Archiv für den Monat: September 2021

Strafzumessung III: Strafaussetzung zur Bewährung?, oder: Begründungsmangel

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Und zum Schluss des Tages stelle ich dann hier noch den OLG Dresden, Beschl. v. 06.09.2021 – 1 OLG 22 Ss 368/21 – zu Bewährungsfragen.

Das LG hatte dem Angeklagten keine Bewährung gewährt. Das OLG hebt wegen eines Begründungsmangels auf:

„Die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung hält dagegen revisionsrechtlicher Über-prüfung nicht stand. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu weisen erhebliche Erörterungsmängel auf.

Zwar kommt dem Tatrichter bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat (BGH, Urteil vom 05. April 2018 – 1 StR 654/17 – m.w.N.). Dies gilt sowohl für die Prognoseentscheidung des Landgerichts im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB als auch die Prüfung, ob besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 56 Rdn. 11, 25). In beiden Fällen hat der Tatrichter unter Einbeziehung aller dafür bedeutsamen Umstände im Sinne einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Die Umstände, auf die die Bejahung oder Verneinung einer günstigen Sozialprognose bzw. das Vorliegen besonderer Umstände gestützt werden soll, müssen rechtsfehlerfrei festgestellt werden (Fi-scher, a.a.O., Rdn. 23). Der Tatrichter ist dabei nach § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO gehalten, die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung im Urteil unter Darlegung der dafür maßgeblichen Erwägungen in einer den Anforderungen des sachlichen Rechts genügenden Weise zu begründen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 25. Januar 2019 – 161 Ss 163/18 -).

Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht. Der Tatrichter hat dem Angeklagten zwar „eine positive Kriminal- und Sozialprognose“ gestellt. Die für den Ange-klagten sprechenden Umstände (geständig, entschuldigte sich beim Geschädigten, leistete Schadensersatz, Tat liegt fast vier Jahre zurück) seien jedoch „weder allein noch in ihrer Gesamtheit“ geeignet, das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu begründen. Ergänzend wurde angeführt, dass „das Berufungsgericht dem Gedanken einer Strafaussetzung sicherlich nähertreten“ hätte „können, wäre der Angeklagte nicht vorbestraft und hätte er trotz Wissen um das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren keine weiteren Straftaten begangen“.

Diese Ausführungen erweisen sich nicht in jeder Hinsicht als frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte die mit Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 16. März 2018 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung beanstandungsfrei durchgestanden hat und die Strafe zwischenzeitlich erlassen worden ist. Dies stellt einen gewichtigen, für den Angeklagten sprechenden Umstand dar, der in die vorzunehmende Gesamtabwägung einzustellen war. Der Tatrichter durfte dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung nicht versagen, ohne zu prüfen, ob nicht allein die Gefahr des Widerrufs der Strafaussetzung mit der Folge der Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe den Angeklagten von weiteren Straftaten abzuhalten vermag (vgl. BGHR, StGB, § 56 Abs. 2 Sozialprognose 3; BGH, Urteil vom 05. April 2018 – 1 StR 654/17 -). Schließlich hat das Landgericht auch nicht in seine Abwägung eingestellt, dass gegen den Angeklagten nach Begehung der ihm im vorliegenden Verfahren zur Last liegenden Tat eine freiheitsentziehende Maßnahme in Form eines zweiwöchigen Jugendarrestes vollstreckt wurde und es sich bei dem Angeklagten im Hinblick auf die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe um einen Erstverbüßer handelt (KG Berlin, StV 2021, 53 f.). Bei dieser Sachlage hätte sich der Tatrichter mit der Frage auseinander-setzen müssen, ob der von der Vollstreckung des Jugendarrestes ausgehende Warneffekt eine Wirkung auf den Angeklagten erzielt hat und deshalb von einer Strafaussetzung zur Bewährung erwartet werden könnte, dass der Angeklagte die Chance nutzt und künftige keine Straftaten mehr begeht. Schließlich kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht den „Vorstrafen“ des Angeklagten zu großes Gewicht beigemessen hat. Bereits im Rahmen der Strafzumessung hat es berücksichtigt, dass der Angeklagte „bereits mehrfach auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten“ sei, „wenngleich diese Vortaten als Jugendverfehlungen geahndet wurden“. Tatsächlich war der Angeklagte zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Tat noch nicht vorbestraft. Die gegen ihn in den Jahren 2011 und 2015 eingeleiteten Verfahren waren nach § 47 JGG gegen richterliche Weisung bzw. Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt worden. Im Jahr 2017 wurde gegen ihn ein zweiwöchiger Jugendarrest verhängt. Bei den Verfahrenseinstellungen nach § 47 JGG als auch der Verhängung eines Zuchtmittels in Form des Jugendarrestes handelt es sich nicht um Vorstrafen (vgl. BayObLG, StV 2021, 257 f.). Die Vorahndungen können zwar im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Der Tatrichter muss sich dabei aber immer bewusst sein, dass es sich nicht um Vorstrafen, denen ein stärkeres Gewicht zukommt, handelt. Angesichts der Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Entscheidung zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung kann der Senat nicht ausschließen, dass sich der Tatrichter der vorgenannten Bedeutung der Vorahndungen nicht bewusst war und ihnen ein zu großes Gewicht beigemessen hat. Hierfür spricht insbesondere auch, dass er unter Verweis auf die Eintragung Nr. 2 im Bundeszentralregister, nach der das Verfahren wegen räuberischer Erpressung und versuchter räuberischer Erpressung nach § 47 JGG gegen Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt wurde, zu Lasten des Angeklagten wertet, dass dieser „keine Hemmungen“ hatte, „die körperliche Unversehrtheit von Menschen und auch deren Eigentum anzugreifen“.

Angesichts der vorliegenden Erörterungsmängel kann die Entscheidung zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung keinen Bestand haben.“

Strafzumessung II: Spurenbeseitigung/Entsorgung der Leiche, oder: Klassiker 2.0

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 313/21 – geht es auch um ein „Klassikerproblem“. Der BGH hat in einem Verfahren mit einem Mordvorwurf die verhängten Rechtsfolgen aufgehoben, und zwar:

„1. Die Schwurgerichtskammer hat bei beiden Angeklagten strafschärfend gewichtet, dass diese umfangreiche Maßnahmen zur Spurenbeseitigung unternommen haben (unter anderem Verbringen der Leiche auf einen Friedhof und deren Verscharren, „Entsorgung“ von Beweismitteln an unbekannten Stellen). Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Denn nach ständiger Rechtsprechung darf der Versuch, sich durch Beseitigung von Tatspuren der Strafverfolgung zu entziehen – ausgenommen bei besonderen, hier nicht vorliegenden Umständen (vgl. LK-StGB/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 184 f. mwN) – nicht straferschwerend gewertet werden (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 2 StR 493/10 , NStZ 2011, 512; Beschlüsse vom 10. Februar 1994 – 1 StR 850/93 ,StV 1995, 131; vom 15. März 2018 – 4 StR 469/17 , NStZ 2019, 215, 216; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 670 mwN).

2. Darüber hinaus hat die Schwurgerichtskammer dem Angeklagten A. die in über 100 Schwertstichen, -schnitten und -hieben mit einem scharfen Kurzschwert zum Ausdruck kommende besondere Brutalität sowie den Umstand besonders angelastet, dass er „seiner Aggressivität ungehindert freien Lauf gelassen“ und auf sein handlungsunfähig am Boden liegendes Opfer noch eingestochen hat, was besonders verwerflich sei. Die Ausführungen lassen dabei nicht das Bewusstsein des Landgerichts erkennen, dass die besondere Brutalität – wie namentlich auch aus den Erwägungen zur Gefährlichkeit im Rahmen des § 63 Satz 1 StGB deutlich wird – gerade Ausdruck der wegen der Erkrankung des Angeklagten verminderten Schuldfähigkeit ( § 21 StGB ) gewesen ist. Dann darf sie aber nur nach dem Maß der geminderten Schuld berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61 , BGHSt 16, 360, 363 f. ; Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 636 mwN).“

Strafzumessung I: Zulässiges Verteidigungsverhalten nachteilig verwertet, oder: Klassiker

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Hier sind sie – seit längerem mal wieder Strafzumessungsentscheidungen.

Zum „Warmwerden“ hier zunächst der BGH, Beschl. v. 01.09.2021 – 4 StR 123/21. Das LG hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine Revision hatte hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg:

„2. Der Strafausspruch hält hingegen der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sowohl bei der Begründung, mit der es einen minder schweren Fall der schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 3 StGB abgelehnt hat, als auch bei seiner – hierauf Bezug nehmenden – konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass „es für den Nebenkläger bis zur Hauptverhandlung ungewiss war, wer tatsächlich Täter der Tathandlung war“ und der Nebenkläger davon ausging, dass „der Angeklagte die Tat bestreitet und es nicht sicher war, ob es zu einer Verurteilung des Angeklagten kommt oder nicht“.

Mit dieser Erwägung hat das Landgericht rechtsfehlerhaft das zulässige Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu seinem Nachteil verwertet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2010 – 3 StR 192/10; vom 21. November 2019 – 4 StR 546/19 mwN). Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände nicht ausschließen, dass die Bemessung der Strafe auf der rechtsfehlerhaften Erwägung beruht.“

StGB III: Betrug mit Modus operandi „Falscher Polizeibeamter“, oder: Ist der „Abholer“ Mittäter/Gehilfe?

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Bei der dritten StGB-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das BGH, Urt. v. 29.07.2021 – 1 StR 83/21. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges verurteilt.

Nach den Feststellungen des LG „beteiligte sich der Angeklagte als Mitglied einer Gruppierung an Betrugsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen mit dem Modus operandi „Falscher Polizeibeamter“. Hinter den Taten stand eine professionell organisierte Tätergruppierung, die arbeitsteilig vorging. Von der Türkei aus führten von eigens zu diesem Zweck eingerichteten Call-Centern aus sogenannte Keiler Telefonate mit den meist älteren Opfern. Darin gaben sie sich als Polizeibeamte aus und täuschten den Angerufenen vor, diese stünden im Visier einer Einbrecherbande, die sie bestehlen oder die Geld von ihrem Bankkonto abheben wolle. Den älteren Menschen wurde dringend geraten, ihr Vermögen alsbald durch die Polizei sichern zu lassen. Unter dem irrigen Eindruck, es handele sich tatsächlich um Anrufe echter Polizeibeamter, wurden die Opfer dazu veranlasst, ihre im Haus aufbewahrten Wertgegenstände vermeintlichen Polizeibeamten auszuhändigen oder ihr auf dem Bankkonto befindliches Geld abzuheben und es auf Weisung der Anrufer zwecks Abholung und Sicherung durch die Polizei an einem bestimmten Ort zu deponieren. Parallel dazu koordinierten sogenannte Logistiker die Abholung der Tatbeute und deren Weiterleitung in die Türkei, indem sie „Abholer“ rekrutierten und diese instruierten, die Vermögenswerte abzuholen und nach näherer Weisung an weitere Tatbeteiligte weiterzugeben.

Dem Angeklagten kam die Rolle eines „Abholers“ zu. Für seine Tätigkeit erhielt er einmal 5.000 Euro und ein weiteres Mal 1.000 Euro.“

Auf die Revision des Angeklagten hat das BGH das LG-Urteil aufgehoben:

„1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar begegnet die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe als Mitglied einer Bande gehandelt, keinen rechtlichen Bedenken. Die Verurteilung des Angeklagten wegen (zum Teil nur versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges gemäß § 263 Abs. 5 StGB kann jedoch deswegen keinen Bestand haben, weil das Landgericht dessen Handlungen als mittäterschaftliche Tatbeiträge (§ 25 Abs. 2 StGB) eingestuft hat, ohne sich mit der Frage zu befassen, ob sie nicht auch nur Beihilfehandlungen (§ 27 Abs. 1 StGB) darstellen könnten. In den Urteilsgründen fehlen jegliche Ausführungen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme. Dies stellt hier einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, da es sich angesichts der vom Landgericht zur Tatbegehung getroffenen Feststellungen nicht von selbst versteht, dass der Angeklagte jeweils als Mittäter und nicht lediglich als Gehilfe gehandelt hat.

a) Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Straftaten einer bestimmten Deliktsart zu begehen, ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Beitrag geleistet haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 – 4 StR 665/11 Rn. 17 und Beschluss vom 13. Mai 2003 – 3 StR 128/03 Rn. 14). Ebenso wie nicht jeder Beteiligte an einer von einer Bande ausgeführten Tat hierdurch zum Bandenmitglied wird, ist auch nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat schon deshalb als deren Mittäter anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 – 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 216 ff.).

b) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 3 StR 85/20 Rn. 4 mwN). Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht für jede einzelne Tat aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 2019 – 2 StR 139/19 Rn. 26; vom 26. April 2012 – 4 StR 665/11 Rn. 17 und vom 10. Januar 1956 – 5 StR 529/55, BGHSt 8, 393, 396; Beschlüsse vom 26. November 2019 – 3 StR 323/19 Rn. 7; vom 26. März 2019 – 4 StR 381/18 Rn. 13; vom 13. September 2017 – 2 StR 161/17 Rn. 7 und vom 14. November 2012 – 3 StR 403/12 Rn. 6).

c) Die für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe erforderliche wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls hat das Landgericht nicht vorgenommen; die Urteilsgründe enthalten hierzu keine Ausführungen. Zwar können solche Erörterungen dann entbehrlich sein, wenn angesichts der Urteilsfeststellungen die Einbindung des jeweiligen Tatbeteiligten als Mittäter ohne weiteres ersichtlich ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Allerdings kam dem Angeklagten als „Abholer“ eine wesentliche Rolle innerhalb der Tätergruppierung zu. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, die Tatbeute unmittelbar bei den Opfern abzuholen (vgl. zu einem insoweit abweichenden Sachverhalt BGH, Beschluss vom 23. April 2020 – 1 StR 104/20 Rn. 6). Er war der einzige Tatbeteiligte vor Ort und auch dem größten Entdeckungsrisiko ausgesetzt. In einem Fall wirkte er selbst auf die Geschädigte ein, indem er sie aufforderte, eine Plastiktüte mit Bargeld aus dem Fenster zu werfen (UA S. 19). Damit hing die Durchführung der Taten auch objektiv wesentlich von seinem Tatbeitrag ab; ohne diesen hätten die Taten nicht verwirklicht werden können. Auf der anderen Seite war der Angeklagte nicht nur nicht an der Organisation der Taten beteiligt, die vielmehr den „Logistikern“ übertragen war. Nur in einem Fall hatte er überhaupt persönlichen Kontakt mit einer Geschädigten. In den übrigen Fällen holte der Angeklagte die von den Geschädigten täuschungsbedingt herausgegebenen Vermögensgegenstände lediglich an den Orten ab, an denen die Geschädigten sie nach Vorgabe der „Logistiker“ zuvor zur Abholung durch Polizeibeamte abgelegt hatten. Auch diese Umstände hätte das Landgericht zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe in eine Gesamtbetrachtung einbeziehen müssen. Neben diesen objektiven Faktoren ist auch das Eigeninteresse des Angeklagten an der Tat und an einer eigenen Tatherrschaft in den Blick zu nehmen.

Damit kann in keinem der verfahrensgegenständlichen Fälle die Verurteilung des Angeklagten wegen (versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges Bestand haben. Es bedarf für jeden einzelnen Tatvorwurf einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auf der Grundlage einer vom neuen Tatrichter vorgenommenen Gesamtwürdigung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls.“

StGB II: Limburger-Lastwagenattacke, oder: Der BGH verneint zunächst mal das Mordmerkmal „Heimtücke“

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, behandelt dann die Last­wa­gen-At­ta­cke in der In­nen­stadt von Lim­burg vor gut zwei mit 18 Ver­letz­ten. Der Angeklagte hatte gegen seine Verurteilung wegen versuchten Mordes Revision eingelegt. Die hatte im BGH, Beschl. v. 21.07.2021 – 4 StR 53/21 – wegen der Strafzumessung Erfolg:

„2. Die Sachrüge hat bei der Überprüfung der Schuldsprüche sowie der Strafaussprüche hinsichtlich der Taten 1 und 3 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Hingegen hält die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke im Fall 2 der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiserwägungen zu dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein sind lückenhaft.

a) Das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31). Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2019 – 5 StR 466/19, Rn. 14; vom 4. Juli 2018 – 5 StR 580/17, NStZ 2019, 26, 27; Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 ? 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 9. Oktober 2019 – 5 StR 299/19, NStZ 2020, 348, 349). An einem Ausnutzungsbewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen (BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 403/20, Rn. 26; vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat.

b) Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob der Täter mit dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat, ist Tatfrage und unterliegt einer nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. In den Urteilsgründen sind die für und gegen die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins sprechenden Beweisanzeichen regelmäßig in einer Weise darzulegen, dass die Überprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung auf Rechtsfehler möglich ist.

c) Gemessen hieran ist das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein nicht tragfähig belegt. Es fehlt an einer umfassenden Erörterung aller für und gegen das Ausnutzungsbewusstsein sprechenden Beweisanzeichen.

Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte, der in der Innenstadt von L. mit dem von ihm gesteuerten LKW mit dem Ziel, einen aufsehenerregenden Unfall herbeizuführen, absichtlich auf eine verkehrsbedingt wartende Fahrzeugkolonne auffuhr, die Arg- und Wehrlosigkeit der Tatopfer in ihrer Bedeutung für seine Tatausführung mit einem Blick erfasste. Es hat jedoch Beweisanzeichen, die gegen das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein sprechen könnten, nicht erkennbar in den Blick genommen. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Anlass zu Zweifeln an einem bewussten Ausnutzen der Situation ergaben sich zum einen aus den Angaben des Zeugen M. , der von einem „sehr auffälligen Blick“ des Angeklagten und dessen fehlender Reaktion auf verbale Ansprache berichtete […]. Zum anderen hat die Kammer – anders als bei den Ausführungen zum Tötungsvorsatz […] – nicht berücksichtigt, dass sich die Tat spontan entwickelt hat, der Angeklagte unter dem enthemmenden Einfluss von Cannabis stand und aufgrund dessen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen ist […]. Eine Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen des Ausnutzungsbewusstseins lässt sich auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.“

Dem kann sich der Senat nicht verschließen.“