Archiv der Kategorie: Berufsrecht

Das beA kann keine Umlaute/Sonderzeichen lesen, oder: Die Anwaltskammern informieren nicht über die Folgen

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Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich vor einigen Tagen die Überschrift zu einer Meldung gelesen habe: „Das beA kann kein deutsch“. Mein erster Gedanke: Was ist da denn schon wieder los?

Und nach dem Lesen der ganzen Meldung dann: Nach dem Theater um die Einführung des beA und das häufige Nichtfunktionieren, nun das: Das beA kann wirklich kein deutsch bzw. es kann zumindest keine Umlaute und/oder Sonderzeichen in Dateibezeichnungen lesen.  Und das hatte für den Kläger in einem finanzgerichtlichen Verfahren fatale Folgen: Er hatte deshalb und weil es nach dem Versenden dann auch keine Fehlermeldung gibt, eine Frist beim BFH versäumt. Der hat aber dann im BFH, Beschl. v. 05.06.2019 – IX B 121/18, der erst jetzt veröffentlicht worden ist, Wiedereinsetzung gewährt:

„1. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) versäumt, weil die elektronisch übermittelte Datei mit der Begründung nicht fristgerecht beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist. Dem Kläger ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Er hat die versäumte Handlung innerhalb der dafür geltenden Frist nachgeholt. Die Fristversäumung war unverschuldet. Die für die Beurteilung des Verschuldens maßgeblichen Tatsachen sind gerichtsbekannt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers versandte den Begründungsschriftsatz rechtzeitig aus seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) und nutzte dafür die von der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verfügung gestellte Webanwendung. Zur Bezeichnung der versandten Datei verwendete der Prozessbevollmächtigte offenbar (ohne dies zu wissen) technisch nicht zulässige Zeichen (Umlaute und Sonderzeichen). Die Nachricht wurde deshalb vom zentralen Intermediär-Server des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs nicht dem BFH zugestellt, sondern in ein Verzeichnis für „korrupte“ Nachrichten verschoben. Auf diesen Server hat der BFH keinen Zugriff; der BFH ist von dem Vorgang auch nicht benachrichtigt worden, so dass ein Hinweis nach § 52a Abs. 6 FGO nicht erteilt werden konnte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhielt die Mitteilung, seine Nachricht sei erfolgreich versandt und zugegangen. Auch er konnte nicht erkennen, dass die Nachricht angehalten und dem BFH nicht zugegangen war. In Hinweisen der örtlichen Anwaltskammern wird zwar darauf hingewiesen, dass Umlaute und Sonderzeichen in Dateibezeichnungen zu vermeiden seien. Es wird aber nicht erläutert, welche Folgen die Verwendung haben kann.“

Noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen.

Wenn man das allerdings liest, fragt man sich, welche Könner das BeA eigentlich programmiert haben? Könner“ können es m.E. nicht gewesen sein. Der eigentliche Skandal für mich: Die Anwaltskammern weisen zwar offenbar darauf hin, dass Umlaute und Sonderzeichen in Dateibezeichnungen zu vermeiden sind. Sie weisen aber nicht darauf hin, was passiert, wenn man es dennoch tut. Jetzt weiß man es. Dre Kläger beim BFH hätte allerdings fast teures Lehrgeld bezahlt.

Pflichti II: Verlust der Anwaltszulassung droht, oder: Dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Die zweite „Pflichtverteidiger-Entscheidung“ kommt mit dem LG Essen, Beschl. v. 27.05.2019 – 67 Ns 65/19 – aus dem „Pott“. Geschickt hat sie mir gestern der Kollege Dr. Bleicher aus Dortmund. Das LG hat in einem Verfahren wegen Betruges einen Pflichtverteidiger bestellt. Grund: Der Angeklagte ist Rechtsanwalt und muss im Fall der Verurteilung mit dem Verlust der Zulassung rechnen:

„Die Beiordnung von Rechtsanwalt pp. aus Dortmund als Pflichtverteidiger des Angeklagten beruht auf § 140 Abs. 2 StPO. Denn die weiteren zu berücksichtigen Umstände, insbesondere die möglichen Folgen der vorgeworfenen Tat wiegen so schwer, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist. Als Konsequenz aus einer Verurteilung hat der Angeklagte, der von Beruf Rechtsanwalt ist, mit einer Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft gemäß § 114 Abs. 1 Ziffer 5 BRAO zu rechnen. Ein vorläufiges Tätigkeitsverbot, das am 23.1.2019 wirksam wurde, ist gegen den Angeklagten bereits ausgesprochen worden. In der Mitteilung über dieses Tätigkeitsverbot ist durch die Rechtsanwaltskammer in Hamm ausdrücklich darauf verwiesen worden, dass die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft „zunächst“ erhalten bleibt. Damit steht eine Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft im Raum. Hinzu kommt, dass für die Entscheidungen im anwaltsgerichtlichen Verfahren die tatsächlichen Feststellungen im strafrechtlichen Urteil bindend sind, § 118 Abs. 3 BRAO (vgl.: OLG Hamm, Beschluss vom 29.1.2004, in StraFo 2004, 170).

Vor diesem Hintergrund war die Beiordnung des Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO erforderlich.“

Bestellung liegt für mich auf der Hand. Warum man dafür ein LG braucht, erschließt sich mir nicht.

Update zu: Wenn der Wahlverteidiger die Aussetzung der HV erzwingt, oder: Das kann teuer werden

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In der vergangenen Woche hatte ich in dem Posting U-Haft I: Wenn der Wahlverteidiger die Aussetzung der HV erzwingt, oder: Verhältnismäßigkeit der U-Haft über den BGH, Beschl. v. 03.05.2019 – AK 15/19 – berichtet. Dazu kann ich dann heute eine Update bringen, mit dem ich die 29. KW. eröffne.

Es handelt sich um den OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.07.2019 – 5 – 2 StE 9/18, den mir der Terrorismusexperte des SWR H. Schmidt geschickt hat. Anstelle der von mir letztlich gewählten Überschrift für das Posting hätte man auch nehmen könne: „Das Universum/OLG schlägt zurück“ oder: „Man trifft sich im Leben immer zweimal“ 🙂 .

Jedenfalls eine interessante Entscheidung des OLG, das der Verteidigerin, die die Aussetzung der Hauptverhandlung – tja, was schreibt man: „verursacht“ oder „erzwungen“ – neutral ist „veranlasst“ hat, die durch die Aussetzung entstandenen Kosten auferlegt.

Begründung in Kurzform: Die Rechtsanwältin war als Wahlverteidigerin verpflicht, an dem HVT teilzunehmen. Eine Ausnahme sieht das OLG nicht, und zwar auch nicht in dem Umstand, dass die Rechtsanwältin nicht mit einer Vergütung rechnen konnte.

In Langform liest sich das dann so:

„1. Rechtsanwältin G. war als Wahlverteidigerin verpflichtet, an den Hauptverhandlungsterminen vom 12. und 14. März 2019 teilzunehmen.

a) Die Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung trifft nicht nur den nach § 141 StPO bestellten Verteidiger, sondern auch den Wahlverteidiger.

Die Strafprozessordnung geht von der Verpflichtung des Wahlverteidigers aus, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Dies ergibt sich schon daraus, dass einem Angeklagten, der einen Wahlverteidiger hat, auch im Falle der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO grundsätzlich kein Pflichtverteidiger beizuordnen ist; im Gegenteil führt die Wahl eines Verteidigers im Regelfall sogar zur Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung (§ 143 StPO). Wenn die Verteidigung nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch im Falle der notwendigen Verteidigung allein durch einen Wahlverteidiger geführt werden soll, versteht es sich von selbst, dass dieser nicht nach Belieben an der Hauptverhandlung teilnehmen oder ihr fernbleiben kann. Vielmehr ist er, von nachfolgend zu erörternden Ausnahmen abgesehen, zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet. Dass das Gesetz von dieser Pflicht des Wahlverteidigers ausgeht, ergibt sich auch aus § 145 Abs. 4 StPO, der die Kostenpflicht nicht auf den Pflichtverteidiger beschränkt, sondern auch dem Wahlverteidiger, der eine Aussetzung der Hauptverhandlung verschuldet, Kosten auferlegt (vgl. nur Julius/Schiemann in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 145 Rn. 11; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 145 Rn. 17). Ein schuldhaftes, mithin pflichtwidriges Verhalten setzt die Pflicht des Wahlverteidigers zur Teilnahme an der Hauptverhandlung als selbstverständlich voraus (zur Anwesenheitspflicht des Wahlverteidigers siehe etwa auch OLG Hamm, Beschluss vom 14. Januar 1988- 4 Ws 9/88 – juris Rn 2; Dahs in Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl., Rn. 511; Thomas/Kämpfer in MüKoStPO, 1. Aufl., § 145 Rn. 1) .

b) Ein Ausnahmefall, in dem Rechtsanwältin G. der Hauptverhandlung gleichwohl fernbleiben durfte, liegt nicht vor.

1)       So stand es die Verteidigerin nicht deshalb frei, zu den beiden Verhandlungsterminen vom 12. und 14. März 2019 nicht zu erscheinen, weil dem Angeklagten auch ein Pflichtverteidiger bestellt war.

Ist ein Pflichtverteidiger bestellt, darf sich der Wahlverteidiger zwar grundsätzlich darauf verlassen, dass die Verteidigung des Angeklagten durch diesen sichergestellt werde, und es trifft ihn keine unbedingte Erscheinungspflicht (OLG Köln StV 1997, 122, 123; Schmitt a.a.O.; Krause in Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., Teil B § 7 Rn. 28). Anders ist es aber dann, wenn der Wahlverteidiger nicht darauf vertrauen kann, dass der Pflichtverteidiger tatsächlich zur Hauptverhandlung erscheinen wird (Julius/Schiemann a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; offengelassen von OLG Köln a.a.O.).

So lag der Fall hier. Rechtsanwältin G. war sowohl am 12. als auch am 14. März 2019 bekannt, dass Rechtsanwalt M. erkrankt war und an den jeweiligen Tagen nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen werde.

2)  Auch der Umstand, dass die Verteidigerin nach ihrem Vorbringen für ein Tätigwerden in der Hauptverhandlung nicht mit der Bezahlung einer Vergütung rechnen konnte, stellte sie nicht von der Verpflichtung frei, in der Hauptverhandlung aufzutreten.

Grundsätzlich ist ein Wahlverteidiger zwar nach der Auffassung des Senats nicht verpflichtet, zu der Hauptverhandlung zu erscheinen, wenn seine Bezahlung nicht gesichert ist und er dies dem Gericht so rechtzeitig mitteilt, dass dieses hierauf noch sachgerecht reagieren kann (vgl. für den umgekehrten Fall der verspäteten Mitteilung OLG Düsseldorf MDR 1997, 693, 694; Schmitt a.a.O. Rn. 21). Dies vermag die Weigerung von Rechtsanwältin G., an der Hauptverhandlung teilzunehmen, im vorliegenden Fall aber nicht zu rechtfertigen.

Das folgt vorliegend allerdings nicht schon daraus, dass Rechtsanwältin G. eine entsprechende Ankündigung unterlassen hatte. Vielmehr war eine solche Anzeige nach der Bewertung des Senats vorliegend entbehrlich. Denn eine entsprechende Mitteilung wird dem Verteidiger allein deshalb abverlangt, um dem Gericht die Möglichkeit zu verschaffen, auf die Verhinderung zu reagieren und etwa Termine zu verlegen oder einen Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juli 1995 – 2 Ws 358/95 – juris Rn. 7). Vorliegend hatte der Vorsitzende aber schon mehrfach ausgeführt, dass es ausreichend sei, wenn der Angeklagte durch Rechtsanwalt M. verteidigt werde und dass die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nicht notwendig sei. Damit war klargestellt, dass der Senat auf eine Verhinderungsanzeige von Rechtsanwältin G. nicht mit ihrer Bestellung zur Verteidigerin reagieren, sondern die Hauptverhandlung allein mit dem Pflichtverteidiger fortführen würde. Der Verteidigerin wäre daher nach der Auffassung des Senats ein pflichtwidriges Verhalten nicht vorzuwerfen gewesen, wenn sie an den beiden Hauptverhandlungstagen überhaupt nicht vor Ort erschienen wäre, selbst wenn sie dies vorher nicht angekündigt hätte. Denn eine Anreise auf eigene Kosten konnte ihr nicht abverlangt werden und die nicht gesicherte Bezahlung wäre als Hinderungsgrund anzuerkennen gewesen.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht jedoch darin, dass Rechtsanwältin G. sowohl am 12. als auch am 14. März 2019 im Gerichtsgebäude anwesend war und sich lediglich weigerte, im Gerichtssaal an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Am 12. März 2019 hielt sie bis zum Ende der Hauptverhandlung im Gerichtsgebäude auf und tauschte sich mehrfach mit dem Vorsitzenden aus. Sämtliche für die Anreise erforderlichen Auslagen waren schon angefallen und der für das Verfahren aufgewandte Zeitaufwand blieb derselbe, gleichviel ob die Verteidigerin im Gerichtssaal auftrat oder im Verteidigerzimmer auf eine erhoffte Verteidigerbestellung wartete. Die Teilnahme an der Hauptverhandlung war für die Rechtsanwältin mithin mit keinem zusätzlichen Aufwand und keinem persönlichen Nachteil mehr verbunden. Dass sich die Verteidigerin bei dieser Sachlage trotzdem nicht in den Gerichtssaal begab, sondern vor dessen Türen zuwartete, hatte seinen Grund nach der Überzeugung des Senats deshalb nicht darin, dass ihre Bezahlung nicht gesichert war. Vielmehr ging es Rechtsanwältin G. ausschließlich darum, in Anbetracht der drohenden Aussetzung der Hauptverhandlung ihre Bestellung zur weiteren Verteidigerin zu erzwingen. Ihr Handeln ist deshalb nicht mit dem eines Verteidigers zu vergleichen, der der Hauptverhandlung mangels gesicherter Bezahlung seines Honorars insgesamt fernbleibt, sondern dem Tun eines Verteidigers gleichzusetzen, der die Verteidigung des Mandanten während der Hauptverhandlung eigenmächtig einstellt. Dabei rechtfertigte das Ziel der Verteidigerin, ihre Bestellung zu erreichen, ein solches Vorgehen nicht. Der Vorsitzende hatte seine Entscheidung in mehreren Beschlüssen eingehend begründet. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Angeklagten waren durchweg erfolglos geblieben; der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 7. Februar 2019 überdies ausgeführt, dass der angefochtene Vorsitzendenbeschluss nach vorläufiger Einschätzung Ermessensfehler nicht erkennen lasse. Zudem begründete die Vorgehensweise der Verteidigerin das Risiko einer Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Folge einer längeren Dauer der für den Angeklagten besonders belastenden Untersuchungshaft. Mit ihrem Ziel, ihre Bestellung zur Verteidigerin zu erreichen, verfolgte Rechtsanwältin G. daher keine anerkennenswerten Interessen, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht des Wahlverteidigers zur Teilnahme an der Hauptverhandlung rechtfertigen konnten. Vielmehr war das Verhalten der Verteidigerin, die letztlich mutwillig eine Aussetzung der Hauptverhandlung provozierte, mit einer gewissenhaften Ausübung des Anwaltsberufs nicht in Einklang zu bringen (hierzu tendierend auch BGH, Beschluss vom 3. Mai 2019 – AK 15/19 – Rn. 38; vgl. ferner OLG Jena, Beschluss vom 27. Oktober 2016 – 1 Ws 439/16 – juris Rn. 35; Anwaltsgerichtshof Hamm, Urteil vom 01. Juli 2005 – (2) 6 EVY 7/04 – juris Rn. 17 f.).

Darauf, dass der Vorsitzende versuchte, der Verteidigerin durch eine Genehmigung der Vertretung noch zu einer Vergütung ihrer Tätigkeit zu verhelfen, kommt es daher schon gar nicht mehr an.

2. Dass Rechtsanwältin G. an den beiden Hauptverhandlungsterminen vom 12. und 14. März 2019 nicht teilnahm, war ursächlich dafür, dass die Hauptverhandlung mit Beschluss vom 19. März 2019 ausgesetzt werden musste…..“

Was ist von der Entscheidung halten soll, weiß ich noch nicht. Dafür ist sie zu frisch 🙂 . Aber in einem Punkt bin ich mir zeimlich sicher: Die Kollegin wird das nicht hinnehmen. Die endgültige Antwort auf die sich stellenden Fragen wird dann wahrscheinlich erst das BVerfG geben.

beA II: Übermittlung von Willenserklärungen an den GV, oder: Das geht

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Bei der zweiten beA-Entscheidung handelt es ich um den OLG Köln, Beschl. v. 07.05.2019 – 7 VA 3/19. Das OLG hat sich – soweit ersichtlich bundesweit zum ersten Mal – mit der Frage befasst, ob die Übermittlung von Willenserklärungen – hier waren es Abmahnungen –  elektronisch an den Gerichtsvollzieher erfolgen darf. Die Frage führte, wie der Einsender S. Weinberger aus München, schreibt immer wieder zu Diskussionen mit Gerichtsvollziehern, ob ein Zustellauftrag über diesen Weg erteilt werden darf.

Das OLG Köln hat die Frage nun bejaht:

1. Der Zustellungsauftrag des Antragstellers vom 13.02.2019 hätte nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden dürfen, dass die Übermittlung der zuzustellenden Urkunde per elektronisches Dokument über das elektronische Gerichtspostfach unzureichend sei.

Nach § 29 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA NRW) hat der Gerichtsvollzieher Zustellungsaufträge nach den Vorschriften der ZPO über die Zustellung auszuführen. Daher konnte die Antragsgegnerin sich nicht auf § 754a ZPO berufen, um zu begründen, dass die Zustellung im vorliegenden Fall nicht erfolgen könne. § 754a ZPO zählt nicht zu den Zustellungsvorschriften der ZPO, sondern regelt vielmehr die Frage, unter welchen (eingeschränkten) Voraussetzungen ein Vollstreckungsauftrag elektronisch eingereicht werden kann. Maßgeblich für die Frage der Zustellung ist § 192 ZPO, der die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher auf Betreiben der Parteien regelt. Nach § 192 Abs. 2 ZPO „übergibt die Partei dem Gerichtsvollzieher das zuzustellende Schriftstück mit den erforderlichen Abschriften. Der Gerichtsvollzieher beglaubigt die Abschriften und führt die Zustellung anschließend durch. Für die Frage, auf welche Weise bzw. in welcher Form das zuzustellende Schriftstück dem Gerichtsvollzieher zur Verfügung zu stellen ist, enthält § 192 ZPO selbst keine konkrete Aussage. Allerdings kann nach § 174 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO ein Schriftstück bestimmten besonders vertrauenswürdigen Empfängern — unter anderem auch Gerichtsvollziehern — grundsätzlich sowohl durch Telekopie (Fax) als auch als elektronisches Dokument zugestellt werden. Das elektronische Dokument wird, sofern die Zustellung an den Gerichtsvollzieher betroffen ist, von § 174 ZPO genauso behandelt wie ein Fax.

Aus § 174 Abs. 3 ZPO ist zu folgern, dass (jedenfalls) ein Schriftstück, das vom Auftraggeber der Zustellung selbst herrührt, von diesem dem Gerichtsvollzieher auch dadurch im Sinne von § 192 Abs. 2 ZPO übergeben werden kann, dass er es dem Gerichtsvollzieher als elektronisches Dokument zustellt.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass § 174 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO zunächst einmal lediglich die Frage regeln, wie ein Dokument an einen Gerichtsvollzieher zugestellt werden kann und damit nicht automatisch auch die Frage, wie ein Dokument, das der Gerichtsvollzieher seinerseits an einen Dritten zustellen soll, dem Gerichtsvollzieher zur Verfügung zu stellen ist. Ob letzteres auch durch eine Telekopie oder ein elektronisches Dokument geschehen kann, wird in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur nicht einheitlich beantwortet. Während Zöller-Schultzky (32. Aufl. 2018, § 192 Rn. 7) meint, das Erfordernis der Übergabe der Urschrift schließe die Übermittlung mittels Telefax aus, wollen andere dies unter Berufung auf § 174 Abs. 2 ZPO ohne weiteres für zulässig halten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2003, DGVZ 2004, 125; Thomas-Putzo/Hüßtege § 192 Rn. 4). Das OLG Düsseldorf hat seine Entscheidung mit der Erwägung begründet, es sei nicht recht einleuchtend, dass der Gerichtsvollzieher eine förmliche Zustellung per Fax erhalten könne, dieser Kommunikationsweg ihm aber für die Weiterleitung eines Schriftstücks, welches er selbst zustellen solle, nicht zur Verfügung gestellt werde. Auch müsse der Gerichtsvollzieher im Hinblick auf die novellierten Vorschriften der ZPO nicht mehr überprüfen, ob die von ihm beglaubigte Kopie der Urkunde, die er dem Empfänger zu übermitteln habe, tatsächlich mit der Urschrift übereinstimme. Dies ergebe sich aus einem Rückschluss aus § 174 Abs. 2 ZPO; wenn sich der Reformgesetzgeber bei der Zustellung an bestimmte privilegierte Empfänger mit einer eingeschränkten Identitätsprüfung begnüge, müsse es möglich sein, auch die bloße Übermittlung eines Schriftstücks an den Gerichtsvollzieher zwecks Ausführung der Zustellung per Fax vorzunehmen. Sonst würde die mit der Zulassung des Telefax-Verkehrs bei der Zustellung bezweckte Beschleunigung teilweise wieder vereitelt.

Der Senat schließt sich diesen Überlegungen. die er im Hinblick auf § 174 Abs. 2 und 3 ZPO auf elektronisch zugestellte Dokumente unmittelbar für übertragbar hält, jedenfalls im Hinblick auf Fälle der vorliegenden Art an, in denen der Auftraggeber der Zustellung das zuzustellende Dokument selbst erzeugt hat. Speziell in dieser Fallkonstellation erschließt es sich nicht, warum dem Gerichtsvollzieher ein Original der Erklärung mit handschriftlicher Unterschrift hätte per Post überlassen werden müssen. Hinsichtlich der Identität des Verfassers der (Abmahnungs-) Erklärung bietet die elektronische Zustellung nach § 174 Abs. 3 ZPO aus Sicht des Gesetzgebers eine ausreichende Gewähr. Weitere Echtheitsüberprüfungen muss der Gerichtsvollzieher nicht vornehmen. Letztlich ist er lediglich für die Dokumentation der Übermittlung eben dieser Erklärung eingeschaltet worden. Daher hat die Gerichtsvollzieherin auch zu Recht die beantragte Zustellung im zweiten Anlauf ausgeführt.

2. Das von § 28 Abs. 1 S. 4 EGGVG geforderte berechtigte Interesse des Antragstellers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) ergibt sich vorliegend aus dem Umstand, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben bereits wiederholt Rückfragen und Schwierigkeiten bei der Zustellung seiner Abmahnungen beobachtet hat. Seine diesbezüglichen Angaben werden durch die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin plausibilisiert, sie habe im Vorfeld ihrer Entscheidung vom 22.02.2019 im Rahmen einer Rücksprache mit der Verwaltung des Amtsgerichts Köln keine eindeutige Auskunft im Hinblick auf die Zulässigkeit des vorliegenden Zustellungsantrags erhalten können und bitte um eine Bekanntgabe im Kollegenkreis, ob eine Übermittlung der Willenserklärung per EGGVG möglich sei.

Daraus ergibt sich, dass die begehrte Feststellung für die weitere einheitliche Gerichtspraxis von Bedeutung sein kann.

beA I: Sonderumlage zur Finanzierung des beA, oder: Es muss gezahlt werden

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Heute im Kessel Buntes dann ein wenig beA (Frage: Läuft das eigentlich 🙂 ?)

Und da köchelt zunächst der BGH, Beschl. v. 23.05.2019 – AnwZ (Brfg) 15/19 – zur Frage der Zulässigkeit der Sonderumlage. Dazu hatte ja bereits der AGH Hamm im AGH Hamm, Beschl. v. 02.11.2018 – 1 AGH 9/18 – Stellung genommen. Der BGH hat nun die Berufung gegen das Urt. des AGH Hamm zurückgewiesen und die Sonderumlage zur Finanzierung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs als zulässig angesehen:

„Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2011 – AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). In diesem Zusammenhang meint Richtigkeit des angefochtenen Urteils die Richtigkeit desselben im Ergebnis (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 17. September 2015 – AnwZ (Brfg) 32/15, juris Rn. 4; vom 27. Februar 2019 – AnwZ (Brfg) 36/17, juris Rn. 3; vom 4. März 2019 – AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 3), so dass eine Zulassung der Berufung auch dann auszuscheiden hat, wenn ein Urteil möglicherweise zu Unrecht mit der Unzulässigkeit einer Klage begründet worden ist, ohne weiteres erkennbar der mit der Klage geltend gemachte Anspruch aber nicht besteht (BayVGH, NVwZ-RR 2004, 223; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl., § 124 Rn. 7a mwN). So liegt der Fall hier: ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen mangels Begründetheit der Klage im Ergebnis nicht, denn die Beklagte hat gegenüber dem Kläger Anspruch auf Zahlung der Sonderumlage für das Jahr 2018 in Höhe von 58 €.

a) Die Kammerversammlung hat gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 BRAO die ihr durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Nach § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO obliegt es ihr insbesondere, die Höhe und die Fälligkeit des Beitrags, der Umlagen, Gebühren und Auslagen zu bestimmen. Die Finanzierung des elektronischen Rechtsverkehrs stellt eine Aufgabe dar, welche den Rechtsanwaltskammern, damit auch der Beklagten, durch Gesetz zugewiesen worden ist (Senat, Urteil vom 11. Januar 2016 – AnwZ (Brfg) 33/15, NJW 2016, 1025 Rn. 13 f.; Beschluss vom 25. Juni 2018 – AnwZ (Brfg) 23/18, NJW 2018, 2644 Rn. 6). Zu den Aufgaben der Bundesrechtsanwaltskammer gehört gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, die elektronische Kommunikation der Rechtsanwälte mit Gerichten, Behörden und sonstigen Dritten zu unterstützen. Nach § 31a BRAO richtet sie für jedes im Gesamtverzeichnis eingetragene Mitglied einer Rechtsanwaltskammer ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach empfangsbereit ein. Die Kosten hierfür werden von der Rechtsanwaltschaft getragen (Senat, Urteil vom 11. Januar 2016, aaO Rn. 14 ff., auch zur Verfassungsmäßigkeit der vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen). Die Vorschrift des § 178 BRAO gestattet der Bundesrechtsanwaltskammer, von den Rechtsanwaltskammern – mithin auch der Beklagten – Beiträge zu erheben, die zur Deckung des persönlichen und sächlichen Bedarfs bestimmt sind. Dieser Bedarf umfasst die Kosten, die durch die der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 31a BRAO übertragene Aufgabe der Einrichtung eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs verursacht werden. Da die vorgenannten Kosten bereits während der Entwicklung des Postfachs und nicht erst mit dessen abgeschlossener Einrichtung anfallen, entsteht der durch Beiträge der Rechtsanwaltskammern zu deckende Bedarf der Bundesrechtsanwaltskammer entgegen der Auffassung des Klägers nicht erst mit der empfangsbereiten Einrichtung des Postfachs, sondern schon vorher.

b) Die Höhe der Beiträge wird von der Hauptversammlung festgesetzt. Von dieser Befugnis hat die Bundesrechtsanwaltskammer Gebrauch gemacht. Ihre 152. Hauptversammlung hat mit Beschluss vom 5. Mai 2017 für das Jahr 2018 einen Beitrag von 58 € pro Kammermitglied für den Elektronischen Rechtsverkehr beschlossen und der Beklagten mit Schreiben vom 2. März 2018 einen Betrag von 58 € je Kammermitglied in Rechnung gestellt. Diesen Betrag hat die Beklagte – auf der Grundlage ihrer gemäß § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO formell und materiell wirksam beschlossenen Umlageordnung vom 26. April 2017 (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11. Januar 2016, aaO Rn. 12; Beschluss vom 25. Juni 2018, aaO Rn. 7) – durch den Beschluss über die Höhe der Umlage für das Jahr 2018 auf ihre Mitglieder umgelegt.

c) Entgegen der Auffassung des Klägers hängt die Zulässigkeit der Umlage nicht davon ab, dass der betroffene Rechtsanwalt das besondere elektronische Anwaltspostfach nutzt. Denn die vorgenannten Kosten der Bundesrechtsanwaltskammer, die sie von den Rechtsanwaltskammern erhebt und die von diesen auf ihre Mitglieder umgelegt werden, entstehen nicht aufgrund der Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs durch den jeweiligen Rechtsanwalt, sondern aufgrund der Einrichtung des Postfachs als der Bundesrechtsanwaltskammer gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 BRAO übertragene Aufgabe (vgl. Senat, Urteil vom 11. Januar 2016, aaO Rn. 17: Umlage zur Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs). Daher setzt die Umlage dieser – bereits während der Einrichtung entstehenden – Kosten auch kein schon empfangsbereites besonderes elektronisches Anwaltspostfach voraus.

Dementsprechend enthalten die umgelegten Kosten keine „Nutzungsgebühr“, um die sie bei fehlender Nutzung oder Nutzbarkeit gegebenenfalls zu verringern wären.

d) Der Senat sieht keinen Anlass, sich mit dem Einwand des Klägers näher zu befassen, eine Auftragsvergabe mit einem Volumen von 39 Mio. € zur Entwicklung der Software für das besondere elektronische Anwaltspostfach sei nicht erforderlich gewesen, insbesondere habe die Dienstleistung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs von Anbietern des Dienstes D. weitaus kostengünstiger erbracht werden können. Der klagende Anwalt trägt die Darlegungslast dafür, dass eine Kammerversammlung bei der Beitragsbemessung gegen die Gebote der Äquivalenz, der Verhältnismäßigkeit oder der Gleichbehandlung verstoßen haben könnte. Entsprechendes gilt für die Umlage für die Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (Senat, Urteil vom 11. Januar 2016, aaO Rn. 21). Konkrete Anhaltspunkte, dass das vom Kläger vorgetragene Auftragsvolumen von 39 Mio. € – und der hieraus folgende Beitragsanteil des einzelnen Kammermitglieds – nicht äquivalent oder verhältnismäßig sein könnte, hat der Kläger nicht dargetan. Insbesondere ist für seine Behauptung, die Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs könne von dritter Seite kostengünstiger erbracht werden, nichts ersichtlich. Dies gilt auch für die von ihm vorgelegten Auskünfte aus seiner Sicht geeigneter Anbieter. Dort wird das besondere elektronische Anwaltspostfach weder konkret in Bezug genommen noch das Auftragsvolumen von 39 Mio. € als überhöht bewertet.“

Also: Es muss gezahlt werden.