Hilfe I: Mitwirkung des Verteidigers an der Einstellung, oder: Einspruch mit rudimentärer Begründung

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Am RVG-Tag gibt es heute zwei Entscheidungen zur Frage der ausreichenden Mitwirkung des Verteidigers an der Einstellung des Bußgeldverfahrens als Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr Nr. 5115 VV RVG. Zunächst stelle ich den AG Calw, Beschl. v. 08.04.2025 – 3 OWi 125/25 – vor.

Nach dem Sachverhalt hatte die Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen wegen eines ihm zur Last gelegten Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG einen Bußgeldbescheid erlassen. Dieser wurde dem Betroffenem am 13.10.2023 zugestellt. Am 01.11.2023 hat die Verteidigerin des Betroffenen per BeA, eingegangen am selben Tag, sowie am 31.10.2023 per Telefax mit Eingangsstempel vom 03.11.2023, dagegen Einspruch eingelegt, während in der Folge am 02.11.2023 bei der Verwaltungsbehörde ein schriftlicher unterschriebener Einspruch des Betroffenen, datiert auf den 24.10.2023 und adressiert an die Antragstellerin, bzw. ihr „Team Bußgeldstelle“ einging. Darin führte der Betroffene aus, er lege den Einspruch ein, da nicht ordnungsgemäß kontrolliert worden sei, sein Anwalt werde sich bei der Antragstellerin melden. Nachdem die Verwaltungsbehörde am 06.11.2023 auf die Verspätung und mögliche Wiedereinsetzung auf Antrag hingewiesen hatte, beantragte die Verteidigerin am 09.11.2023 mit wiederholtem Einspruch, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der Einspruchsfrist zu gewähren. Sie begründete dies im Hinblick darauf, wie der Betroffene seinen Einspruch am 24.10.203 zur Post gebracht habe und auf die rechtzeitige Zustellung habe vertrauen können, sie kündigte weiter das unverzügliche Nachreichen einer entsprechenden Glaubhaftmachung an. Daraufhin wurde am 10.11.2023 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Verteidigerin sandte noch die angekündigte Glaubhaftmachung und erhielt am 22.11.2023 die von ihr beantragte Akteneinsicht.

Die Verwaltungsbehörde stellte in der Folge, ohne dass zwischenzeitlich weitere Aktivitäten ihrer Seite in der Akte ersichtlich wären, am 10.12.2024 das Verfahren gem. § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO wegen eingetretener Verfolgungsverjährung ein. Die Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt. Die Verteidigerin hat mit ihrem Festsetzungsantrag auch eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG beantragt. Diese ist nicht festgesetzt worden. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte beim AG Erfolg:

„Der zugehörige Gebührentatbestand des Nr. 5115 Anlage I (VV) RVG setzt im Eingangssatz voraus, dass durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt wird. Nr. 5115 I Ziff. 1 VV konkretisiert dies.

a) Vorliegend ist die Anforderung des Nr. 5115 I Ziff. 1 VV erfüllt, da das Verfahren ohne Hauptverhandlung endgültig eingestellt worden ist.

b) Auch liegen die Voraussetzungen der Nr. 5115 II VV nicht vor. Danach entsteht die Gebühr nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist.

aa) Der Begriff einer solchen Tätigkeit ist überzeugender nach st. Rspr. weit auszulegen. Durch das Einlegen des Einspruchs durch die Antragstellerin mit einer rudimentären Begründung seitens des Betroffenen, die weitere Ausführung der Antragstellerin zu gegebenen Zeitpunkt, plausibel in Abstimmung mit dieser, ankündigte und dem Erwirken einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der Einspruchsfrist hat die Antragstellerin zur Förderung des Verfahrens beigetragen und der Antragsgegnerin vermittelt, dass Einwendung gegen den Bußgeldbescheid bestünden und dessen Rechtmäßigkeit somit zu überprüfen und zu beweisen wäre.

bb) Insoweit ist ohne Belang, dass die Antragsgegnerin sich damit nicht mehr auseinandergesetzt und selbst das Verfahren nicht irgendwie erkennbar weiter betrieben hat, es kommt insbesondere nicht darauf an, dass sie, etwa mangels Erfolgsaussicht, das Verfahren „bewusst“ in die Verjährung geführt hätte.

Auch unter systematischer Gesamtschau mit dem Einleitungssatz zu Nr. 5115 ist unbeachtlich, dass gerade das anwaltliche Verhalten die Einstellung vor gerichtlichem Verfahren nachweislich zurechenbar bzw. entscheidend verursacht hätte (vgl. BGH, Urteil vom 18. 9. 2008 – IX ZR 174/07, NJW 2009, 368), mithin in einen Vergleich zwischen vorgenommener und fehlender Tätigkeit des Rechtsanwalts, der hier dazu führen könnte, dass in letzterem einfach der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden wäre.

Eine solche Deutung widerspricht dem Sinn der Nr. 5115 auch in ihrem historischen Kontext (vgl. auch zum Folgenden BGH, Urteil vom 20. 1. 2011 – IX ZR 123/10, NZV 2011, 337; OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.03.2010 – 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online). Die Regelung ist geschaffen worden, um Tätigkeiten des Verteidigers zu honorieren, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führen. Dies können aber gerade darin liegen, der Verwaltungsbehörde die Schwierigkeit bzw. Aussichtslosigkeit eines für den Bestand des Bußgeldbescheids durchzuführenden gerichtlichen Verfahrens bewusst zu machen und so etwa zu einer Entscheidung nach § 47 OWiG oder § 46 OWiG i.V.m. §170 StPO Anlass geben, welche das gerichtliche Verfahren gerade vermeidet. Insoweit ist die anwaltliche Tätigkeit im Sinne eines Ursächlichkeitszusammenhangs auch geeignet, das Verfahren in Richtung einer Erledigung bzw. Einstellung lenkend zu beeinflussen (vgl. LG Kassel Beschl. v. 15.5.2019 – 8 Qs 4/19, BeckRS 2019, 11840 Rn. 25 m.w.N.). Die Behörde weiß nach einer solchen Mitteilung, dass sie einen Bußgeldbescheid nicht auf die widerspruchslose Einlassung des Betroffenen stützen kann, sondern sich darüber klar werden muss, ob die übrigen Beweismittel für eine Ahndung ausreichen. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass die übrigen Beweismittel nicht ausreichen und stellt sie deshalb das Verfahren ein, hat die Tätigkeit des Verteidigers diese Art der Verfahrenserledigung objektiv gefördert. Eine darüber hinausgehende, positive Förderung der Sachaufklärung setzt die Regelung in Nr. 5115 Anlage I (VV) RVG nach ihrem Wortlaut nicht voraus.

c) Auch der Zweck der gesamten Regelung, dem Anwalt einen Ausgleich für die Hauptverhandlungsgebühr zu verschaffen, wenn er durch seine Tätigkeit dazu beiträgt, dass eine Verhandlung entbehrlich wird, erfordert keine weiter gehende Förderung. Wirkt der Verteidiger darauf hin, dass sein Mandant schon im Anhörungsverfahren und nicht erst in der Hauptverhandlung erklärt, er werde sich nicht zur Sache äußern, kann dies in ähnlicher Weise wie eine Einlassung zur Sache bewirken, dass das Verfahren noch im Verwaltungsverfahren eingestellt und damit eine Hauptverhandlung vermieden wird. Es wäre deshalb nicht gerechtfertigt, ihm nur bei einer Einlassung zur Sache einen Ausgleich für die Terminsgebühr zuzubilligen.

Allein, dass die Verwaltungsbehörde daraufhin nicht geboten aktiv mit der so veranlassten kritischen Prüfung fortfährt, sondern schlicht die Verjährung eintreten lässt, kann daran nichts ändern. Ansonsten hätte es dann die Verwaltungsbehörde in der Hand dem Rechtsanwalt die Gebühr 5115 zu nehmen, alleine durch das Herbeiführen der Verjährung durch Unterlassen weiterer Handlungen.“

Wenn man es liest: Fragt man sich, wie oft eigentlich noch = wie oft müssen die Gerichte den Bußgeldberhörden noch die Nr. 5115 VV RVG erkären? Tja, wer nicht hören kann, muss eben fühlen.

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