Im zweiten Beitrag, dem OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.02.2025 – 2 ORs 350 SRs 613/24 – geht es noch einmal um die Strafbarkeit von Straßenblockaden als Nötigung. Die Fragen beschäftigen die Gerichte ja nun schon eine ganze Weile, die Häufigkeit hat aber inzwischen abgenommen. Daher gibt es die Entscheidung auch in der „normalen“ Berichterstattung zum StGB.
Das LG hatte den Angeklagten zum Teil frei gesprochen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft und die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg, die des Angeklagten nur hinsichtlich des Strafausspruchs.
Folgender Sachverhalt: Dem Angeklagten wird vorgeworfen, sich am 16.05.2022 und am 23.05.2022 in Freiburg an Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ beteiligt zu haben. Das AG hat ihn deshalb wegen Nötigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG ihn hinsichtlich der Tat vom 23.05.2022 freigesprochen, im Übrigen hat es ihn wegen Nötigung mehrer anderer Strafen zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach den vom LG getroffenen Feststellungen blockierten der Angeklagte und weitere Beteiligte unter dem Motto „Stoppt den fossilen Wahnsinn“ an den beiden Tattagen im Stadtgebiet von Freiburg die die Stadt in Ost-West-Richtung querende Hauptverkehrsachse B 31/31a jeweils in östlicher Richtung, am 16.5.2022 um 8:12 Uhr auf Höhe der Günterstalstraße, am 23.5.2022 gegen 10:46 Uhr an der Fußgängerampel in Höhe der Brauerei Ganter, indem sie sich jeweils über alle Fahrspuren hinweg auf die Fahrbahn setzten, wobei sich einige der Beteiligten, am 23.5.2022 auch der Angeklagte, mit den Händen an der Fahrbahn festklebten. Dadurch kam bei beiden Aktionen – wie vom Angeklagten und seinen Mitstreitern beabsichtigt – der Verkehr auf der blockierten Strecke vollständig zum Erliegen, so dass es am 16.05.2022 zu einem etwa 5 km langen, am 23.05.2022 zu einem etwa 1,3 km langen Rückstau kam. Die Blockade wurde jeweils erst dadurch beendet, dass die Polizei die Fahrbahn räumte, wobei am 16.05.2022 eine von zwei Fahrspuren ab 8:30 Uhr wieder befahren werden konnte und die Fahrbahn um 9:18 Uhr wieder vollständig frei war; die durch die Blockade ausgelösten Verkehrsbeeinträchtigungen waren jedoch erst um 9:48 Uhr gänzlich beseitigt. Am 23.05.2022 war die Räumung um 11:22 Uhr beendet, jedoch konnten sämtliche von der Blockade betroffenen Verkehrsteilnehmer bis 11:10 Uhr aus dem betroffenen Streckenabschnitt ausgeleitet werden. Den Teilfreispruch hat das LG damit begründet, dass am 23.05.2022 bereits um 10:48 Uhr eine Rettungsgasse gebildet worden war, die auch von den Autofahrern hätte genutzt werden können. Auch wenn es sich dabei um ein nicht erlaubtes Tun gehandelt hätte, meinte die Strafkammer, dass es deshalb an der Schaffung eines physischen Hindernisses durch den Angeklagten und seine Mitstreiter und damit an einer Nötigung mit Gewalt gefehlt habe, wie sie der Tatbestand der Nötigung voraussetzt.
Dazu das OLG:
„1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft beanstandet zurecht, dass der Teilfreispruch von den dazu getroffenen Feststellungen nicht getragen wird, aus denen sich vielmehr ergibt, dass der Angeklagte und die weiteren an der Blockade beteiligten Personen, deren Handeln sich der Angeklagte nach den Grundsätzen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zurechnen lassen muss, den Tatbestand der Nötigung verwirklicht haben.
a) Der Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) besteht darin, dass der Täter einen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.
aa) Daraus ergibt sich zum einen, dass ein vom Täter auf einen anderen ausgeübter Zwang nur dann den Tatbestand erfüllt, wenn der Zwang mit einem der in § 240 Abs. 1 StGB bezeichneten Nötigungsmittel ausgeübt wird. Gewalt wird dabei als physisch wirkender Zwang verstanden, wohingegen die von der bloßen körperlichen Anwesenheit ausgehende psychische Zwangswirkung auf einen anderen nicht ausreicht (BVerfGE 73, 206; 104, 92).
(1) Bei Sitzblockaden und ähnlichen Aktionen ist deshalb zunächst zu unterscheiden: Sehen sich Kraftfahrer allein dadurch am Weiterkommen gehindert, weil sich ihnen Blockierer in den Weg stellen, üben Letztere allein einen psychisch wirkenden Zwang aus und handeln daher nicht mit Gewalt. Nutzen die Teilnehmer einer Straßenblockade aber bewusst das durch das Anhalten der in der ersten Reihe anhaltenden Fahrzeuge geschaffene Hindernis zur Behinderung nachfolgender Kraftfahrer aus, beruht die Zwangswirkung insoweit auf dem von dem physischen Hindernis der in der ersten Reihe stehenden Fahrzeuge ausgehenden körperlich wirkenden Zwang und damit auf Gewalt im Sinn des § 240 Abs. 1 StGB (sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung, BGHSt 41, 182 und 231; BVerfG NJW 2011, 3020).
(2) Bei Blockadeaktionen kann gewaltsames Handeln aber auch deshalb vorliegen, weil sich die Teilnehmer nicht auf die bloße Anwesenheit am Tatort beschränken, sondern durch weitere Handlungen ein auch physisch wirkendes Hindernis errichten. Dies ist etwa der Fall, wenn sie nur schwer zu beseitigende Gegenstände als Hilfsmittel einsetzen (BGHSt 44, 34) oder sich festketten (BVerfGE 104, 92 – bei juris Rn. 33; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 32). Ein solches nicht ohne Weiteres zu beseitigendes körperliches Hindernis wird indes entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung auch dadurch geschaffen, dass sich Blockierer an der Fahrbahn festkleben (OLG Karlsruhe – Senat, Urteil vom 15.8.2024 – 2 ORs 350 SRs 160/23 [n.v.]; KG NJW 2023, 2792).
bb) § 240 StGB ist zum anderen als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Der Einsatz der Gewalt muss deshalb in kausalem Sinne zu dem vom Täter erstrebten Verhalten des Opfers führen. Vollendet ist die Nötigung dann, wenn der Genötigte die verlangte Handlung vorgenommen hat.
b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe war der Tatbestand der Nötigung durch das – nach den Feststellungen auch hinsichtlich des Erfolgs vom Vorsatz des Angeklagten umfasste – Handeln der an der Blockade beteiligten Personen aber bereits dann vollständig verwirklicht, als sie die erste Reihe der Autofahrer zum Stillstand gebracht und damit für die nachfolgenden Autofahrer ein physisch wirkendes Hindernis geschaffen hatten, das diese am Fortkommen hinderte. Die in der Folge – wenn auch nach den getroffenen Feststellungen nur mit geringem zeitlichem Versatz – eingetretenen Umstände, namentlich die Bildung einer Rettungsgasse, vermögen daran nichts mehr zu ändern, sondern sind vielmehr allein für die Beurteilung der Verwerflichkeit des Handelns des Angeklagten bzw. der Bestimmung des Schuldumfangs als Grundlage der Strafzumessung von Bedeutung. Soweit das Ausmaß der Auswirkungen der Blockade auch durch das Handeln der davon betroffenen Opfer mitbestimmt wird, können von diesen unterlassene Bemühungen den Angeklagten in diesem Rahmen nur entlasten, soweit ein entsprechendes Handeln geboten oder doch mindestens zumutbar war. Von Autofahrern kann jedoch ungeachtet des Bestehens eines dahingehenden Verbots (für Rettungsgassen auf Autobahnen oder außerorts liegenden Straßen § 11 Abs. 2 StVO, Nr. 50a der Anlage zu § 1 Abs. 1 StVO) nicht erwartet werden, dass sie eine für Einsatzfahrzeuge der Polizei und von Rettungsdiensten gebildete Rettungsgasse für das eigene Fortkommen nutzen.
Im Übrigen lässt die Bewertung im angefochtenen Urteil außer Acht, dass auch das Erzwingen einer Umfahrung der durch Errichten eines physischen Hindernisses erfolgten Blockade bereits einen Nötigungserfolg in Form einer Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit der davon betroffenen Personen darstellt, zumal nach den getroffenen Feststellungen eine Umfahrung nur als Sickerverkehr durch Wohngebiete möglich gewesen wäre, der jedenfalls für den Schwerlastverkehr mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre (UA S. 11).
Unter Berücksichtigung, dass die – für sich genommen rechtsfehlerfrei – getroffenen Feststellungen – unangekündigte auf unbestimmte Dauer angelegte Blockade einer dadurch für mehr als zwanzig Minuten nicht befahrbaren Hauptverkehrsstraße mit ganz erheblicher Störung des Verkehrs – die Annahme fehlender Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) des Handelns des Angeklagten als eher fernliegend erscheinen lassen, führt der aufgezeigte Rechtsfehler zur Aufhebung des Teilfreispruchs (§ 353 Abs. 1 StPO). Um dem Angeklagten seine Verteidigungsmöglichkeiten zu erhalten, ist die Aufhebung dabei gemäß § 353 Abs. 2 StPO auch auf die Feststellungen zu erstrecken, die nicht auf seinem Geständnis beruhen (BGH NJW 1992, 382)
1. Die Revision des Angeklagten
Die Überprüfung der Verurteilung des Angeklagten wegen der Tat vom 16.5.2022 deckt keine Rechtsfehler auf.
a) Die in der Revisionsbegründung gegen die Prüfung der Verwerflichkeit der vom Angeklagten und seinen Mittätern begangenen Nötigung vorgebrachten Angriffe gehen fehl. Die Strafkammer hat unter Zugrundelegung des zutreffenden rechtlichen Maßstabes (zusammenfassend OLG Karlsruhe – Senat, Urteil vom 20.2.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23 = NZV 2024, 392 m.w.N.) eine Abwägung des Rechts des Angeklagten auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) mit den Freiheitsrechten der von der Blockadeaktion betroffenen Personen unter Berücksichtigung der dafür maßgeblichen Umstände vorgenommen. Die Kammer hat dabei zulässigerweise (BVerfGE 104, 92 [Rn. 64]) in den Blick genommen, dass eine konkrete Ankündigung der Protestaktion nicht erfolgt war und die durch die Blockade beeinträchtigten Autofahrer nur einen eingeschränkten Sachbezug zu dem mit der Protestaktion verfolgten Anliegen hatten.
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