Archiv für den Monat: Juni 2024

Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG ja/nein?, oder: Rücknahme des Aktenversendungsantrags

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Und dann hier – etwas später als sonst die erste Entscheidung aus dem Bereicht kostenrechtliche Entscheidungen. davon gibt es dann heute zwei.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 AR 8/24 -, der sich noch einmal/mal wieder zur Aktenversendungspauschale äußert.

Ergangen ist der Beschluss nach einem Zivilverfahren. Mit einem am 09.02.2024 beim KG eingegangenen Schriftsatz hatte der Rechtsanwalt erklärt, für die Beklagte Berufung gegen ein Urteil des LG Berlin vom 05.01.2024 einzulegen. In demselben Schriftsatz hat er zugleich beantragt, ihm kurzfristig Akteneinsicht zu gewähren durch Übersendung der Akte in seine Kanzlei. Mit Verfügung vom 04.03.2024 hat der Vorsitzende des 19. Zivilsenats Akteneinsicht wie beantragt bewilligt. Noch am 04.03.2024 hat die Geschäftsstelle des 19. Zivilsenats verfügt, die Akte an den Erinnerungsführer zu versenden, und ihm dies in einem Anschreiben vom selben Tage mitgeteilt. Mit Kostenansatz vom 04.03.2024 ist dem dort als Kostenschuldner benannten Rechtsanwalt hierfür eine Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 GKG-KV in Höhe von 12,- EUR in Rechnung gestellt worden.

Mit am 07.03.2024 beim KG eingegangenen Schriftsatz hat der Rechtsanwalt erklärt, für die Beklagte die Berufung zurückzunehmen. Ferner hat er erklärt, die beantragte Gewährung auf Akteneinsicht könne aufgrund der Berufungsrücknahme als gegenstandslos angesehen werden; er hat hinzugesetzt, die Akte bislang auch nicht erhalten zu haben.

Die Akte ist dem Erinnerungsführer erst am 12.03.2024 zugegangen, nachdem sie zunächst bei einer anderen Rechtsanwaltskanzlei eingegangen war.

Der Rechtsanwalt hat am 16.04.2024 Erinnerung gegen die Erhebung der Aktenversendungspauschale eingelegt. Er hat vorgetragen, am 07.03.2024 habe ihn die genannte andere Rechtsanwaltskanzlei darüber informiert, dass bei ihr „die mit einem an [den Erinnerungsführer] adressierten Übersendungsschreiben des Kammergerichts versehene Akte“ zugegangen sei. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des 19. Zivilsenats hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Die hatte dann auch beim KG keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

    1. Kostenschuldner einer Aktenversendungspauschale ist nach § 28 Abs. 2 GKG derjenige, der mit seiner Antragserklärung gegenüber der aktenführenden Stelle die Aktenversendung unmittelbar veranlasst; wenn ein Rechtsanwalt die entsprechende Antragserklärung gegenüber der aktenführenden Stelle abgibt, ist somit der Rechtsanwalt selbst alleiniger Kostenschuldner. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den bei Auslegung von Prozesserklärungen zu beachtenden Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht, kann eine von dem die Aktenübersendung beantragenden Rechtsanwalt „namens der Mandantschaft“ eingelegte Erinnerung gegen den entsprechenden Kostenansatz als für den Rechtsanwalt selbst eingelegte Erinnerung ausgelegt werden.
    2. Für den Anfall der Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 GKG-KV ist erforderlich aber auch ausreichend, dass Akten durch ein Gericht auf Antrag an den Antragsteller (§ 28 Abs. 2 GKG) versendet werden.
    3. Nimmt der eine Aktenversendung Beantragende den Aktenversendungsantrag zurück, nachdem die Akte bereits durch die Geschäftsstelle zur Übersendung in den Geschäftsgang gegeben worden ist, ist generell keine Verpflichtung der aktenversendenden Stelle, nachzuforschen, wo sich die Akte gerade befindet, und zu versuchen, die sich bereits auf den Weg gebrachte Akte anzuhalten oder gar wieder zurückzuholen, anzuerkennen.

Referentenentwurf des BMJ zum KostRÄndG 2025, oder: Kein Grund zum Jubeln, sondern „Gebührenfrechheit“?

Smiley

Am Gebührenfreitag komme ich dann noch einmal auf den Referentenentwurf zum KostRÄndG 2025 zurück, über den ich ja am 18.06.2024 schon kurz berichtet habe (vgl. hier: News: Rechtsanwaltsgebühren werden erhöht, oder: Die RVG-Änderungen kommen).

Dazu eine erste Einschätzung, nachdem ich mir den Entwurf mal näher angesehen habe. Und ich muss sagen: Ich bin enttäuscht, um nicht zu sagen: Im Grunde genommen ist dieser Entwurf eine gebührenrechtliche Frechheit; aber was will man von dem Bundesjustizminister auch schon anderes/besseres erwarten.

Und: Meine Aussage in der o.a. Überschrift ist/war falsch. Denn es kommen keine buw. kaum Änderungen im RVG. Zumindest habe ich keine gefunden, die für die Praxis von Bedeutung sind. Bis auf die lineare Erhöhung der Gebühren ist nicht einer der Änderungswünsche aus dem Eckpunktepapier 2023, das vor allem für Verteidiger interessant wäre (vgl. dazu Höhere Anwaltsgebühren/RVG-Änderungen?, oder: Blick in die Zukunft mit dem „Eckpunktepapier“ 2023). umgesetzt bzw. berücksichtigt. Es tut sich weder etwas hinsichtlich der Einführung von Gebühren für das strafrechtliche Zwischenverfahren noch hinsichtlich der Vergütung des beigeordneten Zeugenbeistands, auch die gebührenrechtlich interessanten und für den Verteidiger wichtigen Fragen betreffend Einscannen von Dokumenten packt man nicht. Das, was im Eckpunktepapier vorgeschlagen war, war ja schon nicht viel, aber dieses ist nun gar nichts. Wo sind denn nun die strukturellen Änderungen, die der BMJ so vollmundig angekündigt hat? Ich finde sie nicht. Ich finde nur eine Anhebung der Geldbußenhöhe im Bußgeldverfahren von 60,00 EUR auf 80,00 EUR, das hat man im Blick. Alle Aachtung.

Ich verkenne die lineare Anhebung der anwaltlichen Gebühren um 9 % nicht. Aber: Im Gespräch waren mal 10 %, wo sind die? Nun ja, die 9 % sind dann wohl der berühmte Spatz in der Hand. Und wo ist die Überlegung geblieben, die Gebühren so zu gestalten, dass sie demnächst in regelmäßigen Abständen automatisch steigen? Nichts. Es bleibt dabei, dass die Anwälte hinter dem BMJ herlaufen müssen und immer wieder: Bitte, bitte machen müssen, wenn es um eine Erhöhung ihrer Gebühren geht. Und das dauert dann – wie jetzt auch – vier Jahre. Das ist ein unwürdiges Spiel, das man hier betreibt.

Abschließend: Wenn ich den Entwurf so sehe, frage ich mich auch: Warum hat das so lange gedauert, bis er endlich vorliegt? Hatte man im BMJ keine ausreichende Zahl an Taschenrechnern, um die neuen Beträge auszurechnen oder womit musste man sich dringen beschäftigen?

So, jetzt genug gemotzt. Sehen wir es positiv: Die Anwaltsgebühren werden um 9 % erhöht. Das ist die gute Nachricht. Mehr passiert aber auch nicht. Das ist die schlechte Nachricht.

Ach so: Auf die Stellungnahme von BRAK und DAV bin ich gespannt. Bitte nicht zu sehr jubeln, denn Grund zum Jubeln gibt es (kaum).

Ab heute mal wieder für 8 Tage Auszeit/Urlaub, oder: Mal wieder Leinen los

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Wenn das Bild im Blog erscheint, weiß derjenige, der hier regelemäßig mitliest: Es ist mal wieder so weit: Auszeit. Und zwar  geht es heute Nachmittag ab, zunächst nach Hamburg. Dort geht es heute Abend in die „Eiskönigin“. Und morgen geht es dann aufs Schiff.

Samstagabend startet dann die Kreuzfahrt „,Metropolen“ – also Hamburg – Southampton/London – Le Harve/Paris – Zeebrügge/Brüssel – Rotterdam – Hamburg. Ich wusste übrigens gar nicht, dass London, Paris und Brüssel so nah am Wasser/Meer liegen 🙂 .

Aber das ist dieses mal auch gar nicht von Bedeutung, denn auf die Ziele kommt es gar nicht so an. Sondern der „Weg ist das Ziel“. Wir haben nämlich besondere Begleitung, da Kinder und Enkelkinder mitfahren. Und das ist das Wichtigste an dieser Reise, die im Grunde meine/unsere Goldhochzeitsfeier ist. Und ich werde ganz sicher nicht mit einer 10- und einer 7-jährigen von Southampton auf Panoramafahrt nach London gehen. Dauer ca. 9.15 Stunden mit dem Bus. Noch Fragen 🙂 ? Also Leinen los und das Schiff erkunden und den Tag mit anderen schönen Dingen verbringen.

Hier geht es in den acht Tagen normal weiter: Die Beiträge sind vorbereitet, alles aber vielleicht nicht ganz so aktuell wie gewohnt. Aber klappt schon. Kommentarfunktion habe ich eingeschaltet gelassen. Ich werde aber kaum schnell antworten, wenn es etwas zu antworten gibt.

Also dann bis zum gesunden „Wiedersehen“.

Verfahrensrüge III: Stoßrichtung von mehreren Rügen, oder: Man muss schon sagen, was man will

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Und dann habe ich hier noch einmal etwas vom OLG Frankfurt am Main, nämlich den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 – 3 ORs 22/23 – zur Abgrenzung und zur jeweiligen Stoßrichtung der Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO einerseits und der Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO andererseits betreffend Feststellungen zum Nettoeinkommen des Angeklagten.

Das AG hat die Angeklagte wegen Körperverletzung in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall und Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,00 EUR verurteilt. Auf ihre Berufung hin hat das LG die Angeklagte am 23.03.2023 zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100,00 EUR verurteilt. Dagegen u.a. die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„1. Soweit der Angeklagte das Verfahren beanstandet, wird eine den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Rüge nicht ausgeführt.

a) Die Revision vermag mit der Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO bzw. mit einer Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO nicht durchzudringen, denn sie entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Kommt nach den vorgetragenen Tatsachen mehr als ein Verfahrensmangel in Betracht, muss die Angriffsrichtung der Rüge bestimmt werden. Es muss im Revisionsvortrag eindeutig konkretisiert werden, welcher behauptete Verfahrensmangel mit welcher Begründung angegriffen wird (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18, NJW 2018, 2279, 2280 Tz. 10; Herb, NStZ-RR 2023, 33, 34 f. m.w.N.).

Für den Senat ist schon die Stoßrichtung der Rüge nicht erkennbar. In Betracht käme die – in die Gestalt einer Sachrüge des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB gekleidete – Verfahrensrüge, dass das Landgericht seine Feststellungen zum Nettoeinkommen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen hat (§ 261 StPO), da ein Nettoverdienst von 3.600 € sich nicht aus der Vernehmung der Angeklagten herleiten lasse. Der Vortrag lässt sich aber auch so verstehen, dass die fehlende Aufklärung des Nettoeinkommens gerügt wird. Allerdings setzte das ausgebliebene „Hinterfragen“ des Nettoeinkommens zunächst einmal voraus, dass die Angeklagte tatsächlich gerade ihr Nettoeinkommen gegenüber dem Landgericht beziffert hätte; das wird aber nicht mit Bestimmtheit behauptet. Es bleibt somit schon unklar, ob die Angeklagte bei der Vernehmung über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Vorderrichter ihr Gehalt als brutto, netto oder ohne eine diesbezügliche Klarstellung angeben haben will.

b) Abgesehen hiervon würden beide Stoßrichtungen der Verfahrensrüge nicht zum Erfolg verhelfen.

aa) Zunächst kann die Revision nicht mit Erfolg rügen, der Vorderrichter habe bei der Vernehmung der Angeklagten über ihre persönlichen Verhältnisse bestimmte, sich aufdrängende Vorhalte nicht gemacht oder bestimmte Fragen nicht gestellt. Denn eine Aufklärungsrüge kann nicht erfolgreich allein auf die Behauptung gestützt werden, ein Angeklagter habe in der Hauptverhandlung anders als im Urteil festgestellt ausgesagt und dies habe dem Tatrichter Anlass zu weiterer Beweiserhebung geben müssen (statt Vieler KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 222). Eine solche Rekonstruktion der Beweisaufnahme ist – abgesehen von Ausnahmefällen bestimmter parater Beweismittel (vgl. KK-StPO/Krehl a.a.O., § 244 Rn. 221 m.w.N.) – de lege lata unzulässig. Vorhalte und Nachfragen sind aber nicht protokollierungspflichtig (KK-StPO/Tiemann a.a.O., § 261 Rn. 216). Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters. Der dafür bestimmte Ort ist das Urteil (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 03.07.1991 – 2 StR 45/91, BGHSt 38, 14, 15 f.).

bb) Auch eine Inbegriffsrüge gem. § 261 StPO mit dem Ziel anzugreifen, im Urteil sei die Aussage der Angeklagten unvollständig, unzutreffend oder überhaupt nicht wiedergegeben oder bewertet worden, ist wegen des Rekonstruktionsverbots unbehelflich. Die Rechtsprechung hat Ausnahmen nur dann zugelassen, wenn der Wortlaut einer in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunde im Urteil unrichtig wiedergegeben worden ist oder in Fällen der wörtlichen Protokollierung einer Aussage (vgl. BGH, Beschl. v. 03.09.1997 – 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212, 214 m.w.N.). So liegt es hier aber nicht. Die Revision trägt vor, dass die mit der Revisionsbegründung vorgelegte Verdienstabrechnung zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht zur Verfügung stand. Mit ihr lässt sich also nicht der Nachweis führen, dass die – nicht wörtlich protokollierte – Einlassung der Angeklagten zu ihrem Einkommen im Urteil unrichtig wiedergegeben ist.

2. Schließlich dringt die Revision auch nicht mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung der Verletzung des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB durch.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Landgericht Gießen bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe ein Nettoeinkommen von 3.600 € zugrunde gelegt hat; das Bruttoeinkommen hat der Vorderrichter nicht festgestellt. Das Vorbringen zur Verdienstabrechnung ist urteilsfremd.“

Verfahrensrüge II: Aufklärungsrüge der StA scheitert, oder: Durchsuchungsbericht fehlt

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Im zweiten Posting stelle ich dann das BGH, Urt. v. 15.05.2024 – 6 StR 374/23 – vor. Das LG hat den Angeklagten vom Vorwurf u.a. des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Die hatte keinen Erfolg:

„1. Mit der Anklage hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, am 18. November 2022 in seiner Wohnung Betäubungsmittel – unter anderem rund 3,7 kg Cannabisblüten und 31,7 g Kokain – gelagert zu haben, die überwiegend zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch ihn bestimmt gewesen seien. Zudem habe er in Griffweite der Betäubungsmittel verschiedene Waffen und waffenähnliche Gegenstände aufbewahrt, darunter eine mit Stahlkugeln geladene Druckgaspistole, eine Armbrust, eine Machete und einen Teleskopschlagstock, die zur Absicherung seiner Betäubungsmittelgeschäfte gedient hätten.

Das Landgericht hat zum Anklagevorwurf keine näheren Feststellungen getroffen. Der Angeklagte hat sich auf sein Schweigerecht berufen. Die Ergebnisse einer bei ihm durchgeführten Wohnungsdurchsuchung hat die Strafkammer für unverwertbar erachtet.

a) Hierzu hat sie in dem angegriffenen Urteil festgestellt, dass der Zeuge KHK M. und weitere Polizeibeamte am Vormittag des 18. November 2022, einem Freitag, zur Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses wegen des Verdachts des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge die vermeintliche Wohnanschrift des Angeklagten aufsuchten. Seine dort lebende Mutter teilte den Beamten mit, dass ihr Sohn nicht mehr bei ihr wohne. Nachdem ihr der Grund der beabsichtigten Durchsuchung erläutert und sie über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden war, erklärte sie, Angaben machen zu wollen, weil ihr Sohn schon längere Zeit Probleme habe. Sie teilte seine neue – etwa vier Kilometer entfernte – Anschrift mit und versicherte den Beamten, dass sie ihn nicht über den polizeilichen Einsatz informieren werde. Zudem erklärte sie sich damit einverstanden, dass Polizeibeamte bei ihr bleiben könnten, bis die Wohnung ihres Sohnes durch die Polizei gesichert sei. Zwei Polizeibeamte blieben sodann bei ihr.

Vor Antritt der etwa fünfminütigen Fahrt zur neuen Anschrift des Angeklagten teilte der Zeuge KHK M. die neuen Erkenntnisse zur Wohnanschrift des Angeklagten telefonisch der zuständigen Dezernentin der Staatsanwaltschaft mit, die sogleich die sofortige Durchsuchung der neuen Wohnung des Angeklagten wegen Gefahr im Verzug anordnete. Die Gründe für die Annahme von Gefahr im Verzug wurden nicht in der Akte dokumentiert.

b) Die Strafkammer hat die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung für unverwertbar erachtet, weil ein bewusster und schwerwiegender Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO vorliege. Für die Annahme von Gefahr im Verzug habe es keine ernsthaften Anknüpfungstatsachen gegeben. Zudem sei ausreichend Zeit und Gelegenheit gewesen, zumindest telefonisch einen Ermittlungsrichter zu erreichen; dies sei aber noch nicht einmal versucht worden.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

1. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Aufklärungsrügen, die jeweils darauf abzielen, das Landgericht hätte wegen unzutreffender Annahme eines Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot weitere Beweise erheben müssen, genügen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und erweisen sich deshalb als unzulässig.

a) Die Beschwerdeführerin hat es jeweils versäumt, den polizeilichen Durchsuchungsbericht vom 22. November 2022 vorzulegen. Dessen hätte es jedoch bedurft, um dem Senat die erforderliche eigene umfassende Überprüfung des Verfahrens im Hinblick auf den behaupteten Rechtsfehler zu ermöglichen. Der Inhalt des anlässlich der Durchsuchung gefertigten polizeilichen Vermerks ist sowohl für die Annahme von Gefahr im Verzug als auch für die Beurteilung des Gewichts eines eventuellen Verfahrensverstoßes von wesentlicher Bedeutung (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 2023 – 6 StR 417/22, Rn. 6; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, Rn. 16; Beschlüsse vom 1. Februar 2022 – 5 StR 373/21; vom 16. Februar 2016 – 5 StR 10/16, Rn. 4; vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11; vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 464/10; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 23; MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 45).

b) Die Vorlage des polizeilichen Durchsuchungsvermerks durch die Beschwerdeführerin war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie zudem die Sachrüge erhoben und das Landgericht im Rahmen seiner schriftlichen Urteilsgründe nähere Ausführungen zu dem nach seiner Ansicht bestehenden Beweisverwertungsverbot gemacht hat. Denn es ist für den Senat nicht sicher erkennbar, ob die in den Urteilsgründen – in nicht gebotener Weise (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juli 2023 – 6 StR 417/22, Rn. 6; vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 340/21, Rn. 19) – dargestellten Verfahrenstatsachen die für die Annahme von Gefahr im Verzug und die Verwertbarkeit der Durchsuchungs-erkenntnisse maßgebliche Beweislage vollständig wiedergeben; Zweifel daran bestehen schon deshalb, weil die Revision weitere Inhalte des Telefonats vom 18. November 2022 zwischen dem Zeugen KHK M.    und der Dezernentin der Staatsanwaltschaft behauptet, die nicht Eingang in das Urteil gefunden haben.

Das Landgericht hat lediglich die von ihm für wesentlich erachteten Beweisergebnisse dargestellt und in erster Linie unter deren Würdigung seine Auffassung begründet, es liege ein Beweisverwertungsverbot vor. Die Kenntnisnahme des maßgebenden Akteninhalts durch den Senat selbst kann aber nicht durch die Darstellung vom Landgericht ausgewählter Teile ersetzt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, Rn. 17; Beschluss vom 29. April 2015 – 1 StR 235/14, Rn. 50).

2. Mit ihrer in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge dringt die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht durch.

a) Die Urteilsgründe genügen den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden formellen Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juni 2022 – 2 StR 353/21, Rn. 15; vom 27. Februar 2020 – 4 StR 568/19, Rn. 6). Das Landgericht hat den Anklagevorwurf dargestellt und in nachvollziehbarer Weise mitgeteilt, dass verwertbare Beweise zum Beleg des Tatvorwurfs nicht vorgelegen haben.

b) Das Urteil genügt auch den sachlich-rechtlichen Anforderungen an einen Freispruch. ……“