Archiv der Kategorie: OLG

OWi I: Keine Schätzungen beim Nachfahren, oder: Gründe (auch) bei Geschwindigkeitsüberschreitung

Bild von Felix Müller auf Pixabay

Heute dann ein OWi-Tag, ein bisschen habe ich. Nichts Besonderes, aber immerhin 🙂 .

Hier zunächst zwei Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung. Die eine befasst sich mehr allgemein mit den Urteilsgründe, in der anderen geht es um die Schätzung der Geschwindigkeit. Also:

Zunächst die Gründe, und zwar hat sich dazu das OLG Naumburg im OLG Naumburg, Beschl. v. 04.10.2024 – 1 ORbs 201/24 – geäußert:

„2. Die Feststellungen zum Schuldspruch beruhen nicht auf einer tragfähigen Grundlage; die Angaben hierzu genügen nicht, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass sich die Vorwürfe aus dem Bußgeldbescheid vom 07.11.2022, mit dem dem Betroffenen vorgeworfen wird, am 24.08.2022 um 9:19 Uhr auf der BAB 36 km 41,5 auf Höhe Ilsenburg in Richtung Abbenrode als Führer des Kleintransporters pp. die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h überschritten, die Zulassungsbescheinigung Teil I und den vorgeschriebenen Führerschein nicht mitgeführt zu haben, obwohl er die durch Verkehrszeichen 274 angeordnete erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h hätte erkennen können und müssen, im Rahmen der Hauptverhandlung bestätigt haben (UA S. 2).

Dabei beruhen die Feststellungen zur Person des Betroffenen auf dessen schriftlicher Einlassung sowie auf dem verlesenen FAER vom 08.04.2024; die Feststellungen zur Sache auf dem in Augenschein genommenen Messvideo, auf dem der Kleintransporter mit einer Geschwindigkeit von 128 km/h abzüglich eines nicht genannten Toleranzwertes zu erkennen ist (UA S. 2), sowie der im Rahmen der Hauptverhandlung ausgewerteten Unterlagen, insbesondere der Eichbescheinigung, der Lebensakte des Messgerätes und der Bedienungsberechtigung der Messbeamten, zudem auf den Vermerk der Polizeibeamten auf der Bescheinigung über die maßgebliche Verkehrskontrolle des Betroffenen.

Kein Hinweis findet sich in den Gründen dazu, dass der Betroffene eingeräumt hat, zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt den maßgeblichen Transporter geführt zu haben.

Zudem fehlen – worauf die Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend hinweist – Angaben zum konkret angewandten Messverfahren, insbesondere ob ein sog. standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen ist. Auch zur konkreten Höhe des zugrunde gelegten Toleranzwertes werden Ausführungen vermisst.

Eine Nachprüfung anhand der Urteilsgründe ist dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich. Schon deshalb kann das Urteil keinen Bestand haben. „

Und dann das AG Dortmund, Urt. v. 17.10.2024 – 729 OWi-267 Js 1305/24-100/24 – mit folgendem Leitsatz:

Kann bei einer Geschwindigkeitsfeststellung durch Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug mit nicht geeichtem Tacho in einem 1,5 km langen Tunnel nur eine Geschwindigkeit von vielleicht 135, 140 oder 145 km/h bei gleichbleibendem oder sich vergrößerndem Verfolgungsabstand von nicht festzustellender Länge („vielleicht 50 m, vielleicht auch 200 m“) festgestellt werden, so liegen keine ausreichenden Feststellungen vor, die nach hergebrachten Maßstäben eine Messung durch Nach-fahren darstellen. Insbesondere ist in einem solchen Fall auch eine Verdoppelung der eigentlich zu gewährenden Toleranz von 20 % nicht ausreichend, die Messung “ret-ten“ zu können.

 

Haft II: Wiederinvollzugsetzung nach Verurteilung, oder: Gibt es „neue“ Haftumstände/-gründe?

Bild von falco auf Pixabay

Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 09.12.2024 – 1 Ws 248/24 -zur in Vollzugsetzung eines Haftbefehls Stellung genommen. Grund: Die erfolgte Verurteilung des Angeklagten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe.

Erlassen worden war der Haftbefehl vom AG am 03.05.2024, das ihn dann am 31.05.2024 nach Festnahme des Angeklagten am Vortag außer Vollzug gesetzt hat. Den ihm erteilten Auflagen ist der Angeklagte in der Folge weitgehend pünktlich nachgekommen. Nach Anklageerhebung am 05.06.2024 hat das LG verbunden mit der Eröffnung des Hauptverfahrens den Haftbefehl aufrechterhalten und außer Vollzug belassen. Im Anschluss an die zwischen dem 02.09.2024 und dem 06.11.2024 an sechs Tagen durchgeführte Hauptverhandlung und Verkündung des Urteils am 06.11.2024 hat das LG den bestehenden Haftbefehl zunächst in Vollzug gesetzt. Seitdem befindet sich der Angeklagte ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 19.11.2024 hat das LG einen an die Verurteilung angepassten Haftbefehl erlassen und diesen dem Angeklagten verkündet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten. Er rügt die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr und die fehlenden Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des Haftbefehls.

Die Beschwerde hatte Erfolg. Das OLG hat den Haftbefehl wieder außer Vollzug gesetzt:

„2. Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs, 4 Nr. 3 StPO) nicht vor.

a) Ist ein Haftbefehl einmal unangefochten außer Vollzug gesetzt worden, so ist jede neue haftrechtliche Entscheidung, die den Wegfall der Haftverschonung zur Folge hat, aufgrund des Gewichts der grundrechtlich geschützten Verfahrensgarantie des § 116 Abs. 4 StPO nur unter den einschränkenden Voraussetzungen dieser Norm möglich. § 116 Abs. 4 StPO kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl aufgehoben wird und in der Folge ein neuer Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt wird. Insbesondere bei der Auslegung des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO (Erforderlichkeit der Verhaftung wegen neu hinzugetretener Tatsachen) sind strenge Maßstäbe anzusetzen. Die neu hervorgetretenen Umstände müssen sich auf die Haftgründe beziehen. Beziehen sich solche Umstände auf die Straferwartung, rechtfertigen sie die Wiederinvollzugsetzung dann, wenn sie zu einer Straferwartung führen, die von der Prognose des Haftrichters zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung erheblich zum Nachteil des Beschuldigten abweicht und sie nach einer Abwägung und Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass sich die Fluchtgefahr durch die Abweichung ganz wesentlich erhöht hat. Stand dem Beschuldigten aber die Möglichkeit einer für ihn nachteiligen Änderung der Prognose während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen und kam er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nach, setzt sich insoweit der vom Beschuldigten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durch (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2020, Az.: 2 BvR 1787/20).

b) Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des angefochtenen Haftbefehls nicht vor. Gegenstand des Haftbefehls vorn 03. Mai 202r war der Vorwurf der Vergewaltigung in fünf Fällen, der gefährlichen Körperverletzung in vier Einzelfällen und der der Körperverletzung in 20 Fällen. Ausgehend von dem Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB musste sich der Angeklagte demzufolge auf Grundlage der Beratung seines Verteidigers einer Verurteilung und der Verhängung einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe ausgesetzt sehen. Die Erwartung hat sich in dem Urteil der Strafkammer vom 6. November 2024 auch nach Verringerung der Tatvorwürfe verwirklicht. Allein der Umstand, dass der Angeklagte gleichwohl, wie von seinem Verteidiger beantragt, einen Freispruch erstrebt hat, kann vor diesem Hintergrund einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. Januar 2024, Az.: 2 Ws 12/24).

c) Der Haftbefehl war daher unter Erteilung geeigneter Auflagen (§ 116 Abs. 2 StPO) außer Vollzug zu setzen.“

Nichts Neues, sondern ein bekanntes Problem, zu dem festzuhalten ist, dass die OLG an der Stelle mit der Bejahung „neuer“ Haftgründe auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG recht streng sind.

Haft I: Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen, oder: Kranker Vorsitzender, SV-Gutachten, Terminierung

© Dickov – Fotolia.com

Bei mir im Blogordner hängen drei Haftentscheidungen, also reicht es heute für einen „Hafttag“.

Den beginne ich mit dem OLG Schleswig, Beschl. v. 03.12.2024 – 1 Ws 17/24 H. Ergangen ist der Beschluss im besonderen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO, also „Sechs-Monats-Haftprüfung“. Der liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Angeklagte befindet sich nach vorläufiger Festnahme am 23.052024 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Ihm wird unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) in 219 Fällen und eine Beleidigung vorgeworfen. 216 der insgesamt 220 Tatvorwürfe haben ein identisches Tatgeschehen zum Gegenstand.

Der seinerzeit noch Beschuldigte hatte gegen den Haftbefehl Beschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Im Anschluss hieran verfügte die Dezernentin bei der Staatsanwaltschaft am 20.06.2024 die „Fortsetzung der Ermittlungen“ durch die zuständige Kriminalpolizeistelle, ohne deren Art und Umfang zu konkretisieren. Auf ihre Sachstandsanfrage vom 08.072024 teilte ihr der sachbearbeitende Beamte mit, „dass die Ermittlungen abgeschlossen sind“. Lediglich ein Wirkstoffgutachten stehe noch aus. Hierbei handelt es sich vermutlich um ein Gutachten vom 22.07.2024. Am 17.07.2024 erstellte die Kriminalpolizeistelle ihren letzten Schlussvermerk. Die angekündigte Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft erfolgte sodann am 07.082024 auf dem Postweg und ohne Haftvermerk. Am 19.082024 erhob die Staatsanwaltschaft  schließlich Anklage zur Strafkammer, welche am 22.08.2024 die Zustellung und Übersetzung der Anklageschrift veranlasste. Am 16.09.2024 ging das seitens der Staatsanwaltschaft mit Anklageerhebung bei einer  Sachverständigen telefonisch unter Übersendung eines elektronischen Aktendoppels in Auftrag gegebene Gutachten zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 64 StGB ein.

Zwischenzeitlich war der Kammervorsitzende seit dem 12.09.2024 bis zum 17.11.2024 dienstunfähig erkrankt. Die stellvertretende Kammervorsitzende hat mit Verfügung vom 25.10.2024 die Terminverfügbarkeiten des Verteidigers und der Sachverständigen abgefragt und von diesen am 04. bzw. 01.11.2024 Rückmeldungen erhalten, aus denen sich aus Sicht der Kammer ergab, dass eine beschleunigte Durchführung der Hauptverhandlungen aufgrund unzureichender Verfügbarkeiten nicht möglich sein würde. Darüber kam es zu einer fortgesetzten Korrespondenz zwischen der stellvertretenden Kammervorsitzenden und dem Verteidiger.

Am 08.11.2024 erging sodann die Eröffnungsentscheidung der Kammer. Zugleich verfügte die stellvertretende Kammervorsitzende die Ladung zur Hauptverhandlung mit Beginn am 21.11.2024 um 16 Uhr, also vier Tage vor Ablauf der nach § 43 Abs. 2 StPO zu berechnenden Sechs-Monats-Frist. Die Ladungsverfügung wurde am 11.11.2024 ausgeführt; die Zustellung an den Verteidiger erfolgte am 13.11.2024.

Aufgrund der Nichteinhaltung der Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO beantragte der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 21.11.2024 die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß § 217 Abs. 2 StPO und teilte auf Frage des Vorsitzenden mit, dass auch für den Beginn der Hauptverhandlung am 28.11.2024 (dem eigentlich nächsten Fortsetzungstermin) seitens des Angeklagten nicht auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichtet werde. Die Hauptverhandlung wurde sodann mit Beschluss der Kammer in der begonnenen Hauptverhandlung ausgesetzt. Von einer Terminierung auf den 28.11.2024 sah der Vorsitzende ab, da umstritten sei, ob die Ladungsfrist nach § 217 Abs. 1 StPO auch nach Aussetzung der Hauptverhandlung gelte. Dies sei nach seiner Auffassung jedenfalls dann anzunehmen, wenn – wie vorliegend – die Ladungsfrist bezüglich der ausgesetzten Hauptverhandlung nicht gewahrt gewesen sei.

Die Strafkammer hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich und verhältnismäßig gehalten und hat die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

Der Verteidiger hatte gegenüber der Kammer in der Korrespondenz im Hinblick auf die problematische Terminierung zunächst ausgeführt, die mögliche Terminierung trage „dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen hinreichend Rechnung“. In seiner an den Senat gerichteten Stellungnahme vom 28.11.2024 hate er nunmehr eine umfassende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes gerügt.

Das OLG hat den Haftbefehl des AG aufgehoben und die Entlassung des Angeklagten aus der U-Haft angeordnet. Das OLG hat den m.E. schleppenden Verfahrensgang mit deutlichen Worten gerügt. Wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen. Ich veröffentliche hier nur die Leitsätze (des OLG), und zwar:

1. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt während des gesamten Ermittlungsverfahrens. Es ist daher uneingeschränkt mit Beginn des Vollzuges der Untersuchungshaft zu beachten und nicht etwa – solange die Sechs-Monats-Frist (gerade noch) eingehalten werden kann – bis zur besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO mit geringeren Anforderungen.

2. Eine mit Haftsachen befassten Großen Strafkammer muss – anders als bei einer unvorhergesehenen und kurzen Erkrankung – dafür Sorge tragen, dass bei einem längerfristigen Ausfall eines Kammermitgliedes gleich aus welchem Grund eine angemessene Verfahrensförderung und ggf. auch die Durchführung einer Hauptverhandlung mit einer Vertretung gewährleistet ist. Ein unabsehbares Zuwarten stellt schon für sich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots dar.

3. Es ist seitens der Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Eingang von Gutachten abgewartet wird, um bei Anklageerhebung sämtliche Beweismittel anführen zu können. Verzögert sich dies aber, ist dieser Verzögerung zum einen dadurch zu begegnen, dass die Gutachtenerstellung maximal priorisiert wird und zum anderen der Abschluss der Ermittlungen soweit vorangebracht wird, dass bei Eingang der restlichen Ermittlungsergebnisse diese zeitnah eingearbeitet werden können.

4. Dass es gerade im Hinblick auf die Auslastung von Verteidigern und Sachverständigen zu Konstellationen kommt, die dem Beschleunigungsgebot bei der Terminierung zuwiderlaufen, ist ein Problem, welches in Haftsachen geradezu typischerweise besteht. Es ist daher von einem mit Haftsachen befassten Spruchkörper zu erwarten, dass dem durch frühzeitige Planung und Terminabstimmung wirksam begegnet wird.

5. Bei der Annahme der Verhinderung eines Verteidigers ist ein Maßstab zugrunde zu legen, der sich an der Vorrangigkeit von Haftsachen orientiert. In einer Haftsache kommt deshalb grundsätzlich lediglich eine Verhinderung durch andere bereits bestimmte Hauptverhandlungstermine in Haftsachen in Betracht, die von dem Verteidiger grundsätzlich auch zu belegen ist. Eine Beiordnung hat zu unterbleiben oder ist zu beenden, wenn ein Verteidiger nicht gewährleisten kann, das ihm übertragene Mandat auch tatsächlich wahrzunehmen.

Revision III: Sammlung „quer durch den Garten“, oder: u.a. Nebenkläger, Beschwer, JGG-Verfahren, Kosten,

© rdnzl – Fotolia.com

Und dann geht es im dritten Posting zu Revisionsentscheidungen „quer durch den Garten“ mit Entscheidungen zur Nebenklägerrevision und zum Revisionsverfahren. Ich stelle folgende Entscheidungen vor:

Gemäß § 400 Abs. 1 StPO ist ein Nebenkläger nicht befugt, das Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Deshalb bedarf seine Revision eines genauen Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedeliktes verfolgt.

Sind die Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision eines Nebenklägers erfolglos geblieben, hat der Nebenkläger nach. § 473 Abs. 1 StPO nicht nur die Revisionsgebühr, sondern auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf den Nebenkläger erfolgt nur dann, wenn diese allein erfolglos Revision eingelegt hätten, nicht hingegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführerin ist (§ 473 Abs. 1 Satz 3 StPO).

Ein Angeklagter kann ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Das gilt auch, wenn nach Aufhebung und Zurückverweisung allein noch über die Frage zu entscheiden war, ob die Maßregel anzuordnen sei.

Die Revisionshauptverhandlung ist gemäß § 337 StPO auf die rechtliche Nachprüfung des angefochtenen Urteils beschränkt. Daher ist,  selbst wenn nach den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift eine Ergänzung des Schuldspruchs entsprechend § 354 Abs. 1 StPO in Betracht kommen sollte, eine Vorführung des Angeklagten nicht angezeigt. Das gilt auch, wenn der Angeklagte mit einem erneut in Rede stehenden Tatvorwurf, mit dem er aber bereits durch die Anklageschrift konfrontiert war, konfrontiert werden soll.

1. Ein Urteil, das ausschließlich ein Zuchtmittel gegen den Angeklagten anordnet, kann gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Dementsprechend kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen falsch beurteilt oder die verhängte Sanktion selbst rechtswidrig ist.

2. Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG zulässigen Angriffsziele einer Revision zu verhindern, folgt aus der Pflicht des § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird.

3. Beschränkt sich die Revision darauf, die Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen sowie die Zurückverweisung zu beantragen und allgemein die Verletzung sachlichen Rechts ohne weitere Begründung zu rügen, lässt sich der Antrags- und Rechtfertigungsschrift in der Regel nicht eindeutig entnehmen, dass ein nach § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässiges Ziel verfolgt wird. Die Vorschrift von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass das Urteil zur vollen Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt wird.

1. Enthält das Revisionsurteil keine Entscheidung über einen Teil der zum Nachteil der Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft, handelt es sich nicht um ein Nichturteil, jedoch bleibt der nicht beschiedene Teil der Revision beim Revisionsgericht anhängig.

2. Eine Berichtigung oder Ergänzung des verkündeten Revisionsurteils analog § 319 ZPO kommt in der Regel nicht in Betracht, wenn nur der entfernteste Verdacht einer nachträglichen Korrektur des wirklich Gewollten besteht.

3. Der noch nicht beschiedene Revisionsangriff kann nur aufgrund neuer Hauptverhandlung durch ergänzendes Urteil erledigt werden. Das vorausgegangene Revisionsurteil bleibt hiervon unberührt.

Rückforderung von zu viel gezahlten Pflichti-Gebühren, oder: Unbefristetes Erinnerungsrecht der Staatskasse?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Gestern habe ich mit Pflichtverteidigungsentscheidungen aufgehört, heute fange ich am Gebührenfreitag mit einer Entscheidung an, die auch einen Pflichtverteidiger betrifft. Ist allerdings ein wenig „unschön“. Denn es geht um einen Rückforderungsanspruch gegen den Pflichtverteidiger wegen zu viel gezahlter Pflichtverteidigergebühren.

Folgender Sachverhalt: Der Pflichtverteidiger hat am 14.03.2020 die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von 10.881,84 EUR beantragt, die auch festgesetzt worden sind. Am  19.11.2021 hat er dann zudem beantragt, ihm eine Pauschgebühr gemäß § 51 RVG in Höhe von weiteren 2.000,- EUR zu bewilligen. Im Rahmen des Pauschgebührenverfahrens hat der Bezirksrevisor dann dahingehend Stellung genommen, dass die Akten vor der Entscheidung über die Pauschgebühr zunächst der Bezirksrevisorin bei dem LG vorgelegt werden mögen. Die solle prüfen, ob die Festsetzung mit der Erinnerung anzugreifen sei, da die gesetzlichen Gebühren und Auslagen unzutreffend festgesetzt worden seien. Es werden dann durch Entscheidung vom 30.12.2022 4.438,70 EUR inklusive Umsatzsteuer zurückgefordert.

Dagegen die Erinnerung, der teilweise abgeholfen wird. Hiergegen richtet sich beim LG eingelegte Beschwerde des Pflichtverteidigers. In dieser vertritt er die Auffassung, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse in entsprechender Anwendung von § 20 GKG verwirkt (gewesen ) sei. Die Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg, der OLG Braunschweig, Beschl. v. 07.08.2024 – 1 Ws 210/23  hat sie verworfen.

„1. Die Kammer hat mit Recht festgestellt, dass der Beschwerdeführer verpflichtet ist, insgesamt 1.775,48 € inklusive Umsatzsteuer zurückzuzahlen. (373,- € x 4 = 1.492,- € x 1,19 = 1.775,48 €). Dieser Betrag entspricht der Grundgebühr (Nr. 4101 VV RVG), der Verfahrensgebühr (Nr. 4105 VV RVG) und der Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) für insgesamt 4 hinzuverbundene Sachen (Fallakten 8, 12, 19.1 und 19.2). Die Kammer hat im angefochtenen Beschluss, auf den der Senat insoweit verweist, zutreffend dargelegt, dass der Beschwerdeführer keine konkrete gebührenauslösende Tätigkeit gemäß §§ 55 Abs. 5 Satz 1 RVG, 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht hat.

2. Die Rückforderung ist auch nicht kraft Gesetzes ausgeschlossen. Ob und in welcher Weise die Rückforderung einer überhöht festgesetzten und ausgezahlten Vergütung einer zeitlichen Begrenzung unterliegt, ist streitig. Eine Auffassung zieht die gesetzliche Wertung zur Nachforderung von Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes (§§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG) heran und meint, dass die Rückforderung nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres ausgeschlossen sei (OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. September 2009, 2 Ws 125/09, juris, Rn. 18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2019, II-1 WF 128/19, juris, Rn. 11). Demgegenüber wird unter Hinweis auf die gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG unbefristete Erinnerungsbefugnis die Auffassung vertreten, dass die genannten Vorschriften nicht eingreifen und die Rückforderungsbefugnis der Staatskasse allenfalls im Rechtsinstitut der Verwirkung seine Grenze findet. Es sei eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, die Erinnerung nicht zeitlich zu befristen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2017, I-10 W 35-37/17, juris, Rn. 5; LAG München, Beschluss vom 4. März 2014, 1 Ta 416/12, juris, Rn. 18).

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an und hält die analoge Anwendung der starren Fristen der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG auf die Rückforderung von Gebühren und Auslagen von einem Pflichtverteidiger für verfehlt. Die Nachforderung von Kosten wegen eines unrichtigen Ansatzes ist nicht mit der unzutreffenden Auszahlung von Gebühren und Auslagen eines Pflichtverteidigers vergleichbar. Hätte der Gesetzgeber die Rückforderung in solchen Fällen an eine konkrete Frist knüpfen wollen, hätte es ihm freigestanden, eine entsprechende Regelung zu treffen. Davon hat der Gesetzgeber abgesehen und sich vielmehr bewusst entschieden, die Erinnerung nicht zeitlich zu befristen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2017, I-10 W 35-37/17, juris, Rn. 5; LAG München, Beschluss vom 4. März 2014, 1 Ta 416/12, juris, Rn. 18). Das Landgericht hat im angefochtenen Beschluss zutreffend auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf der Bundesregierung des Justizkommunikationsgesetzes vom 23. Februar 2005 (Bt-Drs. 15/4952) hingewiesen, wonach die Neufassung von § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG klarstellen sollte, dass die Erinnerung gegen die Vergütung zeitlich nicht befristet ist (Seiten 41 und 51 der Drucksache).

Gerade der vorliegende Fall, bei dem zugleich ein Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) gestellt ist, zeigt, dass die kurze Frist der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG für den Rückforderungsanspruch nicht angemessen ist. Denn bei Festsetzung einer Pauschgebühr ist zu prüfen, ob die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit des Verfahrens unzumutbar niedrig sind (§ 51 Abs. 1 Satz 1 RVG). Wäre die Rückforderung in analoger Anwendung der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG nach Ablauf des auf die Vergütungsfestsetzung folgenden Kalenderjahres ausgeschlossen, könnte deren sich aus den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses ergebende Höhe trotz des Eingangs eines Antrags auf Bewilligung einer Pauschgebühr danach gegebenenfalls nicht mehr korrigiert werden. Denn beim Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr ist es dem Staat binnen 3 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das zugrundeliegende Verfahren rechtskräftig geworden ist, untersagt, die Einrede der an §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu bemessenden Verjährung zu erheben (OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. April 2019, 1 ARs 5/19, juris, Rn. 5; KG Berlin, Beschluss vom 15. April 2015, 1 ARs 22/14, juris, Rn. 4). Der gemäß § 51 RVG zu treffenden Senatsentscheidung fehlte somit der zutreffende Bezugspunkt.

Der Zahlungsempfänger ist trotz der Unanwendbarkeit der §§ 20 Abs. 1 GKG, 19 Abs. 1 Satz 1 FamGKG auch nicht unbegrenzt dem Erstattungsanspruch des Staates ausgesetzt. Vielmehr ist er unabhängig vom Rechtsinstitut der Verwirkung seinerseits durch die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB geschützt. Der Rückzahlungsanspruch ist als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch einzuordnen (KG Berlin, Beschluss vom 22. April 2008, 1 Ws 47/07, juris, Rn. 5; Groß in Groß Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl., § 45 Rn. 8; Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, § 51 RVG Rn. 89), so dass sich die einschlägige Verjährungsregelung nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage beurteilt (BVerwG, Urteil vom 15. März 2017, 10 C 3/16, Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 5. November 2021, 2 B 15/21, juris, Leitsatz 1 und Rn. 11). Spricht schon allgemein viel dafür, der Sachnähe des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zum Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) durch Anwendung des § 195 BGB Rechnung zu tragen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2017; a.a.O.; Rn. 20), tritt bei der Pflichtverteidigervergütung noch hinzu, dass eine längere Verjährungsfrist auch deshalb unangemessen wäre, weil sich die Verjährungsfrist für den Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr, wie dargelegt, ebenfalls an § 195 BGB orientiert (OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. April 2019, 1 ARs 5/19, juris, Rn. 5; KG Berlin, Beschluss vom 15. April 2015, 1 ARs 22/14, juris, Rn. 4).

Die Voraussetzungen einer Verwirkung liegen ebenfalls nicht vor. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment), der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten zudem darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde ((Umstandsmoment; vgl BGH, Urteil vom 16. März 2017, I ZR 49/15, juris, Rn. 83). Bei der Bestimmung der für die Annahme einer Verwirkung hinreichenden Zeitspanne sind auch die Verjährungsfristen in den Blick zu nehmen und eine Verwirkung scheidet regelmäßig – so auch hier – aus, wenn der Anspruch gemäß § 195 BGB der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren unterliegt (BGH, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 26. Mai 2016, 1 Ws 245/16, juris, Rn. 10). Es fehlt zudem an einem Verhalten der Staatskasse, dem der Beschwerdeführer nach Auszahlung der Vergütung entnehmen konnte, dass der Rückforderungsanspruch nicht geltend gemacht werde.“

Ist leider so. Das entscheidende Argument ist m.E., dass der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 56 Abs. 2 S. 1 RVG davon ausgegangen, dass die Erinnerung gegen die Vergütung zeitlich nicht befristet ist/sein sollte. Dann kann man nicht über eine Hintertür durch analoge Anwendung anderer Vorschriften eine zeitlich Befristung einführen.

Es bleibt nach der OLG-Entscheidung aber zumindest die Einrede der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist war hier aber noch nicht abgelaufen, so dass das OLG dazu mit Recht nicht weiter ausführt. Auch verwirkt war der Rückforderungsanspruch nicht, jedenfalls ergeben sich dafür nach dem mitgeteilten Sachverhalt keine Anhaltspunkte.