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Am Gebührenfreitag stelle ich heute zunächst ein EuGH-Urteil vor. Ja, richtig gelesen. „EuGH“ im deutschen Gebührenrecht. Über dieses EuGH, Urt. v. 12.01.2023 – C-395/21 ist ja auch schon an anderer Stelle, so z.B. bei LTO, berichtet worden. Es zieht sich ein wenig durch die gebührenrechtliche Berichterstattung der letzten Tage. Daher stelle auch ich es vor. Zu den Auswirkungen siehe unten.
In der Entscheidung nimmt der EuGH Stellung zur Transparenz bei der Vereinbarung eines Stundenhonorars. Die Vergütungsvereinbarung ist für viele Rechtsanwälte „tägliches Brot“. Sie ist nach § 3a RVG grundsätzlich zulässig. Die dabei nach dem RVG einzuhaltenden Vorgaben sind überschaubar. Grundsätzlich ausreichend ist die Textform und die Vereinbarung außerhalb der Vollmacht. Nach der Entscheidung des EuGH stellt sich nun aber die Frage, ob demnächst bei Vergütungsvereinbarungen auf Stundenbasis mit Verbrauchern ggf. mehr zu beachten bzw. zu erklären ist.
Ergangen ist das Urteil des EuGH aufgrund einer Vorlage des Obersten Gerichts in Litauen an den EuGH ergangen. In Litauen hatten ein Rechtsanwalt und ein Verbraucher fünf Verträge über Rechtsdienstleistungen geschlossen. Die Vergütung sollte sich jeweils nach dem Zeitaufwand richten. Für die Beratung oder Erbringung von Rechtsdienstleistungen wurde ein Stundensatz von 100 EUR vereinbart. Da der Verbraucher die Honorarrechnungen nicht vollständig bezahlte, hat der Rechtsanwalt ihn auf Zahlung von rund 10.000 EUR verklagt.
Das Verfahren war schließlich beim Oberste Gericht Litauens anhängig. Dieses legte dem EuGH diverse Fragen zur Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Vertragsklauseln vor, wie sie sich aus der EU-Richtlinie 93/13 des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) ergeben. Die Fragen betrafen insbesondere den Umfang des Erfordernisses der klaren und verständlichen Abfassung einer Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen und die Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel, mit der die Vergütung dieser Dienstleistungen festgelegt wird. Diese hat der EuGH nun beantwortet.
Diese Fragen hat der EuGH nun beantwortet, und zwar wie folgt:
„1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in der durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 geänderten Fassung ist wie folgt auszulegen:
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, fällt unter diese Bestimmung.
2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassungist wie folgt auszulegen:
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, genügt nicht dem Erfordernis gemäß dieser Bestimmung, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen.
3. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassung ist wie folgt auszulegen:
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrags betrifft, ist nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie in der geänderten Fassung nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen, es sei denn, der Mitgliedstaat, dessen innerstaatliches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar ist, hat dies gemäß Art. 8 der Richtlinie in der geänderten Fassung ausdrücklich vorgesehen.
4. Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in der durch die Richtlinie 2011/83 geänderten Fassung sind wie folgt auszulegen:
In Fällen, in denen ein zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossener Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach der Aufhebung einer für missbräuchlich erklärten Klausel, nach der sich die Vergütung für die betreffenden Dienstleistungen nach dem Zeitaufwand richtet, nicht fortbestehen kann und in denen die Dienstleistungen bereits erbracht sind, stehen nicht dem entgegen, dass das nationale Gericht, auch dann, wenn dies dazu führt, dass der Gewerbetreibende für seine Dienstleistungen überhaupt keine Vergütung erhält, die Lage wiederherstellt, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte. Hätte die Nichtigerklärung des Vertrags insgesamt für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen – was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird –, stehen die genannten Vorschriften nicht dem entgegen, dass das nationale Gericht der Nichtigkeit der Klausel abhilft, indem es sie durch eine dispositive oder im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbare Vorschrift des innerstaatlichen Rechts ersetzt. Hingegen stehen die genannten Vorschriften dem entgegen, dass das nationale Gericht die für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel ersetzt, indem es selbst bestimmt, welche Vergütung für die betreffenden Dienstleistungen angemessen ist.“
Wie immer ist der EuGH nicht einfach zu verstehen (ich habe immer Probleme mit der Art seiner Darstellung). Aber ich meine man kann festhalten:
Es stellt sich die Frage, welche Folgerungen aus dieser Entscheidung für unser innerstaatliches Recht zu ziehen sind. Fasst man die Aussagen des EuGH zusammen, dann soll die Vereinbarung einer Zeitvergütung in einem Vertrag zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher nur dann klar und verständlich sein, wenn der Verbraucher vor Vertragsabschluss so informiert wurde, dass er seine Entscheidung zum Vertragsschluss mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen treffen konnte (vgl. auch § 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Geschieht das nicht, könne das nationale Gericht die Lage wiederherstellen, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte, auch wenn der Anwalt dann keine Vergütung erhalte.
Legt man den strengen Maßstab wortgenau an, wäre m.E. die Vereinbarung eines Stundenhonorars kaum noch möglich. Denn welcher Rechtsanwalt kann bei Mandatsübernahme den zeitlichen Aufwand so abschätzen, dass er den Mandanten so informiert, dass der schon zu dem Zeitpunkt seine Entscheidung, ein Stundenhonorar zu vereinbaren „in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen treffen konnte ?“ Das wird vom EuGH zwar auch gesehen, wie damit aber umzugehen ist, bleibt offen. Fraglich ist m.E. auch, ob der Rechtsanwalt in den Fällen einer „missbräuchlichen Klausel“ nach nationalem deutschen Recht keine Vergütung erhält. Denn die nationale Rechtsprechung ist (bislang) davon ausgegangen, dass dann, wenn eine Stundensatzvereinbarung unwirksam ist, nach RVG abgerechnet werden kann (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Teil A Rn 2440, AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, § 3a Rn 17, jeweils m.w.N.).
Auf der Grundlage der Entscheidung ist aber auf jeden Fall zu empfehlen, noch genauer als in der Vergangenheit, den Mandanten über den voraussichtlich erforderlichen Zeitaufwand zu informieren. Vor der Vereinbarung eines Stundenhonorars (mit einem Verbraucher) ohne weitere Erläuterungen und Erklärungen ist jedenfalls zu warnen. Insoweit wird insbesondere die Komplexität des Sachverhalts, der Umfang des vorhandenen und des ggf. noch zu erwartenden Materials, das für die Fallbearbeitung eine Rolle spielt bzw. spielen kann, die Schwierigkeit der Rechtslage von Bedeutung sein. Auf der Grundlage wird der Rechtsanwalt eine zumindest grobe Einschätzung des zu erwartenden Zeitaufwands geben können/müssen. Ist das nicht möglich, was z.B. in Strafsachen der Fall sein kann, sollte der Rechtsanwalt m.E. einen Vorbehalt machen und im Einzelnen darlegen, welche Umstände die Einschätzung als fehlerhaft erscheinen lassen können. Darüber hinaus dürften sich „Zwischeneinschätzungen“ und Teilrechnungen empfehlen, da diese es dem Mandanten ermöglichen, die bei Vertragsschluss vorgenommene „Grundeinschätzung“ zu überprüfen.
Ich denke, die Entscheidung und ihre Auswirkungen wird uns noch beschäftigen.