Archiv für den Monat: Januar 2022

OWi I: Die Einsicht in die gesamte Messreihe, oder: OLG Stuttgart, AGe Bad Saulgau, Friedberg, Heiligenstadt

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Urheber Jepessen

Und dann heute vor dem Gebührentag am morgigen Freitag noch ein paar OWi-Entscheidungen.

Ich starte mit einem Posting zu Entscheidungen betreffend (Akten)Einsicht in Messdaten. Und da habe ich = stelle ich vor den OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.10.2021 – 4 Rb Ss 25 Ss 1023/21 -, den mir der Kollege Gratz vom Verkehrsrechtsblog geschickt hat. Das OLG bejaht ein Einsichtsrecht:

„2. Die Rüge der Verletzung des fairen Verfahrens ist vorliegend erfolgreich. Die nicht gewährte Einsichtsmöglichkeit in die nicht bei den Akten befindliche gesamte Messreihe des Messtages an dem fraglichen Messort durch das Amtsgericht ist basierend auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Recht auf ein faires Verfahren nicht vereinbar (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18, Rn. 51; Kammerbeschluss vom 4. Mai 2021 – 2 BvR 868/20, juris Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Juli 2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, juris Rn. 28; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2021 – 1 OLG 331 SsBs 23/20, juris Rn. 15 mwN; Senat, Beschl. v. 3. August 2021 — 4Rb 12 Ss 1094/20 – juris).

Das Amtsgericht hat zu Unrecht den Antrag des Betroffenen auf Aussetzung der Hauptverhandlung und Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zur Verfügungsstellung der Daten der gesamten Messreihe, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, durch Beschluss zurückgewiesen bzw. in der Hauptverhandlung nicht mehr beschieden und damit die Verteidigung unzulässig gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. mit § 338 Nr. 8 StPO beschränkt.

Der Betroffene ist durch die Vorenthaltung der mit seiner verfahrensgegenständlichen Messung in Zusammenhang stehenden Messreihe in seinem Recht auf eine faire Verfahrensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt worden. Aus diesem Recht ergibt sich für den Betroffenen ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen zu dem ihn betreffenden Messvorgang. Das Recht gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrzunehmen, um Übergriffe staatlicher Stellen angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfG NVZ 2021, S. 43). Er darf nicht zum bloßen Objekt eines Verfahrens gemacht werden, sondern muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (BVerfGE 65, 171-174). Dazu gehört das Recht auf möglichst frühen und umfassenden Zugang zu Ermittlungsvorgängen und Beweismitteln, die zum Zwecke der Untersuchung anlässlich des Verfahrens entstanden sind, jedoch nicht zur Akte genommen worden sind und deren Beiziehung unter Aufklärungsgesichtspunkten vom Tatgericht nicht für erforderlich erachtet wurde. Dabei kann der Betroffene eines Bußgeldverfahrens gegenüber der Verwaltungsbehörde auch ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Messfehler verlangen, Einsicht in bei ihr existierende weitere Unterlagen zur eigenen Überprüfung der Messung zu erhalten, da er ohne diese nicht beurteilen kann, ob – gerade im standardisierten Messverfahren – Beweisanträge zu stellen sind. Dass nach Auffassung der Physikalisch-Technischen-Prüfbehörde der Erkenntniswert durch die Statistikdatei, die gesamte Messreihe sowie die Annullationsrate in der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung gering sei, (vgl.https://www.ptb.de/cms/fileadminfinternet/fachabteilungen/abteilung_1/1.3_ki-nematik/1.31/downloads/PTB Stellungnahme_Statistikdatei_DOLpdf), trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu, da bestimmte Auffälligkeiten der Messungen für einen Betroffenen bzw. den von diesem beauftragten Sachverständigen nur bei Betrachtung aller Aufnahmen und Daten ermittelbar sind (vgl. Cierniak, ZfS 2012, 664, 772). Im Übrigen unterliegt es allein der Einschätzung des Betroffenen und seiner Verteidigung, ob bestimmte Informationen für seine Recherchen von Bedeutung sein könnten (Thüringer OLG, aaO Rn. 21). Erst nach deren Erlangung kann er entscheiden, ob er seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aufrechterhalten und die weiteren Kosten und Gebühren des gerichtlichen Verfahrens einschließlich anwaltlichen Beistands auf sich nehmen will.

b) Soweit Bedenken bestehen, dass bei einer Einsicht in die gesamte Messreihe des Messtages Daten Dritter betroffen sind, kann dem durch eine Anonymisierung der Daten Rechnung getragen werden. Außerdem werden diese Messdaten lediglich an den Verteidiger als Organ der Rechtspflege sowie einen von diesem beauftragten Sachverständigen herausgegeben und damit datenschutzrechtliche Bedenken weiter verringert, da zu erwarten ist, dass die diesen übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden. Daher muss bei dieser Verfahrensweise das Interesse der in den Falldateien der Messreihe er-fassten weiteren Verkehrsteilnehmer gegenüber dem aus dem fair-trial-Anspruch begründeten Einsichtsrecht des Betroffenen zurückstehen (vgl. zum Ganzen auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, aaO Rn. 28; Thüringer Oberlandesgericht, aaO Rn. 25). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass lediglich Foto und Kennzeichen, nicht aber die Fahrer- oder Halteranschrift der anderen Verkehrsteilnehmer übermittelt werden.“

Und dann habe ich noch:

Der Verteidiger hat als Vertreter des Betroffenen einen Anspruch auf Zugang zu den am Tattag an der ihn betreffenden Messstelle generierten Falldateien anderer Verkehrsteilnehmer. Diese Messreihe hat die Verwaltung an den Verteidiger zum Abruf über eine Internetverbindung bereitzustellen.

1. Eine unterlassene Beweismittelvervollständigung ist keine Maßnahme einer Behörde, die von dem Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst wäre.

2. Ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Messreihe besteht nicht, da diese nicht aufgrund des konkreten Ermittlungsverfahrens entstanden ist.

Der Verteidiger des Betroffenen hat ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weitere Unterlagen oder Datenträger bezieht; auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, aus denen sich der Schuldvorwurf ergeben soll und die möglicherwelse auch der Entlastung des Betroffenen dienen können. Das umfassende Akteneinsichtsrecht der Verteidigung ist außerdem auf dem Grundsatz des fairen Verfahrens begründet.

Haft III: Invollzugsetzung eines Haftbefehls nach Urteil, oder: Liegen „neue“ Umstände vor?

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Und als dritte Entscheidung dann zum Tagesschluss noch etwas aus Berlin, nämlich der KG, Beschl. v. 29.10.2021 – 2 Ws 114/21 – zur erneuten Invollzugsetzung eines Haftbefehls bei neu hervorgetretenen Umständen. Hier hatte das LG einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl nach Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren wieder in Vollzug gesetzt. Dagegen das Rechtsmittel des Angeklagten, das beim KG Erfolg hatte.

Der KG-Beschluss enthält nicht wesentlich Neues, sondern schreibt die Rechtsprechung zu dieser „Dauerbrennerproblematik“ fort. Daher reichen hier die Leitsätze des KG:

1. Neu hervorgetretene Umstände im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO rechtfertigen die Wiederinvollzugsetzung eines Haftbefehls dann, wenn sie zu einer Straferwartung führen, die von der Prognose des Haftrichters zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht, und sich nach einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die Fluchtgefahr durch die Abweichung ganz wesentlich erhöht.

2. Stand aber dem Angeklagten die Möglichkeit einer für ihn nachteiligen Änderung der Prognose während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen und kam er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nach und hat damit dokumentiert, dass er sich dem Verfahren zur Verfügung halten will, kommt der erneute Voll-zug des Haftbefehls nicht in Betracht.

Haft II: Menschenunwürdige Haft in Albanien, oder: Wird deshalb die nationale Haft unverhältnismäßig?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt dann vom OLG Nürnberg. Das hat im OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.11.2021 – Ws 1069-1070/21 – zur Verhältnismäßigkeit von U-Haft bzw. eines nationalen Haftbefehls Stellung genommen, wenn sich der Beschuldigte im Ausland in Auslieferungshaft befindet.

Gegen den Beschuldigten besteht ein Haftbefehl des AG, der Grundlage eines am 06.05.2021 erlassenen Europäischen Haftbefehls ist. Der Beschuldigte wurde am 04.06.2021 in Albanien festgenommen und befindet sich dort aufgrund des gestellten Auslieferungsersuchens in Auslieferungshaft, nach Angaben seines Verteidigers in der Haftanstalt K.

Gegen den Haftbefehl des AG hat der Beschuldigte Beschwerde eingelegt, die das LG zurückgewiesen hat. Dagegen die weitere Beschwerde des Beschuldigten, diedas OLG zurückgewiesen hat.

Vorab: Es handelt sich um einen „Encrochat“-Fall. Die Ausführungen des OLg zum Beweisverwertungsverbot schenke ich mir hier.Das OLG führt dazu auch nicht selbständig aus, sondern verweist nur auf die Rechtsprechung der anderen OLG, die alle die gewonnenen Erkenntnisse für verwertbar halten.

Zur Verhältnismäßigkeit der Haft stellt das OLG dann fest:

„Die vom Beschuldigten im Schreiben seines Verteidigers vom 11.10.2021 vorgebrachten Haftbedingungen in der albanischen Haftanstalt K. führen nicht zur Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Untersuchungshaft.

(1.)   Derzeit wird die Untersuchungshaft nicht vollzogen. Grundlage des derzeitigen Freiheitsentzugs ist die Anordnung der Auslieferungshaft in Albanien Einwendungen gegen den Vollzug der Auslieferungshaft sind im ersuchten Staat geltend zu machen.

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25. März 1981 – 2 BvR 1258/79 –, BVerfGE 57, 9-28) führt dazu aus, dass das Auslieferungsersuchen weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Beschwerdeführers darstellt. Es ist eine innerstaatliche Angelegenheit des ersuchten Staates, ob und unter welchen Voraussetzungen er die betroffene Person zum Zwecke der Auslieferung in Haft nimmt. Auch die Art. 16 Abs. 1 und Art. 22 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens enthalten keine Beschränkungen des Rechts des ersuchten Staates, die Voraussetzungen einer Auslieferungshaft und den Umfang der Prüfung dieser Voraussetzungen durch seine Behörden zu regeln. Nach diesen Vorschriften entscheiden die zuständigen Behörden des ersuchten Staates über ein Ersuchen um vorläufige Verhaftung nach dessen Recht. Soweit in diesem Übereinkommen nichts anderes vereinbart ist, findet auf das Verfahren der Auslieferung ausschließlich das Recht des ersuchten Staates Anwendung.

(2.)   Aus der Andeutung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.), dass diese Frage anders zu beurteilen sein könnte, wenn infolge des deutschen Auslieferungsersuchens eine Behandlung der betroffenen Person durch den ersuchten Staat zu gewärtigen wäre, die den völkerrechtlich verbindlichen menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreitet, ergibt sich nichts anderes. Die im dortigen Verfahren erhobene Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, mit dem ein Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23ff GVG gegen das gestellte Auslieferungsersuchen als unzulässig verworfen worden war. Die Frage, ob Haftbedingungen im ersuchten Staat zu prüfen sind, wurde vom Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung aufgeworfen, ob der Beschwerdeführer durch das Auslieferungsersuchen unmittelbar in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden sein kann. Die Verhältnismäßigkeit des dem Ersuchen zu Grunde liegenden Haftbefehls war nicht Gegenstand der Entscheidung.

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen somit nur das Auslieferungsersuchen, nicht aber den dem Ersuchen zu Grunde liegenden nationalen Haftbefehl. Damit kann der Einwand menschenunwürdiger Haftbedingungen in der Einlieferungshaft nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Haftbefehl geprüft werden.

Müsste ein Haftbefehl aufgrund menschenunwürdiger Haftbedingungen im ersuchten Staat aufgehoben werden, entfiele damit auch die Fahndung im Inland und in den Ländern, für die keine Zweifel an der Einhaltung der Mindeststandards bei Inhaftierungen bestehen. Der Beschuldigte hätte es damit in der Hand, sich durch eine Flucht in einen entsprechenden Staat dem Strafverfahren dauerhaft zu entziehen und sich weiter frei bewegen zu können.“

Haft I: Anordnung von Hauptverhandlungshaft, oder: Nicht nach Ablehnung des beschleunigten Verfahrens

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Ich stelle dann heute hier im Blog seit längerer Zeit mal wieder (drei) Haftentscheidungen vor.

Den Opener mache ich mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.11.2021 – 1 Ws 437/21, der eine Problematik der sog. Hauptverhandlungshaft (§ 127b StPO) zum Gegenstand hat.

Es geht umd drei Beschuldigten, georgische Staatsangehörige mit jeweils dem Status eines Asylbewerbers. Die Beschuldigten sind dringend verdächtig, in den Geschäftsräumen einer Firma 30 Packungen Zigaretten im Wert von insgesamt 343,90 Euro entwendet zu haben. Unter dem 14.07.2021 hatte die Staatsanwaltschaft die Anordnung von Hauptverhandlungshaft gegen die zu diesem Zeitpunkt weiterhin in Polizeigewahrsam befindlichen Beschuldigten beantragt. Mit jeweils gleichlautenden Beschlüssen vom selben Tage hatte das AG den Erlass von Haftbefehlen gemäß § 127b Abs. 1 StPO gegen die Beschuldigten abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine „sofortige Verhandlung“ aufgrund der Arbeitsauslastung des Gerichts und der Gesamtumstände des Verfahrens nicht möglich sei. Der Unterzeichner sei überwiegend austerminiert und auch aus persönlichen Gründen gehindert, im beschleunigten Verfahren zu terminieren und zu entscheiden. Im Übrigen sei auch die personelle Ausstattung des Gerichts mit Protokollkräften nicht oder kaum in der Lage eine derartige Verhandlung innerhalb der kurzen Frist zu realisieren. Auch die „Corona-Bestimmungen“ des Gerichts würden eine kurzfristige Verhandlung erschweren, da nur unter Zurückstellung von Bedenken eine Verhandlung mit mindestens zehn Beteiligten durchzuführen sei.

Das LG hat die sofortige Beschwerde verworfen. Dagegen die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die beim OLG keinen Erfolg hatte:

„3. Indessen fehlt es an der weiter erforderlichen Voraussetzung, dass eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich ist (§ 127b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO).

Dabei kann dahinstehen, ob der Erwartung der Durchführung der Hauptverhandlung binnen einer Woche nach der Festnahme (§ 127b Abs. 2 Satz 1 StPO) tatsächlich die in den ablehnenden Entscheidungen des Amtsgerichts und den angefochtenen Beschlüssen des Landgerichts angeführten Gründe, namentlich die Terminslage, anderweitige Verhinderung des zuständigen Richters und gerichtsorganisatorische Einschränkungen, entgegenstehen.

Denn eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren kann vorliegend nicht (mehr) ergehen. Das Amtsgericht hat nämlich mit Beschlüssen vom 14. Juli 2021 nicht allein die Anordnung der Hauptverhandlungshaft nach § 127b gegen die Beschuldigten abgelehnt, sondern auch den gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 14. Juli 2021 auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist gemäß § 419 Abs. 2 Satz 2 StPO unanfechtbar und hat zur Folge, dass über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden (§ 419 Abs. 3 StPO) und die Sache gegebenenfalls im Regelverfahren fortzusetzen ist. Die Wiederholung des Antrags auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren ist ausgeschlossen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 419 Rz. 9 a.E.).

Zur Sicherung der Durchführung des danach allein noch möglichen Regelverfahrens darf aber die Haft nach § 127b Abs. 2 StPO nicht angeordnet werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 127b Rz. 9; LR-Gärtner, StPO, 27. Aufl., § 127b Rz. 12).“.

Ich denke, vom beschleunigten Verfahren werden wir bei Anhalten der Corona-Proteste und der „Spaziergänge“ ggf. in nächster Zeit noch mehr hören. Und bitte: Nein, das sind dann keine „Standgerichte“.

StPO III: Wenn der Schöffe wegen KiPo verurteilt ist, oder: Amtsenthebung wegen Amtspflichtverletzung

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Mit der dritten StPO-Entscheidung des Tages werden auch Besetzungsfragen  – zumindest tangiert. Der OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.11.2021 – Ws 952/21 – behandelt nämlich die Frage der Amtsenthebnung eines Schöffen nach § 51 GVG, was ja auch Auswirkungen auf die Gerichtsbesetzung hat.

Hier hatte die Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses eines AG beantragt, einen  Hauptjugendschöffen wegen gröblicher Verletzung seiner Amtspflichten seines Amtes zu entheben und vorab anzuordnen, dass er bis zur Entscheidung über die Amtsenthebung nicht zu Sitzungen heranzuziehen ist, da die nächste Sitzung mit seiner Beteiligung am 11.11.2021 stattfindet. Als Grund für den Amtsenthebungsantrag wurde angegeben, dass gegen den Schöffen am 15.09.2021 durch das Amtsgericht Kelheim im Verfahren, Az.: 6 Cs 703 Js 4909/21, ein Strafbefehl wegen Verbreitung jugendpornographischer Schriften in vier tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Verbreitung jugendpornographischer Schriften gemäß §§ 184c Abs. 1 Nr. 1, 184b Abs. 1 Nr. 1, 52, 53 StGB in der jeweils zu den Tatzeitpunkten (04.01. bis 19.01.2021) geltenden Fassung des Strafgesetzbuches ergangen sei. Dieser Strafbefehl – zum Vorwurf im Einzelnen verweise ich auf den Volltext – war rechtskräftig.

Das OLG Nürnberg ist dem Antrag nachgekommen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Aufgrund gröblicher Amtspflichtverletzung, die zugleich einen Straftatbestand erfüllt, kann ein Schöffe nach § 51 Abs. 1 GVG seines Amts enthoben werden, auch wenn er deswegen nicht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist. Die §§ 32 Nr. 1, 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG entfalten insoweit keine Sperrwirkung.

  2. Mit der Verbreitung kinderpornographischer und jugendpornographischer Inhalte verletzt ein Jugendschöffe seine Amtspflichten gröblich (§ 51 Abs. 1 GVG), so dass er seines Amtes zu entheben ist.