Parken auf E-Auto-Ladeplatz mit defekter Ladesäule, oder: Abschleppen des Verbrenners unverhältnismäßig

Und dann die verwaltungsrechtliche Entscheidung, die folgenden Sachverhalt hat:

Der Kläger wendet sich gegen einen Gebührenbescheid, mit dem die Beklagte ihn für die Kosten der Sicherstellung seines Pkw herangezogen hat. Der Kläger ist Fahrer und Halter eines Pkw mit einem Verbrennungsmotor. Diesen stellte auf einem Parkplatz ab, auf dem unmittelbar rechts daneben, etwa einen Meter entfernt auf dem Gehweg ein Schildermast mit dem Verkehrszeichen 314 (Parken) der lfd. Nr.  7 derAnlage 3 zu § 42 Abs.2 StVO, das mit einem weißen Pfeil nach links in Richtung des Parkplatzes versehen war. Unmittelbar unter dem Verkehrszeichen 314 befand sich ein weißes Zusatzzeichen, auf dem ein Pkw mit einem Elektrostecker entsprechend dem Sinnbild nach § 39 Abs.10 StVO abgebildet war, das zum Inhalt die Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge hat. Unmittelbar darunter befand sich ein zweites weißes Zusatzzeichen, auf dem der Schriftzug „während des Ladenvorgangs“ (Zeichen 1050-32) zu sehen war. Wiederum darunter befand sich ein Zusatzzeichen entsprechend Bild 318 (Parkscheibe) der lfd. Nr. 11 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO mit der Angabe „1 Std“ (im Folgenden: Zusatzzeichen „Parkscheibe“). Gegenüber dem Schildermast zur linken Seite des Parkplatzes befand sich eine Ladesäule für Elektrofahrzeuge auf dem Gehweg.

Um 9.57 Uhr nahm ein Bediensteter der Stadt Hamburg das Fahrzeug des Klägers wahr und veranlasste um 10:43 Uhr das Abschleppen des Fahrzeugs. Der Abschleppvorgang wurde um 11:01 Uhr durch ein privates Abschleppunternehmen durchgeführt. Das Fahrzeug wurde zu einem Verwahrplatz verbracht. Der Kläger holte sein Fahrzeug am selben Tag um 13.39 Uhr gegen Bezahlung der Abschleppgebühren bei der Verwahrstelle ab.

Mit „Gebührenbescheid zur Sicherstellung eines verkehrsbehindernd abgestellten Fahrzeugs“ setzte die Beklagte gegen den Kläger Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt von insgesamt 472,10 EUR. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben und verlangt Aufhebung des Bescheides und Rückzahlung der 472,10 EUR. Mit Erfolg. Das VG Hamburg hat mit dem VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24 – der Klage stattgegeben. Das VG führt dazu u.a. aus:

„bb) Der Gebührenbescheid der Beklagten und der Widerspruchbescheid sind materiell rechtswidrig. Voraussetzung für eine rechtmäßige Gebührenerhebung ist, dass die zugrundeliegende Amtshandlung ihrerseits rechtmäßig ist und dass die gebührenrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Klägers erfüllt sind. Vorliegend fehlt es bereits an der Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Amtshandlung, nämlich der Sicherstellung. Die Voraussetzungen des hier allein anwendbaren § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG lagen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 des HmbSOG wird ein verbotswidrig abgestelltes oder liegengebliebenes Fahrzeug in der Regel sichergestellt, wenn es die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt oder eine Gefährdung, Behinderung oder Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer nicht auszuschließen ist und der vom Fahrzeug ausgehenden Gefahr nicht mit einer Umsetzung auf einen in unmittelbarer Nähe gelegenen freien und geeigneten Platz im öffentlichen Verkehrsraum begegnet werden kann. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist dabei der Zeitpunkt der Abschleppanordnung, die der vor Ort den ruhenden Verkehr kontrollierende Polizeibedienstete trifft (OVG Hamburg, Urt. v. 4.8.2021, 3 Bf 1/20, n. v., S. 13 BA; Urt. v. 16.11.2011, 5 Bf 292/10, juris Rn. 22; Beschl. v. 8.5.2009, 3 Bf 96/09.Z, n. v., S. 3 BA; VG Hamburg, Urt. v. 12.4.2011, 21 K 1902/09, juris Rn. 20).

Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Das Fahrzeug war zwar verbotswidrig geparkt (dazu (1)), jedoch begegnet die gewählte Rechtsfolge rechtlichen Bedenken (dazu (2)).

(1) Das Parkverbot folgt vorliegend aus §§ 39 Abs. 2, Abs. 3, 42 Abs. 2 StVO i. V. m. Anlage 3, Zeichen 314 („Parken“) sowie den Zusatzzeichen 1010-66 („Elektrisch betriebene Fahrzeuge“) und 1053-54 („während des Ladevorgangs“), wodurch das Parken zugunsten elektrisch betriebener Fahrzeuge beschränkt wurde. Aus dieser Beschränkung folgt spiegelbildlich das Parkverbot für nicht elektrisch betriebene Fahrzeuge und für elektrisch betriebene Fahrzeuge, die keinen Ladevorgang durchführen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 25.5.23, 20 K 3081/21, S. 7 UA, n.v.).

Das Parkverbot ist als Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 HmbVwVfG durch Aufstellung (vgl. § 45 Abs. 4 StVO) zudem auch dem Kläger gegenüber wirksam nach § 43 Abs. 1 HmbVwVfG bekanntgegeben worden. Insbesondere sind die Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes erfüllt. Verkehrszeichen für den ruhenden Verkehr äußern ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht, wenn sie so aufgestellt oder angebracht sind, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen während der Fahrt oder durch einfache Umschau beim Aussteigen ohne Weiteres erkennen kann, dass ein Ge- oder Verbot durch ein Verkehrszeichen verlautbart wurde (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.4.2016, 3 C 10/15, juris Rn. 21). Auch liegen die Anforderungen für die Aufstellung von Verkehrszeichen zur Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge nach § 45 Abs. 1g StVO und § 3 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 des Elektromobilitätsgesetzes vom 5. Juni 2015 (BGBl. I S. 898, EmoG) – hiernach ist insbesondere eine Bevorrechtigung für das Parken auf öffentlichen Straßen oder Wegen möglich – vor.

Das Parkverbot bezieht sich in seinem räumlichen Geltungsbereich auch auf den von dem Kläger gewählten Parkplatz. Dies ergibt sich aus der Aufstellung des Schildes ungefähr auf Höhe der Grenze zweier Parkplätze zueinander sowie dem auch nach links weisenden Pfeil, der jedenfalls den unmittelbar links angrenzenden Parkplatz, auf dem sich das Fahrzeug des Klägers befunden hat, miterfasst. Dass die Ladesäule unstreitig nicht funktionsfähig war, steht dem nicht entgegen. Denn das Parkverbot folgt allein aus dem Verkehrszeichen 314 mit Zusatzzeichen nach Anlage 3, Abschnitt 3, laufende Nr. 7, Spalte 3 Nr. 3a) StVO i.V.m. § 42 Abs. 2 StVO. Der Ladesäule kommt hingegen keine Verkehrszeichenqualität zu (vgl. zu Bodenmarkierungen VG Hamburg Urt. v. 22.5.2018, 3 K 5435/17 n.v. S. 7).

(2) Es kann offen bleiben, ob die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG vorliegen. Denn selbst wenn dies zugunsten der Beklagten angenommen wird, war die Sicherstellung dennoch rechtswidrig. Die Beklagte hat von ihrem nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SOG eröffneten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG für die Sicherstellung des Fahrzeugs vor, so ist es „in der Regel“ sicherzustellen. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen sieht § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG der Beklagten auf Rechtsfolgenseite ein intendiertes Ermessen vor. Vorliegend kann dahinstehen, ob ein atypischer Fall vorliegt, der ausnahmsweise eine Ermessenserwägung durch die Beklagte erfordert hätte. Denn jedenfalls war die Sicherstellungsanordnung unter Berücksichtigung der bei einer Sicherstellung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbSOG im Einzelfall stets zu prüfenden Anforderungen des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 27.11.2009, 3 Bf 36/06, juris Rn. 29) rechtswidrig.

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist es im Regelfall unerheblich, ob der Kläger durch das verbotswidrige Abstellen konkret ein bevorrechtigtes Elektrofahrzeug am Parken und Laden hinderte. Denn bei der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Parkraum, der Bevorrechtigten zur Verfügung stehen soll, darf ein Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer und ohne Einhaltung einer besonderen Wartezeit regelmäßig zwangsweise entfernt werden. Nur so kann dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen verfolgten Anliegen hinreichend effektiv Rechnung getragen werden. Die parkbevorrechtigten Benutzerkreise sollen nach der gesetzgeberischen Wertung darauf vertrauen können, dass der gekennzeichnete Parkraum ihnen unbedingt zur Verfügung steht. Zudem kann den Verkehrsordnungsbehörden nicht die Pflicht auferlegt werden, den Bedarf an freizuhaltenden Plätzen fortlaufend zu überprüfen und hiervon ein Einschreiten abhängig zu machen (zu Taxenständen: BVerwG, Urt. v. 9.4.2014, 3 C 5/13, juris Rn. 11; zu Behindertenparkplätzen: BVerwG, Beschl. v. 11.8.2003, 3 B 74/03, juris Rn. 3; OVG Hamburg, Urt. v. 25.3.2003, 3 Bf 113/02, juris Rn. 32; OVG Münster, Beschl. v. 21.3.2000, 5 A 2339/99, juris Rn. 2 ff.). Diese Grundsätze sind auf die für bevorrechtigte Elektrofahrzeuge vorgesehenen Parkplätze an Ladesäulen zu übertragen. Auch deren Funktion wird nur gewährleistet, wenn sie jederzeit von nicht parkberechtigten Fahrzeugen freigehalten werden (VG Hamburg, Urt. v. 17.4.2019, 21 K 1539/18, n. v., S. 9 BA; Urt. v. 19.3.2019, 11 K 9122/17, n. v., S. 8 BA; GB v. 25.5.2018, 2 K 7467/17, juris Rn. 43).

Im vorliegenden Einzelfall ergibt sich jedoch ausnahmsweise ein von den vorstehenden Maßgaben abweichendes Abwägungsergebnis. Maßgeblich in die Abwägung einzustellen ist, dass die Ladesäule, die Anlass für die entsprechende Beschilderung gab, zum Zeitpunkt der Sicherstellungsanordnung erkennbar funktionsunfähig war. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass – wie auch die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – die Funktionsfähigkeit einer Ladesäule nicht zwingend auf den ersten Blick erkennbar ist und dass es dem handelnden Polizeibeamten regelmäßig nicht zuzumuten sein dürfte, Nachforschungen betreffend die Funktionsfähigkeit und gegebenenfalls betreffend die Dauer der Funktionsunfähigkeit anzustellen. Dies gilt auch deshalb, weil letzteres im Regelfall nicht absehbar sein und eine Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit in unmittelbarer zeitlicher Nähe nicht ausgeschlossen sein dürfte.

So liegt es hier jedoch nicht. Vorliegend war ausweislich der in der Sachakte enthaltenen Lichtbilder auf der Ladesäule ein deutlich erkennbares, offenbar DIN-A4-großes Schild angebracht, welches die folgende Aufschrift trug: „Wir treiben die Energiewende voran. Hier entsteht in Kürze ein neuer HPC-Standort. Sobald er an unser Stromnetz angeschlossen ist, können Sie hier mit 150 kW laden.“ Dafür, dass diese Lichtbilder, welche der Kläger zur Akte gereicht hat, nicht in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum aufgenommen worden sind, sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zusätzlich zu dem Schild war an der Ladesäule mit Kabelbindern eine Tüte angebracht, die – soweit erkennbar – Zubehörteile enthalten haben wird. Auch dies lässt einen objektiven Beobachter annehmen, dass sich die Ladesäule noch im Aufbau befand. Diese offensichtlichen Hinweise hätten den Polizeibeamten vor Ort dazu veranlassen müssen, sich über die Funktionsfähigkeit der Ladesäule zu vergewissern. Dies hat der handelnde Polizeibeamte ausweislich seiner Stellungnahme vom XXX jedoch nicht getan.

Der offensichtlich nicht bestehenden Funktionsfähigkeit kommt im vorliegenden Fall auch deshalb ein besonderes Gewicht zu, weil die Parkbevorrechtigung ausweislich der Verkehrszeichen gerade für Elektrofahrzeuge während des Ladevorganges und nicht etwa für Elektrofahrzeuge im Allgemeinen angeordnet war. Die Funktionsunfähigkeit hatte somit zur Folge, dass kein Fahrzeug dort hätte parken können, unabhängig von der Antriebsart. Der Parkplatz wäre somit dem Verkehrsraum vollständig entzogen gewesen. Vor diesem Hintergrund kann auch der vorgenannte Grundsatz, dass bei der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Parkraum, der Bevorrechtigten zur Verfügung stehen soll, ein Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer und ohne Einhaltung einer besonderen Wartezeit regelmäßig zwangsweise entfernt werden darf, um dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen verfolgten Anliegen hinreichend effektiv Rechnung zu tragen, ausnahmsweise nicht zum Tragen kommen. Denn selbst den parkbevorrechtigten Benutzerkreisen stand der gekennzeichnete Parkraum nicht zur Verfügung und dessen Funktion konnte durch das Freihalten von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor nicht gewährleistet werden.“

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