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Verteidiger, kommst du nach Münster, dann pass auf! Verhaftung droht, aber warum jetzt und warum hier?

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Beherrschendes Thema der vergangenen Woche war – zumindest für die StrafBlogs – sicherlich die Verhaftung des Pflichtverteidigers im Gerichtssaal während einer Hauptverhandlung beim LG Münster. Ich hatte darauf ja auch gestern schon im Wochenspiegel hingewiesen (vgl.zur Verhaftung des (Pflicht)Verteidigers im Gerichtssaal, auch hier, hier und hier, hier und hier).

Die Geschichte hatte ich schon während des Urlaubs über den JuraBlogs-Newsletter verfolgt. Als ich es gelesene habe, war mein erster Gedanke: So eine „spannende“ Geschichte, und du kannst nicht bloggen. Der zweite Gedanke war dann: Das geht doch gar nicht. Denn ich erinnerte mich an eine Entscheidung des 2. Strafsenats, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 06.06.2003 – 2 Ws 122/03. Grundlage dieses Beschlusses war auch die Verhaftung eines Verteidigers im Gerichtssaal. Die hatte allerdings beim OLG, das noch am gleichen Tag den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt hatte, keinen Bestand. Allerdings – und das habe ich dann jetzt hier aus den Beiträgen und auch aus der örtlichen Presse entnommen – lag der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde. Da war der Verteidiger nämlich wegen Ungebühr mit Ordnungshaft belegt und sogleich festgenommen worden.Da liegt also zunächst mal der entscheidende Unterschied in den Sachverhalten. „Verhaftung“ auf der Grundlage der §§ 177, 178 GVG geht gar nicht. Damit hatten wir es in Münster in der vergangenen Woche aber auch nicht zu tun. Da war es ein Haftbefehl auf der Grundlage des § 112 StPO wegen versuchter Anstiftung zur Falschaussage.

Eine ganz andere Frage ist das Procedere. Wenn ich nachträglich den Bericht in der Welt lese, dann frage ich mich: Warum muss die Verhaftung in der Hauptverhandlung durchgeführt werden – lassen wir mal die ggf. noch darüber hinausgehende Frage der „zufälligen“ Anwesenheit eine Kamerateams außen vor? Wobei – um Kommentaren vorzubeugen: Dass die Hauptverhandlung unterbrochen wurde, spielt für mich keine Rolle, das ergibt sich automatisch aus ihrem normalen Ablauf, § 243 StPO sieht eben keinen „Programmpunkt“ „Verhaftung des Verteidigers“ vor. Da ist m.E. jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit, man könnte auch sagen Fingerspitzengefühl, verloren gegangen.Auch eine Staatsanwaltschaft sollte, nein muss sich überlegen, wo und wie ich einen Beschuldigten, für den ja immer noch die Unschuldsvermutung streitet, (vorläufig) festnehme. Da ist man m.E. hier gehörig über das Ziel hinausgeschossen. „Rambo“ bzw. amerikanische Gerichtsfilme lässt/lassen grüßen.

Mir erschließen sich Zeitpunkt und Ort der Festnahme jedenfalls nicht. Dafür hätte man ja schon gerne eine Erklärung der Staatsanwaltschaft gelesen/gehört. Ich finde derzeit keine, wenn ich in den alten Ausgaben der örtlichen Presse aus der vergangenen Woche nichts überlesen habe. Jedenfalls steht bei den aktuellen Pressemitteilungen der StA Münster auf deren Homepage nichts, was weiter führen würde. Also: Warum zu dem Zeitpunkt und warum an dem Ort?

Allerdings: LTO und der Kollege Vetter können berichten, dass der verhaftete Kollege wieder frei ist. Wenigstens etwas.

 

OLG Hamm: Strafrest von 9 Monaten = Fluchtgefahr

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Ich hatte ja gestern schon über den  OLG Hamm, Beschl. v.17.01.2012 – III-3 Ws 14/12 – berichtet, und zwar wegen der Begründung der Haftfortdauerentscheidung. Ich komme dann heute noch einmal auf die Entscheidung zurück, nun aber wegen der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Da heißt es im Beschluss

„Bei dem Angeklagten besteht nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. Nr. 2 StPO.

Der Angeklagte ist in Q aufgewachsen und hat dort seinen Lebensmittelpunkt mit Ehefrau und zwei Kindern. Die Bundesrepublik Deutschland hat er dagegen offenbar ausschließlich zur Begehung von Straftaten aufgesucht. Gegen ihn ist eine zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt worden, von der er auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer bedingten Entlassung gemäß § 57 Abs. 1 StGB nach Verbüßung von 2/3 dieser Strafe insgesamt mindestens 20 Monate wird verbüßen müssen. Derzeit sind im Wege der Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft bis heute rund 11 Monate verbüßt, so dass noch ein zu verbüßender Strafrest von neun Monaten verbleibt. Dieser Strafrest ist erheblich genug, um auch heute noch auf den Angeklagten einen deutlichen Fluchtanreiz auszuüben, sich im Falle seiner Freilassung in sein Heimatland Q zu begeben und dort auch zu bleiben, um sich der weiteren Strafvollstreckung zu entziehen. Dies gilt in besonderem Maße, weil der Angeklagte gesundheitlich deutlich angeschlagen ist (er leidet an Asthma, ist zuckerkrank und hat ein Leberleiden) und deshalb besonders haftempfindlich sein dürfte.

Die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch verhältnismäßig, § 112 Abs. 1 Satz 2 StPO, da mit der alsbaldigen Vorlage der Akten beim Senat zur Durchführung des Revisionsverfahrens und damit mit dem Abschluss zumindest des Revisionsverfahrens in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Je nach Ausgang des Revisionsverfahrens wird dann ggf. erneut über die Haftfrage zu entscheiden sein.“

Na, da habe ich so meine Probleme. Neun Monate und damit wird die Fluchtgefahr begründet? Passt – wenn überhaupt – nur, wenn man davon ausgeht, dass der Angeklagte als Ausländer die Bundesrepublik sofort nach seiner Freilassung verlassen wird.

„Der Haftbefehl bleibt aus den Gründen seiner Anordnung und des heute verkündeten Urteils aufrechterhalten“…

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„Der Haftbefehl bleibt aus den Gründen seiner Anordnung und des heute verkündeten Urteils aufrechterhalten“. Wer kennt diese Beschlussformel am Ende einer Hauptverhandlung nicht. Die Entscheidung, die ihr zugrunde liegt,beruht auf § 268b StPO, wonach bei der Urteilsfällung u.a. über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden ist. Und zu der Entscheidung gehört eine (vernünftige) Begründung. das stellt der OLG Hamm, Beschl. v.17.01.2012 – III-3 Ws 14/12 – noch einmal klar. Da hatte das LG nur ausgeführt: „Der Haftbefehl … bleibt aus den Gründen seiner Anordnung und des heute verkündeten Urteils aufrechterhalten.“ Dem OLG reicht das grundsätzlich nicht:

„Die Beschwerde ist auch begründet i.S.v. § 309 Abs. 2 StPO. Es fehlt bereits an einer formgültigen Haftfortdauerentscheidung nach § 268 b StPO.

Die Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts Detmold vom 06.12.2011 genügt nicht den Begründungsanforderungen des § 114 Abs. 2 Nr. 2, 4 StPO, da das Landgericht trotz der erheblichen inhaltlichen Abweichungen zwischen dem Haftbefehl vom 23.02.2011 und dem Berufungsurteil vom 06.12.2011 keinerlei Bezeichnung und Konkretisierung der durch das vorgenannte Urteil weiter abgeurteilten Taten Nr. 4 und 6 der Anklage und insoweit auch nicht die Angabe der den Tatverdacht hinsichtlich dieser Taten begründenden Tatsachen enthält. Der Senat hat hierzu bereits mehrfach und in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Rechtsprechung entschieden (vgl. Senat vom 29.12.2008 – 3 Ws 515/08 = NStZ-RR 2010, 55; Senat vom 03.11.2009 – 3 Ws 412/09 (juris)), dass ein Haftfortdauerbeschluss nach § 268 b StPO jedenfalls dann, wenn die Verurteilung deutlich von den Vorwürfen des ursprünglichen Haftbefehls abweicht, einer Begründung bedarf, aus der hervorgeht, welcher Taten der Angeklagte dringend verdächtig ist und worauf die richterliche Überzeugungsbildung beruht. In diesen Fällen reicht der bloße Verweis auf einen früheren Haftbefehl nicht aus.

Allerdings in der Sache hat es nicht zur Aufhebung geführt:

Der Verstoß gegen diese Begründungspflicht führt hier aber ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Haftfortdauerbeschlusses. Der Senat verfügt nämlich über eine für eine eigene Sachentscheidung gemäß § 309 Abs. 2 StPO ausreichende Tatsachengrundlage, da ihm bereits die schriftlichen Urteilsgründe des Urteils des Landgerichts Detmold vom 06.12.2011 vorliegen (vgl. Senat vom 03.11.2009 – 3 Ws 412/09 (juris)). Daraus ergeben sich ausreichende Feststellungen zu den Taten vom 03.02.2011 und vom 10.02.2011, die dem Senat die Anpassung des Haftbefehls ermöglichen. Dringender Tatverdacht hinsichtlich dieser Taten sowie hinsichtlich der bereits ursprünglich im Haftbefehl enthaltenen Tat vom 22.02.2011 folgt bereits daraus, dass der Angeklagte aufgrund der Beschränkung seiner Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der drei genannten Taten im Schuldspruch bereits rechtskräftig verurteilt ist.

Auf die Entscheidung komme ich aus einem anderen Grund noch einmal zurück.

 

Bei U-Haft muss es schnell(er) gehen…

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Ich freue mich immer über Entscheidungen, die Kollegen, die sie „erstritten“ haben zusenden. So kann man über das ein oder andere berichten, was neu ist bzw. noch nicht veröffentlicht/bekannt. So auch der OLG Naumburg, Beschl. v. 12.04.2012 – 1 Ws 142/12, ergangen in einer Haftsache und mit Ausführungen zum Beschleunigungsgrundsatz im Strafverfahren. In der Sache nichts Revolutionäres, aber ein Beschluss aus der Praxis, da es sicherlich in manchen amtsgerichtlichen Verfahren so ablaufen wird. Das OLG hat auf die weitere Beschwerde des Verteidigers einen Haftbefehl in einem amtsgerichtlichen Verfahren nach folgendem Verfahrens-/zeitablauf wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufgehoben:

  • 12.10.20111 – vorläufige Festnahme und Anordnung der U-Haft nach  Erlass des Haftbefehls am 12.08.20112,
  • 10. 11.2011 Anklageerhebung, was u.a. deshalb vom OLG beanstandet wird, weil bereits am 27.07.2011 Haftbefehl beantragt und damit dringender Tatverdacht bejaht worden ist,
  • 05.12.2011 Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und auf den
  • 14.03.2012 erster Hauptverhandlungstag terminiert.
  • weitere Termine für den 04. 04. und 24. 04.2012 anberaumt..

Besonders „sauer“ ist dem OLG aufgestoßen, „dass bereits im Zeitpunkt der Beantragung des Haftbefehls eine mögliche Drogenabhängigkeit des Angeklagten, der mehrfach wegen Erwerbes von Betäubungsmitteln strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden musste und dessen auch im vorliegenden Verfahren zu verhandelnde Taten der Beschaffungskriminalität zugeordnet werden können, bekannt war und deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt eine Begutachtung des Angeklagten hätte veranlasst werden müssen…“ Auch das ein nicht seltenes Manko.

Haftbeschränkungen – nur bei konkretem Anlass

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§ 119 StPO ist durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2274) mit Wirkung zum 01.01.2010 neu gefasst worden. Die Anwendung der Änderungen hat in der Praxis Schwierigkeiten gemacht und macht sie teilweise heute noch bzw. hat seine Nachwehen. das zeigt sich sehr schön an einem Rechtsprechungsmarathon, der nun im KG, Beschl. v. 24.02.2012 – 4 Ws 53/10 sein Ende gefunden hat:

Folgender Verfahrensablauf:

  • Am 23. 12.2009 trifft der Strafkammervorsitzende eine Sicherungsanordnung getroffen. Er ordnet an: Der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation bedürfen der Erlaubnis; Besuche, Telekommunikation und der Schrift- und Paketverkehr des Angeklagten sind zu überwachen; die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen bedarf – mit Ausnahme der in der JVA aus den Automaten erworbenen Waren – der Erlaubnis; der Angeklagte ist von dem (damaligen) Mitangeklagten D. zu trennen.
  • Dagegen die Beschwerde.
  • Das KG hebt dann am 18.05.2010 die Anordnung des Vorsitzenden hinsichtlich der Übergabe von Gegenständen bei Besuchen und der Trennungsanordnung auf und verwirft die weitergehende Beschwerde.
  • Dagegen die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
  • Der stellt fest, dass der Beschluss des KG den Angeklagten in seinen Grundrechten auf Schutz seiner Privatsphäre und auf Schutz seines Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses verletzt, soweit darin die Beschwerde gegen die vom Vorsitzenden der Strafkammer angeordnete Überwachung der Besuche und der Telekommunikation sowie des Schrift- und Paketverkehrs verworfen worden ist. Insoweit Aufhebung und Zurückverweisung an das KG.
  • Dort dann der KG, Beschl. v. 24.02.2012, in dem sich das KG nun dem VerfGH Berlin anschließt:

„Der Antrag ist begründet. Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO sind nur dann zu treffen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine reale Gefahr für die darin genannten Haftzwecke (Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr) besteht. Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbraucht, genügt nicht (vgl. BerlVerfGH StV 2011, 165).

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Haftzweck durch den unkontrollierten Kontakt des Untersuchungsgefangenen mit der Außenwelt gefährdet war, bestanden nicht. Sie folgten nicht automatisch aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr, denn eine Flucht aus der Untersuchungshaftanstalt bedarf anderer Planungen und Anstrengungen als das Untertauchen eines Beschuldigten, der noch oder wieder auf freiem Fuß befindet (vgl. BerlVerfGH a.a.O.). Aus diesem Grund hätte die Überwachung der Kontakte des Verurteilten mit der Außenwelt nach § 119 StPO nicht angeordnet und durchgeführt werden dürfen.“