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Corona I: Weiterhin kein Bock auf Masketragen, oder: Unterbindungsgewahrsam rechtmäßig

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Heute zum Auftakt der 14. KW. dann mal wieder ein paar Entscheidungen zu Corona. Passend zum „Freedomday“, wobei mir keiner vernünftig erklären kann, warum man den brauchte. Nur weil die FDP meinte, es besser zu wissen, und wir einen BMJV haben, der den Begriff „Freiheit“ sehr einseitig definiert. Ich vermute, dass es nicht lange dauern wird und die Maskenpflicht zurückkommt. Hatten wir das nicht gerade auch in Frankreich?

Ich beginne dann mit dem BGH, Beschl. v. 08.02.2022 – 3 ZB 4/21 – zum sog. Unterbindungsgewahrsam (hier § 35 PolG NRW). Ergangen ist sie auf der Grundlage folgenden Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hatte im Dezember 2020 an einer Versammlung von Gegnern der staatlichen Maßnahmen zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus in Köln teilgenommen und sich geweigert, einen Mund-Nasen-Schutz anzulegen, obwohl die Pflicht zum Tragen eines solchen am Versammlungsort in der Kölner Altstadt angeordnet war. Nachdem er außerdem massiven körperlichen Widerstand gegenüber den eingesetzten Ordnungskräften geleistet hatte, als diese seine Identität feststellen wollten, hat ihn die Polizei in Gewahrsam. Das AG hat das für zulässig erklärt und die Fortdauer des Freiheitsentzugs für weitere zwei Stunden bis zum Ende der Versammlung angeordnet. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Betroffenen hat das LG zurückgewiesen. Dagegen dann die Rechtsbeschwerde mit der die Feststellung beantragt wird, dass der Betroffene durch die Entscheidungen von AG und LG in seinen Rechten verletzt worden ist. Der BGG hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen:

„b) Zutreffend hat das Landgericht die vom Amtsgericht angeordnete Freiheitsentziehung materiell am Maßstab des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW gemessen. Ohne Rechtsfehler hat es angenommen, dass die Ingewahrsamnahme dem Grunde und der Dauer nach der Sach- und Rechtslage entsprach. Auch sonst begegnet die Beschwerdeentscheidung keinen rechtlichen Bedenken, die dem Rechtsmittel zum Erfolg verhelfen könnten. Im Einzelnen:

aa) Das Landgericht hat die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung als gegeben erachtet. Das ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW kann eine Person in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

(1) Das Landgericht hat darin, dass der Betroffene bei seinem Aufenthalt auf dem keine Mund-Nase-Bedeckung trug, zutreffend eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG erblickt. Nach der genannten Norm begeht eine solche, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 IfSG, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 IfSG, zuwiderhandelt.

Eine derartige Rechtsverordnung nach § 32 IfSG war die Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (CoronaSchVO) vom 30. November 2020 in der ab dem 16. Dezember 2020 gültigen Fassung. Diese bestimmte in § 3 Abs. 2, dass „unter freiem Himmel“ eine Maske zu tragen ist bei Versammlungen von mehr als 25 Personen (Nr. 6) oder an weiteren Orten, „für die die zuständige Behörde eine entsprechende Anordnung trifft oder getroffen hat, wenn gemessen an der verfügbaren Fläche mit dem Zusammentreffen einer so großen Anzahl von Menschen zu rechnen ist, dass Mindestabstände nicht sichergestellt werden können“ (Nr. 8). In § 18 Abs. 2 Nr. 2 CoronaSchVO war geregelt, dass der Verstoß gegen die Maskenpflicht nach § 3 Abs. 2 eine Ordnungswidrigkeit im Sinne der § 73a Abs. 1a Nr. 6, §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG darstellt.

Die Stadt K. hatte auf der Grundlage von § 2 Abs. 4, § 15a CoronaSchVO in der Fassung vom 30. September 2020 am 9. Oktober 2020 eine solche Anordnung erlassen. In § 1 Nr. 2 Buchst. c der Allgemeinverfügung Nr. 289 hatte sie angeordnet, dass in der Altstadt eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen ist. Gemäß dem als Anlage beigefügten Lageplan 1 gehörte der gesamte zum Gebiet der Altstadt. Die Verfügung war ausführlich begründet; sie wies ebenfalls darauf hin, dass der Verstoß gegen die Maskenpflicht eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG darstellt. Mit der hier maßgeblichen Allgemeinverfügung Nr. 358 vom 5. Dezember 2020, gültig bis zum Ablauf des 21. Dezember 2020, hatte die Stadt K. die Anordnung dahin modifiziert, dass sie auf die Zeit von 10 bis 22 Uhr beschränkt ist.

(2) Die genannten Rechtsvorschriften und die konkrete bußgeldbewehrte Anordnung der Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes in dem hoch frequentierten Gebiet der K. Altstadt verletzen kein Verfassungsrecht. Insoweit wird Bezug genommen auf die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (u.a. Beschlüsse vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE, juris; vom 28. Juli 2020 – 13 B 675/20.NE, juris; vom 29. Juli 2020 – 13 B 792/20.NE, juris; vom 18. August 2020 – 13 B 847/20.NE, juris; s. auch vom 15. Dezember 2020 – 13 B 1731/20.NE, juris; vom 10. Februar 2021 – 13 B 1932/20.NE, juris; vom 12. Februar 2021 – 13 B 1750/20.NE, juris, zur Rechtslage nach Einführung des § 28a IfSG) und des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 4 RBs 387/21, juris Rn. 17 ff.) zur Verfassungsmäßigkeit der Maskenpflicht nach der Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in ihren verschiedenen Fassungen sowie des Bundesverfassungsgerichts zur Grundgesetzkonformität der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Rahmen der sogenannten Bundesnotbremse (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a., NJW 2022, 139). Tragend für diese Beurteilung sind die folgenden Erwägungen:

…….

Bei der hier konkret maßgeblichen Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes in der K. Altstadt handelte es sich um ein im Vergleich zu Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren milderes Mittel. Die Anordnung bezog sich zudem nur auf wenige Straßenzüge mit hohem Publikumsverkehr – den meisten Normadressaten stand es frei, die entsprechenden Gebiete zu meiden -, sie war zuletzt zeitlich beschränkt, und sie sah zahlreiche Ausnahmen vor. So waren etwa Radfahrer, Jogger, Kinder sowie Personen, die aus medizinischen Gründen keine Mund-Nase-Bedeckung tragen können, von der Maskenpflicht befreit. Vor diesem Hintergrund besteht an der Verhältnismäßigkeit der Anordnung kein Zweifel.

(3) Die Einschätzung des Landgerichts, dass sich aus dem Verhalten des Betroffenen die hinreichende Erwartung der Begehung weiterer Ordnungswidrigkeiten durch ihn ergab, ist ebenfalls nicht zu beanstanden (zum Maßstab vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 ZB 2/21, juris Rn. 21). Die Prognose, er werde sich ohne die Ingewahrsamnahme erneut ohne Mund-Nase-Bedeckung am Versammlungsort auf dem pp. aufhalten, gründete sich auf seine gänzlich fehlende Bereitschaft zur Kooperation mit den staatlichen Ordnungskräften. Der Betroffene stellte durch die Zuwiderhandlung gegen die Maskenpflicht von vornherein deren Ablehnung zur Schau. Gegenüber den eingesetzten Polizisten leistete er einen strafrechtlich relevanten körperlichen Widerstand. Überdies verweigerte er die Auskunft auf die Frage, wie er sich fortan zu verhalten gedenke. Die ganze Situation spielte sich schließlich vor den Augen einer größeren Menschenmenge ab, was nahelegt, dass der Betroffene gerade die Versammlung weiterhin nutzen wollte, um seinen politischen Protest gegen die staatlichen „Corona-Maßnahmen“ zu demonstrieren. Damit gab es eine durch Tatsachen belegte Gefahr vergleichbarer Handlungen.

(4) Das zu besorgende Verhalten des Betroffenen stellte eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW dar. Auch diese Würdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler auf. Die Maskenpflicht diente, wie ausgeführt, dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung.

bb) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, dass die Freiheitsentziehung zur Gefahrenabwehr erforderlich war. Gegen seine nachvollziehbar begründete Beurteilung, der Betroffene werde sich im Fall seiner Freilassung wieder ohne Mund-Nase-Bedeckung zum Versammlungsort auf dem Heumarkt begeben, ist nichts zu erinnern. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen, durch die dies gleichermaßen hätte verhindert werden können, sind nicht ersichtlich gewesen. Es ist angesichts der Beharrlichkeit des Betroffenen nicht damit zu rechnen gewesen, dass er freiwillig eine Maske angelegt oder einen Platzverweis befolgt hätte.

cc) Der vom Amtsgericht für notwendig gehaltene Zeitraum der Freiheitsentziehung von etwa zwei (weiteren) Stunden begegnet ebenso wenig rechtlichen Bedenken. Nachvollziehbar hat das Beschwerdegericht den Gewahrsam bis zum Ende der Versammlung für angemessen gehalten. Dass der Betroffene – wie er nunmehr vortragen lässt – nicht gewusst haben will, dass diese bis um 17 Uhr andauern würde, ist kein Umstand, der geeignet ist, die bis zu diesem Zeitpunkt fortwährende Gefahr in Frage zu stellen. Denn er hätte sich die entsprechende Information im Fall seiner Freilassung jederzeit beschaffen können. Besondere Ermittlungen von Amts wegen im Sinne des § 26 FamFG, die über die Anhörung des Betroffenen hinausgehen, waren entgegen dem Beschwerdevorbringen insoweit nicht veranlasst.

dd) Die angeordnete Freiheitsentziehung war überdies verhältnismäßig. Dies gilt auch bei Heranziehung eines besonders strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstabs, was bei präventiven Freiheitsbeschränkungen, die nicht dem Schuldausgleich dienen, regelmäßig geboten ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 372 f.; Beschluss vom 18. April 2016 – 2 BvR 1833/12 u.a., NVwZ 2016, 1079 Rn. 25).

Corona I: Vorlage eines gefälschten Impfbuchs, oder: Sperrwirkung in Altfällen vom OLG Stuttgart verneint

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Und in die 11. KW. starte ich dann mal wieder mit Entscheidungen zu Corona. Dazu habe ich länger nichts gebracht. Aber – die Zahlen zeigen es ja auch – der Mist ist lange noch nicht vorbei.

Zunächst hier dann der OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.03.2022 – 1 Ws 33/22 – noch einmal zur Frage der Verdrängung des Straftatbestandes der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB durch § 279 StGB a.F. in den Fällen der sog. Impfausweisfälschung. Die Frage ist ja in Rechtsprechung und Literatur umstritten; Nachweise findet man in der Entscheidung des OLG. Das OLG Stuttgart hat sich der Auffassung angeschlossen, die eine Sperrwirkung verneint, und das umfassend begründet:

„3. Die Anwendung des Straftatbestandes der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB wird im vorliegenden Fall nicht durch § 279 StGB verdrängt.

a) Gemäß § 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung wird bestraft, wer, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft über seinen oder eines anderen Gesundheitszustand zu täuschen, von einem Zeugnis der in den §§ 277 oder 278 StGB bezeichneten Art Gebrauch macht. § 279 StGB stellt mithin den Gebrauch gefälschter Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 277 StGB oder unrichtiger Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB unter Strafe.

b) Nach zutreffender herrschender Meinung verdrängt § 279 StGB a.F. jedenfalls bei Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen – als Privilegierungstat-bestand nach den Grundsätzen der Spezialität einen gleichzeitigen Verstoß gegen § 267 StGB (MüKoStGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 279 StGB, Rn. 5; NK-StGB/ Puppe/Schumann, 5. Auflage 2017, § 279 StGB, Rn. 9; vgl. auch Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 30. Auflage 2019, § 277 StGB, Rn. 12; Lack-ner/Kühl/Heger, 29. Auflage 2018, § 277 StGB, Rn. 5; so auch bereits das Reichsgericht, Urteil vom 1. Dezember 1881 – 2112/81, RGSt 6, 1 f.). Während § 267 StGB mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden kann, sehen die Straftatbestände der §§ 277 bis 279 StGB nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem (§§ 277, 279 StGB) bzw. bis zu zwei Jahren (§ 278 StGB) vor. Zudem besteht in den Fällen der §§ 277 bis 279 StGB keine Versuchsstrafbarkeit.

c) Nach derzeitigem Ermittlungsstand handelt es sich bei dem durch den Ange-klagten vorgelegten Impfpass um ein objektiv unrichtiges Gesundheitszeugnis gemäß den §§ 277 ff. StGB. Gesundheitszeugnisse sind Urkunden, die Erklä-rungen zum Gesundheitszustand eines Menschen enthalten (vgl. Fischer, StGB, 68. Auflage 2021, § 277 Rn. 3; MüKoStGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277, Rn. 2). Hierunter fällt auch der Impfnachweis, da die Impfung eine Information über die voraussichtlich gesteigerte Immunabwehrkraft als Aspekt des Gesundheitszustandes impliziert (Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159, 2163; siehe auch RGSt 24, 284; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21, juris, Rn. 14).

Eine Strafbarkeit nach § 279 StGB a.F. setzt jedoch das Gebrauchen des Gesundheitszeugnisses zur Täuschung einer Behörde (oder einer Versicherungsgesellschaft) voraus. Dabei ist eine Behörde ein ständiges, von der Person des Inhabers unabhängiges, in das Gefüge der öffentlichen Verwaltung eingeordnetes Organ der Staatsgewalt mit der Aufgabe, unter öffentlicher Autorität nach eigener Entschließung für Staatszwecke tätig zu sein (Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 11, Rn. 29 mwN).

Bei einer Apotheke handelt es sich nicht um eine Behörde in diesem Sinne, sondern um ein privates Unternehmen (LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21, juris, Rn. 9). Auch die Tatsache, dass gemäß § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VSG die Durchführung einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus in einem digitalen Impfzertifikat auch von Apotheken zu bescheinigen ist, führt nicht dazu, dass diese als Behörden im Sinne des § 279 StGB a.F. anzusehen sind.

Der Umstand, dass gemäß § 22 Abs. 5 Satz 3 IfSG eine zur Bescheinigung der Schutzimpfung verpflichtete Apotheke bestimmte personenbezogene Daten an das Robert-Koch-Institut als Bundesbehörde übermittelt, welches das COVID-19-Impfzertifikat technisch generiert, führt vorliegend ebenfalls nicht zu einer Strafbarkeit nach §§ 277 ff. StGB. Zwar erfordert ein „Gebrauch machen“ im Sinne des § 279 StGB keine eigenhändige Vorlage, es setzt jedoch ein – wenn auch nur mittelbares – Verbringen in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit jederzeitiger sinnlicher Wahrnehmung bzw. Kenntnisnahme voraus (OLG Stuttgart, Urteil vom 25. September 2013 – 2 Ss 519/13, juris, Rn. 21). Gemäß § 22 Abs. 5 IfSG werden dem Robert-Koch-Institut lediglich die personenbezogenen Daten aus dem vorgelegten Impfpass in elektronischer Form übermittelt, nicht jedoch der vorgelegte Impfpass selbst, so dass das Robert-Koch-Institut diesbezüglich keine eigene Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl. LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21, juris, Rn. 12; OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21, juris, Rn. 52).

d) Da das Impfbuch im vorliegenden Fall nicht gebraucht wurde, um eine Behörde bzw. Versicherungsgesellschaft zu täuschen, vermag die zur Tatzeit geltende Fassung der §§ 277, 279 StGB nach Auffassung des Senats gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung keine Sperrwirkung zu entfalten.

In der Literatur wird überwiegend vertreten, dass die §§ 277 ff. StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung eine umfassende Privilegierung des Umgangs mit gefälschten bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstellten (vgl. MüKoStGB/Erb, 3. Auflage 2019, § 277, Rn, 11; Hoyer, SK-StGB, 9. Auflage 2017, § 277 Rn. 5; Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 277, Rn. 16). Dieser Ansicht haben sich mittlerweile auch mehrere Gerichte angeschlossen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21, juris; LG Osnabrück, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 3 Qs 38/21, juris; LG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2021 -19 Qs 90/21; LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23. Dezember 2021 – 5 Qs 107/21, juris; LG Landau, Beschluss vorn 13. Dezember 2021 – 5 Qs 93/21; zweifelnd hingegen LG Heilbronn, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 1 Qs 95/21, juris). Nach der ebenfalls vertretenen Gegenauffassung (OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris) sollte jedoch lediglich die Vorlage gefälschter bzw, unrichtiger Gesundheitszeugnisse gegenüber Behörden und Versicherungen privilegiert werden.

e) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.

Die §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 gültigen Fassung befinden sich bereits seit dem Jahr 1871 im Kern unverändert im deutschen Strafgesetzbuch (vgl. RGBI. 1871, 127 [180]). Angesichts des Alters der Normen und des seither erfolgten vielfältigen allgemeinen Bedeutungswandels des Strafrechts erscheint bei der Auslegung des Gesetzes der historische Wille des damaligen Gesetzgebers in seinem Gewicht vermindert (OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 22 mwN). So erscheint es zwar durchaus möglich, dass der Gesetzgeber zur damaligen Zeit dem Inhalt eines Gesundheitszeugnisses nur eingeschränkte Aussagekraft zumessen und aus diesem Grund nicht die gleiche Bedeutung beimessen wollte wie einer sonstigen Urkunde (so OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 Ws 732/21, juris, Rn. 19). Aus hiesiger Sicht ist es jedoch auch vorstellbar, dass der Gesetzgeber die Privilegierung der Vorlage von Gesundheitszeugnissen gegenüber Versicherungen und Behörden im Gegensatz zur Vorlage gegenüber Privaten deshalb eingeführt hat, weil er davon ausging, dass Versicherungen und Behörden die Fälschungen leichter zu erkennen vermögen als Privatpersonen (so LG Heilbronn, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 1 Qs 95/21, juris, Rn. 12), oder weil gegenüber Versicherungen und Behörden häufig ein zumindest faktischer Zwang zur Einreichung von gesundheitlichen Zeugnissen besteht (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 34).

Das Verhältnis zwischen § 267 StGB und den §§ 277 ff. StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung ist gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt. Das Gesetz enthielt insbesondere keine ausdrücklichen Hinweise auf einen Anwendungsvorrang der §§ 277 StGB (LG Heilbronn, Beschluss vom 11. Januar 2022 – 1 Qs 95/21, juris, Rn. 11). Ein solcher drängte sich unmittelbar nur in Fällen auf, in denen die Voraussetzungen der §§ 277 ff. StGB auch tatsächlich vorlagen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 38).

Aus einer systematischen Gesamtbetrachtung lässt sich entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung gerade nicht zwingend entnehmen, dass der Gesetzgeber Gesundheitszeugnisse grundsätzlich anders behandeln wollte als sonstige Urkunden, so dass jene aus dem Anwendungsbereich der Urkundenfälschung herausfallen sollten (so auch OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 27 ff.). Der Tatbestand der Urkundenfälschung schützt den Rechtsverkehr umfassend vor der Herstellung und dem Gebrauch unechter bzw. gefälschter Urkunden, wobei eine Beschränkung auf Bereiche, die als besonders schützenswert oder bedeutsam angesehen werden, gerade nicht stattfindet. Eine generelle Herausnahme von Gesundheitszeugnissen aus dem Anwendungsbereich der Urkundendelikte stünde in einem überraschenden Gegensatz zur grundsätzlich weitreichenden Regelung der Urkundendelikte, die auch eine Vielzahl von Lebenssachverhalten erfassen, deren Bedeutung für den Rechtsverkehr geringer ist als derjenige von Gesundheitszeugnissen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 27). Gegen die Annahme, dass der Gesetzgeber Täuschungen mit Gesundheitszeugnissen als generell weniger strafwürdig einstufte als Täuschungen mit sonstigen Urkunden, spricht vielmehr die erste Handlungsalternative des § 277 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung, welche eine – nach den Urkundendelikten nicht strafbare – schriftliche Lüge beschreibt (NK-StGB/ Puppe/Schumann, 5. Auflage 2017, § 277 StGB, Rn. 7), womit die Strafbarkeit im Verhältnis zu sonstigen Urkundendelikten sogar erweitert wurde (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 28). Dar-über hinaus ist gegen eine gewollte generelle Sonderstellung von Gesundheitszeugnissen anzuführen, dass diese aufgrund des Fehlens diesbezüglicher Regelungen in den §§ 277 ff. StGB a.F. – ebenso wie sämtliche anderen Urkunden – auch der Urkundenunterdrückung des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfielen (OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 29).

Es ist zudem nicht ersichtlich, dass das Strafgesetzbuch seiner Systematik nach den Gebrauch falscher Gesundheitszeugnisse gerade gegenüber Behörden und Versicherungen als unrechtserhöhend einstufte; vielmehr enthält das Gesetz angesichts der weitreichenden Erfassung von Fälschungen durch § 267 StGB keine Hinweise darauf, die rechtserheblichen Auswirkungen der Vorlage von Zeugnissen gegenüber Privatleuten oder privaten Unternehmen generalisierend geringer einzustufen als die Vorlage bei Behörden oder Versicherungen (OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 1 Ws 114/21, juris, Rn. 32 ff.).

Nach alledem erscheint es richtig, die zur Tatzeit geltende Fassung des § 279 StGB gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung nur dann als ver-drängenden Privilegierungstatbestand anzusehen, wenn von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis zum Zweck Gebrauch gemacht wurde, eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen.

Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass ohne eine umfassende Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB das bloße Fälschen eines Gesundheitszeugnisses, welches lediglich gemäß § 267 StGB strafbar war, schwerer bestraft würde als das Fälschen und die anschließende Vorlage im Sinne des § 277 StGB (so OLG Bamberg, Beschluss vom 17. Januar 2021 – 1 Ws 732/21, juris, Rn. 20). Dieser Problematik kann dadurch Rechnung getragen werden, die bloße Fälschung von Gesundheitszeugnissen dann unter die – § 267 StGB verdrängende Vorschrift des § 277 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung fallen zu lassen, wenn deren Zweckbestimmung zur Täuschung im Rechtsverkehr sich lediglich auf Behörden und Versicherungen bezieht (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 1 Ws 114/21, juris, Rn. 37).

Die vom Senat vertretene Auffassung verstößt aus den dargelegten Gründen auch nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Der Straftatbestand des § 267 StGB erfasst die Vorlage unrichtiger Gesundheitszeugnisse gegenüber Apotheken. Ausdrückliche Hinweise auf einen § 267 StGB verdrängenden Anwendungsvorrang des § 279 StGB enthält das Gesetz gerade nicht.“

Pflichti I: Bestellung wegen schwieriger Rechtslage, oder: Eine „Corona-Urkundenfälschung“ ist schwierig

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Und zur Wochenmitte dann ein StPO-Tag mit Entscheidungen zur Pflichtverteidigung. Heute gibt es allerdings keine Entscheidung zur rückwirkenden Bestellung, sondern „nur“ drei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen und eine zur Entpflichtung. Von den vorgestellten Entscheidungen ist m.E. die des LG Braunschweig derzeit besonders interessant.

In dem dem LG Brauanschweig, Beschl. v. 14.02.2022 – 8 Qs 36/22 – zugrundeliegenden Verfahren wird dem Beschuldigten vorgeworfen, sich am 07.10.2021 mittels eines gefälschten Impfausweises bei einer Apotheke einen digitalen Impfnachweis (COVID 19 Schutzimpfung) verschafft zu haben, nachdem die erste Vorlage des Impfausweises bei einer anderen Apotheke gescheitert war. Diese beiden Taten seien als mittelbare Falschbeurkundung strafbar, wobei die Tat zu 1 allein versucht worden sei.

Das AG hat einen Pflichtverteidiger beigeordnet, dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft – man fragt sich, was das soll -, die dann allerdings beim LG keinen Erfolg:

„Es liegt der Beiordnungsgrund des § 140 Abs. 2 StPO in Form der Schwierigkeit der Rechtslage vor. Der Begriff der schwierigen Rechtslage ist weit auszulegen, da entscheidend ist, ob die Rechtslage für einen Laien schwierig ist. Dies ist sie mindestens, wenn eine Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur streitig ist oder wenn sie Abgrenzungs- oder Subsumtionsprobleme bereitet, so bei ungeklärten Fragen des materiellen oder formellen Rechts; insbesondere wenn sie diskutiert werden oder abweichende Rechtsprechung existiert (MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, § 140 Rn. 42). Bereits aufgrund der Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern vorn 23.12.2021 (Az.: 5 Qs 107/21), die sich -wie vorliegend-auf die Rechtslage vor dem 24.11.2021 bezieht, ist dies gegeben. In Abweichung zu dem hier ergangenen Strafbefehl sieht das benannte Landgericht in einem gleich gelagerten Fall eine Strafbarkeitslücke (so auch LG Osnabrück, Beschl. v. 26. 10.2021 — 3 Qs 38/21). Nach dortiger Würdigung scheide die hier angenommene Strafbarkeit gern. § 271 StGB aus, da in Ermangelung einer Prüfungsmöglichkeit des Robert-Koch-Instituts das digitale Impfzertifikat nicht mit einem öffentlichen Glauben versehen werden könne. Unabhängig davon, ob dem gefolgt wird, liegt durch diese Entscheidung eine wesentlich abweichende Rechtsauffassung vor, was durch einen Laien nicht erfasst werden kann.“

Corona II: Nochmals Fälschung von Impfausweisen pp, oder: Doch keine Sperrwirkung zu § 267 StGB

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Und als zweites Posting dann hier der Hinweis auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 27.01.2022 – 1 Ws 114/21. Ein sog. Abrundungsposting, das OLG behandelt nämlich eine Frage, mit der wir es aufgrund der Gesetzesänderungen im StGB am 24.11.2021 nicht mehr lange zu tun haben, nämlich Strafbarkeit der Impfpassfälschung nach altem Recht.

Ergangen ist der OLG-Beschluss auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen eine teilweise Nichteröffnung einer Anklage in Bezug auf zehn dem zur Last gelegte Taten.

Den Angeschuldigten wird in dem zugrunde liegenden Verfahren vorgeworfen, zwischen Juli und September 2021 gemeinschaftlich unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben (Fall 1 der Anklage vom 22. November 2021). Darüber hinaus wird dem Angeschuldigten pp. zur Last gelegt, in zehn Fällen gewerbsmäßig Urkundenfälschung begangen zu haben. Zur Begehung dieser Taten soll der Angeklagte jeweils in der Absicht, sich aus dem wiederholten Verkauf von gefälschten Impfpässen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen, entweder an seiner Wohnanschrift in der pp., 22111 Hamburg, oder in einer Wohnung in der pp., 22147 Hamburg (Blanko-) Impfpässe mit den Namen seiner jeweiligen Kunden versehen, Eintragungen über angeblich erfolgte Erst- und Zweitimpfungen gegen das Sars-CoV-2-Virus mit Daten der beiden Impfungen, dem Impfstoff „Comirnaty“ und jeweils einer Chargennummer eingetragen, das Dokument mit einem Stempel mit dem Aufdruck „Landkreis Harburg, Impfzentrum Buchholz, Richard-Schmidt-Straße 27, 21244 Buchholz i.d.N.“ versehen und die Eintragungen mit einer nachgeahmten bzw. erfundenen Unterschrift des angeblichen Impfarztes abgezeichnet und die so hergestellten Impfzertifikate für zumeist je 200,- € je Stück an seine – wie er wusste – nicht gegen das Sars-CoV-2-Virus geimpften Kunden übergeben haben, damit diese die Möglichkeit hatten, sich gegenüber Dritten, z.B. in Apotheken, bei Veranstaltungen, in der Gastronomie, beim Reisen oder beim Arbeitgeber als geimpfte Personen auszugeben (Fälle 2 bis 11 der Anklage vom 22. November 2021). In Fall 10 der Anklage enthielt der Impfausweis allerdings noch keine Angaben zu der angeblich geimpften Person. In Fall 9 soll die Abnehmerin den manipulierten Impfpass in einer Apotheke vorgezeigt haben, um sich auch ohne tatsächlich durchgeführte Vakzination ein digitales Impfzertifikat ausstellen zu lassen, was aber nicht gelang, weil die Fälschung erkannt wurde.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2021 hat das Landgericht Hamburg das Hauptverfahren nur hinsichtlich der BTM-Delikte eröffnet und die Eröffnung hinsichtlich der übrigen Fälle der Anklage aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich zwar bei einem Impfausweis um ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 277 StGB a.F. handele, es jedoch an einem Gebrauchmachen des Gesundheitszeugnisses fehle. Auch eine Strafbarkeit nach § 267 StGB scheide aus, da die Anwendung dieser Vorschrift durch § 277 StGB a.F. als speziellere Regelung gesperrt werde, obschon die weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 277 StGB a.F. nicht gegeben seien.

Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die weitgehend Erfolg hatte. Das OLG Hamburg sieht die Rechtslage betreffend §§ 277StGB/§ 267 StGB anders als die wohl herrschende Meinung und begründet das umfangreich. Ich stelle hier aber mal nur (meinen) Leitsatz ein, und zwar:

„Die Anwendung des Straftatbestandes der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) wird auch nach altem Recht nicht durch § 277 StGB in der zur bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung ausgeschlossen.“

Rest dann bitte selbst lesen.

Corona I: Schweigepflicht von Apothekenmitarbeitern?, oder: Generalprävention bei der Strafzumessung

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Heute dann wieder Corona-Tag mit zwei Entscheidungen, und zwar einmal AG und einmal OLG.

Hier zunächst die AG-Entscheidungen, und zwar das (rechtskräftige) AG Landstuhl, Urt. v. 25.01.2022 – 2 Cs 4106 Js 15848/21. Das hat wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) verurteilt, und zwar geht es um das Vorlegen eines gefälschten Impfpasses mit dem Ziel des Erhalts eines digitalen Impfzertifikats mit QR-Code. Insoweit nichts Besonderes, die Ausführungen dazu kann man sich schenken.

Ich stelle hier nur die Ausführungen des AG zur Verwertbarkeit der Erkenntnisse der Apothekenmitarbeiter und zur Strafzumessung ein:

„Soweit das Gericht seine Überzeugungsbildung neben dem Geständnis des Angeklagten auch auf die durchgeführte Beweisaufnahme gestützt hat, war es an der Verwertung der Beweismittel, die aus der Offenlegung der Erkenntnisse der Apothekenmitarbeiter gewonnen wurden, aus Rechtsgründen nicht gehindert.

Ungeachtet der Frage, ob eine Schweigepflichtverletzung in der vorliegenden Konstellation überhaupt ein Beweisverwertungsverbot begründen könnte, wogegen nach Ansicht des Gerichts gewichtige Argumente sprechen, waren die Apothekenmitarbeiter zur Einschaltung der Polizei und zur Offenbarung ihrer Erkenntnisse jedenfalls berechtigt. Die tatbestandliche Verwirklichung von § 203 StGB ist gerechtfertigt.

Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass gefälschte Impfpässe in Apotheken vorgelegt werden, um mit dem Erhalt des COVID-Zertifikats am öffentlichen Leben teilzunehmen. Angesichts des Umstands, dass in allen Bundesländern mehr oder weniger einheitliche Regelungen zum Schutz des Gesundheitssystems vor einer durch zu viele schwere Verläufe der Erkrankung verursachten Überlastung sowie zum Schutz von Individuen vor den Gesundheitsgefahren, die mit einer solchen Erkrankung einhergehen, geschaffen wurden, die an den Impfstatus anknüpfen, stellt eine Umgehung des zur Teilnahme am öffentlichen Leben in vielen Bereichen erforderlichen Impfnachweises eine Dauergefahr für Leib und Leben sowie für das Schutzgut der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsfürsorge dar. Selbst für den Fall der Verweigerung der Ausstellung des Impfzertifikats durch die Apothekenmitarbeiter wäre naheliegend davon auszugehen, dass der Angeklagte einen erneuten Versuch in einer anderen Apotheke unternommen hätte, in der die Fälschung möglicherweise nicht auffällt, sodass in der Folge eine Realisierung der Gefahr konkret zu besorgen war. Da die entsprechenden Gefahren jederzeit in einen Erfolg umschlagen können, wenn nicht konsequent gegen den Gebrauch des gefälschten Impfausweises eingeschritten wird, sind Apothekenmitarbeiter in solchen Fällen regelmäßig aus § 34 StGB zur Offenbarung der Tatsache, dass der Verdacht einer Urkundenfälschung besteht, berechtigt.

5.

In Ausfüllung des Strafrahmens des § 267 Abs. 1 StGB hat das Gericht maßgeblich zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Tat umfassend eingeräumt sowie den Namen der Vermittlerin, von der er den Impfpass erworben hat, genannt und damit weitere Ermittlungsansätze für die Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung der gewerblichen Impfpassfälschung gegeben hat.

Zu seinem Nachteil hat sich indes ausgewirkt, dass er bereits in zwei Fällen strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wobei es sich in einem Fall um eine einschlägige Vorverurteilung handelt und im anderen Fall jedenfalls ein mit der vorliegenden Tat vergleichbarer Unrechtsgehalt vorliegt.

Zudem war bei der Strafzumessung ausnahmsweise auch der generalpräventive Gesichtspunkt der Abschreckung strafschärfend zu berücksichtigen. Bei der Generalprävention handelt es sich auch bei der Strafhöhenbemessung um einen legitimen Strafzweck, dessen Ziel es ist, durch die Härte des Strafausspruchs bei möglichen künftigen Tätern ein Gegengewicht zu der Versuchung oder Neigung zu schaffen, Gleiches oder Ähnliches wie der Angeklagte zu tun (Schäfer/Sander/ van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 839 m.w.N.).

Dabei hat das Gericht insbesondere bedacht, dass sich die Strafe auch bei Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte noch im Rahmen des Schuldangemessenen halten muss (BGHSt 28, 318 (326); BGH, NStZ 1983, 501; 1984, 409; 1986, 358) und der Strafhöhenbestimmung diesen Rahmen zugrunde gelegt.

Die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte ist zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung geeignet. Ungeeignet ist sie regelmäßig bei Ausnahmesituationen, Konflikttaten oder bei Taten eines vermindert schuldfähigen Täters (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 841 m.w.N.), was vorliegend indes nicht der Fall ist. Straftaten im Zusammenhang mit der derzeit vorherrschenden Pandemielage, hierbei insbesondere Straftaten im Zusammenhang mit Impfpassfälschungen, sind Gegenstand erschöpfender medialer Berichterstattung und erregen regelmäßig erhebliches Aufsehen. Wie sich aus den in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesenen Presseberichten ergibt, reagiert die Presse bereits auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen Impfpassfälschung zum Teil mit ausführlichen Berichterstattungen. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass insbesondere auch Verurteilungen im Zusammenhang mit der Fälschung von Impfpässen, die zum Urteilszeitpunkt wenn überhaupt nur vereinzelt festzustellen waren, medial aufgegriffen werden. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Berichterstattung über die zeitnahe Verhängung einer empfindlichen Strafe anlässlich einer solchen Straftat ebenfalls eine abschreckende Wirkung auf potentielle Täter ausüben und sie von der Begehung vergleichbarer Taten abschrecken kann.

Die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte ist schließlich zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung auch erforderlich. Erforderlichkeit liegt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung vor, wenn bei der abzuurteilenden Tat die Gefahr der Nachahmung besteht (BGH, BeckRS 2011, 428 Rn. 4 m.w.N.) oder weil bereits eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten festzustellen ist (BGH, NStZ 1986, 358; 2007, 702; NStZ-RR 2013, 240). Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn eine offenkundige Zunahme bestimmter Kriminalität vorliegt (BGH, NStZ-RR 2013, 169 (170); Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 844). So liegt der Fall hier. Das Gericht hat in der Beweisaufnahme verschiedene Presseartikel auszugsweise verlesen, die von einem starken Anstieg der Zahl gefälschter Impfpässe in der Bundesrepublik Deutschland, sowie insbesondere auch in Rheinland-Pfalz, berichten. So berichtet beispielsweise „die Zeit“ online darüber, dass bundesweit mehr als 11.000 Ermittlungsverfahren wegen gefälschter Impfpässe geführt werden. Auch die Tagesschau berichtet auf ihrer Internetseite von 12.000 Verfahren. Nach Angaben des SWR seien vom LKA Rheinland-Pfalz bereits zu Beginn des Monats Dezember 2021 483 Ermittlungsverfahren gezählt worden; Anfang Januar 2022 seien es bereits 924 Ermittlungsverfahren gewesen. Aus diesen Zahlen wird ein linearer Anstieg entsprechender Straftaten erkennbar, sodass es aus Sicht des Gerichts der Ergreifung von Gegenmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Anstiegs der entsprechenden Kriminalität und zur Abschreckung von Nachahmungstätern dringend bedarf.

Unter Berücksichtigung sämtlicher, insbesondere der vorstehend dargestellten, Strafzumessungsgesichtspunkte hat das Gericht für die Tat eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe war nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 StGB angesichts des Umstands, dass der Angeklagte bereits in 2 Fällen wegen Delikten mit vergleichbarem Unrechtsgehalt strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, zur Einwirkung auf diesen sowie aus den vorstehend dargestellten Gründen zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich.

Die Vollstreckung der Strafe war gem. § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, da nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten gewonnen hat, zu erwarten ist, dass dieser sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Der persönliche Eindruck des Gerichts hat zudem eine Bestätigung darin gefunden, dass der Angeklagte die Tat vorbehaltlos eingeräumt, das Unrecht seiner Tat eingesehen und glaubhaft beteuert hat, so etwas passiere ihm nie wieder. Ebenso ist aus dem Umstand, dass er trotz anfänglichen Zögerns schließlich bereit war, die Mittelsperson zu benennen, von der er den gefälschten Impfpass erhalten hat, erkennbar, dass der Angeklagte sich von der Tat distanziert hat….“