Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Uli Hoeneß und die Selbstanzeige – reicht sie/es? Und: Mehr als 50.000 €?

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Da macht man gestern einen Wochenspiegel und hat kein richtiges Top-Thema, aber dann: Es entwickelt sich eins am letzten Tag der Woche, nämlich die Selbstanzeige und die Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß. Davon sind die Gazetten und die Blogs voll. War klar, dass jemand, der so polarisiert und ggf. schweres Geschütz auffährt, mit heftigem Trommelfeuer rechnen muss. War auch klar, dass die Politik sich melden würde. Ist ja auch zu schön, die Steilvorlage  und alle haben etwas dazu zu sagen (vgl. hier).

Für diejenige, die sich informieren wollen, was bislang so geschrieben worden ist, ein „Zwischenüberblick“. Da haben wir

In der Presse dann weitere Details (entnommen LTO), vgl. die Hinweise auf: „die  Montags-SZ ( Andreas Burkert/Hans Leyendecker / Klaus Ott) und bild.de (Alfred Draxler)“.

Was in der Tat irritiert: Es soll eine Hausdurchsuchung bei Uli Hoeneß stattgefunden haben. Das dürfte „auf Unstimmigkeiten in der Selbstanzeige hin„deuten. Wenn das aber der Fall ist, dann könnte es  eng werden. Denn warum eine Hausdurchsuchung, wenn die Selbstanzeige ok war. Ich gehen mal davon aus, dass die Ermittlungsbehörden nicht wissen wollten, wie Uli Hoeneß wohnt. Eng deshalb, weil nur eine wirksame Selbstanzeige Straffreiheit bringt (s. § 371 Abs. 1 AO) – “ in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt“.

Eng ist/wird es aber ggf. so oder so schon, denn nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO tritt Straffreiheit tritt nicht ein, wenn „die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50 000 Euro je Tat übersteigt.“

Aber das muss man alles mal sehen. Jedenfalls steckt Musik drin.

Nachtrag um 11.47 Uhr: Natürlich gibt es auch noch den § 398a AO. Danke für die Hinweise 😀 (siehe bei den Kommentaren). Aber auch dessen Anwendung setzt ja mal zunächst eine wirksame Selbstanzeige voraus.

Wie gesagt: Es ist Musik drin.

Nachtrag um 12.45: Sehr schön auch die Zusammenstellung bei Handelsblatt.com. Natürlich auch, weil auf diesen Blogbeitrag verwiesen wird 🙂 😀 😉

 

Nichtraucherschutz auch in der U-Haft

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Der Beschuldigte ist Nichtraucher Er wird am 27.02.2010 als Untersuchungsgefangener in der JVA Stralsund in einem Drei-Personen-Haftraum mit zwei rauchenden Mitgefangenen untergebracht. Am 03.03.2010 wurden die beiden rauchenden Gefangenen in einen anderen Haftraum verlegt, und der Beschwerdeführer wurde gemeinsam mit einem Nichtraucher untergebracht. Unter dem 29. 11.2010 stellte der Beschuldigte einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim LG Stralsund. Er beantragte unter anderem die Feststellung, dass die „Zulassung der Zufügung von körperlichen Schmerzen durch gesundheitsgefährdende Stoffe“ rechtswidrig gewesen sei. Die beiden Mitgefangenen hätten stark geraucht, sogar mehrmals während der Nacht. Aufgrund des Rauches habe er bereits nach der ersten Nacht starke Kopfschmerzen bekommen, die trotz Schmerztabletten angehalten hätten. Auf seinen Hinweis, dass die Zustände im Haftraum für ihn unhaltbar seien, sei zunächst nichts unternommen worden. Er sei genötigt worden, gesundheitsgefährdende Stoffe zu inhalieren, wodurch ihm körperliche Schmerzen zugefügt worden seien. Eine Zustimmung zu einer gemeinsamen Unterbringung habe er nicht erteilt. Mit seinem Antrag hat er weder beim LG noch beim OLG Erfolg.

Dann aber beim BVerfG mit dem BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11, auf den ich erst jetzt gestoßen bin: Zusammengefasst heißt es dort: Die Unterbringung eines nichtrauchenden Untersuchungsgefangenen gegen seinen Willen für mehrere Tage mit zwei stark rauchenden Mitgefangenen in einem Haftraum, ohne die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen, verletze den Untersuchungsgefangenen in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Angesichts der jedenfalls bei unentrinnbarem gemeinsamen Aufenthalt auf engem Raum nicht nur erheblich belästigenden, sondern auch – zumindest nicht ausschließbaren – gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens könne darin, dass ein Gefangener auf seinem Haftraum ohne seine Zustimmung dem Rauchen eines Mitgefangenen ausgesetzt werde, ein Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht liegen. Der Gefangene habe Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal.

Und: Schon der Frage, ob der Eingriff erforderlich war, sei das LG nicht in der gebotenen Weise nachgegangen. Es habe sich zudem einer näheren Prüfung der Zumutbarkeit des Eingriffs in der unzutreffenden Annahme verschlossen, Grundrechtseingriffe, die durch die faktischen Verhältnisse in der jeweiligen Justizvollzugsanstalt bedingt seien, seien vom Gefangenen ohne weiteres hinzunehmen. Die Art und Weise der Unterbringung des Beschwerdeführers habe es mit der Begründung gebilligt, dass eine solche Unterbringung möglich sein müsse, wenn aufgrund der gegebenen Belegungssituation eine von Rauchern getrennte Unterbringung nicht sofort zu realisieren sei.

„Allein eine Ehefrau aus Kroatien begründet keine Fluchtgefahr“, oder: Schöner Beschluss des AG Backnang zur Fluchtgefahr

Nachdem ich gestern – zumindest inzidenter – AG und LG München wegen eine Durchsuchungsbeschlusses kritisiert habe (vgl. hier:Abenteuerlicher geht es kaum bei der Anordnung einer Durchsuchung), kommt mir der AG Backnang Beschl. v. 19.03.2013 – 2 Ls 222 Js 113636/12 – gerade Recht, um zu sagen: Es geht auch anders. Der Beschluss betrifft zwar nicht eine Durchsuchungsmaßnahme, aber den mindestens ebenso sensiblen Bereich der Anordnung/Aufrechterhaltung von U-Haft.

Die OLG werden nicht müde in Haftsachen immer wieder – gebetsmühlenartig – zu formulieren: Eine hohe Straferwartung allein vermag Fluchtgefahr nicht zu begründen, die Straferwartung ist vielmehr lediglich Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt, ist der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden . Die Annahme, dass Fluchtgefahr besteht, muss aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden, allgemeine Befürchtungen genügen nicht. woran sie sich dann allerdings auch nicht immer halten. Häufig halten sich die Instanzgerichte nicht an diese „Vorgaben“ bzw. argumentieren damit, dass dem sich aus der hohen Straferwartung ergebenden Fluchtanreiz nicht ausreichende soziale Bindungen gegenüberstehen, was dann zur Anordnung/Fortdauer der U-Haft führt. Dabei wird dann aber häufig übersehen, dass die vorhandenen sozialen Bindungen doch ausreichend wären, den Beschuldigten von einer Fluch abzuhalten bzw. einen Fluchtanreiz zu mindern und somit mindestens eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls rechtfertigen würden. Anders der AG Backnang Beschl. v. 19.03.2013 – 2 Ls 222 Js 113636/12, in dem das AG m.E. wohl abgewogen mit den dem Fluchtanreiz entgegenstehenden Umständen umgeht.

Das AG stellt ab bzw. würdigt:

„Neben der Straferwartung sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, die den Angeschuldigten zur Flucht veranlassen könnten. Insbesondere sind starke familiäre Bindungen vorhanden. Der Angeklagte, der über einen festen Wohnsitz verfügt, ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von drei und neun Jahren. Diese festen familiären Bindungen sprechen erheblich gegen die Annahme, der Angeschuldigte werde alleine oder werde mit seiner Familie untertauchen.

Soweit in dem nunmehr aufgehobenen Haftbefehl darauf abgestellt wird, die kroatischen Wurzeln der Ehefrau des Angeschuldigten ließen befürchten, der Beschuldigte werde im In- oder Ausland untertauchen, teilt das Gericht die dieser Annahme zugrunde liegende Auffassung nicht. Der Umstand alleine, dass die Ehefrau der Ehefrau des Angeschuldigten aus Kroatien stammt und über die kroatische Staatsangehörigkeit verfügt, rechtfertigt die Annahme einer Fluchtgefahr nicht. Der Angeschuldigte selbst ist deutscher Staatsangehöriger, seine beiden Kinder sind in Deutschland geboren, und seine Frau lebt seit über zwölf Jahren ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Absetzen nach Kroatien wäre daher für den Angeschuldigten nicht nur die bloße Rückkehr in die alte Heimat, sondern würde eine vollständige Verlagerung des Lebensmittelpunktes bedeuten. Dies wäre nur möglich, wenn entweder erhebliche finanzielle Mittel vorhanden wären oder die Möglichkeit bestünde, über Freunde oder Verwandte der Ehefrau des Angeschuldigten Unterschlupf zu erhalten. Über eigene finanzielle Mittel verfügt der Angeschuldigte nicht, die Familie ist mit 80.000,00 € verschuldet. Sie lebte zuletzt von Sozialleistungen. Auch ist nicht ersichtlich, dass er sich illegale Einnahmen, etwa aus den ihm vorgeworfenen Betäubungsmittelgeschäften, in einem Umfang verschafft hat, die ihm und seiner Familie einen kompletten Neuanfang im Ausland ermöglichen würden. Die von der Kriminalpolizei durchgeführten Finanzermittlungen haben ergeben, dass auf das Konto des Angeschuldigten und seiner Ehefrau Bareinzahlungen in Höhe von 2.755,00 € geleistet wurden. Hierbei handelt es sich zwar um einen nicht unerheblichen Betrag, für eine komplette Verlagerung des Lebensmittelpunktes genügt er jedoch nicht. Dass die Kontakte der Ehefrau des Angeschuldigten nach Kroatien so gut sind, dass dort ein untertauchen des Angeschuldigten und seiner Familie einschließlich der beiden Kinder möglich wäre, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Der Schwiegervater des Angeklagten ist verstorben, und die Mutter seiner Ehefrau lebt in Kroatien von ihrer Rente, so dass sie nicht in der Lage sein dürfte, den Angeklagten und seine Familie bei sich aufzunehmen und zu unterhalten.

Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Angeschuldigte in der Betäubungsmittelszene untertauchen könnte. Soweit ersichtlich handelte der Angeschuldigte zwar durchaus professionell, jedoch sind die ihm zu Last gelegten Taten allesamt im Internet unter Gewährleistung der Anonymität aller Beteiligter begangen worden, so dass sich die Annahme der Fluchtgefahr auf die professionelle Tatbegehungsweise alleine nicht stützen lässt. Es handelt sich bei dem Angeschuldigten nicht um einen sogenannten „Straßendealer“, der aufgrund seiner Drogengeschäfte über zahlreiche persönliche Kontakte in der BtM-Szene verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Aufenthaltsort häufig zu wechseln, in dem er bei anderen Szeneangehörigen untertaucht.“

Wie gesagt: Schöner Beschluss

 

Manipulation bei der Verteilung von Transplantationsorganen – Beschuldigter bleibt in Haft

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Im Verfahren mit dem  Vorwurf der Manipulation bei der Verteilung von Transplantationsorganen liegt jetzt die Haft-Entscheidung des OLG Braunschweig vor. Dieses hat mit OLG Braunschweig, Beschl. v. v. 20.03.2013, Ws 49/13 – die Haftbeschwerde des Beschuldigten Professors verworfen. Dazu aus der PM v. 20.03.2013:

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG) hat mit Beschluss die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig als unbegründet zurückgewiesen. Auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg.

Dem 45-jährigen Prof. O wird seitens der Staatsanwaltschaft Braunschweig vorgeworfen, als seinerzeit verantwortlicher Arzt des Transplantationszentrums der Universitätsmedizin Göttingen seine auf eine Leberspende wartenden eigenen Patienten durch Manipulation der Zuteilungsreihenfolge bevorzugt zu haben. Dazu soll er seine Patienten der Stiftung EUROTRANSPLANT jeweils wahrheitswidrig als Dialysepatienten gemeldet haben. In einigen Fällen habe er Patienten auch schon dann auf die Warteliste setzen lassen, bevor die vorgeschriebene Alkoholkarenz von sechs Monaten eingehalten war. Die Staatsanwaltschaft legt ihren Ermittlungen dabei die Überlegung zugrunde, dass diese Bevorzugung eigener Patienten aufgrund des bekannten Organmangels zwangsläufig die Behandlung anderer lebensbedrohlich erkrankter und auf eine Leberspende wartender Patienten in 9 Fällen womöglich bis zu deren Tod verzögert habe, bewertet die Manipulation des Zuteilungsverfahrens daher im Haftbefehlsantrag als versuchte Tötung (§§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB) und hat beim Amtsgericht Braunschweig am 11.01.2013 gegen den Beschuldigten einen entsprechenden Haftbefehl erwirkt. Der Beschuldigte sitzt seit dem 11.01.2013 in Untersuchungshaft.

Das Verfahren befindet sich noch im Ermittlungsstadium. Die Ausführungen des Senats stellen daher Bewertung des bisherigen Ermittlungsergebnisses dar. Der für den Beschuldigten sprechenden Unschuldvermutung ist daher in besonderer Weise Sorge zu tragen! Nach Auffassung des Senats besteht in vier Fällen der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte verantwortlich die Zuteilungsverfahren durch Falschangaben zu Dialysen bzw. Nichtbeachtung der Alkoholkarenz systematisch beeinflusst hat, um die eigenen Patienten bei der Organvergabe zu bevorzugen.

Zur rechtlichen Bewertung hat der Senat ausgeführt: Vorsätzliche Falschangaben gegenüber der gem. § 12 Transplantationsgesetz zuständigen EUROTRANSPLANT können als versuchte Tötung zum Nachteil dadurch übergangener Patienten bewertet werden, wenn der Täter weiß, dass seine Angaben nicht weiter überprüft werden, sie die Zuteilungsreihenfolge so weit beeinflussen, dass es in einem engen zeitlichen Zusammenhang unmittelbar zur Zuteilung eines Spenderorgans kommt und die rettende Transplantationsbehandlung anderer Patienten dadurch lebensbedrohlich verzögert wird.

Dass andere auf eine Leberspende angewiesene Kranke aufgrund der Manipulation der Zuteilungsreihenfolge tatsächlich verstorben sind, sei schon deshalb nicht feststellbar, weil entsprechende Daten und Auskünfte aus Gründen des Datenschutzes (bislang) nicht vorliegen. Der Senat teilt jedoch die rechtliche Auffassung der Strafkammer, dass der Beschuldigte auf der Grundlage des gegenwärtig erzielten Ermittlungsstandes dringend verdächtig ist, es immerhin für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen zu haben, dass auf der Warteliste durch seine Manipulationen überholte Kranke vor einer rettenden Transplantation versterben, er also mit Tötungsvorsatz gehandelt hat und damit wegen versuchten Totschlags (in jetzt noch acht Fällen) zur Verantwortung zu ziehen sein dürfte.

Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte mit Tötungsvorsatz gehandelt habe. Hierfür reiche ein sogenannter bedingter Vorsatz. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dabei voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement), ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (BGH, Az.: 3 StR 112/90).

Zwar seien bei der Feststellung eines Tötungsvorsatzes – zumal bei einem Arzt, dem man schon grundsätzlich unterstellen kann, dass das Wohl der Patienten jeweils im Vordergrund steht, hohe Hürden zu überwinden. Eine Betrachtung aller Tatumstände führt zunächst dazu, dass auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses mit dringender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass es der Beschuldigte für möglich gehalten hat, infolge seiner Manipulationen könnten andere Menschen sterben (Wissenselement). Dass eine Manipulation der Wartelistenrangfolge die rettende Operation aller zuvor auf einem besseren Listenplatz stehenden Patienten verzögert, liegt nach der Würdigung des Senats auf der Hand. Dass diese Verzögerung dann die Gefahr begründet, dass die übergangenen Kranken womöglich sogar vor der in Aussicht genommenen rettenden Transplantation sterben, beruht auf dem die Organzuteilung bestimmenden MELD-Score-System, weil dieses gerade den Schweregrad der Erkrankung des Patienten und damit die Dringlichkeit einer Operation wiedergibt. Jeder Tag, jede Stunde, sogar jede Minute sind also gerade für die schwerstkranken Patienten, die ohne neue Leber jederzeit sterben können, lebenswichtig, und jede Verzögerung, sei sie noch so gering, bringt sie dem Tod unmittelbar näher.

Es sei – so der Senat – dringend wahrscheinlich, dass der Beschuldigte in jedem einzelnen Fall billigend in Kauf genommen hat, dass jeweils eine oder mehrere Personen, die aufgrund ihrer Erkrankung sonst bevorzugt ein Organ hätten bekommen sollen, ein Organ nicht mehr rechtzeitig erhalten und infolgedessen versterben.

Gerade die große Sorge des Beschuldigten um seine eigenen Patienten einerseits, andererseits seine von ihm vorgetragene – allerdings nach Auffassung des Senats durch objektive Umstände nicht belegbare – Annahme, dass auch die anderen Transplantationsmediziner die Warteliste ebenso manipulieren, und seine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Zuteilungsverfahren sowie die Anonymität der möglichen Tatopfer haben die einer Tötung grundsätzlich entgegenstehende Hemmschwelle so weitgehend herabgesetzt, dass sie der Annahme, der Beschuldigte habe als Arzt den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen, nicht mehr entgegensteht.

„Billigen“ im Rechtssinne setzt keine positive Einstellung des Täters zu dem als mögliche Folge seines Handelns erkannten Erfolg voraus. Das Merkmal ist auch dann erfüllt, wenn dem Täter der Tod des Opfers an sich höchst unerwünscht ist, er aber gleichwohl handelt, um das von ihm angestrebte und höher bewertete Ziel – hier: das Leben der eigenen Patienten – zu erreichen.

Nach Auffassung des Senats kann sich der Beschuldigte nicht auf Nothilfe oder einen anderen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund berufen. Eine Rechtfertigung wegen Nothilfe gem. § 32 StGB scheidet aus, weil die anderen Patienten trotz der auf der Organknappheit beruhenden Konkurrenzsituation keine Angreifer der vom Beschuldigten behandelten Patienten sind.

Dass Patienten mit einem MELD-Score von 40 in der Regel eine deutlich höhere Sterblichkeit nach der Transplantation haben als Patienten mit einem geringeren Zuteilungswert, rechtfertigt, auch wenn das Zuwarten die Chancen der eigenen Patienten auf ein Überleben der Erkrankung deutlich verschlechtert, schon deshalb keine Eingriffe in das Verteilungssystem, weil das Leben des Menschen nach dem Grundsatz des absoluten Lebensschutzes in jeder Phase ohne Rücksicht auf die verbliebene Lebenserwartung den ungeteilten Schutz der Rechtsordnung genießt.

Die beim Beschuldigten offenbar vorhandene Vorstellung, einem Patienten mit besserer Lebenserwartung zu Lasten eines Menschen mit geringerer Lebenserwartung helfen zu dürfen, widerspricht auch sonst der Rechtsordnung, weil bei einer – wie hier gegebenen – Gleichwertigkeit von Rechtsgütern eine Notstandslage (§ 34 StGB) stets ausscheidet. Die Auswahl der geeigneten Empfänger war gerade nicht Aufgabe des über die Krankheitsgeschichte der anderen Patienten gar nicht informierten Beschuldigten, sondern stand jeweils allein EUROTRANSPLANT zu.

Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass der Senat keinen Anhaltspunkt dafür gefunden hat, dass sich der Beschuldigte in irgend einer Weise selbst bereichert habe oder dies gewollt hätte.“

 

Vom OP-Tisch in die U-Haft?

Vom OP-Tisch in die U-Haft? Nun, ganz so schlimm war es nicht mit dem, was eine kleine Strafkammer des LG Essen angeordnet/verfügt/beschlossen hat. Aber ganz weit davon entfernt ist man nicht, wenn man den OLG Hamm, Beschl. v. 25.02.2013 – III 5 Ws 74/13 – III liest.

Was ist passiert? Der Angeklagte ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt worden, wird von dem Vorwurf aber frei gesprochen. Die Staatsanwaltschaft legt Berufung ein. Das LG beraumt HV-Termin auf den 14.02.2013 an, zu dem der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wird.  Am 13.02.2013 zeigt der Verteidiger des Angeklagten dem Gericht an, dass sich der Angeklagte ab dem 14. 02. 2013 für mehrere Tage in stationäre Behandlung in das Marienhospital Bottrop begeben werde. Tatsächlich ist der Angeklagte auch am 14. 022013 unter Vollnarkose im Darmbereich operiert worden. Ausweislich einer vom Kammervorsitzenden noch am selben Tage eingeholten Äußerung des behandelnden Arztes war die Operation zwar medizinisch indiziert, sie hätte jedoch nicht sofort, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden können. Der Angeklagte habe – so die weitere Erklärung des Arztes – den Operationstermin für den 14. 02.2013 mit dem Krankenhaus abgestimmt, ohne auf die am selben Tage stattfindende Berufungshauptverhandlung hinzuweisen.

Nachdem der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war, hat die Kammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Verhaftung des Angeklagten angeordnet und den Haftbefehl sowohl auf §§ 329 Abs. 4 S. 1, 230 StPO als auch auf § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO (Fluchtgefahr) gestützt.  Dagegen die Haftbeschwerde, die beim OLG Hamm Erfolg hatte:

Das OLG Hamm hat einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gesehen.

 Zwar ist das Landgericht mit Recht von einem unentschuldigten Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ausgegangen (§ 329 Abs. 1 StPO). Denn eine Operation ist kein Entschuldigungsgrund, wenn sie – wie im vorliegenden Fall – aufschiebbar ist (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 55.. Aufl., § 329 Rdnr. 26 m. w. Nachw.). Auch ist unter Zugrundelegung des vom Senat eingesehenen (und der Ladung beigefügten) Vordrucks „StP 223° von einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten auszugehen, und zwar einschließlich des Hinweises auf eine Verhaftung als mögliche Folge eines unentschuldigten Fernbleibens.

 Jedoch ist eine Verhaftung nach §§ 329 Abs. 4, 230 StPO mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände die Erwartung gerechtfertigt wäre, dass der Angeklagte in der neu anzuberaumenden Hauptverhandlung erscheinen wird (vgl. BVerfGE 32, 87, 93 f.; • BVerfG NJW 2007, 2318, 2319; NJW 2001, 1341, 1342; Paul, in: Karlsruher Kommentar StPO, 6. Aufl., § 329 Rdnr. 21; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 45). Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen.

 Das Landgericht hat die Erwartung, dass der Angeklagte zu einer noch anzuberaumenden (neuen) Hauptverhandlung nicht erscheinen werde, allein mit dem Vorgehen des Angeklagten, den Operationstermin gerade für den Tag der Berufungshauptverhandlung abzustimmen, begründet. Sicherlich liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte die notwendig gewordene Operation mit Blick auf die anstehende Verhandlung vor dem Landgericht bewusst „ausgenutzt“ und den OP-Termin ganz gezielt auf den Tag der Berufungshauptverhandlung hat ansetzen lassen. Indes begründet allein dieses Verhalten nicht die berechtigte Besorgnis, der Angeklagte werde auch zu zukünftigen Terminen nicht erscheinen. Immerhin hat sich der Angeklagte dem vorliegenden Verfahren bislang gestellt und ist insbesondere auch zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung erschienen. Das Amtsgericht hat den Angeklagten auf der Grundlage der dort stattgefundenen Beweisaufnahme – namentlich nach Vernehmung des Geschädigten selbst – vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen, so dass der Angeklagte der Hauptverhandlung in der Berufungsinstanz sogar — jedenfalls aus seiner Erwartungshaltung heraus – etwas „gelassener‘ entgegen sehen mag. Hinzu kommt; dass sich die vorliegende Situation einer aus medizinischer Sicht tatsächlich indizierten Operation nicht beliebig herbeiführen bzw. wiederholen lassen wird.

 Vor allem aber hätte das Landgericht die Möglichkeit eines Vorführbefehls als milderes Mittel näher in Betracht ziehen müssen. Insoweit kommt es nicht allein darauf an, ob der Angeklagte seine Vorführung am 14. Februar 2013— wie das Landgericht näher ausführt — „selbst vereitelt“ hat. Entscheidend ist, ob sich das Erscheinen in einer noch anzuberaumenden (neuen) Hauptverhandlung durch einen Vorführbefehl — als milderes Mittel — sicherstellen lässt. Hierfür sprechen die bereits vorgenannten Gesichtspunkte.

M.E. zutreffend, allerdings kann man m.E. die Frage der Entschuldigung durch einen OP-Termin auch anders sehen. Aber, wenn es so bei Meyer-Goßner steht, dann ist es Gesetz. Jedenfalls hat das OLG Recht, wenn es die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens des LG verneint. Es gibt7gab mildere Mittel. Das Vorgehen des LG hatte für mich ein wenig den Anschein einer „Strafaktion“.