Kollision nach Spurwechselabbruch auf der BAB, oder: Auffahrender haftet nicht allein

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Im „Kessel Buntes“ gibt es heute eine zivilrechtliche und eine verwaltungsrechtliche Entscheidung.

Hier kommt mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 29.04.2025 – 9 U 5/24 – zunächst die zivilrechtliche, und zwar zur Frage der Haftung bei einem Autounfall, zu dem es nach einer Kollision nach einem Spurwechselabbruch auf einer BAB gekommen ist.

Der Unfall hat such auf der BAB 45 ereignet . An dem Verkehrsunfall waren das von dem Zeugen A geführte, bei der Klägerin vollkaskoversicherte Fahrzeug, sowie das von dem Beklagten zu 2) geführte, in den Niederlanden zugelassene Wohnmobil beteiligt. Der Zeuge A befuhr zunächst den linken von drei Fahrstreifen. Aufgrund einer Baustelle verengte sich die Fahrbahn auf zwei Fahrspuren. Der Zeuge A begann – ebenso wie das ihm vorausfahrende Fahrzeug – damit, mit dem klägerischen Fahrzeug nach rechts auf den mittleren Fahrstreifen zu wechseln. Wegen des dortigen Verkehrsaufkommens fuhr das klägerische Fahrzeug allerdings wieder auf die linke Spur zurück, nachdem es sich bereits zur Hälfte auf der mittleren Fahrspur befunden hatte. Dort bremste das dem klägerischen Fahrzeug vorausfahrende Fahrzeug bis zum Stillstand ab. Der Zeuge A bremste ebenfalls ab; im Verlauf kollidierte das ihm nachfolgende Beklagtenfahrzeug mit dem klägerischen Fahrzeug. Bei dem klägerischen Fahrzeug entstand ein kongruenter Gesamtschaden von 59.460,69 EUR, auf den die Klägerin 57.020,88 EUR leistete. Die Schadenshöhe war unstreitig.

Gestritten worden ist u.a. um die Haftungsverteilung. Das LG ist von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen. Dagegen die Berufung, die beim OLG teilweise Erfolg hatte. Das OLG hat nur eine Haftung zu 50 % angenommen, also „Halbe halbe“:

„2. Wie das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, war bei diesem Geschehensablauf der Unfall nicht unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG und hängt der Umfang der Haftung gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG entscheidend von einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten ab. Hieraus folgt eine (nur) hälftige Haftung der Beklagten.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts greift angesichts des unstreitigen Fahrmanövers des Zeugen A ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Beklagten zu 2) als Auffahrendem nicht ein. Wie das Landgericht selbst an anderer Stelle ausgeführt hat, lag unmittelbar vor der Kollision eine „unklare Verkehrslage unter Beteiligung des Versicherungsnehmers der Klägerin“ vor (S. 11, 2. Absatz der angefochtenen Entscheidung). Es handelt sich bei dieser vom Landgericht selbst als unklar bezeichneten Verkehrslage zugleich um einen atypischen Geschehensablauf, welcher der Annahme eines Anscheinsbeweises entgegensteht. Der grundsätzlich gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist zudem entkräftet, wenn der Vorausfahrende im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall vorher den Fahrstreifen gewechselt hat. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Spurwechsel und dem Auffahren ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung in der Regel selbst dann noch nicht unterbrochen, wenn sich vorausfahrende Fahrstreifenwechsler zum Zeitpunkt der Kollision etwa fünf Sekunden auf dem Fahrstreifen des Auffahrenden befunden hat (OLG Schleswig, Beschluss vom 7.10.2022 – 7 U 51/22, juris Rn. 10; OLG Celle, Urteil vom 11.12.2024 – 14 U 91/23, juris Rn. 23 ff.).

Dasselbe gilt, wenn – wie vorliegend – das vorausfahrende Fahrzeug im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Unfall einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrspurwechsel unvermittelt abbricht, wieder vor dem auffahrenden Fahrzeug einschert und dort sein Fahrzeug bis zum kurzzeitigen Stillstand von maximal einer Sekunde abbremst.

Dieser unmittelbare zeitliche und räumliche Zusammenhang ist im Streitfall gegeben. Insoweit steht, wie ausgeführt, vorliegend in tatsächlicher Hinsicht fest, dass der Zeuge A wieder vollständig auf die linke – an sich endende – Fahrspur eingeschert ist und dort sein Fahrzeug zum Stillstand gebracht hat, nachdem er zuvor bereits zur Hälfte auf die mittlere Spur gewechselt hatte. Dass er sich vor seinem „Schlenker“, wie die Klägerin dieses Manöver nennt, durch Rückschau über den rückwärtigen Verkehr auf der linken Spur versichert hätte, ist nicht vorgetragen und auch nicht anzunehmen, nachdem der Zeuge A in seiner Vernehmung bekundet hat, das Beklagtenfahrzeug vorher nicht gesehen zu haben. Ebenso wenig ist vorgetragen oder aus der Beweisaufnahme ersichtlich, dass der Zeuge A vor dem Einscheren auf die linke Spur geblinkt und so für den nachfolgenden Verkehr den Abbruch zunächst begonnenen und wegen der Baustelle an sich gebotenen (und daher für den rückwärtigen Verkehr grundsätzlich auch erwartbaren) Fahrstreifenwechsels angezeigt hätte. Der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem gescheiterten Fahrspurwechsel liegt ersichtlich noch vor und wurde durch den sehr kurzzeitigen Stillstand des Fahrzeugs von einer halben bis maximal einer Sekunde nicht aufgehoben.

Trotz der vorbeschriebenen Umstände greift auch kein Anscheinsbeweis für ein alleiniges Verschulden des Zeugen A ein, weil nach den getroffenen Feststellungen der von dem Beklagten zu 2) befahrene Fahrstreifen mit Blick auf die Baustelle endete und zudem starkes Verkehrsaufkommen herrschte, bei dem auch mit dem abrupten Abbremsen vorausfahrender oder die Spur wechselnder Fahrzeuge jederzeit zu rechnen war. Auch insoweit verbleibt es bei der – für sich genommen richtigen – Bewertung des Landgerichts, wonach die Verkehrslage insgesamt unklar war

In dieser Situation ist eine Haftungsverteilung von 50% zu 50% anzunehmen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 7.10.2022 – 7 U 51/22, juris Rn. 4; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 14.4.2010 – 3 U 3/10, juris Rn. 13,18). Hieraus folgt mit Blick auf die unstreitige Gesamtschadenshöhe von 57.020,88 € ein Anspruch gegen die Beklagten in Höhe von 28.510,44 €.“

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