U-Haft II: Zu langes Festhalten eines Beschuldigten, oder: Grundrechtseingriff ohne Anfangsverdacht

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Und dann die zweite Haftentscheidung. Es handelt sich um den AG Bremen, Beschl. v. 20.02.2025 – Gs 1061/24 (220 Js 60143/24), der in einem bereits eingestellten Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch im besonders schweren Fall ergangen ist.

Grundlage war folgender Sachverhalt: Am 26.07.2024 ist es um 23:14 Uhr zunächst am Osterstorsteinweg in Bremen von einer ca. 50-köpfigen in schwarz gekleideter Gruppe, deren Mitglieder vermummt waren, zu einem Angriff mit pyrotechnischen Gegenständen gegen den Polizeiwagen Roland 5118 gekommen. Die Gruppe begab sich sodann fußläufig in Richtung Sielwallkreuzung. Auf der Anfahrt des hinzugezogenen Polizeiwagens Roland 5101 kam diesem auf Höhe des Cafe Piano eine Gruppe von ca. 15 vermummten Personen aus Richtung des Ziegenmarktes entgegen. Einige der Personen trugen Banner in den Händen auf denen der Spruch „Free all Antifas“ zu lesen war. Bei dem Erblicken des Streifenwagens begannen sodann mehrere unbekannte Täter unvermittelt mit Steinen auf den Streifenwagen zu werfen. Einer der Steine traf dabei die Windschutzscheibe des Streifenwagens, die dadurch riss. Die Gruppe der Angreifenden löste sich daraufhin in zwei verschiedene Gruppen auf, die zum einen in Richtung Fehrfeld und zum anderen in Richtung Linienstraße flüchtete. Dies geschah frühestens um 23:15 Uhr.

Um 23:22 Uhr konnte auf einer Überwachungskamera der Aral Tankstelle in der Bismarckstraße eine Personengruppe von zumindest drei bis vier Personen wahrgenommen werden. Darunter befand sich jedenfalls um 23:27 Uhr der ehemals Mitbeschuldigte pp.

Um 23:45 Uhr wurde von der Polizei Bremen im Zuge von Fahndungsmaßnahmen, die nach den beiden Angriffen auf Polizeifahrzeuge eingeleitet worden sind, an der Haltstelle Bismarckstraße/Stader Straße eine Gruppe von zwölf Personen festgestellt werden. Diese zwölf Gruppenmitglieder wurden von der Polizei Bremen als Beschuldigte des besonders schweren Landfriedensbruchs eingestuft und einer Kontrolle unterzogen. Bei ihnen handelte es sich um die ehemals Beschuldigten.

Die Personen wurden durchsucht, vorläufig festgenommen und einer erkennungsdienstlichen Untersuchung unterzogen. Ihre Handys und andere Gegenstände wurden beschlagnahmt.

Der hier ehemals Beschuldigte pp. wurde erst am 27.07.2024 um 08:35 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Am 23.08.2024 verfügte die Staatsanwaltschaft die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen die zwölf Beschuldigten und verfügte die Herausgabe der beschlagnahmten Beweismittel.

Der (ehemalige) Beschuldigte hatte gerichtliche Überprüfung seiner Freiheitsentziehung beantragt. Und er hatte mit seinem Antrag Erfolg:

„Der Antrag entsprechend § 98 Abs. 2 S. 2 StPO ist zulässig und begründet.

Die Vorschrift ist entsprechend auf die nachträgliche gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit bereits durch Vollzug erledigter Eingriffsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen anzuwenden (vgl. Meyer-Goßner/Köhler § 98 Rn. 23 m.w.N.). Bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff bei dem eine gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren wegen der kurzfristigen Zeitspanne der Maßnahme nicht mehr erreicht werden kann, bei anhaltenden Folgen des Eingriffs oder einer greifbaren Wiederholungsgefahr ist ein solcher Antrag zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Köhler a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt vor § 296 Rn. 18a m.w.N.).

Das über einen Zeitraum von mehr als acht Stunden andauernde Festhalten des Beschuldigten stellt einen solchen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar. Die Speicherung der durch die erkennungsdienstliche Maßnahme erlangten Daten dauert derzeit noch an, so dass auch die gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahme zulässig ist.

Es war hier auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit beider Maßnahmen auszusprechen.

Für eine Festnahme nach den §§ 127 Abs.1 oder Abs. 2 StPO, wie sie die Polizei Bremen zugrunde gelegt hat (vgl. BI. 57 Sonderband Personen) lagen die Voraussetzungen nicht vor. Der ehemals Beschuldigte war weder gemäß § 127 Abs. 1 StPO auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, noch der Flucht verdächtig, noch konnte seine Identität nicht sofort festgestellt werden. Vielmehr wurde der ehemals Beschuldigte erst eine halbe Stunde nach der Tatbegehung und ca. 2,2 km vom Tatort entfernt von der Polizei angetroffen. Seine Identität konnte durch den mitgeführten Reisepass noch am Antreffort geklärt werden.

Auch ein dringender Tatverdacht im Sinne der Voraussetzung eines Haftbefehls nach § 127 Abs. 2 StPO war nicht gegeben. Hier lag noch nicht einmal ein einfacher Anfangsverdacht vor. Zwar hätte der ehemals Beschuldigte zu Fuß vom Tatort zum Antreffort innerhalb einer halben Stunde gelangen können und er hatte auch schwarze Kleidung getragen. Dies allein reicht aber nach Einschätzung des Gerichts nicht aus, um an einem Freitag Abend einen Anfangsverdacht für eine Tatbeteiligung anzunehmen. Dies würde eine Vielzahl von Personen, die sich dunkel kleiden und sich an einer Haltestelle befinden in einen Anfangsverdacht rücken. Zumal der ehemals Beschuldigte sich in Begleitung von Personen befand, die sich wegen ihrer auffälligen farbenfrohen Kleidung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht in der gesuchten Tätergruppe befunden haben können. Andere Verdachtsmomente als die dargestellten Verdachtsmomente ergeben sich aus der Ermittlungsakte nicht.

Wegen des mangelnden Anfangsverdachts war auch die durchgeführte erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Abs. 1 rechtswidrig.“

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