StGB III: „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“, oder: „Neger/Zigeuner“ nicht immer allein Schimpfwort

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Und zum Abschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 15.06.2023 – III-5 ORs 34/23 – noch einmal zur Volksverhetzung bei folgenden Feststellungen:

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils war der Angeklagte bis zum Jahr 2020 Vorsitzender der AfD-Ratsfraktion der Stadt Gelsenkirchen und postete in diesem Zeitraum auf der Internetplattform Facebook sowohl allgemeine als auch politische Kommentare. Am 22.02.2017 las er einen Artikel auf der Internetseite „Emma.des, welcher sich seinerseits mit einem Artikel der Autorin Mithu Sanyal befasste. In dem Artikel der Autorin Mithu Sanyal sprach diese sich dafür aus, Opfer sexueller Gewalt als ,Erlebende“ zu bezeichnen, um so zu ,höchstmöglicher Wertungsfreiheit zu gelangen. In dem ,,Ernma“-Artikel wurde dieser Vorschlag heftig kritisiert. Dieser Kritik schloss sich der Angeklagte an. Er postete bei Facebook folgenden Kommentar:

„ Das ist das Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei. Negativ konnotierte Begriffe werden einfach umetikettiert. So wurde aus dem Neger ein Schwarzer, Farbiger und was weiß ich noch. Aus Zigeunern wurden Sinti und Roma (obwohl es zahlreiche andere Stämme gibt), dann Rotationseuropäer.

Aber was auch geändert wurde: die neuen Begriffe wurden dann immer wieder durch die Realität eingeholt und es mussten neue Bezeichnungen gefunden werden. Damit muss Schluss sein.

Ein Eimer Scheiße wird immer ein Eimer Scheiße bleiben, egal wie die Grünen es nennen.“

 

Den „Emma“-Artikel hängte der Angeklagte an diesen Kommentar an. Das Landgericht wertete diese Äußerung als Volksverhetzung im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hat aufgehoben unc frei gesprochen:

„1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 StGB nicht.

a) Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Diese Tatbestandsalternative knüpft an Art. 1 Abs. 1 GG an und schützt damit den unverzichtbaren Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 – 1 Ws 75/06 Rn. 18, juris m.w.N.). Das Angreifen der Menschenwürde anderer stellt hierbei ein einschränkendes Merkmal des Tatbestands dar, dem nicht die Funktion eines erweiterten Ehrschutzes zukommt (Fischer, 70. Aufl. 2023, §‘ 130 StGB Rn. 12). Obwohl die Menschenwürde im Verhältnis zur Meinungsfreiheit nicht abwägungsfähig ist, steht das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG einer zu weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals Menschenwürde entgegen (BVerfG NJW 2001, 81, beck-online). Bloße Beleidigungen oder „einfache‘ Beschimpfungen reichen daher nicht aus, auch nicht jede ausgrenzende Diskriminierung. Vielmehr werden vom Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur besonders massive Schmähungen, Deformierungen und Diskriminierungen erfasst, durch die den angegriffenen ihr ungeschmälertes Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft bestritten wird und sie als ,,unterwertigem Menschen gekennzeichnet werden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Mai 2006 -1 Ws 75/06 Rn. 19, juris).

b) Die Beurteilung, ob die beanstandete Äußerung die Menschenwürde anderer angreift, obliegt zuvörderst dem Tatrichter. Dieser hat nach ständiger Rechtsprechung den tatsächlichen Sinngehalt der beanstandeten Äußerung zu ermitteln (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101). Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen (OLG Frankfurt, Urteil vom 30. November 2022 – 3 Ss 131/22 Rn. 13, juris).

Andererseits muss das Urteil des Tatrichters die erforderlichen Feststellungen enthalten, um dem Revisionsgericht eine umfassende Nachprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung in dieser Hinsicht zu ermöglichen. Die Aufgabe des Revisionsgerichts ist es dabei, die Schlussfolgerungen, auf denen die Auslegung beruht, darauf zu überprüfen, ob sie einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungs-, Denk- oder Sprachgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lassen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 23. Februar 2023 – 1 Ss 48/22 -, Rn. 37, juris m.w.N.). Als durch das Revisionsgericht zu überprüfender Verstoß gegen ein – Denkgesetz gilt auch, wenn der Tatrichter verkannt hat, dass nach den festgestellten Umständen mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen, und es unterlassen hat, diese gegeneinander abzuwägen (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 23. Februar 2023 -1 Ss 48/22 -, Rn. 37, juris).

c) Bei der Auslegung einer Meinungsäußerung ist durch den Tatrichter deren objektiver Sinn zu ermitteln, wobei nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden und nicht das subjektive Verständnis eines gegebenenfalls von einer Äußerung Betroffenen maßgeblich ist, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris m.w.N.). Auszugehen ist insofern nach ständiger Rechtsprechung stets vom Wortlaut der Äußerung, zudem ist Ihr Kontext einzubeziehen; femliegende Deutungen sind auszuscheiden (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 – 206 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris). Im Falle von mehrdeutigen Äußerungen ist grundsätzlich maßgeblich, ob eine der nicht auszuschließenden Bedeutungsvarianten straffrei wäre (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. März 2023 208 StRR 1/23 -, Rn. 19, juris m.w.N.)

d) Den aufgezeigten Maßstab zugrunde legend hält zunächst die Auslegung des Landgerichts der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass der Angeklagte Farbige, Sinti und Roma allein durch die Verwendung der Begriffe „Neger und ‚Zigeuner In besonders herabsetzender Weise beschimpft und damit zugleich in ihrer Menschenwürde angreift. Beide Begriffe werden zwar heute in der Regel als diskriminierend bzw. herabwürdigend angesehen (vgl. die Einträge „Neger und „Zigeuner bei wikipedia.de m.w.N.; in diesem Sinne auch zum Begriff „Neger: OLG Köln, Urteil vom 19.01.2010 – 24 U 51/09; LG Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2016 – 4 Cis 25/16 – juris Rn. 16). Sie lassen sich indes nicht stets allein als Schimpfwort verstehen (zum Begriff Zigeuner: OLG Hamm, Beschluss vom 28. April 2048 – RVs 37/16 Rn. 15, juris; zum Begriff „Neger: Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss vom 1. Oktober 2018 – 1 W 41/18 Rn. 5, juris; s. auch: Fischer, a.a.O., § 185 StGB Rn. 12b). Entscheidend ist daher der Kontext, in welchem die Begriffe fallen (Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Dezember 2019 -1/19 -, Rn. 38, juris). So können die Worte insbesondere auch genutzt werden, um über ihre Verwendung und ihre Verwendbarkeit zu sprechen und damit als. inhaltliche Stellungnahme zu einer politischen Debatte beitragen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 01.10.2018 – 1 W 41/18 – bei juris; Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 19. Dezember 2019 – 1/19 38, juris). Letzteres ist hier der Fall. Anknüpfend an den Artikel der Autorin Mithu Sanyal und deren Forderung, Opfer sexueller Gewalt als „Erlebende“ zu bezeichnen, beschreibt der Angeklagte in seinem Facebook-Post einleitend die Änderungen des Sprachgebrauchs betreffend die Begriffe „Neger bzw. „Zigeuner“ und lastet diese der „rot-grünen Sprachpolizei“ an. Der Angeklagte empfindet – ob dies eine sinnvolle Interpretation des geänderten Umgangs mit den Begriffen ist, unterliegt nicht der gerichtlichen Bewertung – den Sprachwandel als politisch verordnet und wehrt sich gegen diesen Vorgang, welchen er als „Umetikettlerung“ bewertet. Dies stellt eine von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung dar.

Eine abweichende Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte im nächsten Satz ausführt, dass die „neuen Begriffe […] dann immer wieder durch die Realität eingeholt [wurden]“. Hierin kommt zwar zum Ausdruck, dass der Angeklagten den vorbezeichnetet Bevölkerungsgruppen in diskriminierender Weise (nicht näher konkretisierte) negative Eigenschaften zuschreibt. Die Kritik ist indes so diffus gehalten, dass es sich nicht um eine besonders massive Schmähung oder Diskriminierung handelt, durch welche Farbigen, Sinti und Romaa das ungeschmälerte Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen wird.

e) Ferner geht das Landgericht im Ausgangspunkt zwar zutreffend davon aus, dass ein Angriff auf die Menschenwürde unzweifelhaft vorliegt, wenn Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen als „Dreck“, Unrat, Ungeziefer usw. geschmäht werden (Fischer, a.a.O., § 130 StGB Rn. 12a). Die weitere Annahme, dass der Angeklagte in seinem Facebook-Post die vorbezeichneten Bevölkerungsgruppen „Fäkalien“ gleichsetzt, ist indes nicht tragfähig begründet. Im Rahmen seiner Deutung versteht das Landgericht den Schlusssatz des Facebook-Posts „Ein Eimer Scheiße wird im immer ein Eimer Scheiße trielen, egal wie die Grünen es nennen.“ dahin, dass Farbige, Sinti und Roma (konkludent) als ,Eimer Scheiße bezeichnet werden. Hierbei lässt das Landgericht indes eine naheliegende, straflose Deutungsalternative außer Acht. So ist angesichts des Kontextes – der Angeklagte nimmt ausdrücklich zur geforderten Umbenennung von „Opfern sexueller Gewalt“ in „Erlebende Stellung – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Erklärungsempfängers jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich das Begriffspaar „Eimer Scheiße“ auf die sexuelle Gewalt und deren Umetikettierung in ein „Erlebnis“ beziehen soll. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seinem- Satz anfügt „egal wie die Grünen es nennen“. Hierdurch spannt er den Bogen zu seinem Eingangssatz, in welchem er – wenn auch offenkundig von einer unzutreffenden Bedeutung des Begriffes „Dilemma“ ausgehend – die Umbennungsforderung der Autorin Mithu Sanyal zu Opfern sexueller Gewalt als „Dilemma unserer rot-grünen Sprachpolizei“ bezeichnet.

Da somit eine straffreie Deutungsmöglichkeit des letzten Satzes besteht, darf die zur Bestrafung führende Interpretation nicht zugrunde gelegt werden….“

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