StPO II: Rücknahme der Staatsanwalts-Berufung, oder: Zeitliche Grenze für zustimmungsfreie Rücknahme

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In diesem Posting geht es dann um den OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.04.2025 – Ws 258/25 u. Ws 259/25.

Der Angeklagte ist durch das AG wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden. Gegen das Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft – beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch – Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung beim LG erschien der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung nicht, weshalb seine Berufung nach Aufruf der Sache ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 329 StPO verworfen wurde.

Den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten in den vorigen Stand gegen die Versäumnis des Berufungshauptverhandlungstermins hat das LG als unzulässig zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hat das OLG als unbegründet verworfen. Mit Beschluss des BayObLG wurde auch die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG als unbegründet verworfen.

Mit Schreiben vom 03.01.2025 hat dann nahm die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gegen das Urteil des AG zurückgenommen.

Das LG hat die Kosten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten und wieder zurückgenommenen Berufung einschließlich der insoweit dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt und im Übrigen entschieden, dass es hinsichtlich der Berufung des Angeklagten bei der Kostenentscheidung des LG-Urteils verbleibe.

Hiergegen legte der Angeklagte sofortige Beschwerde ein und begründete diese damit, dass eine Zustimmung des Angeklagten zur Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft erforderlich sei. Da eine solche nicht vorliege, sei die Berufung nicht wirksam zurückgenommen worden. Das LG stellte mit Beschluss fest, dass die Staatsanwaltschaft ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten wirksam zurückgenommen habe.

Dagegen die sofortige Beschwerde des Angeklagten,die beim OLG Erfolg hatte:

2. Beide Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg, da die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ihre Berufung mangels hierfür erforderlicher Zustimmung des Angeklagten nicht wirksam zurückgenommen hat.

a) Durch den angefochtenen Beschluss vom 24.02.2025 hat die Berufungskammer entsprechend § 322 StPO deklaratorisch festgestellt, dass die Rücknahmeerklärung der Staatsanwaltschaft wirksam ist und sich infolgedessen deren Rechtsmittel durch Rücknahme erledigt hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 302 Rz. 11a m.w.N).

b) Die Staatsanwaltschaft kann gemäß § 303 StPO ihre Berufung nach dem Beginn der Hauptverhandlung zu dem Rechtsmittel nur mit Zustimmung des Gegners, hier also des Angeklagten, zurücknehmen. Dieses Zustimmungserfordernis gilt ab dem Beginn der ersten Hauptverhandlung für das gesamte Verfahren (vgl. BGHSt 23, 277). Eine Ausnahme besteht nach § 329 Abs. 5 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 StPO für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens des Angeklagten bei Beginn und gemäß § 329 Abs. 5 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 StPO bei Fortführung der Berufungshauptverhandlung.

Von dieser Ausnahmemöglichkeit hat die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 28.06.2024 keinen Gebrauch gemacht.

c) Mit dem Ende der Hauptverhandlung endete auch die mit § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO gewährte ausnahmsweise Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, ihre Berufung ohne Zustimmung des Angeklagten zurückzunehmen. § 329 Abs. 1 StPO begrenzt den Zeitraum, in dem dies unter den jeweiligen Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 möglich ist, auf die Dauer der Hauptverhandlung.

Der Senat folgt auf Grundlage des Gesetzeswortlauts der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 24.09.2007, 2 Ws 890/07 K, juris, bestätigt durch den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29.09.2020, 206 StRR 277/20, Rz. 29, juris), dass die Ausnahmeregelung des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO nicht über die Berufungshauptverhandlung hinaus anzuwenden ist. Dem steht der Ausnahmecharakter dieser Regelung gegenüber der Grundregel des § 303 StPO entgegen, wonach das Zustimmungsbedürfnis ab dem Beginn der ersten Berufungshauptverhandlung dauerhafter Natur bis zum Abschluss des gesamten Verfahrens ist. Ausnahmeregelungen sind eng auszulegen, so dass sich eine Anwendung des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO auf Fälle der Berufungsrücknahme außerhalb der Hauptverhandlung nach geltendem Recht verbietet.

Die davon abweichende Auffassung des Kammergerichts Berlin (Beschluss vom 04.09.2020, 5 Ws 217/19, juris) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landgerichts Dresden (Beschluss 16.11.1998, 8 Ns 103 Js 12674/96), dass die gesetzliche Regelung der Verfahrensbeschleunigung diene und zudem das Nichterscheinen des Angeklagten mit einem Verzicht auf sein Zustimmungsrecht bei Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft einhergehe, der auch über die Aussetzung der Hauptverhandlung fortdauere, überzeugt angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht. Auch wäre das nach Auffassung des Kammergerichts spätere Wiederaufleben des Zustimmungserfordernisses des Angeklagten zu einer Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft, sobald – etwa im Fall einer erfolgreichen Revision – eine erneute Hauptverhandlung in seiner Anwesenheit beginnt, mit der Rechtswirkung eines wirksamen Verzichts des Angeklagten auf das Zustimmungserfordernis nicht vereinbar.

Auch der Normzweck der Beschleunigung des Verfahrensabschlusses erfordert keine andere Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 329 Abs. 5 Satz 2 StPO. Auch wenn das Verfahren mit der Anfrage zur Zustimmung zur Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft nach der Hauptverhandlung bei dem Angeklagten und, falls er diese nicht erteilt, mit der nochmaligen Anberaumung einer Hauptverhandlung nicht so zügig abgeschlossen wird, wie es ohne das Zustimmungserfordernis wäre, wird ein zeitnaher Abschluss des Verfahrens hierdurch nicht verhindert.

3. Da das Verfahren über die Berufung der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen ist, ist auch der Beschluss des Landgerichts vom 13.01.2025 über die Kosten dieses Verfahrens aufzuheben. Hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens ist eine Kostenentscheidung derzeit nicht veranlasst und bleibt der abschließenden Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.“

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