Archiv für den Monat: Juli 2023

OWi II: Geschwindigkeitsmessung mit Provida, oder: Nachträgliche Auswertung vom ProViDa-Video erlaubt

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Als zweite Entscheidung dann das AG Dortmund, Urt. v. 14.02.2023 – 729 OWi-264 Js 110/23 -12/23 – zur Geschwindigkeitsüberschreitung und Zulässigkeit der nachträglichen Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeitsfeststellung durch nachträgliche Auswertung eines ProViDa-Videos. Das AG sagt: Ist zulässig und ist dann wie folgt vorgegangen:

„Das Gericht hat das Video des Vorfalls in Augenschein genommen und auch die bei-den Videoprints, anhand derer die Messung stattgefunden hat.

Zunächst war festzustellen bei Inaugenscheinnahme des Videofilms, dass das Video im Bereich startete, indem die Geschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt wurde. Zu Beginn des Videos sind also die beidseitigen 80 km/h-Beschilderungen erkennbar und auch das Fahrzeug des Betroffenen, hinter das sich das Fahrzeug um 15:25:29 Uhr setzte.

Die Zeitangabe konnte das Gericht feststellen durch urkundsbeweisliche Verlesung des oberen rechten Datenfeldes des Messgerätes, eingespielt in die Videoaufnahme des Messsystems. In diesem Bereich unmittelbar vor der Front, ggf. eine Fahrzeug-länge davor, war zu dieser Zeit die linksseitige Beschilderung 60 km/h an der Fahr-bahn und ebenso die rechtsseitige Beschilderung sichtbar, an der der Betroffene vorbeigefahren ist und die er bei ordnungsgemäßer Sorgfalt im Straßenverkehr hätte beachten können und müssen.

Auf dem Video war dann sichtbar, wie der Betroffene im gleichbleibenden Abstand vor dem Polizeifahrzeug auf der linken Fahrspur herfuhr. Anhand der für das Polizei-fahrzeug durch das Messgerät stets eingespielten Geschwindigkeit, die das Gericht jeweils urkundsbeweislich verlesen konnte und die sich rechts unter im Video erkennen ließ, konnte festgestellt werden, dass der Betroffene stets die zulässige Höchst-geschwindigkeit während des gesamten zwischen 15:25:22 Uhr und etwa 15:29 Uhr gefertigten und in Augenschein genommenen Videos überschritten hat, bis nach dem geschwindigkeitsbegrenzenden 80-Km/h-Bereich ein Bereich von 120 km/h Höchst-geschwindigkeit folgt.

Bei Inaugenscheinnahme der maßgeblichen Prints der Messung (hier eingefügt; auf die beiden Prints wird wegen der Einzelheiten – insbesondere zur Größe des Fahr-zeugs des Betroffenen auf der linken Fahrspur, des gleichbleibenden Abstands zum videografierenden Polizeifahrzeug, der Erkennbarkeit der Beschilderung und der 2-spurigen Fahrbahnführung – verwiesen gem. § 267 Abs. 1 Nr. 3 StPO) konnte das Gericht feststellen, dass beide Prints aus einer Nachfolgesituation um 15:25:31 Uhr (unteres Print) und 15:25:37 Uhr (oberes Print) gefertigt wurden. Wegen der eingespielten und von der Eichung des Gerätes umfassten Uhrzeitangabe wurden die Datenfelder der Prints urkundsbeweislich verlesen. Das Polizeifahrzeug befand sich zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Fahrzeug des Betroffenen auf dem linken Fahrstreifen und folgte diesem im gleichmäßigen Abstand. Ein Vergleich der Prints ergab dabei, dass das Fahrzeug des Betroffenen sich von dem Fahrzeug der Polizei geringfügig entfernte während der festgestellten Messstrecke, so dass dies eine zusätzliche Sicherheit zu Gunsten des Betroffenen bei der Geschwindigkeitsberechnung bot.

Das Gericht hat anhand der eingespielten und urkundsbeweislich verlesenen Daten in dem 1. genannten gefertigten Print einen Stand des Wegstreckenzählers von 188.981 Metern feststellen können und bei dem 2. Bild von 15:25:37 Uhr einen Weg-streckenzählerstand von 189.177 Metern. Hieraus ließ sich eine Differenz von 196 Metern für die freigewählte und freiwählbare Messstrecke feststellen.

Anhand der beiden Prints und der darin enthaltenen urkundsbeweislich verlesenen Datenfelder hat das Gericht dann auch die Zahl der einzelnen von dem Messgerät genutzten Einzelbilder zur Aufzeichnung feststellten können. Diese ergaben sich aus einem Vergleich des Einzelbildzählers auf dem 1. zeitlich gefertigten Lichtbild von 334.009 Bildern und bei dem 2. gefertigten Lichtbild von 334.167 Bildern, woraus sich eine Differenz von 158 Bilder für die gewählte Messstrecke ergab. Jedes dieser Bilder ist entsprechend der Bedienungsanleitung des ProViDa-Messgerätes und der technischen Gegebenheiten des Messsystems 0,04 Sekunden lang, so dass sich eine Messzeit von 6,32 Sekunden errechnen lässt.

Die Geschwindigkeit war dann zu berechnen anhand der Formel: 196 Meter Mess-strecke x 3,6 : 6,32 Sekunden. Hieraus ergab sich eine zu bestimmende Geschwindigkeit von 111,65 km/h. Hiervon hat das Gericht einen Toleranzabzug entsprechend der Bedienungsanleitung von 6 km/h vorgenommen, so dass sich nach Streichung der Nachkommastellen eine Geschwindigkeit von 105 km/h als vorwerfbare Geschwindigkeit ergab und folgerichtig eine Überschreitung von 45 km/h. Diese Art der Geschwindigkeitsfeststellung ist anerkannt, auch wenn sie kein standardisiertes Messverfahren darstellt (hierzu etwa: OLG Hamm Beschl. v. 22.6.2017 – 1 RBs 30/17, BeckRS 2017, 122484; AG Castrop-Rauxel Urt. v. 26.8.2022 – 6 OWi-264 Js 1170/22-486/22, BeckRS 2022, 22074; AG Lüdinghausen Urt. v. 20.4.2015 – 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14, BeckRS 2015, 10022).“

OWi I: Rechtsmittelverzicht im Protokoll der HV, oder: Keine Befugnis zum Verzicht in der Untervollmacht

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Und dann heute drei OWi-Entscheidungen. Nichts Bedeutendes, aber immerhin…

Ich starte mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.05.2023 – 1 ORbs 166/23. Das AG hat den Betroffenen am 16.11.2022 wegen einer Geschwindigkeotsüberschreitung verurteilt Der Betroffene war von seiner Verpflichtung zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung offensichtlich entbunden worden, wobei sich ein entsprechender Beschluss nicht bei den Akten befunden hat. Die Verteidigerin des Betroffenen hatte mit Schriftsatz vom 14.11.2022 Rechtsanwalt („Name 01“), „zur Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 16.11.2022 Terminvollmacht“ erteilt, ohne diese weiter zu spezifizieren. In dem Hauptverhandlungsprotokoll ist das Feld „Rechtsmittelbelehrung wurde erteilt“ angekreuzt, daneben steht die handschriftliche Ergänzung „RM-Verzicht“.

Der Betroffene hat gegen die Entscheidung des AG Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Bußgeldrichterin hat den Betroffenen und dessen Verteidigerin darauf hingewiesen, dass in der Hauptverhandlung ein Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei, worauf die Verteidigerin erwidert hat, dass die erteilte Terminvollmacht an den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt weder eine Beschränkung des Einspruchs noch einen Rechtsmittelverzicht umfasste; Ziel des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid sei die Vermeidung des Fahrverbotes, nicht die Reduzierung der Geldbuße.

Das AG hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen, da in der Hauptverhandlung  durch den unterbevollmächtigten Rechtsanwalt Rechtsmittelverzicht erklärt worden sei, was die Einlegung eines Rechtsmittels ausschließe. Dagegen beantragt der Betroffene die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 346 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG. Der Antrag hatte Erfolg:

„2. In der Sache ist der Antrag begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022.

a) Die Verwerfungsbefugnis des Tatrichters dient der Verfahrensbeschleunigung. Sie ist auf die in § 346 Abs. 1 StPO genannten Fälle beschränkt, also auf die verspätete Einlegung der Rechtsbeschwerde nach § 341 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG, auf die Versäumung der Frist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG sowie auf die Nichteinhaltung der Formvorschriften des § 345 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG. Jede weitere Zulässigkeitsprüfung ist dem Tatrichter untersagt (vgl. BGH NJW 2007, 165), was insbesondere auch für die Frage eines zuvor erklärten Rechtsmittelverzichtes gilt (vgl. BGH NJW 1984, 1974, 1975; BGH NStZ 1984, 181; BGH NStZ 1984, 329).

b) Des Weiteren erweist sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als zulässig. Denn während die der Verteidigerin erteilte Vollmacht vom 3. Dezember 2021 sich ausdrücklich auch auf die Rücknahme und den Verzicht eines Rechtsmittels erstreckt, war dies bei der für die Hauptverhandlung am 16. November 2022 erteilte Untervollmacht gerade nicht der Fall. Die Verteidigerin hatte dem für die Hauptverhandlung unterbevollmächtigen Rechtsanwalt („Name 01“) nicht die Befugnis zum Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels übertragen (vgl. Terminvollmacht vom 14. November 2022), so dass der in der Hauptverhandlung durch den unterbevollmächtigen Rechtsanwalt erklärte Rechtsmittelverzicht keine Wirksamkeit entfalten konnte.

Nach alledem unterliegt der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2022 der Aufhebung.“

StGB III: „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“, oder: „Neger/Zigeuner“ nicht immer allein Schimpfwort

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Und zum Abschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 15.06.2023 – III-5 ORs 34/23 – noch einmal zur Volksverhetzung bei folgenden Feststellungen:

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils war der Angeklagte bis zum Jahr 2020 Vorsitzender der AfD-Ratsfraktion der Stadt Gelsenkirchen und postete in diesem Zeitraum auf der Internetplattform Facebook sowohl allgemeine als auch politische Kommentare. Am 22.02.2017 las er einen Artikel auf der Internetseite „Emma.des, welcher sich seinerseits mit einem Artikel der Autorin Mithu Sanyal befasste. In dem Artikel der Autorin Mithu Sanyal sprach diese sich dafür aus, Opfer sexueller Gewalt als ,Erlebende“ zu bezeichnen, um so zu ,höchstmöglicher Wertungsfreiheit zu gelangen. In dem ,,Ernma“-Artikel wurde dieser Vorschlag heftig kritisiert. Dieser Kritik schloss sich der Angeklagte an. Er postete bei Facebook folgenden Kommentar:

„ Das ist das Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei. Negativ konnotierte Begriffe werden einfach umetikettiert. So wurde aus dem Neger ein Schwarzer, Farbiger und was weiß ich noch. Aus Zigeunern wurden Sinti und Roma (obwohl es zahlreiche andere Stämme gibt), dann Rotationseuropäer.

Aber was auch geändert wurde: die neuen Begriffe wurden dann immer wieder durch die Realität eingeholt und es mussten neue Bezeichnungen gefunden werden. Damit muss Schluss sein.

Ein Eimer Scheiße wird immer ein Eimer Scheiße bleiben, egal wie die Grünen es nennen.“

 

Den „Emma“-Artikel hängte der Angeklagte an diesen Kommentar an. Das Landgericht wertete diese Äußerung als Volksverhetzung im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hat aufgehoben unc frei gesprochen:

„1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 StGB nicht.

a) Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Diese Tatbestandsalternative knüpft an Art. 1 Abs. 1 GG an und schützt damit den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 – 1 Ws 75/06 Rn. 18, juris m.w.N.). Das Angreifen der Menschenwürde anderer stellt hierbei ein einschränkendes Merkmal des Tatbestands dar, dem nicht die Funktion eines erweiterten Ehrschutzes zukommt (Fischer, 70. Aufl. 2023, §‘ 130 StGB Rn. 12). Obwohl die Menschenwürde im Verhältnis zur Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, steht das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einer zu weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals Menschenwürde entgegen (BVerfG NJW 2001, 81, beck-online). Bloße Beleidigungen oder „einfache‘ Beschimpfungen reichen daher nicht aus, auch nicht jede ausgrenzende Diskriminierung. Vielmehr werden vom Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur besonders massive Schmähungen, Deformierungen und Diskriminierungen erfasst, durch die den angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird und sie als ,,unterwertigem Menschen gekennzeichnet werden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 -1 Ws 75/06 Rn. 19, juris).

b) Die Beurteilung, ob die beanstandete Äußerung die Menschenwürde anderer angreift, obliegt zuvörderst dem Tatrichter. Dieser hat nach ständiger Rechtsprechung den tatsächlichen Sinngehalt der beanstandeten Äußerung zu ermitteln (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101). Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen (OLG Frankfurt, Urteil vom 30. November 2022 – 3 Ss 131/22 Rn. 13, juris).

Andererseits muss das Urteil des Tatrichters die erforderlichen Feststellungen enthalten, um dem Revisionsgericht eine umfassende Nachprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung in dieser Hinsicht zu ermöglichen. Die Aufgabe des Revisionsgerichts ist es dabei, die Schlussfolgerungen, auf denen die Auslegung beruht, darauf zu überprüfen, ob sie einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungs-, Denk- oder Sprachgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lassen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 23. Februar 2023 – 1 Ss 48/22 -, Rn. 37, juris m.w.N.). Als durch das Revisionsgericht zu überprüfender Verstoß gegen ein – Denkgesetz gilt auch, wenn der Tatrichter verkannt hat, dass nach den festgestellten Umständen mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen, und es unterlassen hat, diese gegeneinander abzuwägen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 23. Februar 2023 -1 Ss 48/22 -, Rn. 37, juris).

c) Bei der Auslegung einer Meinungsäußerung ist durch den Tatrichter deren objektiver Sinn zu ermitteln, wobei nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden und nicht das subjektive Verständnis eines gegebenenfalls von einer Äußerung Betroffenen maßgeblich ist, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris m.w.N.). Auszugehen ist insofern nach ständiger Rechtsprechung stets vom Wortlaut der Äußerung, zudem ist Ihr Kontext einzubeziehen; femliegende Deutungen sind auszuscheiden (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris). Im Falle von mehrdeutigen Äußerungen ist grundsätzlich maßgeblich, ob eine der nicht auszuschließenden Bedeutungsvarianten straffrei wäre (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 208 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris m.w.N.)

d) Den aufgezeigten Maßstab zugrunde legend hält zunächst die Auslegung des Landgerichts der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass der Angeklagte Farbige, Sinti und Roma allein durch die Verwendung der Begriffe „Neger und ‚Zigeuner In besonders herabsetzender Weise beschimpft und damit zugleich in ihrer Menschenwürde angreift. Beide Begriffe werden zwar heute in der Regel als diskriminierend bzw. herabwürdigend angesehen (vgl. die Einträge „Neger und „Zigeuner bei wikipedia.de m.w.N.; in diesem Sinne auch zum Begriff „Neger: OLG Köln, Urteil vom 19.01.2010 – 24 U 51/09; LG Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2016 – 4 Cis 25/16 – juris Rn. 16). Sie lassen sich indes nicht stets allein als Schimpfwort verstehen (zum Begriff Zigeuner: OLG Hamm, Beschluss vom 28. April 2048 – RVs 37/16 Rn. 15, juris; zum Begriff „Neger: Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss vom 1. Oktober 2018 – 1 W 41/18 Rn. 5, juris; s. auch: Fischer, a.a.O., § 185 StGB Rn. 12b). Entscheidend ist daher der Kontext, in welchem die Begriffe fallen (Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Dezember 2019 -1/19 -, Rn. 38, juris). So können die Worte insbesondere auch genutzt werden, um über ihre Verwendung und ihre Verwendbarkeit zu sprechen und damit als. inhaltliche Stellungnahme zu einer politischen Debatte beitragen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.10.2018 – 1 W 41/18 – bei juris; Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Dezember 2019 – 1/19 38, juris). Letzteres ist hier der Fall. Anknüpfend an den Artikel der Autorin Mithu Sanyal und deren Forderung, Opfer sexueller Gewalt als „Erlebende“ zu bezeichnen, beschreibt der Angeklagte in seinem Facebook-Post einleitend die Änderungen des Sprachgebrauchs betreffend die Begriffe „Neger bzw. „Zigeuner“ und lastet diese der „rot-grünen Sprachpolizei“ an. Der Angeklagte empfindet – ob dies eine sinnvolle Interpretation des geänderten Umgangs mit den Begriffen ist, unterliegt nicht der gerichtlichen Bewertung – den Sprachwandel als politisch verordnet und wehrt sich gegen diesen Vorgang, welchen er als „Umetikettlerung“ bewertet. Dies stellt eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung dar.

Eine abweichende Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte im nächsten Satz ausführt, dass die „neuen Begriffe […] dann immer wieder durch die Realität eingeholt [wurden]“. Hierin kommt zwar zum Ausdruck, dass der Angeklagten den vorbezeichnetet Bevölkerungsgruppen in diskriminierender Weise (nicht näher konkretisierte) negative Eigenschaften zuschreibt. Die Kritik ist indes so diffus gehalten, dass es sich nicht um eine besonders massive Schmähung oder Diskriminierung handelt, durch welche Farbigen, Sinti und Romaa das ungeschmälerte Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird.

e) Ferner geht das Landgericht im Ausgangspunkt zwar zutreffend davon aus, dass ein Angriff auf die Menschenwürde unzweifelhaft vorliegt, wenn Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen als „Dreck“, Unrat, Ungeziefer usw. geschmäht werden (Fischer, a.a.O., § 130 StGB Rn. 12a). Die weitere Annahme, dass der Angeklagte in seinem Facebook-Post die vorbezeichneten Bevölkerungsgruppen „Fäkalien“ gleichsetzt, ist indes nicht tragfähig begründet. Im Rahmen seiner Deutung versteht das Landgericht den Schlusssatz des Facebook-Posts „Ein Eimer Scheiße wird im immer ein Eimer Scheiße trielen, egal wie die Grünen es nennen.“ dahin, dass Farbige, Sinti und Roma (konkludent) als ,Eimer Scheiße bezeichnet werden. Hierbei lässt das Landgericht indes eine naheliegende, straflose Deutungsalternative außer Acht. So ist angesichts des Kontextes – der Angeklagte nimmt ausdrücklich zur geforderten Umbenennung von „Opfern sexueller Gewalt“ in „Erlebende Stellung – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Erklärungsempfängers jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich das Begriffspaar „Eimer Scheiße“ auf die sexuelle Gewalt und deren Umetikettierung in ein „Erlebnis“ beziehen soll. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seinem- Satz anfügt „egal wie die Grünen es nennen“. Hierdurch spannt er den Bogen zu seinem Eingangssatz, in welchem er – wenn auch offenkundig von einer unzutreffenden Bedeutung des Begriffes „Dilemma“ ausgehend – die Umbennungsforderung der Autorin Mithu Sanyal zu Opfern sexueller Gewalt als „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“ bezeichnet.

Da somit eine straffreie Deutungsmöglichkeit des letzten Satzes besteht, darf die zur Bestrafung führende Interpretation nicht zugrunde gelegt werden….“

StGB II: Polizei-SS-Vergleich als Bildmontage bei FB, oder: Verfassungswidrige Kennzeichen/Beleidigung

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Und als zweite Entscheidung im heutigen Kontext dann das OLG Hamm, Urt. v. 27.06.2023 – 4 ORs 46/23.

Das AG hat den Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt.  Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das LG mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie verurteilt worden ist.

Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte veröffentlichte am 19.11.2020 gegen 20:24 Uhr in A auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite eine Bildmontage, um seiner kritischen Meinung gegenüber der Corona-Politik der Bundesrepublik Ausdruck zu verleihen. Diese Bildmontage ist überschrieben mit „…“wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, war so, ist so, und bleibt auch so! … Ich führe nur [es folgt die Bildmontage, Anm. des Unterzeichners] Befehle aus“. Außerdem beinhaltet dieser Post zwischen den Worten „Ich führe nur“ und „Befehle aus“ eine Bildmontage, welche halbseitig ein Foto des SS-Obersturmbandführers J. H. in Uniform, mit „Totenkopfemblem“ an der Mütze und mit der „Doppel -Siegrune“ auf dem Kragen und auf der anderen Seite den uniformierten Adhäsionskläger und Zeugen Polizeihauptmeister B. zeigt. Der Angeklagte, der diese Fotomontage aus dem Internet entnommen hat, hat dabei die naheliegende Möglichkeit erkannt, dass der Zeuge B. keine Einwilligung zur Verwendung seines Bildnisses erteilt hat und nahm dies jedenfalls billigend in Kauf.

Nachdem dem Angeklagten bekannt wurde, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen wegen dieses Posts geführt werden, hat er den Post am 14.10.2021 gelöscht und ein Entschuldigungsschreiben auf seiner Facebookseite veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Das in diesem Beitrag von mir geteilte Bild (aus Unkenntnis der Rechtslage), verstößt gegen den § 86a StGB […] Bedauerlicherweise wurde es von Facebook gelöscht, daher entferne ich es heute am 14. Oktober 2021 selber“. („Auslassungen“ durch den Unterzeichner).“

Dagegen die Revision der StA und auch des Angeklagten. Nur die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

Das OLG führt zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB aus:

„a) Das Landgericht hat zu Unrecht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB verneint.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der auf dem Kragen des halbseitig abgebildeten SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Sig-Rune in ihrer doppelten Darstellung um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil v. 12. September 2005 – 1 Ss 58/05; OLG Bamberg, Urteil v. 18. September 2007 – 2 Ss 43/07; Paffgen/Klesczewski in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB, § 86a, Rn. 10). Dieser Doppel Sig-Rune hat sich die „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP bedient und sie verkörpert die Zugehörigkeit zu dieser Organisation.

Auch bei dem auf der Mütze des SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Totenkopf handelt es sich um ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a StGB. Mit seinem stark ausgeprägten Kiefer mit zwei vollständig großen Zahnreihen sowie den Schädelöffnungen im Bereich der Augen und der Nase stellt er das spezifische Totenkopfsymbol, das Uniformabzeichen der SS-Verbände der NSDAP und damit ein verfassungswidriges Kennzeichen dar (vgl. OLG Jena, Urteil v. 1. Juni 2006 – 1 Ss 79/06 in BeckRS 2006, 9085).

Durch das „Posten“ auf seinem Facebook-Profil, das nach den – nicht zu beanstandenden – Feststellungen des Landgerichts öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat der Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts unterfällt die verwendete Fotomontage auch dem Schutzzweck des § 86a StGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich die Vorschrift des § 86a StGB gegen eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet werden (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06 in NJW 2007,1602). § 86a StGB soll auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGH, a.a.O.).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08; BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris). Dies ist für Fälle anerkannt, in denen das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris) oder erkennbar verzerrt, etwa parodistisch verwendet wird (vgl. BGH, Urteil v. 14. Februar 1973 – 3 StR 3/72 in NJW 1973, 766 f.). Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08 in NStZ 2009, 88 ff.).

Unter Zugrundelegung dessen handelt es sich vorliegend nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung verbotener Kennzeichen.

Aus Sicht eines objektiven Betrachters ist die Fotomontage in Form einer halbseitigen Abbildung des Adhäsionsklägers in Uniform und einer halbseitigen Abbildung des SS-Obersturmbandführers J. H. mit der Überschrift „Ich führe nur Befehle aus“ als Protest gegen das polizeiliche Handeln zu verstehen. Durch die Zusammenfügung der beiden Fotos zu einem Foto wird zum Ausdruck gebracht, dass das Handeln der heutigen Polizei an die Methoden der SS erinnere und das Vorgehen der Polizei mit den Methoden des NS-Staats vergleichbar sei.

Zweck der Fotomontage war eine Kritik an der Polizei. Es ging demnach nicht um eine Kritik an der verbotenen Vereinigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen jedoch nur solche Handlungen nicht vom Tatbestand des § 86a StGB erfasst werden, in denen das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt wird. Dies ist – wie ausgeführt – vorliegend nicht der Fall.

Zudem wird durch den Vergleich der heutigen Polizei mit der SS das von der SS begangene Unrecht relativiert, weil Organisation und Handlungen der Polizei in keiner Weise mit denjenigen des verbrecherischen Nazi-Regimes und insbesondere auch der SS vergleichbar sind. Das Handeln der SS, welches untrennbar mit der Massenvernichtung von Juden verbunden ist, wird durch den Vergleich mit dem Handeln der Polizei verharmlost und das von der SS begangene schwerste Unrecht in keiner Weise als solches anerkannt.

Da vorliegend keine der von dem Bundesgerichtshof entwickelten Fallgruppen der Tatbestandsrestriktion eingreift, ist der Tatbestand des § 86a StGB erfüllt. Die vorliegende Verwendung der Kennzeichnung ist gerade das, was die Vorschrift des § 86a StGB verhindern soll, denn sie soll einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“).“

Das OLG hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB bejaht. Insoweit und wegen der Revision des Angeklagten verweise ich auf den Volltext.

StGB I: Ein „Knast für Quarantäne-Verweigerer“, oder: Verharmlosen von NS-Verbrechen?

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Ich mache heute dann mal wieder einen StGB-Tag. Also Entscheidungen zum StGB, und zwar alles sog. Äußerungsdelikte.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 21.03.2023 – 203 StRR 562/22. AG und LGhaben den Angeklagten wegen Volksverhetzung verurteilt. Das BayObLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen für Verurteilung des Angeklagten wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB auf:

„Nach § 130 Abs. 3 StGB macht sich strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Das Merkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der NS-Gewalttaten herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert oder relativiert (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2004 – 2 StR 365/04 –, juris Rn. 24; Krauß in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 130 Volksverhetzung Rn. 107). Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen herunterspielen (vgl. Krauß a.a.O.).

Ein solches Relativieren und Bagatellisieren ist durch die Feststellungen des Landgerichts nicht belegt. Danach postete der Angeklagte am 15. Januar 2021 in die Telegram-Gruppe „dd2_Plz91“, zugänglich für 148 Teilnehmer der Gruppe, zu angeblichen Plänen des Freistaates Sachsen, einen „Knast für Quarantäne-Verweigerer“ einzurichten, als Reaktion auf den Kommentar einer Nutzerin, dass dies gar nicht schlimm sei, folgenden Beitrag: „Ja, evtll gibt es dort auch Duschräume und Impfzentren. Wahrscheinlich auch gestreifte Einheitskleidung. Wenn ich der Staat wäre würde ich solche Lager mit Bahnanbindung bauen“. Das Landgericht hat in dieser Äußerung eine vergleichende Gegenüberstellung der Judenverfolgung und -vernichtung in den Konzentrationslagern unter der Herrschaft des Nationalsozialismus einerseits und möglichen politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gesehen, wodurch der Angeklagte die Judenvernichtung gröblich herabgesetzt und verharmlost hätte.

Auf der Grundlage der Feststellungen zum Wortlaut der Äußerungen konnte das Landgericht hier nach der verfassungsmäßig gebotenen Auslegung der vom Angeklagten verwendeten Formulierungen jedoch nicht ohne weiteres von einer Verharmlosung der Judenverfolgung und Judenvernichtung ausgehen. Zwar hat das Bayerische Oberste Landesgericht einen Vergleich der Stimmung gegen die AfD und ihre Mitglieder mit dem nationalsozialistischen Völkermord von bis zu 6 Millionen Juden als Volksverhetzung angesehen, weil durch die Gleichsetzung von bloßen Befindlichkeiten und Belästigungen mit dem Holocaust den Verbrechen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates deren Dimension abgesprochen und ihr Unrechtsgehalt beschönigt wurde (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris; ähnlich Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 5. Juli 2022 – 1854/22 –, juris Rn. 12). Ob dies indes der Zielsetzung des Angeklagten entsprach, ist den bislang getroffenen Feststellungen nicht hinreichend zu entnehmen. Vielmehr kann es auch das Ziel der Anspielungen auf Duschräume, Einheitskleidung und Bahnanbindung gewesen sein, den Freistaat Sachsen zu bezichtigen, im Zusammenhang mit der pandemischen Lage Internierungslager einzurichten, in denen Ungeimpfte und erkrankte Personen entrechtet, entmenschlicht und eventuell auch getötet würden, also das Bundesland mit dem Verdacht eines schimpflichen faschistischen Verhaltens zu überziehen. Dies würde nicht den Tatbestand von § 130 Abs. 3 StGB erfüllen. In der Darstellung eines Bundeslandes als Unrechtsstaat, der sogar die Ermordung ihm unliebsamer Personen organisiert, könnte indes – auch unter Berücksichtigung der Reichweite von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG – eine nach § 90a StGB tatbestandsmäßige Verunglimpfung eines Staatswesens in der Gesamtheit zu sehen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2002 – 3 StR 446/01 –, juris Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 23. Oktober 1995 – 3 St 3/95 –, juris, unter 2b aa; BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 28. November 2011 – 1 BvR 917/09-, juris Rn. 24; Steinsiek in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2021, § 90a Rn. 10; Steinmetz in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl., § 90a Rn. 11). Denn es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass in der Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihr angehörenden Landes mit einem faschistischen Staat eine Beschimpfung im Sinn von § 90a Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Juli 1998 – 1 BvR 287/93 –, juris Rn. 43).

Aufgrund der festgestellten Mängel war das Urteil des Landgerichts mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4, § 353 StPO). Da nicht auszuschließen ist, dass weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten nach § 130 Abs. 3 StGB oder nach § 90a Abs. 1 und 3 StGB tragen, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (354 Abs. 2 StPO). Dem neuen Tatrichter obliegt es dabei, nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Sinn und den politischen Hintergrund der potentiell strafrechtlich erheblichen Äußerung festzustellen.

Die Rückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth erfolgt trotz des Umstandes, dass hier auch eine Verurteilung nach § 90a Abs. 3 StGB im Raum steht und damit eine Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 2 GVG in Betracht kommen könnte. Denn für die Zuständigkeit im Berufungsverfahren ist nach § 74 Abs. 3 GVG ausschließlich ausschlaggebend, welches Gericht in erster Instanz entschieden hat (BayObLG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 206 StRR 220/22 –, juris Rn. 12; Gericke in KK-StPO, 8. Aufl., § 355 Rn. 6). Eine zulässige Verfahrensrüge der Verletzung von § 328 Abs. 2 StPO hat der Angeklagte nicht erhoben.