Archiv für den Monat: Dezember 2022

Strafzumessung II: Doppelverwertungsverbot verletzt?, oder: Art der Tatausführung führt zur Strafschärfung

Bei der zweiten Entscheidung des Tages, die ich vorstellem handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 14.11.2022 – 6 StR 412/22. In dem Verfahren hat der BGH das landgerichtliche Urteil wegen eines Strafzumessungsfehlers in Zusammenhang mit einem sexuellen Übergiff aufgehoben, und zwar meint er:

„3. Der Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung jedoch nicht stand.

Es kann insoweit dahinstehen, ob das Landgericht gegen das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot verstoßen hat, indem es dem Angeklagten sowohl bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 177 Abs. 9 Halbsatz 3 StGB vorliegt, als auch bei der konkreten Strafzumessung „die sich aus dem objektiven Tatbild ergebende erhebliche Aggressivität“ angelastet hat, obwohl diese Umstände die Qualifikation gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 2 StGB zumindest (mit)begründet haben könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 5 StR 269/12; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 689, 691). Der Strafausspruch begegnet indes durchgreifenden Bedenken, weil das Landgericht strafschärfend gewertet hat, dass der Angeklagte „quasi im Sinne einer Gewaltorgie ganz massiv auf die Geschädigte eingewirkt“ habe, ohne dabei erkennbar zu bedenken, dass dessen Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit alkoholbedingt erheblich vermindert war.

Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Berücksichtigung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; vom 7. Juli 1993 – 2 StR 17/93, NJW 1993, 3210, 3211; Beschluss vom 14. September 2021 – 5 StR 186/21, NStZ-RR 2021, 336). In einem solchen Fall muss das Urteil erkennen lassen, dass sich das Tatgericht dieser Problematik bewusst war und ihr Rechnung getragen hat. Dies ergeben die Gründe des angefochtenen Urteils, in denen die Tatintensität als maßgeblicher Strafschärfungsgrund uneingeschränkt hervorgehoben wird, weder ausdrücklich noch in ihrer Gesamtschau. Der Senat vermag daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten der konkreten Ausgestaltung der Tat ein zu großes Gewicht beigemessen hat.

Angesichts des bloßen Wertungsfehlers bedarf es keiner Aufhebung der getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.“

Strafzumessung I: „aggressiv in den Konflikt gezogen“, oder: Hat die Generalprävention eine Rolle gespielt?

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Heute dann ein Strafzumessungstag, an dem ich zwei BGH-Entscheidungen und einen KG-Beschluss vorstellen möchte.

Den Opener mache ich hier mit dem BGH, Beschl. v. 13.10.2022 – 4 StR 174/22 -, der in einem Verfahren mit dem Vorwurf des versuchten Mordes ergangen ist. Da hat der BGH angemerkt:

„Soweit das Landgericht bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass er in Kenntnis der Eskalation aggressiv in den Konflikt gezogen sei, die Geschehnisse kein gutes Ende haben nehmen können und die Beteiligten nicht nur tatsächlich „sondern auch im metaphorischen Sinn“ immer weiter in eine Sackgasse geraten seien, an deren Ende nur eine „Schlacht“ habe stehen können, bleibt unklar, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung von Tat und Täter diese Erwägungen zuzuordnen sind. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass sich das Landgericht an dieser Stelle auf unklare, weil gefühlsmäßig bestimmte oder moralisierende Gründe gestützt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. August 2021 – 2 StR 217/21 Rn. 5 mwN; Beschluss vom 22. Oktober 2020 – 2 StR 232/20; Beschluss vom 6. Februar 2018 – 2 StR 173/17).

Die weitere strafschärfend berücksichtigte Wertung der Strafkammer, die Tat gefährde das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit, lässt besorgen, dass sich das Landgericht rechtsfehlerhaft von generalpräventiven Erwägungen zur Verteidigung der Rechtsordnung leiten ließ und ihm damit der erforderliche Bezug zur konkreten Tat aus dem Blick geraten ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 – 1 StR 477/18 Rn. 12; BGH, Urteil vom 3. Oktober 1989 – 1 StR 372/89 Rn. 15, BGHSt 36, 255-259, BGHR StGB § 46 I Generalprävention 4). Die Annahme, die Tat gefährde das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit, ist im Übrigen auch nicht – etwa durch die Feststellung einer gemeinschaftsgefährlichen Zunahme solcher oder dem Tatbild nach ähnlicher Taten – hinreichend belegt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Februar 1993 – 2 StR 31/93, BGHR StGB § 46 I Generalprävention 7 mwN; Beschluss vom 5. April 2005 – 4 StR 95/05).

Der Senat kann jedoch angesichts des Tatbildes und der mit besonderem strafschärfendem Gewicht berücksichtigten schwerwiegenden Folgen für den Geschädigten ausschließen, dass sich die rechtsfehlerhaften Erwägungen bei der Bemessung der Freiheitsstrafe von acht Jahren ausgewirkt haben.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Und nochmals – altes oder neues Recht?

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Am Freitag hatte ich dann hier noch einmal eine Frage zur Anwendbarkeit des neuen Rechts in den Raum gestellt, nämlich: Ich habe da mal eine Frage: Und nochmals – altes oder neues Recht?

Darauf hatte ich folgende (kurze) Antwort gegeben:

„Die Wiedereinsetzung führt ja nicht dazu, dass es sich um ein neues Berufungsverfahren handelt, sondern das alte Berfungsverfahren wird fortgesetzt. Daher bleibt es m.E. beim alten Recht.“

Der Fragesteller/die Fragestellerin hat es mit Fassung getragen.

Durchsuchung II: Gibt es ein Beweisverwertungsverbot, oder: Gefahr im Verzug, wenn die Tat aufgedeckt ist

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Und als zweite Entscheidung dann etwas vom BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 22.11.2022 – 5 StR 377/22 -, der noch einmal in einem Zusatz zu einem Beweisverwertungsverbot Stellung nimmt, und zwar im Hinblick auf „Gefahr im Verzug“:

„Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Entgegen der Ansicht der Revision unterliegen die anlässlich der beim Angeklagten durchgeführten Wohnungsdurchsuchung aufgefundenen Speichermedien keinem Beweisverwertungsverbot. Zwar war diese Maßnahme nicht nach § 105 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 StPO von einem Richter angeordnet worden. Es lagen hier aber die Voraussetzungen für eine Eilanordnung der Staatsanwaltschaft wegen Gefahr in Verzug vor (§ 105 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StPO). Denn aus dem mit der Revision vorgelegten Durchsuchungsbericht folgt – worauf der Vertreter der Nebenklägerin in seiner Stellungnahme zutreffend hingewiesen hat –, dass infolge eines Telefonats zwischen der Mutter der Geschädigten und dem Angeklagten die Tat aufgedeckt war. Daher drohte durch die zeitliche Verzögerung, die mit der Befassung des Ermittlungsrichters verbunden gewesen wäre, unmittelbar der Verlust von Beweismitteln. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Annahme des Vorliegens der Eilkompetenz keine rechtlichen Bedenken (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, BVerfGE 139, 245).“

Durchsuchung I: Durchsuchung im Finanzministerium, oder: Herausgabeverlangen wäre vorrangig gewesen

ale frei verwendbares Bild der Homeppage des BMF entnommen.

Und dann auf in die 50. Woche. Man merkt an der Zahl: Das Jahr neigt sich dem Ende zu.

Ich beginne diese Woche mit – noch einmal – Durchsuchungsentscheidungen, und zwar zunächst mit dem  LG Osnabrück, Beschl. v. 10.11.2022 – 1 Qs 24/22  u. 1 Qs 48/22. Ja, das ist eine der Entscheidungen, mit denen das LG Osnabrück die Durchsuchungsanordnung betreffend die Räumlichkeiten des Bundesministeriums der Finanzen kurz vor der Bundestagswahl 2021 für rechtswidrig erklärt hat. Diese Geschichte hat „damals“ viel Staub aufgewirbelt. Das LG arbeitet sie jetzt auf.

Es geht um zwei Durchsuchungsbeschlüsse, und zwar einmal die Durchsuchungsanordnung des AG Osnabrück vom 10.08. 2021 betreffend das Bundesministerium der Finanzen in Berlin für Diensträume sowie Papierarchive und elektronische Archive, die beim Bundesministerium der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit; FIU) zugeordnet sind und einen weiteren Durchsuchungsbeschluss des AG Osnabrück vom 25.08.2021 betreffend das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz . Den letzten Beschluss hatte das LG Osnabrück bereits mit Beschluss vom 09.022022 aufgehoben (12 Qs 32/21).

Hier geht es dann jetzt noch um den Beschluss vom 10.08.2021. Den hat das LG ebenfalls aufgehoben und das umfassen begründet. Wegen der Länge der Begründung beziehe ich mich hier (nur) auf die Pressemitteilung 41/22 des LG Osnabrück vom 10.11.2022. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext.

In der PM heißt es:

„Die Staatsanwaltschaft Osnabrück führt seit dem 23. Februar 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Mitarbeitern der nunmehr als Direktion X in die Generalzolldirektion integrierten FIU wird vorgeworfen, übermittelte Geldwäscheverdachtsmeldungen verschiedener Bankinstitute nicht, verzögert oder nicht vollständig den Strafverfolgungsbehörden bekannt gemacht zu haben. Aufgrund eines früheren Durchsuchungsbeschlusses fand bereits im Jahr 2020 eine Durchsuchung der Diensträume der FIU statt. Nach der Beschlagnahme und Sicherstellung mehrerer Aktenordner wurden im Nachgang weitere Unterlagen der ermittelnden Polizeidienststelle übersandt. Ferner wurden EMailpostfächer von vier Führungskräften der FIU gesichert und unveränderlich gespeichert.

Unter dem 6. August 2021 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Osnabrück die Durchsuchung der der FIU zuzuordnenden Diensträume nebst Papierarchiven sowie elektronischen Archiven sowohl in den Räumlichkeiten des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz als auch des Bundesministeriums der Finanzen. Im Laufe der Maßnahme beim Bundesfinanzministerium erwirkte die Staatsanwaltschaft zudem noch fernmündlich eine Beschlagnahmeanordnung betreffend einzelner E-Mailpostfächer von Mitarbeitern der Arbeitsebene des Bundesfinanzministeriums.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2022 hat das Bundesministerium der Finanzen Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 10. August 2021 sowie gegen die fernmündlich getroffene Beschlagnahmeanordnung erhoben. Das Amtsgericht Osnabrück hat den Beschwerden nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landgericht Osnabrück zur Entscheidung vorgelegt.

Die 1. Große Strafkammer erachtet den Durchsuchungsbeschluss betreffend das Bundesministerium der Finanzen unter mehreren Gesichtspunkten für rechtswidrig.

Der Gang des Verfahrens und der angefochtene Beschluss ließen nicht hinreichend erkennen, dass dem Richtervorbehalt genüge getan worden sei. So sei maßgeblicher Grund für die Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses ein Schreiben vom 15. Mai 2020 des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz an das Bundesministerium der Finanzen gewesen. Dieses Schreiben sei aber nicht nur bereits Gegenstand der Akte gewesen, sondern auch in polizeilichen Ermittlungsberichten erwähnt. Ferner sei im Antrag der Staatsanwaltschaft lediglich auf eine erste Auswertung gesicherter E-Mailkorrespondenz zwischen den Bundesministerien der Finanzen sowie der Justiz und für Verbraucherschutz und der FIU verwiesen worden. Insoweit hätten die Ermittlungsergebnisse dem Ermittlungsrichter konkreter benannt werden müssen.

Ferner seien bei einer Durchsuchung gemäß § 103 StPO die Unterlagen, die als Beweismittel für die aufzuklärende Straftat gesucht werden sollen, hinreichend konkret zu benennen. Auch dieser Anforderung werde der Beschluss nicht gerecht. Zwar lasse die Anordnung eine detaillierte Aufzählung verschiedenster Beweismittel der Gattung nach erkennen, ermögliche jedoch zugleich faktisch die Suche nach jeglichem Gegenstand, der überhaupt im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen bei der FIU stehe beziehungsweise noch darüber hinausgehend generell allen E-Mail-Accounts, dienstlichen Mobiltelefonen und Datenspeichern. Die zu unbestimmten Formulierungen des Beschlusses seien von der Regelung des § 103 StPO nicht gedeckt.

Schließlich sei vor der Anordnung der Durchsuchung ein an das Ministerium gerichtetes Herausgabeverlangen durch die Ermittlungsbehörden erforderlich gewesen. Hierauf hat schon die 12. Große Strafkammer – bezogen auf die Durchsuchungsmaßnahme im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – hingewiesen (vgl. PM 5/22). Ein solches Herausgabeverlangen sei auch bezüglich des Bundesfinanzministeriums nicht entbehrlich gewesen, da im Ergebnis kein Grund zur Annahme bestanden habe, dieses werde einem entsprechenden Gesuch nicht nachkommen. Hieran ändere auch die vom Bundesministerium der Finanzen über die FIU ausgeübte Rechtsaufsicht nichts.

Hinsichtlich der gegen die mündlich erlassene Beschlagnahmeanordnung bezüglich einzelner dienstlicher E-Mail-Accounts von Mitarbeitern der Arbeitsebene im Bundesministerium der Finanzen gerichteten Beschwerde hat die 1. Große Strafkammer des Landgerichts in ihrem Beschluss das Verfahren an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Osnabrück zurückgegeben, da nach Auffassung der Kammer mit jener Anordnung noch keine wirksame Beschlagnahme vorliege. Sie lasse bislang nicht in ausreichendem Maße erkennen, weshalb und inwieweit sämtliche – beziehungsweise welche – Inhalte der E-Mailpostfächer als Beweismittel von Bedeutung seien.“