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StPO II: Nachbessern mangelhafter Verfahrensrügen?, oder: Wiedereinsetzungsantrag im Zweifel unzulässig

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Als zweite Entscheidung kommt hier der BGH, Beschl. v. 5 StR 218/24.

Der Verteidiger hatte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge gestellt. Der BGH hat den Antrag als unzulässig verworfen:

Das ist dem Verteidiger des Angeklagten am zugestellt worden. Mit der am beim Landgericht eingegangenen Revisionsbegründung hat der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Nach Zustellung der Zuschrift des Generalbundesanwalts hat der Verteidiger des Angeklagten mit dem am beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Beifügung von Dokumenten zur Begründung der erhobenen Verfahrensrüge beantragt.

b) Der Antrag ist nicht zulässig. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachbesserung einer Verfahrensrüge kommt allenfalls in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 4 StR 103/21, NStZ 2022, 250; vom 2 StR 267/20, NStZ 2021, 753 f.; vom 5 StR 505/19; vom 1 StR 301/12, NStZ-RR 2012, 316 f., jeweils mwN). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.

Der Verteidiger des Angeklagten hat die Revision frist- und formgerecht begründet und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt. Seine Wiedereinsetzung zielt allein auf Ausbesserung der in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigten Mängel seiner nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Begründung der Verfahrensrüge. Dies ist nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist allerdings unzulässig. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen.“

StPO I: Beweisverwertung + Verlesungsfragen, oder: Auch die StA „kann“ keine Verfahrensrügen

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Ich stelle heute StPO-Entscheidungen vor, und zwar alle drei zur Verfahrensrüge.

Den Opener macht das BGH, Urt. v. 13.03.2024 – 5 StR 273/23. Das LG hatte den Angeklagten vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge Erfolg hatte. Mit ihren Verfahrensrügen ist die Staatsanwaltschaft allerdings gescheitert:

„1. Die Verfahrensrügen dringen allerdings nicht durch, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen und daher unzulässig sind.

a) Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2023 – 6 StR 417/22, NStZ-RR 2023, 284 mwN). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen und unterschiedslos für jeden Beschwerdeführer, sei es der Angeklagte, der Nebenkläger oder – wie hier – die Staatsanwaltschaft.

b) Die Staatsanwaltschaft wird dem für keine der erhobenen Verfahrensbeanstandungen gerecht.

aa) Soweit sie eine Verletzung des § 261 StPO rügt, weil das Landgericht zu Unrecht angenommen habe, die bei der Durchsuchung des am Tattag vom Angeklagten genutzten Autos aufgefundenen Beweise (rund 65 Gramm Kokain, ein Mobiltelefon des Angeklagten) seien nicht verwertbar, beschränkt sich ihr Revisionsvortrag darauf, die Urteilsgründe auszugsweise wiederzugeben und in Bezug zu nehmen. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Wird beanstandet, das Tatgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des Richtervorbehalts nach § 105 Abs. 1 StPO angenommen, weil das Ergebnis der Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer Tataufklärung und dem Individualinteresse des Betroffenen an der Wahrung seiner Rechtsgüter den Angeklagten rechtsfehlerhaft begünstige, müssen jedenfalls alle Polizeiberichte und andere Unterlagen vorgelegt werden, die mit der Durchsuchungsmaßnahme im Zusammenhang stehen. Denn nur auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes prüfen, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich oder gar willkürlich begangen wurde. Dies wiederum ist aber für die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes von entscheidender Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 – 6 StR 319/21, NStZ 2022, 125; Beschluss vom 5. April 2022 – 3 StR 16/22, NJW 2022, 2126, 2128).

Dementsprechend hätte die Revision sowohl den in den Urteilsgründen erwähnten polizeilichen Einsatzplan zum Tattag und die Ergebnisse der am gleichen Tag durchgeführten Observation des Angeklagten als auch den Durchsuchungsbericht mitteilen müssen. Das Gleiche gilt für die – ebenfalls in den Urteilsgründen in Bezug genommene – gegen den gesondert verfolgten Bruder des Angeklagten gerichtete richterliche Anordnung zur Durchsuchung der Gartenparzelle nebst Kraftfahrzeugen. Denn auch daraus könnten sich Umstände ergeben, die bei der Prüfung eines Beweisverwertungsverbots vom Senat heranzuziehen gewesen wären.

Daran ändert auch nichts, dass das Landgericht in den Urteilsgründen rechtlich nicht gebotene Ausführungen zu Verfahrensstoff gemacht hat, der für ein Verwertungsverbot relevant sein kann. Zwar können zur Ergänzung der Verfahrensrüge die Urteilsausführungen herangezogen werden, da das Revisionsgericht die Urteilsgründe bei einer umfassend erhobenen Sachrüge ohnehin zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018 – 4 StR 524/17; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 344 Rn. 21a). Der Umstand, dass die Urteilsgründe Ausführungen dazu enthalten, warum die Beweise aus der Durchsuchung des Autos aus Sicht der Strafkammer nicht erhoben oder verwertet werden durften, befreit den Beschwerdeführer aber nicht von der Verpflichtung zu einem geordneten Vortrag der den geltend gemachten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dies folgt schon daraus, dass Ausführungen zu Verfahrensvorgängen im Urteil rechtlich nicht geboten sind und die vollständige Wiedergabe der maßgeblichen Verfahrensvorgänge in den Urteilsgründen mithin nicht gewährleistet ist. Zudem sind Feststellungen des Tatgerichts für das Revisionsgericht nicht bindend; vielmehr ist seine tatsächliche Sicht der Verfahrensvorgänge die allein maßgebliche (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, NStZ 2019, 107, 108).

bb) Soweit die Staatsanwaltschaft eine Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rügt, weil das Landgericht ihren Antrag auf Verlesung dreier Gutachten über DNA-Spurentreffer abgelehnt hat, teilt sie – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – zahlreiche Unterlagen nicht mit, die in dem Beweisantrag und dem Ablehnungsbeschluss aufgeführt sind. Insbesondere werden die Gutachten zu den Spurentreffern und der Beschluss des Amtsgerichts Kiel nicht vorgetragen.“

Ähnlich im BGH, Urt. 30.04.2024 – 1 StR 426/23:

„b) Die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

aa) Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe zu Unrecht den Inhalt einer im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunde im Urteil nicht erörtert. Sie teilt aber weder den Inhalt der von der Verteidigung herbeigeführten Entscheidung des Gerichts (§ 238 Abs. 2 StPO) über die Selbstleseanordnung noch eine gegen diese Entscheidung erhobene Gegenvorstellung und die Entscheidung hierüber mit. Vortrag hierzu war nicht etwa, wie die Revision meint, deswegen entbehrlich, weil die Rüge nicht die Durchführung des Selbstleseverfahrens, sondern die Frage der gebotenen Verwertung einer durch das Selbstleseverfahren eingeführten Urkunde betraf. Die Verwertung setzt die ordnungsgemäße Anordnung und Durchführung des Selbstleseverfahrens voraus.

Man sieht: Auch für die Staatsanwaltschaft sind Verfahrensrügen „schwierig“ 🙂 .

StPO II: Sitzenbleiben und Richterunterbrechung, oder: Ungebühr, Ordnungsmittel, Protokoll, Rechtsmittel

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Im Mittagsposting habe ich dann zwei Entscheidungen zur Ungebühr in der Hauptverhandlung und zu den Maßnahmen des Gerichts und den Rechtsmitteln. Da sich diese Fragen immer wieder um dieselbe Problematik drehen, die ich hier schon häufiger vorgestellt habe, gibt es aber nur die Leitsätze der Entscheidungen. Das sind:

    1. Bei der in § 181 Abs. 1 GVG geregelten Beschwerde gegen Ordnungsmittel handelt es sich nach um eine sofortige Beschwerde im Sinne des § 311 StPO.
    2. Bei der Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr muss im Protokoll der Vorfall so deutlich festgehalten sein, dass das Beschwerdegericht den Grund und die Höhe der Sanktion ohne eigene Erhebungen überprüfen kann.
    3. Ein ungebührliches Verhalten kann in dem demonstrativen Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung trotz entsprechender Aufforderung seitens des Gerichts sowie in einer (wiederholten) Unterbrechung des Gerichts während der Urteilsverkündung liegen.
    1. Bei Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr nach § 178 GVG sind gemäß § 182 GVG der Beschluss des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen. Dabei muss der Sachverhalt so deutlich dargestellt werden, dass das Beschwerdegericht nachprüfen kann, ob eine Ungebühr vorlag. Die Niederschrift muss ein so deutliches Bild von dem Vorgang geben, dass der Grund und die Höhe der Sanktion ohne Weiteres nachzuprüfen sind. Wertungen oder abstrakte Darstellungen sind mangels Subsumierbarkeit ungenügend. Wesentliche Lücken können nicht durch dienstliche Erklärungen oder sonstige. Beweiserhebungen ausgefüllt werden.
    2. Eine Ausnahme hiervon besteht jedoch in Fällen, in denen der Beschwerdeführer das dem Ordnungsmittel zugrundegelegte Verhalten als solches nicht bestreitet. Dies erlaubt es dem Beschwerdegericht ausnahmsweise, für die Prüfung des Ordnungsgeldbeschlusses auch auf außerhalb des Hauptverhandlungsprotokolls liegende Quellen, etwa einen Nichtabhilfebeschluss, zurückzugreifen.
    3. Vor der Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 178 GVG ist dem Betroffenen im Regelfall rechtliches Gehör zu gewähren. Eine Ausnahme hiervon besteht jedoch unter anderem dann, wenn der Betroffene in zeitlicher Nähe vor der Festsetzung des Ordnungsgeldes wegen eines vergleichbaren Verhaltens ermahnt worden und ihm dieses Ordnungsmittel dabei bereits angedroht worden war.

StPO I: Zwei Wege zur Bestellung eines Dolmetschers, oder: (K)Ein gemeinschaftlicher Nebenklägerbeistand

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Ich beginne dann die 36. KW. mit StPO-Entscheidungen.

Hier kommen zunächst zwei Entscheidungen des BGH, die beide in einem Sicherungsverfahren ergangen sind.

In dem BGH, Beschl. v. 08.07.2024 – 5 StR 236/24 – hat der BGH, dem Beschuldigten für ein Mandantengespräch mit seinem Verteidiger einen Dolmetscher beigeordnet:

„Dem über seinen Verteidiger gestellten Antrag des Beschuldigten vom 5. Juli 2024 ist zu entsprechen.

Gemäß § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG zieht das Gericht für einen Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, einen Dolmetscher oder Übersetzer heran, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. Die Norm gilt – wie hier – auch für interne Besprechungen mit dem Verteidiger, etwa zur Vorbereitung von Anträgen und Prozesserklärungen im Rechtsmittelverfahren (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 187 Rn. 6).

Da der Verteidiger ausdrücklich die „unentgeltliche Beiordnung“ beantragt hat, ist der Dolmetscher unmittelbar zu bestellen (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 187 Rn. 9; BeckOK GVG/Allgayer, 23. Ed., § 187 GVG Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 9. März 2011 – 1 Ws 102/11; vgl. zur alternativ möglichen Feststellung der Erforderlichkeit einer Eigenbeauftragung des Dolmetschers durch den Pflichtverteidiger gemäß § 46 Abs. 2 RVG mit späterer Geltendmachung der Auslagen im Vergütungsfestsetzungsverfahren auch Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 187 Rn. 23, 24).“

Also, weil die Fragen immer wieder kommen: Es gibt zwei Wege, die der BGH aufzeigt.

In dem Verfahren ist dann auch der BGH, Beschl. v. 30.07.2024 – 5 StR 236/24 – ergangen, in dem der BGH zur Bestellung eines gemeinschaftlichen Beistands für die Eltern eines Getöteten kurz Stellung genommen hat, und zwar wie folgt:

„Die Anschlussberechtigung des U. Z. als Vater der getöteten N. Ze. folgt aus § 395 Abs. 1 iVm Abs. 2 Nr. 1 StPO; sein Anspruch auf Beistandsbestellung ergibt sich aus § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Von der Bestellung eines gemeinschaftlichen Beistands für beide Elternteile gemäß § 397b Abs. 1 StPO hat der Senat angesichts des zwischen diesen bestehenden Konflikts keinen Gebrauch gemacht.“

 

 

Corona I: Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, oder: Der Anstifter kann nicht Verteidiger sein

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Und dann im „Kessel Buntes“ seit längerem mal wieder etwas zu Corona (und was [noch] damit zu tun hat. Eine Entscheidung stammt aus dem Strafrecht, eine aus dem Zivilrecht.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 06.06.2024 – 2 ARs 85/24. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen eines Verteidigerausschlusses (§§ 138a StPO ff.). Das OLG hat den Rechtsanwalt in einem Strafverfahren gemäß § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO von der Mitwirkung ausgeschlossen. Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde war unbegründet.

Folgender Sachverhalt:

„Das Landgericht Dresden führt gegen die Angeklagte Dr. Wi.  ein Strafverfahren unter anderem wegen des Vorwurfs des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 278 Abs. 1 StGB in einer Vielzahl von Fällen. In den Fällen III.66, III.67, III.72 und III.73 der Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden vom 29. Juni 2023 soll die Angeklagte unter anderem dem Beschwerdeführer, einem Rechtsanwalt, im Rahmen ihrer Berufsausübung als praktizierende Ärztin zwischen dem 16. Januar 2022 und dem 8. Februar 2022 an insgesamt vier Tagen ärztlich bescheinigt haben, er sei mittels eines Antigen-Schnelltestes negativ auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus getestet worden, obwohl sie selbst die Testungen an diesen Tagen weder vorgenommen noch überwacht habe.

Der Beschwerdeführer hat sich im Verlauf des Verfahrens als Wahlverteidiger der Angeklagten legitimiert. Auf entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Dresden den Beschwerdeführer nach Vorlage durch das Landgericht Dresden und aufgrund durchgeführter mündlicher Verhandlung mit Beschluss vom 10. November 2023 gemäß § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO als Verteidiger ausgeschlossen, da dieser der Beteiligung an Straftaten der Angeklagten hinreichend verdächtig sei.“

In der Sache führt das BGH aus:

„2. Auch in der Sache ist der Ausschluss des Beschwerdeführers als Verteidiger in dem gegen die Angeklagte geführten Strafverfahren zu Recht erfolgt.

Die Voraussetzungen des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO liegen vor. Demnach ist ein Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist. Erforderlich, aber auch ausreichend ist insoweit der hinreichende Tatverdacht im Sinne der §§ 203, 170 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. März 1989 – 2 ARs 54/89, BGHSt 36, 133; vom 18. April 2018 – 2 ARs 542/17, juris Rn. 12 mwN). Dabei wird vorausgesetzt, dass der Tatvorwurf zwar nicht restlos bis in alle Einzelheiten geklärt ist, die verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten und Erkenntnisquellen aber im Wesentlichen ausgeschöpft sind (sog. Anklagereife, vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1989 – 2 ARs 54/89, juris Rn. 19). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

a) Das Oberlandesgericht Dresden hat umfassend gewürdigt und begründet, warum sich in tatsächlicher Hinsicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird nachweisen lassen, der Beschwerdeführer habe bei der Angeklagten ärztliche Atteste über negative Testungen auf das SARS-CoV-2-Virus angefordert, die diese sodann ausstellte, ohne den Test selbst durchgeführt oder überwacht zu haben.

b) Der demnach überwiegend wahrscheinlich feststellbare Sachverhalt erweist sich in rechtlicher Hinsicht für den Beschwerdeführer zumindest als Anstiftung zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 Abs. 1, § 26 StGB) in vier Fällen. Sollte die Angeklagte dem Beschwerdeführer zugleich eine Testdokumentation im Sinne des § 22 Abs. 4c Satz 1 IfSG ausgestellt haben, stünde die Anstiftung zur unrichtigen Dokumentation der Überwachung einer Testung (§ 75a Abs. 1 Nr. 1 IfSG in der Fassung vom 22. November 2021, § 26 StGB) jeweils in Tateinheit dazu.

aa) Nach § 278 StGB in der seit dem 24. November 2021 geltenden Fassung macht sich strafbar, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr als Arzt oder andere approbierte Medizinalperson ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen ausstellt. Die Vorschrift soll die Beweiskraft ärztlicher Zeugnisse sichern und setzt grundsätzlich die Feststellung des Gesundheitszustands aufgrund einer Untersuchung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2006 – 2 StR 384/06, NStZ-RR 2007, 343). Auch die ärztliche Testdokumentation nach § 22 Abs. 4c und 4d IfSG in der hier maßgeblichen Fassung vom 10. Dezember 2021, bei der es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB handelt, setzt die Durchführung oder Überwachung der Testung in Bezug auf einen negativen Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 im Beisein der dazu befugten Person voraus. Soweit der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften vom 18. März 2022 (BGBl. I, S. 466) § 22a Abs. 3 IfSG dahin gefasst hat, die Testung müsse „vor Ort unter Aufsicht […] stattgefunden“ haben, ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass die Aufnahme der Worte „vor Ort“ in den Gesetzestext allein aus Gründen der Klarstellung vorgenommen wurde (BT-Drucks. 20/958, S. 17). In Bezug auf das zu den einzelnen Tatzeitpunkten weiterbestehende Infektionsgeschehen konnten Testnachweise bzw. -dokumentationen, die auf einer Diagnostik durch Antigen-Schnelltestungen beruhten, als Teil der Bekämpfungsstrategie nur dann wirken, wenn die sachgerechte Durchführung der Tests durch echte Kontrollmöglichkeiten gewährleistet wurde. Dies galt unabhängig davon, ob es sich bei den von der Angeklagten ausgestellten Attesten um Testdokumentationen im Sinne des § 22 Abs. 4c, 4d IfSG oder um Testnachweise im Sinne des § 2 Nr. 7c) COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung in der Fassung vom 14. Januar 2022 handelte.

bb) Die dem Beschwerdeführer auf seine Veranlassung erteilten ärztlichen Bescheinigungen der Angeklagten genügten dem nicht. Insbesondere lag entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Auffassung in der zwischen der Angeklagten und dem Beschwerdeführer verabredeten Vorgehensweise keine Überwachung der Testung durch die Angeklagte.

Der Beschwerdeführer hat angeführt, er habe sich vor Ausstellung der ärztlichen Atteste jeweils selbst mittels eines Antigen-Schnelltests auf eine Infektion getestet und ein Foto der entsprechenden Testkassette sodann über Messengerdienste an die Angeklagte übersandt. Dies hat er im Beschwerdeverfahren zum Teil durch Vorlage entsprechender Screenshots belegt. Das schlichte Übersenden eines Lichtbildes einer Testkassette stellt bereits nach allgemeinen Verständnis keinen wirksamen Kontrollmechanismus und damit keine Überwachung eines Tests dar. Eine Überwachung, die dem Regelungszweck der genannten Vorschriften gerecht werden soll, erfordert, dass der die negative Testung Bestätigende sich auf Basis einer verlässlichen Grundlage von der sachgerechten Durchführung der Testung überzeugt. Dazu gehört auch die Prüfung, wann der Test durchgeführt wurde und ob diejenige Person, die getestet wurde, mit derjenigen Person, für die das Attest ausgestellt wird, identisch ist. Allein anhand eines übersendeten Lichtbildes von einer Testkassette war dies nicht möglich. Die Angeklagte konnte nicht überprüfen, wann oder von wem oder in welcher Weise der Test durchgeführt wurde. Daran ändert auch der durch den Beschwerdeführer dargelegte Umstand, die Angeklagte habe ihm zuvor ausführlich erläutert, wie eine Selbsttestung vorzunehmen sei, nichts. Dies würde der Angeklagten allenfalls die Möglichkeit gegeben haben zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer generell in der Lage war, Selbsttestungen fehlerfrei vorzunehmen. Konkret bezogen auf die verfahrensgegenständlichen Testnachweise fehlte es aber an jeglicher Kontrollmöglichkeit. Die ärztliche Gewähr für die Verlässlichkeit des Testergebnisses, die die Angeklagte mit ihren Attesten bescheinigte und deren Schutz § 278 Abs. 1 StGB dient (vgl. Spickhoff/Schuhr, Medizinrecht, 4. Aufl., § 278 StGB Rn. 1), konnte sie damit nicht bieten.

cc) Die Aufforderung des Beschwerdeführers, ihm in den oben genannten vier Fällen ein negatives Testergebnis zu bescheinigen, stellt jeweils ein Bestimmen im Sinne des § 26 StGB dar. Nach derzeitigem Sachstand ist auch im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes von einem doppelten Anstiftervorsatz auszugehen. Jedenfalls nach Aktenlage liegt es nicht nahe, dass der Beschwerdeführer als Rechtsanwalt das von ihm beschriebene Prozedere als hinreichende Grundlage für die Ausstellung eines ärztlichen Attestes angesehen hat.“