Heute habe ich im „Kessel Buntes“ zwei zivilrechtliche Entscheidungen.
Zunächst kommt hier etwas vom BGH, und zwar das BGH, Urt. v. 28.01.2025 – VI ZR 300/24 – zur fiktiven Schadensabrechnung im Rahmen der Unfallschadenregulierung.
Folgender Sachverhalt: Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Meinerzhagen in Anspruch. Bei diesem Verkehrsunfall war im März 2022 das in Deutschland zugelassene Fahrzeug des in Deutschland wohnenden Klägers beschädigt worden. Das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage er seinen Schaden gegenüber der Beklagten abrechnete, wies Reparaturkosten in Höhe von 3.087,80 EUR netto aus. Während eines Urlaubs in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig sach- und fachgerecht reparieren. Zu den Kosten dieser Reparatur macht er keine Angaben.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz in Höhe von 4.178,05 EUR (3.087,80 EUR Reparaturkosten, merkantiler Minderwert, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung, Unkostenpauschale) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen. Das AG hat die Klage abgewiesen, da diese unschlüssig sei; der Kläger könne nur die im Ausland tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen, zu denen er aber nicht vorgetragen habe.
Auf die Berufung des Klägers hat das LG das Urteil des AG teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte auf der Grundlage einer Haftungsquote von 40 % zu ihren Lasten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.583,48 EUR (davon 1.132,38 EUR Reparaturkosten) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen verurteilt. Mit der vom LG zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des AG. Ohne Erfolg:
„2. Das Berufungsgericht hat aufgrund der vom Kläger gewählten fiktiven Schadensabrechnung die Reparaturkosten rechtsfehlerfrei zuerkannt. Entgegen der Ansicht der Revision war der Kläger nicht verpflichtet, zu den tatsächlichen Kosten der sach- und fachgerecht durchgeführten Reparatur in der Türkei vorzutragen.
a) Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19 , NJW 2020, 144 Rn. 9 mwN). Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht „verdienen“. Diese Grundsätze gelten sowohl für die konkrete als auch für die fiktive Schadensabrechnung ( Senatsurteile vom 26. Mai 2023 – VI ZR 274/22 , NJW 2023, 2421 Rn. 8; vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19 , NJW 2020, 144 Rn. 11 f. mwN).
Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufrieden gibt (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19 , NJW 2022, 543 Rn. 19; vom 24. Januar 2017 – VI ZR 146/16 , NJW 2017, 1664 Rn. 6; vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214Rn. 10; jeweils mwN).
b) Nach diesen Grundsätzen hat der Geschädigte regelmäßig Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon, ob er das Fahrzeug voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Bei der fiktiven Schadensabrechnung genügt der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Allgemeinen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat; dasselbe gilt für die Kosten der Ersatzteile ( Senatsurteil vom 26. Mai 2023 – VI ZR 274/22 , NJW 2023, 2421 Rn. 9 mwN). Allerdings muss sich der Geschädigte bei fiktiver Schadensabrechnung gemäß § 254 Abs. 2 BGB vom Schädiger – auch noch im Rechtsstreit – auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn der Schädiger darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden ( Senatsurteile vom 18. Februar 2020 – VI ZR 115/19 , NJW 2020, 1795 Rn. 8; vom 25. September 2018 – VI ZR 65/18 , NJW 2019, 852 Rn. 6; vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214Rn. 9; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09 , NJW 2010, 2725 Rn. 7; vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 , BGHZ 183, 21 Rn. 9; jeweils mwN).
c) Angesichts dieser Rechtslage hat der Senat entschieden, dass auf der Grundlage einer preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen ist, wenn ein Verweis der Schädigerseite darauf nicht einmal erforderlich ist, weil der Geschädigte die Möglichkeit einer vollständigen und fachgerechten, aber preiswerteren Reparatur selbst darlegt und sogar wahrgenommen hat ( Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214Rn. 11).
Mit Verweis auf dieses Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 (VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214) vertreten nicht nur die Revision und das Amtsgericht im Streitfall, sondern auch Teile der Rechtsprechung und Literatur die Ansicht, wenn eine sach- und fachgerechte Reparatur des Fahrzeugs in dem Umfang erfolgt sei, den der Sachverständige für notwendig gehalten habe, dann sei der Schadensersatz auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten begrenzt. Andernfalls bestehe die Gefahr einer unzulässigen Bereicherung durch den Unfall. Die Forderung weiterer fiktiver Reparaturkosten sei dann unschlüssig (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 6. Mai 2016 – 11 U 93/15 , juris Rn. 5 f. mit zust. Anm. Exter, NZV 2017, 582; OLG Stuttgart, NJW 2014, 3317, 3319 mit abl. Anm. Druckenbrodt; OLG Schleswig,DAR 2017, 145, juris Rn. 37; Zwickel in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl., § 27 Rn. 27.43 und 27.45). Auf dieser Grundlage wird eine Verpflichtung zur Darlegung der tatsächlichen Reparaturkosten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 6. Mai 2016 – 11 U 93/15 , juris Rn. 6; OLG Schleswig,DAR 2017, 145, juris Rn. 30) oder zur Vorlage der Reparaturrechnung (Staudinger/Höpfner, BGB (2021), § 249 Rn. 240; Wimber in Burmann/Heß/Hühnermann, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl., § 249 BGB Rn. 34a) angenommen.
Die Gegenmeinung verweist darauf, wenn der Geschädigte bei erfolgter sach- und fachgerechter Reparatur den tatsächlichen Aufwand darlegen müsse, bedeute dies die Aufgabe der Rechtsprechung zur fiktiven Abrechnung. Dies sei dem Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 (VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214) nicht zu entnehmen und führe zu zufälligen Ergebnissen, je nachdem, ob der Geschädigte die Reparatur vor oder nach Abschluss der Schadensregulierung durchführen lasse (vgl. OLG München, NJW-RR 2021, 340 Rn. 10 ff. mit zust. Anm. Figgener, NJW-Spezial 2021, 75; KG,VersR 2018, 758, 759, juris Rn. 9; Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB, Stand: 14.10.2024, Rn. 147; Freymann, ZfSch 2019, 4, 7; wohl auch Geigel/Schmidt, Der Haftpflichtprozess, 29. Aufl., Kapitel 36 Rn. 25 aE).
d) Die zuerst genannte Ansicht wie auch die Revision, die der Meinung ist, der Kläger müsse im Streitfall zu den Reparaturkosten in der Türkei vortragen, verkennen die Tragweite der Ersetzungsbefugnis und der Dispositionsfreiheit des Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. hierzu näher Senatsurteil vom 29. Januar 2019 – VI ZR 481/17 , NJW 2019, 1669 Rn. 21 f.). Bei der fiktiven Abrechnung hat der Geschädigte weder darzulegen, dass er seinen Unfallwagen hat reparieren lassen, noch auf welche Weise und in welchem Umfang die Reparatur durchgeführt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19 , NJW 2022, 543 Rn. 19; vom 17. September 2019 – VI ZR 396/18 , NJW 2020, 236 Rn. 9; jeweils mwN). Dem Geschädigten kann auch nicht mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung oder Vortrags zu den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten Schadensersatz versagt werden. Richtschnur für den vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu leistenden Ersatz sind nicht die vom Geschädigten tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten, sondern der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag ( Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 – VI ZR 513/19 , NJW 2022, 543 Rn. 19). Bei der Ermittlung dieses Betrags sind im Rahmen der fiktiven Abrechnung Gesichtspunkte, die eine tatsächlich durchgeführte Reparatur (gleich an welchem Ort) betreffen, grundsätzlich irrelevant.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 (VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214). Darin heißt es zwar: „Deshalb beläuft sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten, wenn der Geschädigte seinen Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren lässt, den der eingeschaltete Sachverständige für notwendig gehalten hat, und die von der beauftragten Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten unterschreiten“ ( Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13 ,VersR 2014, 214Rn. 12). Diese Aussage bezieht sich jedoch auf einen vom Streitfall abweichenden Sachverhalt. Im dortigen Fall war ein Verweis der Schädigerseite auf eine gleichwertige, aber günstigere Reparaturmöglichkeit in einer dem Geschädigten mühelos und ohne Weiteres zugänglichen Werkstatt nicht erforderlich, weil der Geschädigte hierzu selbst – auch zu den Kosten der in einer Fachwerkstatt an seinem Wohnort durchgeführten Reparatur – vorgetragen hatte. Damit hatte der Geschädigte selbst eingeräumt, dass die Voraussetzungen der Schadensminderungspflicht erfüllt sind.
So liegt der Fall hier aber nicht. Der Kläger hat die fiktive Abrechnung der Reparaturkosten gewählt und nicht selbst zu einer gleichwertigen, aber günstigeren Reparaturmöglichkeit in einer ihm mühelos und ohne Weiteres zugänglichen Werkstatt vorgetragen. Um eine solche Werkstatt, auf die die Beklagte den Kläger hätte verweisen können, handelt es sich bei der Reparaturmöglichkeit in der Türkei von vornherein nicht, wie die Revision selbst erkennt (vgl. zu einer 130 km entfernten Werkstatt mit einer Annahmestelle am Wohnsitz des Geschädigten Senatsurteil vom 28. April 2015 – VI ZR 267/14 , NJW 2015, 2110 Rn. 14 mwN). Etwaige finanzielle Vorteile, die der in Deutschland wohnende Kläger durch die Reparatur seines hier zugelassenen Fahrzeugs in der Türkei erzielt hat, sind im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nicht zu berücksichtigen.“