Archiv für den Monat: Januar 2022

StPO III: BtM und EncroChat beim OLG Brandenburg, oder: Auch du mein Sohn Brutus

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 Ws 197/21. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO – also Sechs-Monats-Prüfung. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in mindestens fünf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben haben. Konkret wird ihm zur Last gelegt, in der Zeit vom 03.04. bis 18.05.2020 insgesamt ein Kilogramm Kokain, ca. zwei Kilogramm Methamphetamin Crystal und 10 Kilogramm Marihuana vom (bisher nicht identifizierten) EncroChat-Nutzer „(A)@…com“ sowie drei Kilogramm Methamphetamin Crystal und 10 Kilogramm Marihuana vom EncroChat-Nutzer „(B)@…com“, identifiziert als …., erworben zu haben.

Also: Encro-Chat-Problematik, die das OLG wie die h.M. in der Rechtsprechung der OLG löst; die entsprechenden Entscheidungen hatte ich hier ja auch fast alle vorgestellt. Die Entscheidung aus Brandenburg bringt also nichts Neues, ich stelle sie nur zur Abrundung vor, oder eben: Auch du mein Sohn Brutus 🙂 .

Hier also nur der Leitsatz zu der Entscheidung:

Die Verwertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen, sichergestellten und ausgewerteten Chat-Daten unterliegt keinem Verbot.

Ich bin gespannt, wann und wie sich der BGH äußern wird und dann sicherlich das BVerfG und der EGMR.

StPO II: Anforderungen an Durchsuchungsbeschluss, oder: Kreuze/Klammern eigenverantwortliche Prüfung?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Münster, Beschl. v. 15.12.2021 -11 Qs-540 Js 3944/21-68/21 -, den mir der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld geschickt hat, betrifft auch eine Durchsuchung. Das LG nimmt in dem Beschluss Stellung zu den Anforderungen an den Durchsuchungsbeschluss. Das AG hatte die angeordnete Durchsuchung u.a. nur durch Klammern – „wie Bl. …“ oder Kreuzchen begründet. Das LG sagt – zutreffend: Das geht so nicht:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Dabei kann offenbleiben, ob eine Durchsuchung rechtfertigende Verdachtsgründe im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses vorlagen und ob die angeordnete Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Denn es fehlt schon an einer wirksamen Entscheidung des Amtsgerichts, da die Bezeichnung des Tatvorwurfs in den Gründen nicht von der Unterschrift der Richterin abgedeckt ist.

Das Amtsgericht kann die Durchsuchung gemäß § 105 StPO u. a. durch Beschluss anordnen. Dabei wird den gesetzlichen Anforderungen einer außerhalb der mündlichen Verhandlung getroffenen richterlichen Entscheidung (§§ 33 ff. StPO) nicht dadurch Genüge getan, dass die Richterin in ein Formular oder ein von ihr gefertigtes unvollständiges Schriftstück Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen sie auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.06.2004, Az: 1 Ws 191/04). Mit der Verweisung auf Aktenbestandteile erteilt sie dann nämlich einer nachgeordneten, zur Entscheidungsfindung nicht befugten Person die Anweisung, die fehlenden Angaben nachzuholen, ohne deren Befolgung zu kontrollieren und dafür selbst die Verantwortung zu übernehmen. Eine solche Verfahrensweise entspricht nicht dem Gesetz (vgl. BGH, NJW 2003, 3136).

3. Aus den gleichen Gründen ist auch die angeordnete Beschlagnahme etwa aufgefundener Beweismittel unwirksam. Hierüber ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO.“

Da hatte es sich das AG dann doch zu einfach gemacht. Nur Kreuzchen sind eben keine „eigenverantwortliche Prüfung“ bzw. belegen die nicht. Das hat schon das BVerfG gesagt.

StPO I: Anfangsverdacht für eine Durchsuchung, oder: Mitgliedschaft in Chats „Giiiirls“/”Teen Nudes“ reicht

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Heute dann der Start in das „normale“ Wochenprogramm, Corona am Montag ist immer „Vorprogramm“. Und ich beginne die Berichterstattung mit Entscheidungen zur StPO, und zwar aus dem Ermittlungsverfahren.

An der Spitze ein Beschluss betreffend die Anordnung einer Durchsuchung. Den LG Konstanz, Beschl. vom 14.12.2021 – 4 Qs 111/21 – haben mir die Rechtsanwälte Laudon/Schneider aus Hamburg geschickt, Verteidiger war der Kollege Eggers. In der Entscheidung geht es um die Frage des Anfangsverdachts in einer KiPo-Sache.

Das AG hatte die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge des Beschuldigten nach diversen digitalen Speichermedien pp. , sowie deren Beschlagnahme angeordnet. Der Tatvorwurf lautete auf Erwerb bzw. Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften/Inhalte. So soll der Beschuldigte in zwei WhatsApp-Chats („Giiiirls“ bzw. ”Teen Nudes“) am 15.09.2021 und am 11.08.2019 jeweils kinder- bzw. jugendpornographische Bild- und Videodateien in seinem Ac-count empfangen, wahrgenommen und möglicherweise auch – bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses – in Besitz genommen haben.

Dagegen hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten Durchsuchung beantragt. Begründung: Allein die Mitgliedschaft in den beiden Chats, deren Namensgebung nicht vermuten lasse, dass entsprechendes inkriminiertes Bild- und Videomaterial ausgetauscht werde, sei nicht strafbar. Mit solch einem Austausch müsse man auch nicht rechnen.Das LG hat die Beschwerde verworfen:

„Grundlage der Strafbarkeit sind vorliegend die §§ 184b Abs. 3 und 184c Abs. 3 StGB in der zwischen 01.07.2017 und 12.03.2020 gültigen Fassung, die mutmaßlichen Tatreiten sind der 15.07.2019 und der 11.08.2019. Demnach muss(te) der Täter es unternehmen, sich den Besitz an einer kinder- oder jugendpornographischer Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, verschaffen, oder eine solche Schrift besitzen. Fest stand nach Aktenlage bei Beschlusserlass, dass der Beschuldigte Mitglied der beiden o.g. WhatsApp-Chats war, in denen – zumindest auch – inkriminierte Schriften i.S. der §§ 184b und c StGB a.F. ein- und ausgingen. Zu den Schriften im vorgenannten Sinne gehörten gem. § 11 Abs. 3 StGB auch Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen, mithin auch die im angefochtenen Beschluss aufgezählten Dateien. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, mithin die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer den Straftatbestand der §§ 184b und c StGB a.F. verwirklicht haben könnte, lagen vorliegend vor (Anfangsverdacht). Beiden vorgenannten Tatbeständen handelt es sich um Unternehmensdelikte, so dass auch bereits Versuchshandlungen strafbar sind (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Die Mitgliedschaft in einem Chat wie den vorliegend zu beurteilenden ist bei der sich im Zeitpunkt der Beschlussfassung bietenden objektiven Sachlage gerade auch bei Zugrundelegung kriminalistischer Erfahrungen ein gewichtiger Hinweis darauf, dass sich die Chat-Mitglieder am Austausch der inkriminierten Dateien beteiligen, sei es durch aktives Einstellen entsprechender Dateien oder aber – wofür vorliegend jedenfalls eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand und besteht -durch den „Konsum“ in Form des An-schauens und auch Archivierens zumindest für eine bestimmte Dauer, was den Besitztatbestand verwirklichen würde. Ein entsprechender Vorsatz – jedenfalls in bedingter. Form – liegt bei solchen Sachverhalten ebenfalls nahe. Es geht im aktuellen Verfahrensstadium nicht um die Frage nach einer Verurteilungswahrscheinlichkeit im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts, sondern um einen einfachen Anfangsverdacht. Wie stets wird all dies im weiteren Verlauf der Ermittlungen noch näher abzuklären sein.

Die Anordnung der Durchsuchung zur Beschlagnahme der im angefochtenen Beschluss angeführten Beweismittel war zur Verifizierung oder Falsifizierung des Tatverdachtes auch erforderlich. Letztlich kann – je nach dem Ergebnis der Auswertung – die Durchsuchung ja auch zur Entkräftung des Tatvorwurfs beitragen. Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Die Anordnung stand auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verdachts und der Bedeutung der Sache und war insgesamt verhältnismäßig.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Entsteht die Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung eines geleasten Fahrzeugs?

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Am Freitag hatte ich nach der Nr. 4142 VV RVG gefragt, und zwar wie folgt: Ich habe da mal eine Frage: Entsteht die Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung eines geleasten Fahrzeugs?

Hier meine Antwort:

„Moin,

danke für die Nachfrage.

Das LG Amberg hat die Gebühr in einem Leasing-Fall verweigert – LG Amberg, Beschl. v. 29.05.2019 – 12 KLs 107 Js 2871/18.

Ich würde Sie aber ggf. doch geltend machen. Denn Sie haben doch um die Einziehung gestritten usw. Sie haben doch den Mandanten dahin beraten, dass eine Einziehung nicht in Betracht kommt. Einfach versuchen.“

Und dann mal wieder <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, der solche Fragen natürlich auch behandelt. Bestellung ist hier möglich. <<Werbemodus aus>>

Corona II: Maske in geschlossenen Räumlichkeiten im öffentlichen Raum, oder: Was gehört ins Urteil?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Hamm, Beschl. v. 16.12.2021 – 4 RBs 387/21 – befasst sich u.a. (noch einmal) mit der Maskentragepflicht.

Zur Last gelegt wird dem Betroffenen ein Verstoß gegen  § 3 Abs. 2 Nr. 1 CoronaSchVO NW. Nach den Feststellungen des AG war der Betroffene „im  Betrieb des Betroffenen im Ystraße 00 in Z …. seiner Verpflichtung zum Tragen einer textilen Mund-Nasen-Bedeckung (Alltagsmaske) in geschlossenen Räumlichkeiten im öffentlichen Raum gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 CoronaSchVO nicht“ nachgekommen.  Zudem soll der Betroffene bei einer Kontrolle die in § 4 Abs. 1 CoronaSchVO geregelten Hygiene- und Infektionsschutzanforderungen in seinem Betrieb nicht eingehalten haben.

Dem OLG reichen die vom AG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht:

1. Das angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf. Die Anforderungen an die Gründe eines Bußgeldurteils dürfen zwar nicht überspannt werden. Unerlässlich ist aber die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gesehen werden (vgl. Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 71 Rdn. 42 f. m.w.N.). Die getroffenen Feststellungen sind so unzureichend, dass sie eine Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob der Betroffene zu Recht wegen der o.g. Verstöße verurteilt worden ist, nicht zulassen.

Aus den getroffenen Feststellungen ergeben sich schon nicht die Voraussetzungen, nach denen in § 3 Abs. 2 Nr. 1 CoronaSchVO NW eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung begründet ist. Die Vorschrift verlangt hierzu, dass die Tatörtlichkeiten „geschlossene Räumlichkeiten im öffentlichen Raum“ sind. Diese müssen „Kundinnen und Kunden beziehungsweise Besucherinnen und Besuchern zugänglich“ sein.

Zu den Tatörtlichkeiten stellt das Amtsgericht lediglich „im Betrieb“ fest. Hieraus ergibt sich schon nicht, dass es sich (1) um geschlossene Räumlichkeiten (2) im öffentlichen Raum handelt. Allenfalls dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann man entnehmen, dass es sich bei dem „Betrieb“ des Betroffenen um geschlossene Räume handelt. Der Begriff „öffentlicher Raum“ wird in § 1 Abs. 5 CoronaSchVO NW dahin definiert, dass es sich um alle nicht durch Art. 13 GG geschützten Bereiche handelt. Dem Schutz von Art. 13 GG unterfallen auch beruflich genutzte Räume, wenn und soweit die Räumlichkeiten der Privatsphäre der natürlichen Person zuzuordnen sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. April 2015 – 2 BvR 2279/13 – juris). Ob es sich vorliegend um solche Räumlichkeiten handelt oder nicht, kann aufgrund der unzureichend getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden.

Auch die Frage, ob (etwaige) Räumlichkeiten des „Betriebs“ des Betroffenen „Kundinnen und Kunden bzw. Besucherinnen und Besuchern“ zugänglich waren, kann anhand der getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich auch nicht zwangsläufig schon daraus, dass Kontrollen durch Beschäftige des Ordnungsamtes stattgefunden und diese etwa als Besucher Zugang gehabt haben, denn es ist nicht festgestellt, dass diese sich innerhalb etwaiger betrieblicher Räumlichkeiten aufgehalten haben (oder womöglich lediglich von außen, z.B. durch Fenster das Tatgeschehen beobachtet haben). Ähnliches gilt, soweit es in der Beweiswürdigung heißt, ein Zeuge habe beobachtet, dass Mindestabstände zwischen Mitarbeitern und Kunden nicht eingehalten worden seien.

Darauf, ob die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Würdigung, dass das in der Hauptverhandlung vorgelegte Attest nicht den Anforderungen entspreche, die an ein wirksames ärztliches Attest zu stellen sind, lückenhaft ist, weil der Inhalt des Attestes nicht näher wiedergegeben wird, kommt es nicht mehr entscheidend an.

Soweit der Betroffene auch wegen eines tateinheitliches Verstoßes gegen die in § 4 Abs. 1 CoronaSchVO NW geregelten Hygiene- und Infektionsschutzanforderungen bei der Tat am 09.01.2021 verurteilt worden ist, fehlen jegliche Feststellungen dazu, wann welche Behörde welche Anforderungen vollziehbar angeordnet hat, insbesondere, ob das Vorhalten von Desinfektionsmitteln, welches hier fehlte, angeordnet war.“

Das OLG hat zudem Stellung genommen hinsichtlich der Wirksamkeit der VO und der Verordnungsermächtigung. Dazu nur (mein) Leitsatz. Den Rest bitte selbst lesen:

„Die Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG verstößt nicht gegen das aus Artikel 80 Abs. 1 GG folgende Wesentlichkeitsprinzip, sondern erweist sich als Ermächtigungsnorm für den Erlass von Rechtsverordnungen hinreichend bestimmt.“