Seite ausweichen, um nicht von der Fahrertür des Autos getroffen zu werden. Der Angeklagte nahm billigend in Kauf, dass sie durch sein Fahrmanöver hätte verletzt werden können. Er wollte dadurch erreichen, mit dem Diebesgut flüchten zu können, um sich im Besitz der Gegenstände zu erhalten.

2. Die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht hat übersehen, dass der Angeklagte strafbefreiend von dem Versuch zurückgetreten ist.

Nach den Urteilsfeststellungen hätte der Angeklagte seinen Angriff mit dem Auto auf die – für ihn ersichtlich unverletzt gebliebene – Ladendetektivin ohne zeitliche Zäsur fortsetzen können. Es liegt mithin ein unbeendeter Versuch vor, von dem der Angeklagte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB durch die bloße Aufgabe der Tatausführung strafbefreiend zurücktreten konnte; dass er mit dem (unbeendeten) Versuch der gefährlichen Körperverletzung sein insoweit außertatbestandliches Ziel (Sicherung der Diebesbeute) erreicht hat, steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 230 ff.).

Der Senat schließt aus, dass insofern weitergehende Feststellungen getroffen werden können. In Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts hat er den Schuldspruch daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO geändert.

Strafantrag II: Formwirksamkeit des Strafantrags, oder: Keine Unterschrift, aber Verfolgungswillen erkennbar

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Die zweite Entscheidung kommt vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 23.08.2023 – 2 StR 176/23 – ebenfalls zur Wirksamkeit eines Strafantrages Stellung genommen, und zwar zur ausreichenden Form:

„Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen hat ergeben, dass hinsichtlich der Beleidigung ein formgerechter Strafantrag des Geschädigten A.  vorliegt.

Der gemäß § 194 Abs. 1 StGB zur Verfolgung der Tat erforderliche Strafantrag kann nach § 158 Abs. 2 StPO bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht werden, bei den Polizeibehörden dagegen nur schriftlich. Zur Wahrung der Schriftform ist grundsätzlich eine Unterschrift des Antragstellers erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 2020 ? 4 StR 168/20; vom 6. November 2019 – 4 StR 392/19).

Für Strafanträge, die als Papierdokument angebracht werden, sind angesichts des Zwecks der vorgeschriebenen Schriftform gewisse Lockerungen bei ihrer Einhaltung anerkannt. Durch das Formerfordernis soll nur sichergestellt werden, dass über den Verfolgungswillen des Antragstellers kein Zweifel entstehen kann (LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 158 Rn. 47). Zudem soll (im Wege des Freibeweises jederzeit nachprüfbare) Klarheit über die Identität des Antragstellers geschaffen werden (KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl., § 158 Rn. 44 mwN). Diese Zwecke können im Einzelfall auch ohne eine Unterschrift erfüllt sein, wenn aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt, und feststeht, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern es mit Wissen und Wollen des Berechtigten der zuständigen Stelle zugeleitet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 398/21 mwN; Goers in Beck-OK/StPO, 48. Ed., § 158 Rn. 48).

Dies ist vorliegend der Fall. Zwar liegt kein vom Geschädigten unterschriebener Strafantrag vor. Der durch die Messerstiche des Angeklagten schwer verletzte Geschädigte wurde vielmehr noch am Tattag im Krankenhaus mittels Videovernehmung vernommen und erklärte dabei gegenüber der Vernehmungsbeamtin, er stelle Strafantrag. Zu Ablauf und Gegenstand der Videovernehmung fertigte die Vernehmungsbeamtin am selben Tag einen Vermerk, die Vernehmung wurde schließlich am 29. Juli 2022 verschriftet. Das Transkript schließt mit dem Namen der Person, die die Verschriftung gefertigt hat. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde der im Transkript enthaltene Strafantrag im Hauptverhandlungstermin vom 20. Dezember 2022 im Beisein des Geschädigten verlesen und die Richtigkeit der Angaben von ihm bestätigt. Angesichts dieser Abläufe besteht hinreichende Klarheit über die Identität des Antragstellers und das Vorhandensein und den Umfang des Verfolgungswillens.

Strafantrag I: Die Wirksamkeit des Strafantrags, oder: Wenn der Antragsteller nicht geschäftsfähig ist/war

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Und auf in die 40. KW., die ja kurz ist, na ja: Sie hat einen Arbeitstag weniger, aber sonst…. 🙂 .

Ich beginne heute mit zwei Entscheidungen zum Strafantrag (§ 158 StPO und §§ 77 ff. StGB). Dazu hat zunächst das AG Dresden im AG Dresden, Urt. v. 26.07.2023 – 216 Ds 131 Js 54399/20 – Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Angeklagt war Untreue. Die Angeklagte war mit Generalvollmacht vom 07.11.2018 vom Geschädigten  bevollmächtigt worden, ihn in allen Angelegenheiten zu vertreten. Insbesondere wurde die Angeklagte vom Geschädigten bevollmächtigt, dessen Vermögen zu verwalten und dahingehend alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte, darunter auch Schenkungen in dem für einen Betreuer rechtlich gestatteten Rahmen vorzunehmen.

Unter Nutzung der Generalvollmacht des Geschädigten verschaffte sich die Angeklagte unmittelbar nach Vollmachterteilung Zugriff auf die Gemeinschaftskonten des Geschädigten sowie dessen zwischenzeitlich verstorbener Ehefrau bei verschiedenen Banken. Den Zugriff auf die  Konten nutzte die Angeklagte sodann, um diese am 28.11.2018 aufzulösen und die Guthaben in einer Gesamthöhe von 25.137,08 EUR auf ein anderes Konto zu überweisen, um so eine höchstmögliche Liquidität des Kontos zu ermöglichen. Der Tagesendsaldo betrug nach der Auflösung der Konten 40.727,41 EUR.

Von dem noch verbliebenen Konto der Geschädigten überwies sich die Angeklagte sodann verschiedene Beträge auf ihrKonto, obwohl sie wusste, dass ein Rechtsgrund oder ein Ermächtigung der Geschädigten Eheleute für die Überweisungen nicht bestand und die Vollmacht derartige Überweisungen nicht umfasste. Den Geschädigten Eheleuten entstand. wie von der Angeklagten beabsichtigt, ein Schaden in Höhe von insgesamt 25.735,24 EUR.

Strafantrag wurde durch den Geschädigten am 28.10.2020 anlässlich der Befragung durch den Zeugen, offenbar ein Polizeibeamter, schriftlich auf dem üblichen Formular der Ermittlungsbehörden gestellt. Die Anklage wurde zugelassen und das Hauptverfahren vor dem AG – Strafrichter – eröffnet.

Der hat das Verfahren dann durch Urteil eingestellt:

„Das Verfahren ist gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, weil der nach § 266 Abs. 2, 247 StGB erforderliche Strafantrag durch den Geschädigten pp. nicht wirksam gestellt ist.

Der Zeuge pp. schilderte, dass der Geschädigte Herr in dem Vorgespräch zur beabsichtigten Zeugenvernehmung auf Fragen immer wieder abschweifte und Anekdoten von früher erzählt und was er beruflich gemacht habe. Auch Fragen nach dem Umfang der Generalvollmacht vermochte Herr pp. nicht zutreffend zu beantworten. So schilderte der Zeuge pp. dass Herr pp. das Schriftstück nur in Verbindung mit dem Heimaufenthalt seiner Ehefrau gebracht habe. Insbesondere habe Herr pp. auch die Tragweite und Bedeutung des Strafantrages nicht erkannt. Aus diesen Gründen habe man von einer förmlichen Vernehmung Abstand genommen.

Aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen pp. kann das Gericht nicht feststellen, dass Herr pp. im Zeitpunkt der Stellung des Strafantrages geschäftsfähig war. Damit ist die Erklärung unwirksam. Es fehlt demzufolge an dem erforderlichen Strafantrag, sodass das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen ist.“

Der (kleine) Fall zeigt sehr schön, auf was man als Verteidiger alles achten kann/sollte/muss. Mir stellt sich allerdings die Frage, warum das AG eröffnet hat. Das macht nur Sinn, wenn sich die Angaben des Zeugen zu den Umständen der Antragstellung erst bei dessen Vernehmung ergeben haben.

Haft III: Post zur „Einflussnahme zur Verdunkelung“? oder: Das Recht auf freien Briefverkehr

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.07.2023 – 12 Qs 53/23 – vor. Mal etwas zur Brifekontrolle.

Der Inhaftierte wendet sich gegen das Anhalten und die Beschlagnahme eines Briefs, den er aus der Untersuchungshaft heraus an seine frühere Partnerin aufgegeben hat. U-Haft wird aufgrund eines Haftbefehls vollzogen, in dem dem Inhaftierten vorgeworfen wird gegen seine frühere Partnerin, die Zeugin W, eine gefährliche Körperverletzung, eine sexuelle Nötigung und einen Diebstahl begangen zu haben

Am 24.06.2023 gab der Inhaftierte einen Brief an die Zeugin W zur postalischen Beförderung. Der Brief eröffnet mit „Mein Herz“ und endet „in ewiger Liebe, Dein A“. Zwischen beiden Floskeln bringt der Bf. auf einer Briefseite zum Ausdruck, dass er W vermisse und sie liebe. Er bittet sie, ihn nicht hängen zu lassen, auf ihn zu warten und ihm zu schreiben. Dazwischen berichtet er aus seinem Vollzugsalltag und bittet die Zeugin, „unsere kleine Prinzessin“ (die gemeinsame Tochter) ganz fest von ihm zu drücken.

Der Ermittlungsrichter hat das Schreiben auf Antrag der Staatsanwaltschaft, auf die die Ausführung der Beschränkungsanordnungen übertragen war, angehalten und beschlagnahmte es im Original. Zur Begründung führte er aus, das Schreiben befasse sich „in unzulässiger Weise mit dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens, indem zumindest unterschwellig versucht wird, auf das Aussageverhalten von Zeugen Einfluss zu nehmen. Die Weitergabe des Schreibens könnte das Strafverfahren beeinträchtigen.“

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte:

„Die zulässige Beschwerde ist begründet. Für die Beschlagnahme des Briefs fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

1. Das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefs kann nicht auf § 119 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 7 StPO gestützt werden, weil die Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.

Hier liegt ein richterlicher Beschränkungsbeschluss nach § 119 StPO vom 24. Mai 2023 vor, in dem die Überwachung des Schriftverkehrs angeordnet wird. In dessen Gründen führt der Ermittlungsrichter aus, es bestehe die Gefahr, dass der Bf. Verdunkelungshandlungen durch die Einwirkung auf Zeugen vornehme. Die Abwehr dieser Gefahr mache es erforderlich, die angeordnete Beschränkung zu treffen. Das steht im Ausgangspunkt im Einklang mit dem begrenzten Regelungsregime des § 119 StPO, das nur solche Maßnahmen abdeckt, die den Zweck der Untersuchungshaft betreffen (Herrmann in SSW-StPO, 5. Aufl., § 119 Rn. 53; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 119 Rn. 1, 19). Zweck der Untersuchungshaft ist die Sicherung des Verfahrens. Auch die Briefkontrolle dient diesem Ziel, insbesondere der Verhinderung von Verdunkelungsmaßnahmen; der Briefverkehr darf zur Sicherung dieses Ziels eingeschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01, juris Rn. 29). Danach ist es möglich, den Brief eines Untersuchungsgefangenen anzuhalten, der explizit oder in seiner Gesamtschau dem Zweck dient, eine Zeugin psychisch derart unter Druck zu setzen, dass sie ihr zukünftiges Aussageverhalten ändert (OLG Jena, Beschluss vom 9. März 2011 – 1 Ws 122/11, juris Rn. 11 f.). Die Kammer vermag, anders als der Ermittlungsrichter, hier allerdings nicht zu erkennen, dass von dem beschlagnahmten Brief ein derart starker Druck oder – hier eher – eine derart starke sentimental-einschmeichelnde Einflussnahme ausgeht, dass die Zeugin ihre Aussage ändern könnte, zumal sie selbst das Bestehen eines Verlöbnisses, und damit das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO, gegenüber der Polizei ausdrücklich verneint hat und sie es selbst in der Hand hat, ob sie seinen Inhalt überhaupt zur Kenntnis nimmt.

Ein Verständnis der Einflussnahme zu Verdunkelungszwecken in derart weitem Sinn, dass bereits eine für sich genommen zivilisierte und unverfängliche Kontaktaufnahme hierunter gefasst wird – die der angegriffene Beschluss selbst hinsichtlich der Einflussintensität lediglich als „zumindest unterschwellig“ bezeichnet –, führte letztlich zu einem weitgehenden Kommunikationsverbot, das in § 119 StPO so nicht angelegt ist und das Recht des Bf. auf freien Briefverkehr (Art. 2 Abs. 1, Art. 10 GG) über Gebühr beeinträchtigt.

2. Das Anhalten des Briefs kann nach Lage der Dinge auch nicht auf Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayUVollzG gestützt werden.

Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayUVollzG bestimmt, dass Schreiben durch die Untersuchungshaftanstalt (vgl. Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 01.04.2023, BayUVollzG Art. 20 Rn. 2) angehalten werden können, wenn die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde. Diese Voraussetzungen hätten hier möglicherweise vorgelegen. Denn die Zeugin W hat am 21. April 2023 beim Amtsgericht Nürnberg gegen den Bf. eine sofort vollziehbare einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt, die bis zum 21. Oktober 2023 befristet ist und die dem Bf. zugestellt wurde. Darin wird dem Bf. in Ziff. 1.4 gem. § 1 GewSchG untersagt, mit der Antragstellerin in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Zugleich wird der Bf. in dem Beschluss darauf hingewiesen, dass Verstöße gegen die Schutzanordnungen gem. § 4 GewSchG geahndet werden können. Geht der beschlagnahmte Brief der Zeugin also zu, macht sich der Bf. – bei gegebenem Vorsatz (§ 15 StGB, § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG) – entsprechend strafbar.

Ob die Gewaltschutzanordnung bei der JVA bekannt war (vgl. Nr. 47 Abs. 2 RiStBV), kann die Kammer nach Aktenlage nicht feststellen. Es kann aber auch dahinstehen, denn hier hat der Brief den Machtbereich der JVA bereits verlassen, sodass ein Anhalten des Schreibens auf der genannten Rechtsgrundlage nicht mehr in Betracht kommt. Der Anwendungsbereich des BayUVollzG ist nämlich auf den Vollzug der Untersuchungshaft beschränkt, der – und soweit er – in den Justizvollzugsanstalten vollzogen wird (vgl. Art. 1 Abs. 2 BayUVollzG), was bedingt, dass die Anhaltekompetenz der Anstalt ein Ende findet, sobald der Brief ihren Bereich verlassen hat.

3. Eine sonstige Rechtsgrundlage für das Anhalten und die Beschlagnahme des Briefs ist nicht erkennbar.

III.

Die Kammer bemerkt ergänzend:

1. Die Beschlagnahme einer Kopie des Briefs zu Beweiszwecken kann nicht erfolgen, weil der Bf. ausweislich seiner Beschwerde ausdrücklich einverstanden ist, dass sein Schreiben kopiert und die Kopie zur Akte genommen wird. Eine Beschlagnahme als hoheitlicher Eingriff ist somit nicht erforderlich und wäre daher unverhältnismäßig. Es kann schlicht eine Kopie zur Akte genommen werden.

2. Die Weiterbeförderung des Briefs durch die Staatsanwaltschaft stellt für sich genommen keine Straftat dar. Tauglicher Täter einer Straftat nach § 4 GewSchG ist nur der in der Gewaltschutzanordnung benannte Antragsgegner, an den die Anordnung zugestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2019 – 5 StR 208/19, juris Rn. 11; Beschluss vom 10. Mai 2012 – 4 StR 122/11, juris Rn. 3).

Es liegt aber auch keine Beihilfe zu einer möglichen künftigen Straftat des Bf. nach § 4 GewSchG vor, die mit Zugang des Briefs bei der Zeugin W vollendet würde. Der Bf. hat als Untersuchungsgefangener grundsätzlich einen grundrechtlich unterlegten Anspruch auf Briefverkehr (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvR 2118/01, juris Rn. 25; vgl. auch Art. 18 Abs. 1 BayUVollzG). Das Recht auf Schriftwechsel stellt die wichtigste Möglichkeit eines Untersuchungsgefangenen dar, seine Kontakte außerhalb der Anstalt auch während der Untersuchungshaft zu pflegen (BayLT-Drs. 16/9082, 24). Die Weiterbeförderung des Briefs durch die Staatsanwaltschaft stellt sich, auch vor diesem grundrechtlichen Hintergrund, ihrem sozialen Sinngehalt nach nicht als aktives Tun, sondern als das Unterlassen des Aufhaltens des Briefs dar. Denn der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit (dazu BayObLG, Urteil vom 25. Februar 2022 – 201 StRR 95/21, juris Rn. 24 m.w.N.; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 5) läge darin, dass der Staatsanwalt es unterlässt, den Brief, der sich bereits auf dem Weg befindet und dabei auch über seinen Schreibtisch geht, an der Weiterbeförderung zu hindern. Seine Beihilfe wäre demnach eine Beihilfe durch Unterlassen. Diese ist aber nicht strafbar, weil es insoweit an einer Garantenpflicht fehlt. Eine allgemeine Verpflichtung von Amtsträgern, Rechtsgutverletzungen oder Straftaten durch Dritte zu unterbinden, gibt es nicht (Fischer, StGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 29; Zaczyk in FS Rudolphi, 2004, S. 361, 368 f.; Rudolphi, JR 1987, 336 ff. und JR 1995, 167, 168). Anders als bei Polizeibeamten, denen im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Gefahrenabwehr auch die Verhütung von Straftaten obliegt (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 358/92, juris Rn. 12 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 13 Rn. 52), trifft die im Rahmen der Strafverfolgung tätigen Amtsträger eine solche Garantenpflicht im Grundsatz nicht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20, juris Rn. 118 f.; Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 StR 159/17, juris Rn. 138). Erforderlich wäre insoweit eine besondere Pflichtenzuweisung im Rahmen ihres Aufgabenbereichs. Daran fehlt es hier. Selbst die ausdifferenzierte Regelung des Art. 20 Abs. 1 BayUVollzG begründet keine gebundene Entscheidung für das Anhalten eines die Strafbarkeit auslösenden Briefs durch die JVA, sondern gewährt dem Anstaltsleiter insoweit ein Ermessen (Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 01.04.2023, BayUVollzG Art. 20 Rn. 3). Von einer Garantenstellung würde man hier erst bei einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen können (Gaede in NK-StGB, 6. Aufl., § 13 Rn. 64).“

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)