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„Der Maulwurf bleibt im Bau“…..

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„Der Maulwurf bleibt im Bau“? Der ein oder andere wird sich fragen: Was ist damit gemeint? Nun, ist ganz einfach. Die ein wenig kalauerhafte Überschrift passt als „Eyecatcher“ gut zum BGH, Beschl. v. 22.01.2015 – AK 34/14; sie ist übrigens ein Vorschlag meines „Urteilsdealers des Vertrauens“ – Ehre, wem Ehre gebührt.

Bei dem Beschluss handelt es sich um die Sechs-Monats-Entscheidung des BGH in dem Verfahren wegen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit u.a. gegen den „Maulwurf“ beim BND, der für den US-Geheimndienst „geschnüffelt“/gearbeitet haben soll (vgl. wohl hier). Der befindet sich seit dem 03.07.2014 in U-Haft, nachdem er am 02.07.2014 vorläufig festgenommen worden ist. Und somit stand jetzt die „Sechs-Monats-Prüfung“ nach § 121 StPO an.

An dem Beschluss des BGH sind m.E. zwei Dinge interessant: Nun, nicht die Frage des dringenden Tatverdachts, auf den der BGH recht viele Worte verwendet. Nein, mich interessiert mehr der Haftgrund und die Frage der wichtigen Gründe i.s. des § 121 StPO. Und da bin ich dann doch schon überrascht, wie knapp – vorsichtig ausgedrückt – der BGH, Beschluss an der Stelle formuliert.

Zum Haftgrund heißt es nur:

„Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, Fluchtanreiz bildenden Freiheitsstrafe zu rechnen. Wie im Haftbefehl des Ermittlungsrichters im Einzelnen dargelegt ist, könnte der Beschuldigte bei dem Unterfangen, sich dem Verfahren durch Flucht zu entziehen, mit der Unterstützung US-amerikanischer Stellen rechnen. Der Zweck der Untersuchungshaft kann deshalb auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).“

Erscheint mir ein wenig knapp und ist ja auch nicht mehr als die Verknüpfung: „hohe Freiheitsstrafe“ = Fluchtgefahr, wobei sogar noch offen bleibt, wie hoch die Freiheitsstrafe denn sein sein könnte. Eine Verknüpfung, die die OLG bei den Land- und Amtsgerichten im Übrigen ungern sehen. Aber als BGH und wenn der BND im Spiel ist, darf man wohl so argumentieren.

Und zu den „wichtigen Gründen“ i.S. des § 121 StPO heißt es (nur):

Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.

Das dem Beschuldigten durch den US-amerikanischen Geheimdienst zur Verfügung gestellte Notebook der Marke ACER muss ausgewertet werden, was sich wegen der Verschlüsselung als technisch außerordentlich schwierig und zeitaufwändig erweist. Dies konnte noch nicht abgeschlossen werden. Gleiches gilt für die sachverständige Bewertung der verratenen Dokumente, die in Auftrag gegeben worden ist, um den Umfang des verursachten Verratsschadens festzustellen. Der Beschuldigte hat zwar den Tatvorwurf von Anfang an im Grundsatz eingeräumt, indes Einzelheiten, vor allem zur Dauer der Verratstätigkeit, zu den Kontakten mit dem Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdiensts, zu seiner Entlohnung sowie zu der Verstrickung des Vaters in die Verschleierung der Geldzahlungen, erst im Verlauf mehrerer Nachvernehmungen und in dem Maße zugegeben, wie ihm jeweils Erkenntnisse aus den aufwändigen und noch andauernden Auswertungen der sichergestellten Datenspeicher, darunter dem Laptop der Marke LENOVO des Beschuldigten, sowie Erkenntnisse aus den Finanzermittlungen vorgehalten werden konnten.

Das Verfahren ist danach bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

Auch das in meinem Augen: Gewogen und zu leicht befunden, denn: Was macht das Verfahren denn nun „besonders schwierig“, wenn der Beschuldigte weitgehend geständig ist/war? Und sind unsere Ermittlungsbehörden und der sicherlich mit einegschaltete BND nicht in der Lage, die Verschlüsselung des Notebooks in einem Zeitraum von sechs Monaten zu knacken? Dann aber armes Deutschland. Und wieso muss ich die „verratenen Dokumente“ sachverständig bewerten? Ergibt sich der „Verratschaden“ nicht von selbst aus den Dokumenten?

Was mich aber vor allem stört/irritiert: Kein Wort des BGH dazu, dass man nun aber beim GBA sich bitte mal beeilen soll. Wie lange soll denn noch „ausgewertet werden“. Bis zum St. Nimmerleins-Tag? So ist der Beschluss nichts anderes als ein „Freifahrtschein“ für den GBA, der sich nicht beeilen muss, zumindest vom BGH dazu nicht aufgefordert wird. Die Rechtsprechung des BVerfG lässt grüßen.

Aber: Das scheint derzeit en vogue zu sein. Ich erinnere da nur an den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 (dazu Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden). Da hatte das OLG nicht nur keine Frist gesetzt bzw. weitere zeitliche Vorgaben gemacht, sondern der Strafkammer gleich mit auf den Weg gegeben, dass sie für die Eröffnung sich auch Zeit lassen darf, weil ja auch die StA schon so lange gebraucht. M.E. falsch und m.E. auch falsch, wenn auch nicht ganz so schlimm wie das OLG Dresden, der BGH. An der Stelle darf eben in der Haftprüfung nicht geschwiegen werden, sondern da muss im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG jedenfalls „Dampf auf den Kessel“. Sonst trödelt man weiter vor sich hin.

Für 1000 € geht es nicht in den Knast

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Bei Verteidigern ist der (subsidiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) und die auf ihn ggf. gestützte „Sicherungshaft“ „besonders unbeliebt“. Denn der Haftgrund ermöglicht die Anordnung von U-Haft auch bei kleineren Delikten und einer nicht so hohen Straferwartung, eben, wenn – nur – Wiederholungsgefahr vorliegt, also der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wiederholt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat begangen zu haben. Und an der Stelle geht der Kampf vor allem immer um die Frage: Hat man es mit einer „Katalogtat“ nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu tun, die Nr. 1 lassen wir mal außen vor. Die Rechtsprechung versteht das Merkmal „die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigend“ als den Haftgrund einschränkend und sagt: Es können nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes in Betracht kommen. So jetzt auch noch einmal der OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.12.2014 – 1 Ws 625/14 -, in dem das OLG einen Haftbefehl aufgehoben hat (ja, das gibt es). Vorwurf im Verfahren war der des vielfachen gewerbsmäßigen Betruges. Der Beschuldigte soll über Internetportale (bspw. Ebay und Kleiderkreisel) Waren zum Kauf angeboten, den Kaufpreis vereinnahmt und – wie von vornherein beabsichtigt – die Ware nicht geliefert haben. Das OLG verneint den Haftgrund des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO:

„Indes liegt kein Haftgrund vor.

Auch wenn der gewerbsmäßige Betrug gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB diesen Anforderungen gerecht werden kann, ist mit Blick auf die in den Einzelfällen entstandenen Schadenssummen nicht von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung auszugehen. In lediglich einem Fall liegt der Schadensbetrag über 1.000 Euro. Es ist jedoch zu verlangen, dass bei jeder einzelnen Tat Art und Ausmaß des Schadens erheblich sein müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1973 – 2 BvL 4/73, juris Rn 19; OLG Jena, a.a.O.). Gerade bei Serientaten reicht es nicht aus, dass das Gesamtunrecht eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung darstellt; vielmehr muss jede Einzeltat für sich betrachtet werden. Dies gilt auch für die in § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO bestimmte Straferwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe (OLG Braunschweig, Beschluss vom 7. November 2011 – Ws 316/11, StV 2012, 352).

Zum anderen liegen auch keine bestimmten Tatsachen vor, die die Gefahr begründen, der Beschuldigte werde vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten begehen, wie dies § 112a Abs. 1 StPO erfordert. Die eine Wiederholungsgefahr begründenden Tatsachen müssen eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde die Serie gleichartiger Taten noch vor einer Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 112a Rn 14 m.w.N.)……“

Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden

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Ich war nicht ganz 14 Jahre beim OLG. In der Zeit hat der Senat, dem ich angehört habe, eine große Zahl von sog. BL-Sachen – das war das Aktenzeichen für Sechs-Monats-und mehr-Haftprüfungen beim OLG (§§ 121, 122 StPO) – entschieden und habe ich viele BL-Sachen der anderen Senat gesehen. Aber in keiner stand das bzw. war so formuliert wie in dem OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14. Und das habe ich übrigens auch so noch in keinem anderen OLG Beschluss gelesen, der in einem Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO ergangen ist.

Es geht um die Haftprüfung in einem offenbar recht umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren mit dem Vorwurf des Betruges mit einer großen Zahl von Geschädigten und einem sehr hohen Schaden (sog. Infinus-Verfahren). Wie umfangreich das Verfahren zu sein scheint, zeigt die Formulierung im Beschluss: „Überdies ist das Verfahren sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht schwierig und angesichts der sehr großen Zahl geschädigter Anleger, der (auch internationalen) Verflechtung des aus 22 Einzelgesellschaften bestehenden Firmengeflechts und des Volumens der jetzt schon 502 Leitz-Ordner umfassenden Sachakte außerordentlich umfangreich.“ Der Beschuldigte befindet sich inzwischen in dem Verfahren seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft, es handelt sich also um die sog. 12-Monats-Prüfung. Die Staatsanwaltschaft hat ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, zu dem es heißt: „Wie bereits in den früheren Beschlüssen des Senats ausgeführt, war die Wirtschaftsprüfergesellschaft ppp. schon im Oktober 2013 — also schon vor Beginn der mit maßgeblichen Verhaftungs- und Sicherstellungsmaßnahmen — beauftragt worden. Für eine Fristsetzung zur Erstellung des Gutachtens – wie von den Verteidigern gefordert – bestand angesichts der steten und intensiven Bearbeitung des Gutachtenauftrags keine Veranlassung. Das 160 Seiten umfassendes Auswertungsgutachten, welches naturgemäß erst auf Grundlage aller digitalisierter Unterlagen abschließend erstellt werden konnte, liegt der Staatsanwaltschaft seit dem 11. Dezember 2014 vor. Einer erbetenen Aufstellung des Gutachters vom 15. Dezember 2014 (Hauptakte Band 24, Blatt 9780 ff.) über den erforderlichen Zeitaufwand der Wirtschaftsprüfer zufolge waren neben seiner Person zwei weitere Arbeitsgruppen (der Fa. ppp.), somit insgesamt sechs Wirtschaftsprüfer zeitgleich in die Analyse und Auswertung der Unterlagen eingebunden, welche insgesamt 5.306 Arbeitsstunden investieren mussten. Dies allein entspricht schon rein rechnerisch bei Zugrundelegung eines Zeitaufwands von acht Stunden pro Arbeitstag je Gutachter einer Gesamtsumme von mehr als 110 Arbeitstagen.“

So weit, so gut (?). Sicherlich umfangreich und schwierig. Aber: Auch mit der erforderlichen Beschleunigung behandelt? Das OLG meint ja und sieht keinen Grund, dass den Sachverständigen eine Frist zur Erstellung des Gutachtens hätte gesetzt werden müssen. Schon da habe ich meine Zweifel. Denn 110 Arbeitstage, von denen das OLG ausgeht, sind bei 5 Tagen/Woche, 22 Wochen, also noch nicht mal ein halbes Jahr. Gedauert hat die Gutachtenerstellung aber ein Jahr. Hätte man da die Sachverständigen nicht vielleicht doch mal mahnen können, wenn nicht sogar müssen? Wenn man die Verpflichtung nicht sieht/nicht annimmt, dann sind solche Sätze wie:

„Ein – wie vorliegend nunmehr erreichter – Vollzug von Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils kann nach den verfassungsrichterlichen Vorgaben nur in ganz besonderen Ausnahmefällen als gerechtfertigt angesehen werden (BVerfG NStZ 2000, 153), auch gefährdet dann eine schon leichte Verzögerung die weitere Aufrechterhaltung des Haftvollzuges.“

für mich nur Lippenbekenntnisse.

Das ist aber noch nicht das Besondere an dem Verfahren. Das steckt für mich vielmehr in diesen Ausführungen des Senats:

„Auch beabsichtigt sie (die Staatsanwaltschaft) ihrem Bericht zufolge, ihr Augenmerk verstärkt auf die zeitnahe Erhebung der Anklage zu richten und die Abfassung der Anklageschrift, deren Gerüst bereits feststehe, fortzusetzen.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang vorsorglich, dass dann, wenn schon die Staatsanwaltschaft für die Erarbeitung des gesamten Akteninhalts und der Erstellung der Anklageschrift mehrere Monate benötigt – worin per se allerdings kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot zu sehen ist – ein entsprechender Zeitraum auch der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer nach Eingang der Anklage bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zuzubilligen sein wird. Eine gründliche Auseinandersetzung mit dem gesamten Prozessstoff ist – insbesondere auch aus Sicht eines verständigen Angeklagten – unabdingbare Voraussetzung für eine den Belangen der Verfahrensbeteiligten Rechnung tragende Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, für eine sinnvolle Terminierung und entsprechender Planung sowie Durchführung der sich anschließenden Hauptverhandlung.“

Aber hallo, das ist nun wirklich „außergewöhnlich“. Die StA „beabsichtigt ….., ihr Augenmerk verstärkt auf die zeitnahe Erhebung der Anklage zu richten und die Abfassung der Anklageschrift, deren Gerüst bereits feststehe, fortzusetzen“. Das ist ja schön, dass ein „Gerüst bereits feststeht“ – nach mehr als einem Jahr. Das ist aber auch alles, was das OLG dazu meint. Kein Hinweis, dass man die Anklage aber nun in einer bestimmten Frist – welcher? – erwartet, da ja immerhin schon mehr als ein Jahr U-Haft vollstreckt wird.

Das toppt das OLG dann aber noch mit dem folgenden Absatz, der nichts anderes ist als ein Freibrief/Freilos für die demnächst zuständige Kammer. Das OLG gibt ihr schon jetzt – bevor die Anklage überhaupt vorliegt – genau dieselbe Zeit zur Prüfung des Verfahrens und Erlass der Eröffnungsentscheidung wie ihn die StA zur Erstellung der Anklage gebraucht hat. Es mag ja sein, das man für die Erstellung der Anklage so lange/länger braucht, aber daraus kann man doch nicht vorab (!!!) bereits der Kammer „freie Fahrt“ geben. Denn das bedeutet hier – mal unterstellt, die StA hat bislang schon drei Monate für die Anklagefertigung gebraucht und benötigt nochmals drei – dass die Entscheidungen zu den 15- und 18-Monats-Haftprüfungen bereits vorliegen. Eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes wird das OLG auf der Grundlage in den dann erforderlichen Entscheidungen kaum noch treffen können. Für mich ist das unfassbar.

Und: Auch beim Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO) habe ich angesichts der mitgeteilten Umstände Bedenken. Abgesehen davon, dass sich für mich die Frage stellt, wovon und wohin soll der Beschuldigte eigentlich fliehen, ist er immerhin während einer Außervollzugsetzung nicht geflohen.

Auslandsverbindungen – führen sie zur Fluchtgefahr?

FragezeichenDann poste ich heute mal hinter der LG Kleve-Entscheidung einen zweiten Haftbeschluss, nämlich den KG, Beschl. v. 21.08.2014 – 1 Ws 61/14 – nicht ganz so dramatisch wie das LG Kleve, aber auch mit einer die Praxis immer wieder beschäftigenden Frage, nämlich der Annahme von Fluchtgefahr, wenn der Beschuldigte seinen Wohnsitz im und Verbindungen ins Ausland hat. Dazu das KG, das zunächst auf ein zu erwartende hohe Freiheitsstrafe verweist:

„….Dieser Fluchtanreiz für den Beschuldigten wird noch durch den Umstand gesteigert, dass gegen ihn ein weiteres Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen gleichartiger Vorwürfe anhängig ist (X Js X). Zudem wird er sich voraussichtlich zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen der Immobilienkäufer ausgesetzt sehen.

Gewichtige Tatsachen, die einer Flucht entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Der Beschuldigte hat in Deutschland im Wesentlichen keine persönlichen Bindungen mehr. Lediglich zu seiner Mutter, die in Berlin lebt, hat er offenbar ein engeres Verhältnis. Bei dieser wohnte er allerdings nicht, wenn er sich in Berlin aufhielt. Seine Lebensgefährtin befindet sich im Ausland (Großbritannien). Dass er bisher seinen Wohnsitz (wie seine Freundin) im Ausland hat, begründet zwar für sich allein keine Fluchtgefahr, kann aber bei der erforderlichen Gesamtwürdigung mitberücksichtigt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss dies jedenfalls als einen Anhaltspunkt für die Fluchtgefahr gewertet hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 112 StPO Rdn. 17a, 20a m.w.N.).

Dass der Beschuldigte infolge seines Rückenleidens gesundheitlich beeinträchtigt und auf Medikamente angewiesen ist, lässt die Fluchtgefahr nicht entfallen, da er auch im Ausland oder im Falle eines Untertauchens in Deutschland sich mit den benötigten Medikamenten versorgen könnte. Der Vollständigkeit halber ist auch darauf hinzuweisen, dass bei Anlegung der insoweit maßgeblichen Grundsätze (vgl. nur OLG Nürnberg StV 2006, 314; OLG Düsseldorf NStZ 1993, 554; KG NStZ 1990, 142, jeweils m.w.N.) die Erkrankung den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft nicht unzulässig macht. Denn nur wenn die nahe liegende, konkrete Gefahr besteht, der Untersuchungsgefangene werde durch den Vollzug der Untersuchungshaft schwerwiegenden, irreparablen Schaden an seiner Gesundheit nehmen oder sogar sein Leben einbüßen, dürfte der Haftbefehl nicht weiter vollstreckt werden (vgl. BVerfGE 51, 324, 345 ff; Graf in KK-StPO 7. Aufl., § 112 Rdn. 54 m.w.N.). Das Rückenleiden des Angeklagten kann indes auch im Rahmen des Untersuchungshaftvollzuges angemessen behandelt werden.“

Zum Sterben in die JVA?

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„Zum Sterben in die JVA“ – das ist das Erste, was ich nach Lektüre des LG Kleve, Beschl. v. 04.12.2014 – 120 Qs-204 Js 500/124-112/14 – gedachte habe; hingewiesen auf den Beschluss hat mich der Kollege Garcia. Der Beschluss befasst sich mit der Verhältnismäßigkeit der (Fortdauer) der U-Haft bei einem Beschuldigten, der wegen Leber- und Lungenkrebs wohl nur noch eine Lebenserwartung von sechs Monaten hat. Das LG hat die Verhältnismäßigkeit bejaht und führt dazu aus:

„3) Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch verhältnismäßig. Angesichts des dargestellten hohen Grades der Fluchtgefahr reichen mildere Maßnahmen (§ 116 StPO) nicht aus. Bei einer Mindestfreiheitsstrafe von 2 Jahren (die Annahme eines minder schweren Falles ist trotz der hohen Haftempfindlichkeit angesichts der neun – auch einschlägigen – Voreintragungen im Bundeszentralregister derzeit unwahrscheinlich) steht die bislang zweiwöchige Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis. Ein Verstoß der Ermittlungsbehörden gegen das Beschleunigungsgebot (Art 6 MRK) ist nicht ersichtlich. Es muss noch das – beschleunigt zu erstellende – Wirkstoffgutachten eingeholt werden, sodann ist – aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles ggf. unter großzügiger Anwendung des § 154 StPO – eine baldige Anklageerhebung möglich.

Eine schwere und unheilbare Krankheit führt – selbst wenn ein Arzt den sicheren Tod in absehbarer Zeit diagnostiziert – zu keiner automatischen Haftaufhebung. Eine genaue Prognose sowohl über den Fortgang der Erkrankung als auch über die Dauer des Strafverfahrens ist unmöglich. Auch angesichts eines nahen Todes verstößt es nicht gegen die Menschenwürde (Art. 1 GG), wenn sich ein Beschuldigter für ihm vorgeworfene Straftaten verantworten muss. Ziel des Strafverfahrens ist nicht nur die Bestrafung des erkrankten Beschuldigten und auch nicht nur die Vollstreckung verhängter Freiheitsstzrafen, sondern auch das Aufklärungsinteresse der Rechtsgemeinschaft, die Verhinderung neuer Taten und die Überführung von Tatbeteiligten. Es ist daher selbst bei relativ kurzer Lebenserwartung des Beschuldigten immer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Abwägung im Einzelfall erforderlich (KK-StPO-Graf, 7. Aufl. 2013, § 112 Rn. 55; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl. 2014, § 112 Rn. 11a).

Hier hat es ein hohes Gewicht, wenn – wie von der Verteidigung vorgetragen – die Lebenserwartung nur noch sechs Monate betragen sollte. Allerdings ist neben der generellen Unsicherheit solcher Prognosen zu beachten, dass der Beschuldigte weite und sicherlich mit Stress verbundene Schmuggelfahrten mit dem Pkw scheinbar eigenständig durchführen kann; auch wurde er für haftfähig befunden und inzwischen vom Justizvollzugskrankenhaus in die normale Haftanstalt zurückverlegt. Insoweit ist sicherlich das vom Verteidiger beantragte neutrale Sachverständigengutachten einzuholen, was aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung nicht im Beschwerdeverfahren zu erfolgen hat.

Neben diesen gesundheitlichen Gesichtspunkten sind aber andererseits die hohe kriminelle Energie und die besondere Gefährlichkeit der tatbetroffenen bandenmäßigen Strukturen zu beachten. Der Beschuldigte hat eingeräumt (Bl. 26, 22, 40) im Rauschgifthandel als „Berufskraftfahrer“ tätig zu sein. Im letzten halben Jahr sei er etwa 200 Mal gefahren. Er fahre Rauschgift und habe teilweise bis zu 15.000 Euro Kurierlohn in seiner Tasche gehabt. Im vorliegenden Fall seien Marokkaner aus Düsseldorf-Rath seine Auftraggeber. Für diese Auftraggeber sei es die 2. Fahrt gewesen. Die im Mobiltelefon gespeicherten Nummern 6, 7 und 14 hätten ihn öfters losgeschickt. Er sei aber auch für die „xy“ und „yx“ gefahren und habe Rauschgift nach Bielefeld, Dortmund, Köln und Frankfurt geliefert. Die Hintermänner seien „brandgefährlich“.

Ausschlaggebend für die derzeitige Verhältnismäßigkeit ist, dass zusätzlich  Wiederholungsgefahr besteht. Weder lange Haftstrafen, noch die kurz zuvor schon erhaltenen hohen Kurierlöhne und auch nicht die ihm bereits zuvor bekannte ärztliche Prognose haben ihn von weiteren Rauschgiftstraftaten abgehalten. Vielmehr besteht derzeit der dringende Verdacht, dass die ärztliche Prognose beim Beschuldigten eine der Antriebsfedern für die ständige Fortsetzung der Schmuggelfahrten ist, vielleicht weil er so das Bestrafungsrisiko für geringer hält oder weil er sich so ausleben will. Der bei der Schmuggelfahrt mitgeführte Zettel („Vom Krankenhaus Bescheinigung, das Du nicht verhandlungsfähig bist“) spricht für ein bewusstes Ausnutzen der Erkrankung zur ungehinderten Begehung von Straftaten. Das Gewicht der Straftaten (Verbrechen) und die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter (Volksgesundheit) sind hoch einzuschätzen.“

Man fragt sich beim Lesen: Menschenverachtend oder nicht? Sicherlich ist nicht zu verkennen, dass der Beschuldigte sich trotz seiner schweren Erkrankung als Schmuggelfahrer für Rauschgift zu betätigen scheint. Andererseits hat er offensichtlich nur noch eine Lebenserwartung von sechs Monaten, die er nun zunächst mal in der JVA verbringen muss. Ein wenig versöhnt, dass die Kammer vorsorglich darauf hinzuweist, dass Verhältnismäßigkeit nicht mehr gegeben ist, wenn dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit vorliegt oder die Untersuchungshaft selbst zu schweren (zusätzlichen) Gesundheitsschäden führt. Fluchtgefahr und Wiederholungsgefahr wären auch erneut zu überprüfen, wenn der Beschuldigte durch objektiv überprüfbare Aufklärungshilfe die Verbindungen zu den Rauschgifthändlern unwiderruflich kappen würde. Wenn man das liest, erkennt man die m.E. wahren Gründen für die Fortdauer der U-Haft: Sie ist hier im Grunde nichts anderes als Beugehaft. Man hofft offenbar, so an die „brandgefährlichen“ Hintermänner zu kommen. Und das Abstellen auf die „Wiederholungsgefahr“ ist, wenn der im Beschluss nicht genannte § 112a StPO gemeint sein sollte, wovon ich ausgehe, falsch. Denn Wiederholungsgefahr ist immer nur subsidiärer Haftgrund. Darauf geht die Kammer mit keinem Wort ein. Aber dafür wird das Rechtsgut der „Volksgesundheit“ bemüht. „Bei der Formulierung sträuben sich mir immer die Nackenhaare“. Insgesamt meine ich: Etwas mehr Menschlichkeit wäre auch angesichts der Schwere des Vorwurfs sicherlich angebracht gewesen und vielleicht hätte man sich mal zumindest mit den Entscheidungen BerlVerfGH NJW 1993, 515 und NJW 1994, 436 auseinandersetzen können.