Und dann heute mal wieder StPO, und zwar vom BGH.
Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 10.09.2025 – 5 StR 113/25. In dem zugrunde liegenden Verfahren hat das LG den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Dagegen die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte beanstandet, das LG habe § 250 StPO verletzt, weil es entgegen § 255a Abs. 1 iVm § 251 Abs. 4 StPO die Bild-Ton-Aufzeichnung der polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin ohne vorherige Anordnung des Gerichts in der Hauptverhandlung vorgeführt habe.
Die Rüge war (jedenfalls) unbegründet:
„a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am ersten Hauptverhandlungstag beschloss die Jugendkammer, die persönliche Vernehmung der Nebenklägerin gemäß § 255a Abs. 2 StPO durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung zu ersetzen. Die audiovisuell dokumentierte Vernehmung wurde anschließend in der Hauptverhandlung vorgeführt. Noch am selben Tag wurde eine Polizeibeamtin über die von ihr geführte, ebenfalls in Bild und Ton festgehaltene polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin vernommen. Ergänzend ordnete die Vorsitzende der Jugendkammer die Vorführung der audiovisuellen Aufzeichnung dieser Vernehmung an.
b) Entgegen der Revision liegt kein Verfahrensverstoß vor.
Nach § 250 Satz 2 StPO darf die Vernehmung eines Zeugen nicht durch die Verlesung des Protokolls über eine frühere Vernehmung oder eine – zu Beweiszwecken erstellte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – 1 StR 350/07, NStZ-RR 2008, 48; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 250 Rn. 8; LR-Cirener/Sander, StPO, 27. Aufl., § 250 Rn. 8) – Erklärung des Zeugen ersetzt werden. Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen eines der Ausnahmetatbestände der §§ 251 ff. StPO ist eine Durchbrechung des Ersetzungsverbots zulässig. Wird der Zeuge hingegen in der Hauptverhandlung vernommen, ist daneben die vernehmungsergänzende Verwertung seiner protokollarisch oder in einer schriftlichen Erklärung festgehaltenen Äußerungen im Wege des Urkundsbeweises zulässig, ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 250 Satz 2 iVm §§ 251 ff. StPO ankommt (BGH, Beschluss vom 1. April 2025 – 3 StR 608/24 Rn. 9; Urteil vom 17. Juli 2025 – 4 StR 298/24 Rn. 8).
Diese Grundsätze gelten auch für die Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 2025 – 3 StR 608/24 Rn. 9). Denn nach § 255a Abs. 1 StPO sind hierauf die §§ 251, 252, 253 und § 255 StPO entsprechend anzuwenden. Die aufgezeichnete und durch Vorspielen in die Hauptverhandlung eingeführte Vernehmung ist mithin grundsätzlich so zu behandeln, als sei der Zeuge unmittelbar in der Hauptverhandlung selbst gehört worden (BGH, Beschluss vom 1. April 2025 – 3 StR 608/24 Rn. 8). In der Sache handelt es sich mithin um einen Beweis des Aussageinhalts durch Augenschein, der unter den für Vernehmungsvorschriften geltenden Voraussetzungen des Urkundsbeweises erhoben wird (LR-Mosbacher, aaO, § 255a Rn. 2). Daraus folgt zum einen, dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 StPO nur dann berührt ist, wenn die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch die Inaugenscheinnahme der audiovisuellen Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 4 StR 449/07, BGHSt 52, 148, 150), zum anderen, dass daneben die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer früheren Vernehmung der Beweisperson ohne weiteres zulässig ist, soweit sie lediglich vernehmungsergänzenden Charakter hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2004 – 1 StR 566/03, BGHSt 49, 68, 70 f.; vgl. hierzu auch LR-Cirener/Sander, aaO, Rn. 17).
Gemessen daran liegt der gerügte Verfahrensverstoß nicht vor. Die Ersetzung der Vernehmung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 2 StPO wurde durch gerichtlichen Beschluss nach § 255a Abs. 1 iVm § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO angeordnet. Ihre audiovisuell festgehaltene polizeiliche Vernehmung wurde hingegen lediglich ergänzend zu den Bekundungen der Vernehmungsbeamtin in Augenschein genommen. Insoweit war das Ersetzungsverbot des § 250 Satz 2 StPO nicht berührt, ein gerichtlicher Beschluss zu dessen Durchbrechung nach § 255a Abs. 1 iVm § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO nicht geboten.“

