Archiv der Kategorie: StPO

SV I: Sachverständigengutachten im Urteil, oder: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

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Und heute dann drei Entscheidungen zum Sachverständigen bzw. zu Sachverständigenfragen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORs 24/24. Der verhält sich zur Unterbringung nach § 64 StGB nach neuem Recht. Insoweit hier nur mein Leitsatz:

Für die festzustellende Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB n.F. ist es nunmehr erforderlich, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose sind „moderat angehoben“ worden, indem nunmehr eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ gegeben sein muss; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist.

Und zu der Sarstellung eines Sachverständigengutachtens im Urteil bekräftigt das OLG noch einmal die ständigen Rechtsprechung der Obergerichte in der Frage, nämlich:

Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich indes die gebotene Auseinandersetzung mit den festgestellten prognoseungünstigen wie auch prognosegünstigen Faktoren nicht entnehmen.

„Das Landgericht hat insoweit der „grundsätzlich vorhandenen Therapiewilligkeit des Angeklagten“ als (einzigem) prognosegünstigen Umstand „insbesondere die zahlreichen erfolglosen Therapieversuche in den letzten Jahren“ sowie den Umstand, dass „selbst im hochstrukturierten Setting der stationären Therapie kein konkreter Behandlungserfolg habe erzielt werden können“ als gegen eine günstige Behandlungsprognose sprechenden Umstände gegenübergestellt. Im Übrigen hat die Kammer zu der fehlenden Erfolgsaussicht (nur) ausgeführt, dass nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung anschließe, keine tatsächlich begründete Erwartung eines Behandlungserfolgs einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gern. § 64 StGB bestehe (UA S. 16). Schließt sich der Tatrichter – wie hier – den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017, 4 StR 595/16, juris, Rn. 8; vom 28. Januar 2016, 3 StR 521/15, juris, Rn. 4.; vom 27. Januar 2016, 2 StR 314/15, juris, Rn. 6; vom 17. Juni 2014, 4 StR 171/14, juris, Rn. 7). Daran fehlt es hier.“

 

 

Befangen II: „Alter Wein in neuen Schläuchen“, oder: Bereits beschiedener Vortrag führt zur Unzulässigkeit

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Im zweiten Posting komme ich dann noch einmal auf den BGH, Beschl. v. 26.06.2024 – StB 35/24 – zurück. Über den hatte ich schon einmal wegen der vom BGH in der Entscheidung angesprochenen Pflichtverteidigungsfrage berichtet (vgl. Pflichti I: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Voraussetzungen für einen Sicherungsverteidiger).

Hier geht es jetzt um ein Ablehungsgesuch des Angeklagten. Dem wird der Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer in Tateinheit mit Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gemacht. Ein erstes Ablehnungsgesuch des Angeklagten vom 01.03.2024 anlässlich der Zwölfmonatshaftprüfung durch den BGH (AK 23/24) hatte der Angeklagte damit begründet, ihm sei in zwei vorangegangenen Haftfortdauerentscheidungen des Senats zu Unrecht angelastet worden, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 EUR fördern wollen oder gefördert. Dieses Gesuch hat der BGH durch Beschluss vom 18.03.2024 als unbegründet zurückgewiesen.

Nun hat er im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidudng des OLG Frankfurt am Main, die Bestellung seines Pflichtverteidigers wegen eines zerstörten Vertrauensverhältnisse aufzuheben, den VorRiBGH sowie zwei RiBGH wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er erneut ausgeführt, im Beschluss des BGH vom 20.03.2024 über die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer (AK 23/24) werde ihm zu Unrecht angelastet, er habe die Erstürmung des Reichstagsgebäudes durch eine Zahlung von 50.000 EUR fördern wollen. Dass der Senat seine früheren Haftentscheidungen nicht korrigieren wolle, rechtfertige bei dem ihm die Besorgnis der Befangenheit der Richter.

Der BGH hat die Ablehnungsgesuche als unzulässig verworfen.

„1. a) Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet; ein solcher Fall steht dem gänzlichen Fehlen einer Begründung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleich (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 10; vom 27. April 2007 – 2 BvR 1674/06, BVerfGK 11, 62, 73; BGH, Beschlüsse vom 31. Oktober 2023 – StB 30/23, juris Rn. 9 mwN; vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 2 ff.; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 15; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.; vom 15. November 2012 – 3 StR 239/12, juris Rn. 5; vom 1. Februar 2005 – 4 StR 486/04, NStZ-RR 2005, 173, 174).

Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gegebene Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss allerdings Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in den Blick genommen werden, weil von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig die Zusammensetzung der Richterbank abhängt: Während im Regelfall des Verfahrens nach § 27 StPO der abgelehnte Richter nicht mitwirkt (§ 27 Abs. 1 aE StPO), scheidet er im Fall der Verwerfung als unzulässig nicht aus (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Vorschrift des § 26a StPO ist deshalb eng auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01 und 2 BvR 638/01, NJW 2005, 3410, 3412; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.). Eine Begründung ist danach insbesondere dann nicht völlig ungeeignet, wenn der abgelehnte Richter zur Prüfung des Ablehnungsgesuchs sein eigenes Verhalten beurteilen und somit eine Entscheidung in eigener Sache treffen muss (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05, NStZ 2006, 644, 645 mwN; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 262/14, NStZ 2014, 725, 726 f.).

b) Ungeachtet dessen, ob oder gegebenenfalls inwieweit es zutrifft, dass der Angeklagte nicht an den Planungen zur Erstürmung des Reichstagsgebäudes beteiligt war (vgl. Beschluss des Senats vom 20. März 2024 – AK 23/24), liegt gemessen an den obigen Maßstäben eine völlig ungeeignete Begründung des Ablehnungsgesuchs vor. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, er halte die Haftfortdauerentscheidungen des Senats für falsch, an denen die abgelehnten Mitglieder mitgewirkt haben. Dieser Einwand ist – auch bei Anlegen eines strengen Maßstabes und zugleich wohlwollender Auslegung des Vorbringens des Beschwerdeführers – zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs im vorliegenden Verfahren offensichtlich ungeeignet. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich der Beschwerdeführer der Sache nach allein gegen die von den abgelehnten Richtern in den Entscheidungen vorgenommene Bewertung der Ermittlungsergebnisse und des hierauf beruhenden dringenden Tatverdachts wendet. Damit liefe das Verfahren der Richterablehnung der Sache nach auf eine Fehlerkontrolle hinaus, wozu es indes nicht dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 15; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 10 mwN).

2. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer lediglich ein im wesentlichen gleichlautendes Vorbringen wiederholt hat, über das der Senat in dem Verfahren AK 23/24 mit Beschluss vom 18. März 2024 bereits in der Sache entschieden hatte. Bringt ein Ablehnungsgesuch bereits beschiedenen Vortrag erneut vor, ist es schon aus diesem Grund offensichtlich unzulässig. Die Entscheidung hängt dann nur noch von einer formalen Prüfung ab, die kein erneutes Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2021 – 1 BvR 854/21, BVerfGE 159, 147, 148; vom 20. Dezember 2021 – 1 BvR 1170/21, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2022 – RiZ 2/16, juris Rn. 7; vom 25. Juni 2020 – 4 StR 654/19, juris Rn. 2; vom 9. Juli 2015 – 1 StR 7/15, juris Rn. 12).

3. Einer dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter hat es bei dem Vorgehen nach § 26a StPO nicht bedurft. Denn sie sind gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO bei der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2019 – 2 BvR 910/10, juris Rn. 16 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 26 Rn. 14).“

Befangen I: Wenn der Vorsitzende den Verteidiger linkt, oder: Absprachewidriges Vorgehen ==> Befangenheit

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Heute hier dann drei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit.

Den Start macht der BGH, Beschl. v. 04.06.2024 – 2 StR 51/23.

Folgender Sachverhalt: Das LG Bonn hat die beiden Angeklagten wegen versuchten und vollendeten Eingehungsbetrugs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. von zwei Jahren und zehn Monaten. Während der Hauptverhandlung hatte sich ergeben, dass weitere Verhandlungstage notwendig sein würden. Der Verteidiger des einen Angeklagten hatte aber bereits einen knapp dreiwöchigen Auslandsurlaub gebucht. Er verabredete mit der Vorsitzenden, dass er während seiner Ferien eine Vertretung zur Wahrnehmung sog. Schiebetermine  schicken werde. Die Beteiligten waren sich darüber einig, dass keine Verfahrenshandlungen vorgenommen würden, die die Anwesenheit des eingearbeiteten Verteidigers erforderlich machen würden. Während seines Urlaubs setzte die Vorsitzende den Angeklagten aber – entgegen der Absprache – eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge (§ 244 Abs. 6 StPO), die noch vor Rückkehr des Verteidigers ablief. Auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft sollte noch vor seiner Rückkehr gehalten werden.

Daraufhin lehnten beide Angeklagten die Vorsitzende Richterin wegen Befangenheit ab, da sie sich nicht an die Absprache gehalten hatte. Die Strafkammer wies beide Anträge zurück und hat verurteilt.

Der BGH hat das Urteil auf Urteil die Verfahrensrüge des Angeklagten mit dem urlaubenden Verteidig, der einen Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1, 28 Abs. 2 Satz 2, § 338 Nr. 3 StPO geltend gemacht hatte, aufgehobem. .

Mich wundert die Aufhebung nicht, denn das Verhalten der Vorsitzenden begründet m.E. ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den verlinkten Volltext, und zwar ab Seite 8.

Hier nur der Leitsatz, nämlich:

Haben sich der Vorsitzende und der Verteidiger darauf geeinigt, dass während des Urlaubs nur Schiebetermine stattfinden, ist die Annahme der Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn der Vorsitzende dennoch die Frist für abschließende Beweisanträge in den Zeitraum während des Urlaubs des Verteidigers legt und/oder auch das Plädoyer der Staatsanwaltschaft in dem Zeitraum stattfinden lässt.

Strafbefehl II: Angeklagter hat keinen Pflichti, oder: Wiedereinsetzung gegen versäumte Einspruchsfrist

Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern, es handelt sich um den LG Kempten, Beschl. v. 13.06.2024 – 2 Qs 80/24. Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das AG hatte den Einspruch des Abgeklagten als unzulässig, weil verspätet angesehen. Anders das LG:

„Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 16.05.2024 ist zulässig und begründet.

Der Verteidiger hatte zwar ausweislich BI. 30 d. A. bereits am 08.05.2024 Einsicht in das Vollstreckungsheft, aus diesem ergibt sich jedoch nicht der Verstoß gegen die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO. Somit hatte der Verteidiger erst im Rahmen der Einsicht in die Ermittlungsakte am 14.05.2024 Kenntnis von diesem Umstand, sodass die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO am 16.05.2024 noch nicht abgelaufen war.

Der Antrag ist auch begründet. Die Begründung des Antrags erfordert zwar grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung sämtlicher Tatsachen, aus denen sich die nicht schuldhafte Fristversäumnis des Antragstellers ergibt. Es müssen deshalb alle zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände mitgeteilt werden, die für die Frage bedeutsam sind, wie und ggf. durch wessen Verschulden es zur Versäumnis gekommen ist. Zu benennen sind deshalb die Frist, der Grund der Säumnis sowie der Zeitpunkt, zu dem das Hindernis weggefallen ist. Nicht der Darlegungspflicht unterliegen jedoch Umstände, die den Akten zu entnehmen sind oder gerichtskundig sind (BVerfG NJW 1995, 2544; OLG Düsseldorf StraFo 1997, 77; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg Rn. 14; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 5).

Vorliegend enthält der Antrag des Verteidigers vom 16.05.2024 nicht den geforderten Sachvortrag. Jedoch ergibt sich hier der gesamte Sachverhalt aus der Akte und ist deswegen von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine andere Ansicht widerspräche dem Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 3 c EMRK.

2. Der Einspruch des Verteidigers vom 16.05.2024 gegen den Strafbefehl vom 06.08.2021 ist zulässig. Der Strafbefehl wurde dem Angeklagten am 10.08.2021 zugestellt und damit war die zweiwöchige Einspruchsfrist bereits abgelaufen. Jedoch wurde es bei Erlass des Strafbefehls unterlassen, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger nach § 408b StPO zu bestellen.

Weil § 408b StPO als Gegengewicht zu rechtsstaatlichen Bedenken fungiert, die gegen die Verhängung einer Freiheitsstrafe in einem summarischen Verfahren sprechen, überzeugt es, die Versäumung der Einspruchsfrist entsprechend § 44 S. 2 StPO als unverschuldet anzusehen, wenn § 408b StPO verletzt wurde. (MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 408b Rn. 22).“

Strafbefehl I: Ein Reichsbürger als Angeklagter, oder: Wenn der Angeklagte nicht Angeklagter sein will

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In die neue Woche geht es dann mit zwei Entscheidungen aus dem Strafbefehlsverfahren.

Den Opener mache ich mit einer – für mich skurrilen – Verfahrenslage im Strafbefehlsverfahren. Es handelt sich um das AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 17.09.2024 – 21 Cs-130 Js 322/24-358/24 -, über das ja auch schon anderweitig berichtet worden ist. Wenn man es liest, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Nicht über die Entscheidung sondern über den Angeklagten, der kein Angeklagter sein will.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten ist ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung über eine Geldstrafe erlassen worden. Gegen den hat Angeklagte „sinngemäß Einspruch eingelegt“. Sowohl aus dem Einspruchsschreiben als auch aus mehreren weiteren Eingaben des Angeklagten war für das AG erkennbar, dass der Angeklagte dem Reichsbürgermilieu zuzuordnen ist und die Legitimation des Gerichts wie auch die Legitimität des Verfahrens in Zweifel zog.

Das Gericht beraumt dann Hauptverhandlung an, das persönliche Erscheinen des Angeklagten wird angeordnet und er wird über die Folge eines etwaigen Ausbleibens in der Hauptverhandlung ordnungsgemäß belehrt. Die Ladung wird dem Angeklagten ordnungsgemäß zugestellt worden (Anmerkung: In der veröffentlichten Entscheidung können die Daten nicht stimmen.

Bei Aufruf der Sache zur Hauptverhandlung erscheint im Saal dann

„eine männliche Person. Auf Nachfrage des Gerichts, ob sie der Angeklagte sei, erklärte diese: „Ich bin selbst nicht der Angeklagte. Aber ich bringe Ihnen den Angeklagten“, und legte die Abschrift einer Geburtsurkunde des Angeklagten auf die Angeklagtenbank. Die Person selbst blieb mittig im Saal stehen.

Der Richter forderte die männliche erschienene Person auf, auf der Angeklagtenbank Platz zu nehmen, sofern er der Angeklagte sei und wies darauf hin, dass er den Einspruch gegen den Strafbefehl verwerfen werde, wenn die Person sich nicht als der Angeklagte zu erkennen geben und als solcher an der Hauptverhandlung teilnehmen werde.

Die männliche Person erwiderte darauf: „Ich setzte mich nicht dahin, weil ich nicht der Angeklagte bin. Ich bin auch nicht hier, den Angeklagten zu verteidigen. Ich habe großen Respekt und bin mit diesem hierhergekommen. Die Person, die hier angeklagt wurde, ist hier. Das ist die Urkunde, die dort liegt. Ich bin nur ein Mensch. Ich bin als ein Angehöriger der Allgemeinheit hier anwesend. Ich bin ein Mensch. Eine Person kann nur benutzt werden. Der Angeklagte ist da, er ist diese Urkunde. Die Person ist die Geburtsurkunde. Wer für diese Person spricht, ist dem Staat überlassen. Ich als Angehöriger der Allgemeinheit bin für den Angeklagten heute da. Mir gehört aber die Person nicht. Dem Staat gehört die Person. Ich kann nicht für die Person sprechen. Ich habe kein Mandat des Staats, um die Person zu verteidigen. Wir sind alle nur Menschen. Sie sind auch nur ein Mensch und haben kein Recht, hier zu urteilen“.

Das AG hat den Einspruch dann verworfen:

„Die Entscheidung beruht auf §§ 412 S. 1, 329 Abs. 1 S. 1 StPO in entsprechender Anwendung. Nach dieser Norm ist der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl zu verwerfen, wenn weder er noch ein Verteidiger bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins erscheinen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.

Vorliegend ist der Angeklagte zwar mutmaßlich körperlich erschienen, denn es spricht einiges dafür, dass eine Person, die Kenntnis von dem Hauptverhandlungstermin hat und über dessen Geburtsurkunde verfügt, der Angeklagte ist. Der Angeklagte hat aber seine Identität als die angeklagte Person nachhaltig bestritten und sich geweigert, in der Rolle des Angeklagten an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dieser Fall steht bei wertender Betrachtung dem genannten gesetzlich geregelten Fall des Nichterscheinens gleich.

Der Normzweck der Ausnahmebestimmung über die Verwerfung der Berufung (der entsprechend auf die Verwerfung des Strafbefehls anwendbar ist) wegen Nichterscheinens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung besteht darin, zu verhindern, dass der Angeklagte durch unentschuldigtes Ausbleiben, durch eigenmächtiges Sich-Entfernen oder durch schuldhafte Herbeiführung von Verhandlungsunfähigkeit den Abschluss des Verfahrens verzögert (vgl. Ullenboom, StV 2019, 643). Ziele einer Verwerfung der Berufung oder der Sachentscheidung in seiner Abwesenheit sind demnach die Beschleunigung des Verfahrens (vgl. BGH, Beschl. v. 10.08.1977 – 3 StR 240/77, NJW 1977, 2277) und die Missbrauchsabwehr (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 08.07.2013 – III-2 Ws 354/13, zit. n. juris). Für ein Erscheinen in diesem Sinne genügt vor diesem Hintergrund nicht schon jede körperliche Anwesenheit des Angeklagten, sondern es erfordert auch, eine Sachentscheidung über seine Berufung nicht dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (vgl. BGH, Beschl. v. 06.10.1970 – 5 StR 199/70, NJW 1970, 2253; BGH, Urt. v. 03.04.1962 – 5 StR 580/61, NJW 1962, 1117). Zu fordern ist auch, sich als Angeklagter zu erkennen zu geben, auf Frage des Gerichts gemäß § 111 Abs. 1 OWiG Angaben zu seiner Identität zu machen und sich so als Angeklagter und Berufungsführer auszuweisen; hierdurch wird sein Recht, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, nicht berührt (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 27.04.2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22, BeckRS 2022, 9205; LG Berlin, Urt. v. 05.12.1996 – (574) 55/141 PLs 4163/95 Ns 93/96, NStZ-RR 1997, 338).

Die Anwesenheit des Angekl. im Fall des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO hat nämlich den Zweck, die Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu ermöglichen, wozu die schlichte körperliche Anwesenheit des Angekl. nicht genügt; notwendig ist, dass der Angeklagte zum Zwecke der Durchführung der Hauptverhandlung erscheint. Der Ausdruck „nicht erschienen“ ist dann dahingehend zu verstehen, dass nur der Angeklagte erschienen ist, der leiblich am Ort der Hauptverhandlung zugegen ist, die Fähigkeit besitzt, an der Verhandlung verständig teilzunehmen, und die Bereitschaft aufweist, an der Verhandlung mitzuwirken. Ist der körperlich präsente Angekl. nicht bereit, durch seine Mitwirkung selbst und freiwillig die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufungshauptverhandlung zu schaffen, die er veranlasst hat und die allein zu seinen Gunsten stattfindet, handelt er rechtsmissbräuchlich. Ändert er sein Verhalten trotz Hinweises des Vorsitzenden über die möglichen Konsequenzen gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht, verwirkt er sein Recht auf Durchführung der Berufung. Es gibt keine rechtlichen Interessen des Angeklagten, die ein solches Verhalten rechtfertigen könnten (vgl. LG Berlin, Urt. v. 05.12.1996 – (574) 55/141 PLs 4163/95 Ns 93/96, NStZ-RR 1997, 338).

Ähnlich verhält es sich hier. Wenn der Angeklagte aufgrund seines kruden Weltbildes meint, er könne sich nicht hinreichend mit der angeklagten Person identifizieren, um als diese an der Hauptverhandlung teilzunehmen, verhält er sich rechtsmissbräuchlich. Sein körperliches Erscheinen verfolgte erkennbar gerade nicht den Zweck der Teilnahme an der Hauptverhandlung über seinen Einspruch gegen den Strafbefehl, sondern vielmehr den Zweck eines Nasführens des Gerichts und eines Missbrauchs der strafrechtlichen Hauptverhandlung als Bühne für die Präsentation der Weltanschauung des Angeklagten. Damit hat der Angeklagte sein Recht auf die Durchführung der Hauptverhandlung verwirkt und sein Einspruch war zu verwerfen.“

Ohne weiteren Kommentar, da ich keine Zeit für eine Diskussion mit Sympathisanten 🙂 habe. Ich frage mich nur: Wie kann man nur so verwirrt sein? Und hätte ggf. nicht deshalb dem Angeklagten – der „männlichen Person“ – ein Pflichtverteidiger bestellt werden müssen nach § 140 Abs. 2 StPO. Der Kollege hätte es dann aber sicherlich nicht leicht gehabt.