Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Der Besuch der eigenen Ehefrau/Mittäterin im Knast…

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Das OLG Düsseldorf hat sich vor einiger Zeit im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2015 – III-3 Ws 231/15 – mit der Frage des Besuchs der eigenen Ehefrau eine U-Haft-Gefangenen befasst, wenn diese potentielle Mittäterin ist. Das OLG sagt: Ja, sie darf – Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK lassen grüßen -, aber unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen:

„Es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks oder der Anstaltsordnung vorliegen, der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht nicht aus (BVerfG a.a.O.; OLG Hamm StV 1998, 35). Dabei müssen die Anforderungen um so gewichtiger sein, wenn es sich – wie vorliegend – um den Besuch des Ehepartners handelt (Schultheis, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage 2013, § 119, Rn. 25). Denn Ehe und Familie stehen gem. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es müssen deshalb die erforderlichen und zumutbaren Anstrengungen unternommen werden, um in angemessenem Umfang Besuche von – auch möglicherweise als Mittäter verdächtigen und in Haft befindlichen – Ehepartnern zu ermöglichen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. Februar 2003, 2 Ws 17/2003, [juris]). Die Zusammenführung darf nur verweigert werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie zum unzulässigen Austausch von verdeckten Informationen missbraucht und diese Gefahr mit den Mitteln der Besuchsüberwachung nicht ausgeräumt werden kann (OLG Stuttgart, a. a. O., Karlsruher Kommentar, a. a. O). Befinden sich inhaftierte Eheleute in verschiedenen Haftanstalten, so kann, wenn der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht gegeben ist, je nach Lage des Falles (Dauer der Haft, Entfernung der Vollzugsanstalt usw.) eine Besuchszusammenführung geboten sein (OLG Stuttgart StV 2003, 628; Karlsruher Kommentar, a. a. O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juli 1989, 1 Ws 670/89).

Dies ist vorliegend der Fall. Der Angeklagte und seine Ehefrau, die seit dem 5. November 2014 verheiratet sind, befinden sich seit mehr als acht bzw. neun Monaten getrennt voneinander in Haft. Die Vollzugsanstalten Gelsenkirchen und Wuppertal-Vohwinkel liegen nicht derart weit auseinander, dass eine Besuchszusammenführung erhebliche organisatorische oder personelle Schwierigkeiten mit sich bringen würde, so dass gerade im Hinblick auf den Schutz der Ehe der Besuch der Ehefrau bei dem Angeklagten grundsätzlich zu ermöglichen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte den Besuch seiner Ehefrau zur Verdunkelung missbrauchen würde, liegen entgegen der Ausführungen im angefochtenen Beschluss nicht vor. Soweit die Ehefrau sich an den Taten des Angeklagten beteiligt haben sollte und als Zeugin im vorliegenden Verfahren der Einlassung des Angeklagten teilweise widersprechende Angaben gemacht hat, kann einer möglichen Besorgnis von Absprachen über das Prozessverhalten und Verdunkelungshandlungen anlässlich eines Besuchs durch eine optische und akustische Überwachung der Kommunikation hinreichend begegnet werden. Im Falle einer spontanen Absprache wird es dem überwachenden Beamten möglich sein, sofort in das Gespräch einzugreifen bzw. dieses abzubrechen.

Der Senat hat deshalb entsprechend § 19 UVollzG vorsorglich in Konkretisierung der Anordnung des Landgerichts vom 19. März 2015 gem. § 119 Abs. 1 StPO bestimmt, dass der Besuch optisch und akustisch zu überwachen ist. Da der Schriftverkehr zwischen dem Angeklagten und dessen Ehefrau überwiegend in spanischer und nur vereinzelt in arabischer Sprache geführt wird, stellt die Anordnung der Kommunikation in deutscher oder spanischer Sprache unter Hinzuziehung eines Dolmetschers eine im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK hinzunehmende Einschränkung dar.“

Rüffel vom VerfGH, oder: Das OLG darf es sich bei Haftentscheidungen nicht zu einfach machen

HaftDer regelmäßige Leser dieses Blog weiß, dass ich immer gern über den Fortgang von Verfahren berichte, aus denen ich hier schon Entscheidungen vorgestellt habe. Und das tue ich dann jetzt auch mit dem VerfGH Sachsen, Beschl. v. 21.04.2016 – VerfG Vf. 16-IV-16 (HS), der im sog. Infinus-Verfahren (Vorwurf: Betrug) ergangen ist, in dem derzeit beim LG Dresden die Hauptverhandlung läuft. Über das Verfahren und die darin ergangenen Haftentscheidungen hatte ich teilweise schon berichtet, und zwar über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 (vgl. dazu Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden) und den dazu ergangenen VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – 7-IV-15, 8-IV-15 (vgl. Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II).

Waren die Meldungen dazu bisher eher negativ, so sind sie jetzt erfreulich (nun ja, kommt darauf an, das OLG Dresden wird es anders sehen). Denn: Der Verteidiger hatte nach mehr als zwei Jahren Untersuchungshaft erneut während laufender Hauptverhandlung die Haftentlassung seines Mandanten beantragt. Das LG hatte das erneut abgelehnt und das u.a. damit begründet, dass die Hauptverhandlung keine Aspekte ergeben habe, die den dringenden Tatverdacht bzw. eine die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigende Straferwartung in Frage stellen könnten. Es sei bedacht worden, dass bei einer Verurteilung wegen Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug der Strafrahmen auf höchstens 7 Jahre 6 Monate vermindert sei. Es hätten sich zudem Hinweise dafür ergeben, dass ein etwaiges Betrugsgeschehen schon deutlich vor dem angeklagten Tatzeitpunkt begonnen habe. Das OLG hat die dagegen gerichtete Beschwerde verworfen und hat sich dabei weitgehend auf die Ausführungen des LG bezogen.

Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte dann jetzt Erfolg. Dem VerfGH Sachsen hat es dann jetzt gereicht. Er moniert, dass es sich LG und OLG dann doch ein wenig zu einfach gemacht haben. Denn:

„… Es hängt von der jeweiligen Sachlage im Einzelfall ab, wann fehlende Ausführungen zur Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit gegen das Freiheitsgrundrecht verstoßen. In sich schlüssige und nachvollziehbare Erwägungen — gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz — sind aber bei Haftfortdauerentscheidungen nach § 122 StPO immer notwendig (vgl. z.B. SächsVerfGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 Vf. 7-1V-I0 [HS]/Vf. 8-1V-10 [e.A.] —juris Rn. 18).

b) Angesichts der zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen bereits seit mehr als zwei Jahren andauernden Untersuchungshaft und einer gesetzlichen Straferwartung von zwischen 3 Jahren 9 Monaten und 7 Jahren 6 Monaten werden der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. Februar 2016 und der Beschluss des Landgerichts vom 22. Dezember 2015 in der Form der Nichtabhilfeverfügung vom 11. Februar 2016 den Anforderungen an die Begründungstiefe nicht gerecht.

Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts setzen sich im Zusammenhang mit der prognostizierten Straferwartung nicht mit der hier gebotenen Begründungstiefe mit dem hypothetischen Ende und der Ausgestaltung einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe auseinander (vgl. zur Maßgeblichkeit des tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzugs: SächsVerfGH, Beschluss vorn 14. August 2012 — Vf. 60-IV12 [HS]/Vf. 61-IV-12 [e.A.]; BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 —2 BvR 644/12 — juris Rn. 35, 37: KG Berlin, Beschluss vom 3. November 2011, StV 2012, 350 [351]; Creuß in BeckOK, StPO, Stand: 1. Juni 2012, § 112 Rn. 17) und unterlassen eine hierauf bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Des Weiteren enthalten die Entscheidungen keine hinreichenden Ausführungen zu einer möglichen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes nach § 57 StGB, obwohl der Beschwerdeführer nicht vorbestraft ist und nach rechtskräftiger Verurteilung erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßen würde (vgl. BVerfG, a.a,0.).“

Wie gesagt, wird man beim OLG nicht so gerne lesen den Rüffel. Aber gelesen hat man den Beschluss des VerfGH, zumindest beim LG. Denn das hat den Haftbefehl inzwischen im LG Dresden, Beschl. v. 25.04.2015 – 5 KLs 100 Js 7387/12 – außer Vollzug gesetzt. Na bitte. Geht doch. Und auf einmal geht es auch schnell 🙂 .

„Schneckenpost“ bei StA und AG ==> Aufhebung des Haftbefehls

© Thomas Jansa - Fotolia.com

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Und dann noch einmal „Schneckenpost“ (vgl. heute schon den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 19.02.2016 – Ss 9/2016 (8/16) und dazu: Akte drei Jahre „außer Kontrolle“ – wenigstens Strafrabatt). Dieses Mal in einer Haftsache, bei denen ja der Beschleunigungsgrundsatz besondere Bedeutung hat. „Gehakt“ hat es bei der Staatsanwaltschaft und dann auch beim AG im Hinblick auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 64 StGB. Das OLG sieht dann im Rahmen der besonderen Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO Verzögerungen, die zur Aufhebung des Haftbefehls im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.10.2015 – 2 Ws 491/15  – führen:

„c) Das demnach gemäß § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO erforderliche Sachverständigengutachten hätte daher bereits im Ermittlungsverfahren eingeholt werden müssen, nachdem spätestens aufgrund der Einlassung des Angeklagten am 30.6.2015 hierzu Anlass bestanden hat. Ein Gutachten ist stets zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzuholen. Zudem ist es geboten, auf eine zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Hängt die Anklageerhebung nicht vom Ergebnis des Gutachtens ab, muss dessen Eingang nicht abgewartet werden; vielmehr kann der Beschleunigungsgrundsatz in diesen Fällen sogar gebieten, die Anklage bereits vor Eingang des Gutachtens zu erheben (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15; OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02).

Erteilt die Staatsanwaltschaft im Laufe des Ermittlungsverfahrens keinen Auftrag zur Begutachtung des Angeklagten, obwohl diese nach Aktenlage geboten ist, wird dem Beschleunigungsgrundsatz nicht genügt (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15; OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02 und Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.7.2009, 1 Ws 337/09 [zum Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit]).

Auf dieses Versäumnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren käme es nur dann nicht an, wenn es durch eine spätere beschleunigte Bearbeitung ausgeglichen worden wäre und daher nicht mehr ins Gewicht fiele.

Dies wäre vorliegend zu bejahen gewesen, wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts unverzüglich nach Eingang der Akten ein Sachverständigengutachten zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Auftrag gegeben hätte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02 und Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91). Hierzu hat das Schöffengericht bisher aber keine Veranlassung gesehen, so dass sich das Versäumnis der Staatsanwaltschaft beim Gericht fortgesetzt hat. Der Senat schließt aus, dass bis zum Hauptverhandlungstermin am 3.11.2015 oder in diesem ein Sachverständigengutachten zu den Voraussetzungen des § 64 StGB unter Beachtung des § 246a Abs. 3 StPO erstellt werden kann, zumal die gebotene Beiziehung von Vorstrafakten nicht ersichtlich ist. Ein – bei rechtzeitiger Beauftragung eines Sachverständigen voraussichtlich möglicher – Abschluss des Verfahrens beim Schöffengericht am 3.11.2015 wäre daher nur unter Verstoß gegen § 246a StPO möglich.“

„Fall Thomas Fischer“?, oder: Klatsche für ….?

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Nun, ob der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 03.02.2016 – 1 Ws 186/15 – ein „Fall Thomas Fischer“ ist – so mein Lieblingsurteilslieferant, der mich auf den Beschluss hingewiesen hat – weiß ich nicht. Jedenfalls ist es aber eine Sache, die vor ein paar Tagen auch schon die Presse interessiert hat – die FAZ hat unter demTitel „Bundesgerichtshof Immer nur um Fischer Wie „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ seine Arbeit macht. Oder auch nicht.“ berichtet – und es ist m.E. ein Beschluss, der einen Blogbeitrag wert ist. Denn er ist – in meinen Augen – eine Klatsche, wobei ich offen lassen will, ob nur für den Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH, oder vielleicht auch noch den BGH oder auch noch die Justizverwaltung, die mit der personellen Ausstattung der Justizbehörden nicht ganz so spendabel ist.

Was ist passiert? Nun, es geht in erster Linie mal nicht um Thomas Fischer, sondern um einen Angeklagten, der am 23.04.2013 vorläufig festgenommen worden ist. Einen Monat später die Anklage, Urteil des LG Gießen auch recht zügig, schon am 26.09.2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe tateinheitlich mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten; ferner wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Dagegen die Revision. Am 28.01.2014 fertigte der GBA seine Stellungnahme. Die Stellungnahme wurde dem Verteidiger am 06.02.2014 zugestellt. Die Stellungnahme des GBA ging am 05.02.2014 beim BGH ein.

Aber dann stellt das OLG auf der Grundlage der zuvor von ihm (genüsslich) referierten Grundsätze des Beschleunigungsgrundsatzes und der Rechtsprechung des BVerfG fest:

Die Prüfung des Verfahrensverlaufs ergibt, dass das Verfahren bis Eingang beim Bundesgerichtshof am 05.02.2014 mit der gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist….“

um dann anzuschließen:

„Nach den genannten Maßstäben ist bei weiterer Prüfung jedoch festzustellen, dass das Verfahren nach Eingang beim Bundesgerichtshof (Az.: …) am 05.02.2014 den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht mehr vollständig gerecht wird. Eine relevante Verfahrensverzögerung ergibt sich insofern daraus, dass die Akten dem Berichterstatter durch den Vorsitzenden erst am 26.05.2014 zugeleitet wurden. Bereits diese mangelnde Förderung des Verfahrens zwischen Eingang des Verfahrens und Zuweisung an den Berichterstatter im Jahr 2014 führt zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer.“

Das war es dann an sich schon für die Frage der weiteren Haftfortdauer – die Aufhebung des Haftbefehls ist/war unvermeidlich. Aber das OLG lässt es sich nicht nehmen:

„..Ein sachlicher Grund, welcher den Zeitraum von etwa drei Monaten zwischen Ablauf der Frist zur Gegenerklärung und Zuweisung rechtfertigt und eine den staatlichen Verfolgungsorganen zurechenbare und vermeidbare Verfahrensverzögerung ausschießt, ist nicht ersichtlich. Selbst unter Berücksichtigung einer angemessen Bearbeitungszeit hätte im vorliegenden Verfahren, welches sich als nicht überdurchschnittlich umfangreich und schwierig darstellt, nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme mit einer Zuleitung binnen einer Woche gerechnet werden können…..“

Und man hat es auch genau wissen wollen und hatte beim Vorsitzenden des 2. Strafsenats Thomas Fischer nachgefragt:

„Der Vorsitzende Richter des zuständigen 2. Strafsenats am Bundesgerichthof hat auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 13.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben:

„(…), auf Ihre Anfrage teile ich mit, dass mir die Sache … vermutlich am 07. Februar 2014 zugeleitet wurde. Am 26. Mai 2014 habe ich das Senatsheft gelesen und an den Berichterstatter zugeleitet. Besondere Gründe in der Sache, die zu der überdurchschnittlich langen Liegezeit bei mir Anlass gaben, gab es nicht. Die Verzögerung beruhte vielmehr auf der allgemeinen Geschäftslage des Senats mit einer hohen Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreichen Hauptverhandlungen und einer Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren.“

Und das OLG setzt dann noch „einen drauf“ und meint: Nicht nur verzögert, sondern noch nicht mal dann schneller gearbeitet, als die Verzögerung eingetreten war. Denn:

„Zwar kann die kurzfristige, weder voraussehbare noch vermeidbare Überlastung des Gerichts einen wichtigen Grund für eine Verzögerung des Verfahrens darstellen, nicht jedoch eine nicht behebbare Belastung des Spruchkörpers. Gemäß der Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kann zum damaligen Zeitpunkt nicht von einer nur kurzfristigen Überlastung des Gerichts gesprochen werden, da er ausdrücklich die hohe Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreiche Hauptverhandlungen und eine Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren anspricht. Es verbleibt deshalb bei einer der Justiz zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von rund drei Monaten, die unter Beschleunigungsaspekten nicht mehr hinzunehmen ist.

Die Verzögerung des Verfahrens ist auch nicht etwa durch eine spätere besonders intensive Bearbeitung ausgeglichen worden, auch wenn Verzögerungen letztlich auf den Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt A teilweise zurückzuführen sind. Unabhängig davon, ob die Heilung einer schon eingetretenen Verletzung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes durch nachfolgende überpflichtmäßige Beschleunigung überhaupt möglich ist [hierzu BVerfG, NJW 2006, 272], wären die Strafverfolgungsorgane und Gerichte nunmehr verpflichtet gewesen, das Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben. Gemessen daran stellt sich die weitere Bearbeitung nicht als eine hervorzuhebende besondere Förderung dar.“

Fazit für das OLG:

„Auch wenn sich mit der Verurteilung – auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist – das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs vergrößert [BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005, 2 BvR 109/05, BeckRS 2005, 24599], ist die vorliegend eingetretene – von den Justizbehörden zu vertretende Verfahrensverzögerung – in einem durchschnittlich gelagerten (Revisions-) Verfahren wie dem hiesigen – der Angeklagte war in der Hauptverhandlung in vollem Umfang geständig – selbst unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der zu erwartenden mehrjährigen Freiheitsstrafe nicht mehr zu rechtfertigten. Hier ist maßgeblich in Blick zu nehmen, dass die Untersuchungshaft inzwischen über zwei Jahre und neun Monate andauert. Bei einer derart langen Dauer der Untersuchungshaft ist auch einer einzelnen Verzögerung von etwa drei Monaten besonderes Gewicht beizumessen.“

Fazit für mich und hoffentlich auch für den Leser: Wenn nicht ein „Fall Thomas Fischer“, dann aber zumindest eine Klatsche. Und der ein oder andere Richterkollege des Kollegen Fischer wird es sicherlich gern lesen….. Ich frage mich dann aber auch: Was hat das OLG Frankfurt bewogen, es so deutlich/breit auszuführen? Retourkutsche?

Das acht Monate lang „vergessene HV-Protokoll“, oder: Die unverhältnismäßige U-Haft

© Thomas Jansa - Fotolia.com

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Rechtsmittelverfahren dauern häufig lang, was für den inhaftierten Angeklagten mehr als misslich ist. Wird doch in der Zeit i.d.R. U-Haft weiter vollstreckt. Und die besondere Haftprüfung nach den §§ 120 ff. StPO, die sonst die Instanzgerichte schon zur Beschleunigung tribet (zumindest treiben sollte) gibt es nicht. Er wird nun allein am Verhältnismäßigkietsgrundsatz geprüft. Und den hat das KG in folgender Konstellation verletzt gesehen:

„Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Juli 2014 seit dem 12. August 2014 in Untersuchungshaft. Am 23. Februar 2015 verurteilte das Landgericht Berlin ihn nach neuntägiger, gegen weitere vier Angeklagte geführter Hauptverhandlung zu einer zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. …..

Am 13. April 2015 wurde das schriftliche Urteil abgesetzt. Am 3. Juni 2015 wurde die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls vermerkt. Dabei wurde versehentlich übersehen, dass zwei Protokollteile nicht von den Urkundsbeamtinnen unterzeichnet waren. Am 8. Juni 2015 wurde das Urteil zugestellt. Bis zum 17. Juli 2015 verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Revisionsbegründungen des Angeklagten Y. und eines Mitangeklagten an die Staatsanwaltschaft. Nachdem ein weiterer Mitangeklagter zunächst am 5. August 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist beantragt, die Revision jedoch am 12. August 2015 zurückgenommen hatte, wurden die Akten am 14. August 2015 der Staatsanwaltschaft zur Zustellung der Revisionsbegründungen zugeleitet, wo sie am 17. August 2015 eingingen.

In der Folgezeit wurden die Akten der Vollstreckungsabteilung zur Einleitung der Vollstreckung gegen drei rechtskräftig verurteilte Mitangeklagte übersandt, sodann hat die Staatsanwaltschaft die Akten auf Anforderung vom 27. August 2015 zur Fertigung von Kopien für die Bearbeitung von offenen Kostenfestsetzungsanträgen und dann erneut am 7. September 2015 zur Bearbeitung des am 3. September 2015 eingegangenen Haftprüfungsantrags des Angeklagten dem Landgericht zurückgereicht. Die nach Rückkehr der Akten am 25. September 2015 begonnene Anfertigung der Revisionsgegenerklärung konnte der zuständige Abteilungsleiter erst am 12. Oktober 2015 abschließen, weil der Angeklagte zwischenzeitlich Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung vom 18. September 2015 eingelegt hatte und das Landgericht daraufhin die Akten erneut für etwa eine Woche benötigte, um Kopien für einen Haftbeschwerdeband anzufertigen. Nach Zustellung der Revisionsgegenerklärung an das Landgericht und Rückkehr der Akten am 16. Oktober 2015 wurde bei der Staatsanwaltschaft die Unvollständigkeit des Protokolls bemerkt. Seit dem 21. Oktober 2015 befinden sich die Akten wieder beim Landgericht zur Nachholung der Unterschriften und erneuten Zustellung des Urteils. Wegen der Erkrankung einer dafür benötigten Protokollführerin wird dies frühestens am 28. Oktober 2015 veranlasst werden; ein Verhinderungsvermerk soll erst im Fall der Fortdauer der Erkrankung angebracht werden.“

Sicherlich nicht alltäglich, aber sicherlich „unschön“. Das KG hat dann im KG, Beschl. v. 03.11.2015 – 3 Ws 532/15 – aufgehoben. Gründe/Begründung u.a.:

  • Mit dem Beschleunigungsgrundsatz „ist es nicht zu vereinbaren, dass das Urteil acht Monate nach Verkündung bzw. über sechs Monate nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe wegen der Verletzung der zwingenden Verfahrensvorschrift des § 273 Abs. 4 StPO noch nicht wirksam zugestellt war (vgl. dazu BGH, NStZ 2014, 420, 421). Auch bei größtmöglicher Beschleunigung wird eine Vorlage an den Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung der zu beachtenden Fristen und Verfahrensschritte nicht vor Mitte Dezember 2015 möglich sein (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16. Februar 2007 – 1 Ws 31/07 –, juris Rn. 13, wo eine sieben Monaten nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unterbliebene Vorlage an das Revisionsgericht beanstandet wurde). Die erstinstanzlich verhängte Freiheitsstrafe von nur 18 Monaten wird durch Anrechnung der dann bereits seit 16 Monaten andauernden Untersuchungshaft weitgehend verbüßt und eine sinnvolle Gestaltung des Strafvollzugs in der verbleibenden Zeit kaum mehr möglich sein. Auch eine Anschlussvollstreckung nach dem etwaigen Widerruf der Reststrafenaussetzung erscheint damit ausgeschlossen.“
  • Bereits die (vermeintliche) Fertigstellung des Protokolls erst 14 Wochen nach Urteilsverkündung wird dem Beschleunigungsgrundsatz nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss in Haftsachen das Protokoll parallel mit den schriftlichen Urteilsgründen erstellt werden. Die Anfertigung eines – wie hier – nicht außergewöhnlich umfangreichen Protokolls darf grundsätzlich nicht länger dauern als die Niederschrift des Urteils (BVerfG, NJW 2006, 1336, 1339; NJW 2006, 677, 679).
  • Auch für die erst fünf Wochen nach dem (vermeintlichen) Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ausgeführte Zustellung an die Staatsanwaltschaft lässt sich weder den Akten noch den dienstlichen Stellungnahmen ein ausreichender Grund entnehmen (vgl. die in BVerfG, NJW 2006, 1336, 1339 und NStZ 2005, 456, 457 beanstandeten Verzögerungen von fünf Wochen bzw. eineinhalb Monaten). Der vom Vorsitzenden als Verfahrensbesonderheit hervorgehobene, ohnehin erst nach vier Wochen eingegangene Wiedereinsetzungsantrag des Mitangeklagten musste vom Landgericht nicht inhaltlich geprüft werden (§ 46 Abs. 1 StPO). Soweit die Geschäftsstellenverwalterin in ihrer dienstlichen Stellungnahme auf eine zwischenzeitliche personelle Unterbesetzung der Geschäftsstelle hinweist, handelt es sich um einen Umstand aus dem Verantwortungsbereich der Justiz, dem die Gerichtsverwaltung gegebenenfalls durch geeignete organisatorische Maßnahmen hätte begegnen müssen (BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2781/10 –, juris Rn. 17; NJW 2006, 1336, 1339; NJW 2006, 677, 679).“