Heute dann mal wieder ein „Verkehrsrechtstag“, also Entscheidungen zum Verkehrs(strafrecht). Einmal K, zweimal AG.
Ich starte mit dem KG, Beschl. v. 07.03.2025 – 3 ORs 8/25 – 121 SRs 5/25 -, der sich u.a. zur Fahrerlaubnispflicht bei motorisierten Krankenfahrstühlen äußert.
Das AG hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot von sechs Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung mit dem Ziel des Freispruchs eingelegt. Das LG hat dann das amtsgerichtliche Urteil dahin abgeändert, dass es die Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt und das Fahrverbot entfallen lassen hat. Hinsichtlich eines Tatvorwurfes des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insbesondere trägt sie vor, das Berufungsgericht habe zu Unrecht Tatidentität im Sinne des § 264 StPO angenommen und daher auch keine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vornehmen dürfen. Ferner sei unklar, welches genaue geschichtliche Geschehen den der Angeklagten gemachte Tatvorwurf umfasse. Darüber hinaus liege weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit vor.
Die Revision hatte Erfolg. Ich beschränke mich hier auf die Ausführungen des KG zur Fahreralubnispflicht. Den Rest ggf. bitte selbst lesen. Das KG führt aus:
„b) Die Urteilsgründe halten jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn die Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des von der Angeklagten gesteuerten Fahrzeuges und die diesbezüglich vorgenommene Beweiswürdigung sind lückenhaft.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Fahrerlaubnis – Verordnung (FeV) sind motorisierte Krankenfahrstühle fahrerlaubnisfrei. Eine Prüfbescheinigung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FeV ist nicht erforderlich. Nach im Fahrerlaubnis- und Zulassungsrecht übereinstimmender Legaldefinition sind motorisierte Krankenfahrstühle einsitzige, nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit Elektroantrieb, einer Leermasse von nicht mehr als 300 kg einschließlich Batterien jedoch ohne Fahrer, einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 500 kg, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h, und einer Breite über alles von maximal 110 cm (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV, § 2 Nr. 13 Fahrzeug – Zulassungsverordnung). Die Definition ist abschließend, alle genannten Merkmale müssen kumulativ vorhanden sein. Die Bezeichnung motorisierte Krankenfahrstühle ist nicht Bestandteil der Legaldefinition, sondern der Gegenstand, auf den sie sich bezieht (vgl. Koehl in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht 48. Aufl., FeV § 4 Rn. 27).
Das Tatgericht hat zutreffend erkannt, dass schon allein der Wegfall eines Merkmals die Fahrerlaubnisfreiheit entfallen lässt. Ausweislich der Urteilsgründe mangelte es vorliegend am Merkmal der „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 15 km/h“. Den getroffenen Feststellungen ist insoweit zu entnehmen, dass es sich „bei dem Fahrzeug, das mit dem Versicherungskennzeichen 802NBD versehen war um einen so genannten Krankenfahrstuhl handelte, der das Aussehen eines kleinen Personenkraftwagens hat“ und „auf dessen Heck ein großer runder Aufkleber mit der Aufschrift „25“ für die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 25km/h angebracht“ war. Weitere Feststellungen zur tatsächlichen bauartbedingen Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges enthält das Urteil nicht
Auch die vorgenommene Beweiswürdigung ist in diesem entscheidenden Punkt lückenhaft.
Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr., vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. Juni 2022 – 202 ObOWi 678/22 –, juris). Die Prüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich – rechtlicher Hinsicht nur der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden oder sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (st. Rspr., vgl. zuletzt nur BGH, Urteile vom 23. März 2023 – 3 StR 277/22 – und 16. März 2023 – 4 StR 252/22 –; BGH, Beschluss vom 2. März 2023 – 2 StR 119/22 –; Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 – 3 Ws (B) 174/20 –, jeweils bei juris).
Das Tatgericht stützt seine Überzeugung zur bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeuges ausschließlich darauf, dass das Fahrzeug einen Aufkleber mit der Aufschrift „25“ gemäß § 58 Straßenverkehrs – Zulassungs – Ordnung (StVZO) trug. Allein aus diesem Umstand kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass das Fahrzeug bauartbedingt tatsächlich über eine entsprechende Motorisierung verfügt. Die Berufungskammer leitet diesen Umstand ausschließlich aus der Bezugnahme auf die sich hierzu in der Akte befindenden Lichtbilder ab, ohne dass insoweit eine weitere Aufklärung erfolgt wäre. Allein vom Vorhandensein des Aufklebers, der im Übrigen vom Fahrzeughalter selbst anzubringen ist (vgl. Koehl in Hentschel/König, a.a.O., StVZO, § 58 Rn. 1), kann nicht darauf geschlossen werden, welche Höchstgeschwindigkeit (mehr oder weniger als 25 km/h) das Fahrzeug tatsächlich erzielen kann. Angesichts der Vielzahl der sich im Umlauf befindenden und verwendeten Aufkleber und Beschilderungen kann hieraus kein rechtlicher Rückschluss auf die tatsächliche Höchstgeschwindigkeit eines Fahrzeuges gezogen werden.
c) Da sich aus der Gesamtheit der Urteilsgründe auch keine weiteren Angaben zur Beschaffenheit des Fahrzeuges (einsitzig, Elektroantrieb etc.) ergeben, bleibt dem Revisionsgericht die Prüfung verschlossen, ob die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV aus anderen Gründen fällt.“
So weit, so gut. Was mich mal wieder an der Entscheidung stört, ist eine Formulierung, die man so oder ähnlich häufig liest, nämlich: „Der zulässigen Revision der Angeklagten kann der Erfolg nicht versagt bleiben.“ Ich frage mich immer, warum man nicht einfach schreibt: „Die Revision hat Erfolg.“ Dieses „…. kann der Erfolg nicht versagt bleiben.“ liest sich immer, als ob man das Urteil nur ungern aufhebt, was einem nicht gefällt, aber man muss nun mal aufheben. Nein. Die Revision ist begründet. Und gut ist es. Ob mir das als Revisionsrichter gefällt, ist doch völlig egal.