StPO III: Berufung gegen Abwesenheitsurteil des AG, oder: Wann beginnt die Berufungseinlegungsfrist?

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Im dritten „Berufungs-Posting“ dann noch etwas zur „Berufungseinlegungsfrist“, und zwar in den Fällen, in denen der Verteidiger in der Abwesenheitsverhandlung – nach Einspruch gegen einen Strafbefehl – erklärt hat, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten. Frage: Fristbeginn nach   § 314 Abs. 2, 2. Hs. StPO oder nach § 314 Abs. 2, 1. Hs. StPO?

Das LG hatte eine Berufung als verspätet angesehen. Das OLG Celle sagt auf die Beschwerde im OLG Celle, Beschl. v. 11.02.2025 – 2 Ws 334/24: Das geht nach § 314 Abs. 2, 1. Hs. StPO:

„2. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufung der Angeklagten verspätet eingelegt worden ist.

Zwar war der seinerzeitige Verteidiger der Angeklagte tatsächlich im Hauptverhandlungstermin anwesend. Es fehlte ihm jedoch, nachdem er erklärt hatte, mangels Absprache mit der Angeklagten nicht als ihr Vertreter aufzutreten, an der erforderlichen Verteidigungsbereitschaft, sodass sich die Rechtsmittelfrist nicht nach § 314 Abs. 2, 2. HS. StPO, sondern nach § 314 Abs. 2, 1. HS StPO bestimmt.

Gem. §§ 412, 329 Abs. 1 StPO ist für den Fall, dass ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht zu einer umfassenden Vertretung nicht bereit ist, oder er geltend macht, hierzu aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen fehlender Informationen) nicht in der Lage zu sein, der Angeklagte als nicht vertreten bzw. der Verteidiger nicht als erschienener Vertreter des Angeklagten anzusehen (MüKo StPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, StPO § 329 Rn. 27, beck-online; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 329 Rn. 16/ § 412 Rn. 5; OLG Celle, B.  v. 06.10.2016 – 2 Ss 112/16 (nicht veröffentlicht); OLG Hamm, B.v. 10.1.2006 – 2 Ss 509/05, BeckRS 2006, 03029; KG U. v. 18.4.1985 – 1 Ss 329/84, JR 1985, 343).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Verkündung des Urteils im Sinne von § 314 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten bzw. in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht stattgefunden hat, kann jedoch nichts anderes gelten.

Dafür spricht zunächst der Sinn und Zweck der Vorschrift. § 329 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 StPO sollen sowohl das rechtliche Gehör des bzw. der Angeklagten sicherstellen als auch eine effektive Verteidigung gewährleisten (vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 329 Rn. 1, 2; KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, StPO § 329 Rn. 1, 1a). Gleiches gilt auch für § 314 Abs. 2 StPO. Mit diesen Gesetzeszweck wäre es jedoch nicht in Einklang zu bringen, wenn in einem Fall, in dem der Verteidiger aus objektiv nachvollziehbaren Gründen erklärt, mangels Kontakt zu seiner Mandantschaft von der gewährten Vollmacht keinen Gebrauch machen zu können und daher nicht als deren Vertreter aufzutreten, von einer Urteilsverkündung in Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vollmacht ausgegangen werden würde. Denn bei fehlender Verteidigungsbereitschaft ist auch im Hinblick auf die Einhaltung der Berufungseinlegungsfrist das rechtliche Gehör bzw. die effektive Verteidigung betroffen.

Allein der Umstand, dass der Verteidiger vorliegend nach dieser Erklärung ausweislich des Protokolls tatsächlich im Sitzungssaal verblieb, vermag daran nichts zu ändern. Gleiches gilt auch für den Umstand, dass vorliegend das Mandat des Verteidigers erst deutlich später gekündigt worden ist.

Daneben spricht dafür auch der nahezu identisch formulierte Wortlaut der beiden Normen. Während es nach § 329 Abs. 1 StPO darauf ankommt, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist, kommt es für die Bestimmung der Restmittelfrist nach § 314 Abs. 2, 2. HS StPO darauf an, ob ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war. Vor diesem Hintergrund wäre es widersprüchlich, in den Wortlaut von § 329 Abs. 1 StPO das Erfordernis der Verteidigungsbereitschaft hineinzulesen, in den von § 314 Abs. 2, 2. HS StPO hingegen nicht.

Für die oben genannte Auslegung spricht letztlich auch ein Vergleich mit der ähnlich gelagerten Konstellation, dass ein Angeklagter, der sich vor dem Ende der Urteilsverkündung aus dem Saal entfernt oder der entfernt wird, als bei der Verkündung nicht anwesend zu gelten hat und infolgedessen die Revisionseinlegungsfrist nach § 341 Abs. 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt. Die Urteilsverkündung dient insbesondere dazu, den Verfahrensbeteiligten die Kenntnis zu vermitteln, wie das Gericht entschieden und aus welchen Gründen es so erkannt hat (vgl. BGH NStZ 2000, 498, beck-online). Dieser Informationsfunktion würde vorliegend nicht entsprochen, wenn man trotz des unklaren Vertretungsverhältnisses von einem Fall des § 314 Abs. 2, 2. HS StPO ausginge.

3. Angesichts des Umstandes, dass es somit vorliegend nicht auf die Verkündung des Urteils am 04.09.2024, sondern auf die Zustellung an den Verteidiger am 10.09.2024 ankam, war das am 16.09.2024 eingelegte Rechtsmittel nicht verspätet.“

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