Archiv für den Monat: April 2021

OWi II: Keine wirksame Ersatzzustellung des BGB, oder: Keine Verjährungsunterbrechung

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Und als zweite Entscheidung dann ein BayObLG-Beschluss auf dem Bußgeldverfahren. Es geht um die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung und damit verknüpft um die Frage der Verjährungsunterbrechung. Das AG hatte verurteilt, das BayObLG stellt im BayObLG, Beschl. v. 17.11.2020 – 201 ObOWi 1385/20 – ein:

„1. Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde:

Halter des bei dem Verkehrsverstoß festgestellten Fahrzeugs ist der Vater des Betroffenen, der in A gemeldet ist. Dessen Anhörung wurde am 02.09.2019 angeordnet. Nach Erholung eines Lichtbildes des Vaters des Betroffenen wurde am 01.10.2019 der Polizeiposten in A um Ermittlung des Fahrers zur Tatzeit gebeten. Von der Polizei in A wurde unter dem 08.10.2019 mitgeteilt, dass die durchgeführten Ermittlungen über die Meldedaten und Erholung eines Lichtbildes des Betroffenen ergaben, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Betroffene den Pkw geführt haben dürfte. Unter dem 15.10.2019 ordnete daraufhin ein Mitarbeiter des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes die Anhörung des Betroffenen an. Der Bußgeldbescheid wurde am 20.11.2019 erlassen und durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 22.11.2019 unter der Anschrift in A zugestellt. Der Betroffene war seit 01.08.2019 mit Hauptwohnsitz in F und in A mit einer Nebenwohnung gemeldet.

Die Verteidigerin hat mit am 06.12.2019 beim bayerischen Polizeiverwaltungsamt eingegangenem Schreiben gegen den Bußgeldbescheid vom 20.11.2019 „namens und in Vollmacht des Mandanten“ Einspruch eingelegt, ohne eine schriftliche Verteidigervollmacht vorzulegen. Die Akten wurden am 11.02.2020 dem Amtsgericht vorgelegt, wo dann am 08.04.2020 und am 17.04.2020 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt worden sind. Eine von der Verteidigerin vorgelegte schriftliche Strafprozessvollmacht wurde vom Betroffenen am 20.04.2020 unterzeichnet. Nach Vortrag der Verteidigerin blieb der in A zugestellte Bußgeldbescheid ungeöffnet und ist dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben worden. Sie habe dem Betroffenen den Bußgeldbescheid auch nicht in Textform übermittelt.

2. Das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§ 260 Abs. 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil bereits vor Urteilsverkündung Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eingetreten war.

…….

c) Die Verjährungsfrist ist hingegen nicht nach § 26 Abs. 3 Halbsatz 2 StVG auf sechs Monate verlängert und auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG erneut unterbrochen worden durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 20.11.2019; denn der Bußgeldbescheid ist nicht innerhalb von zwei Wochen ab Erlass wirksam zugestellt worden. Sowohl für die Verlängerung der Frist auf sechs Monate als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht nur ein wirksamer Bußgeldbescheid, sondern auch dessen wirksame Zustellung erforderlich (vgl. BGHSt 45, 261, 263; OLG Bamberg NJW 2006, 1078; OLG Celle ZfSch 2011, 647).

aa) Eine wirksame Zustellung an den Betroffenen ist unter der Anschrift in A nicht erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 OWiG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides durch die Post mittels Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177182 ZPO entsprechend. Nach §§ 178 Abs. 1, 180 Satz 1 ZPO erfordert eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist. Für den Begriff der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften kommt es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und dort auch schläft bzw. dort seinen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsucht, ohne dass der melderechtliche Status ausschlaggebend ist (vgl. BGH NJW-RR 1994, 564; BeckOK/Dörndorfer ZPO [Stand: 01.09.2020] § 178 Rn. 3). Dies war für die Wohnung in A zum Zeitpunkt der Zustellung nicht der Fall. Der Betroffene trägt nachvollziehbar und durch die eidesstattliche Versicherung seines Vaters bestätigt vor, dass er sich seit 01.08.2019 nicht mehr in A aufgehalten hat. Er war seit diesem Zeitpunkt tatsächlich mit Hauptwohnsitz in F gemeldet. Auch die im Freibeweisverfahren erholte dienstliche Stellungnahme eines Beamten des Polizeipostens A hat keine gegenteiligen Erkenntnisse erbracht. Zwar kann unter Umständen eine Ersatzzustellung unter dem Nebenwohnsitz erfolgen. Dies setzt aber voraus, dass der Betroffene entweder den Anschein gesetzt hat, dort tatsächlich aufhältlich zu sein oder sich tatsächlich dort aufgehalten hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 23.08.1999 – 7 ZB 99.1380 = BayVBl 2000, 403 = BeckRS 1999, 22873); BeckOK/Dörndorfer a.a.O. § 178 Rn. 4). Beides kann hier nicht nachgewiesen werden. Der Zugang von Briefsendungen kann nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden (vgl. KG NZV 2002,200; OLG Celle a.a.O.).

bb) Eine Heilung dieses Zustellungsmangels ist nicht eingetreten, § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. Art. 9 BayVwZVG, da kein Zugang bei einem tatsächlich Empfangsberechtigten festgestellt werden kann. Der Betroffene bzw. sein Vater versichern und versuchen, dies anhand eines Lichtbildes zu belegen, dass der Bußgeldbescheid vom Betroffenen zu keinem Zeitpunkt aus dem Kuvert genommen worden ist, auf welchem das Zustellungsdatum vermerkt ist. Seine Verteidigerin, die den Bußgeldbescheid gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG formlos in Abschrift erhalten hat und deshalb bei Einspruchseinlegung auch das Datum des Bußgeldbescheides kannte, trägt vor, dass sie dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt den Bußgeldbescheid in Textform übermittelt habe. Für eine Heilung des Zustellungsmangels ist zwar nicht der Zugang des Originals des Schriftstücks erforderlich, sondern es genügen vielmehr auch die Übersendung einer Kopie oder eines Scans. Andere Formen der Übermittlung führen aber wegen der Fehleranfälligkeiten derartiger Übermittlungswege grundsätzlich nicht zur Heilung eines Zustellungsmangels (vgl. BGH, Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 = MDR 2020, 750 = WRP 2020, 740 = DGVZ 2020, 121 = GRUR 2020, 776 = ZMR 2020, 803). Die Verteidigerin hat vorliegend gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG lediglich formlos eine Abschrift des Bußgeldbescheides erhalten. Schon von daher fehlt bezogen auf die Verteidigerin der Zustellungswille der Verwaltungsbehörde. Es kann vorliegend auch dahinstehen, ob es für die Heilung eines Zustellungsmangels genügt, wenn die Verteidigerin anstelle des Betroffenen vom Inhalt des Bußgeldbescheides Kenntnis erlangt hat (vgl. zum Fall der Kenntniserlangung des Betroffenen bei missglückter Zustellung an den Verteidiger OLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2017 – 3 RBs 106/17 bei juris). Die Heilung nach Art. 9 BayVwZVG i.V.m. § 189 2. Alt. BGB setzt voraus, dass der Bußgeldbescheid (in Textform) einem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Der Wahlverteidiger gilt aber nur dann als empfangsberechtigt, wenn zum Zeitpunkt der Zustellung seine Vollmacht bereits zu den Akten gelangt ist (vgl. KK/Lampe OWiG 5. Aufl. § 51 Rn. 84 m.w.N.). Eine Abschrift der Verteidigervollmacht ist vorliegend aber erst am 23.04.2020 dem Amtsgericht überlassen worden. Demnach war die Verteidigerin vorliegend bei formloser Übersendung des Bußgeldbescheides (noch) nicht empfangsberechtigt. Es bestehen vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigerin zum Zeitpunkt der Übersendung des Bußgeldbescheides bereits rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden war.“

OWi I: Nochmals BVerfG 2 BvR 1616/18, oder: Wie geht das OLG Hamburg damit um?

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Heute dann ein OWi-Tag.

Und ich eröffne den Reigen mit dem OLG Hamburg, Beschl. v.  02.03.2021 –  2 RB 5/21 – zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18. Der Betroffene hatte gegen seine Verurteilung Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt, ohne Erfolg:

„3. Die Aufhebung des Urteils ist auch nicht wegen Versagung des rechtlichen Gehörs i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geboten.

a) Eine – in der Rechtsbeschwerdeinstanz mit der Verfahrensrüge geltend zu machende (vgl. Göhler-Seitz/Bauer § 80 Rn. 16a) – Versagung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nach den für die Auslegung des Art. 103 Abs. 1 GG maßgebenden Grundsätzen zu bestimmen (vgl. nur Seitz/Bauer aaO. m.w.N.). Der Anspruch ist insbesondere verletzt, wenn ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten verwertet hat, zu denen dieser nicht gehört worden ist (Seitz/Bauer aaO. m.w.N.; vgl. auch KK-StPO/Maul § 33a Rn. 3). Daneben umfasst der Anspruch das Recht, Kenntnis von Anträgen und Rechtsausführungen anderer Verfahrensbeteiligter zu erhalten, sich hierzu äußern und das eigene Prozessverhalten darauf einstellen zu können (LR/Graalmann-Scheerer § 33a Rn. 3 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt § 33a Rn. 1). Außerdem verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. nur BVerfG Beschl. v. 10. Februar 2020, Az.: 2 BvR 336/19 m. zahlr. Nachw. (juris)).

Vor diesem Hintergrund kann der Anspruch auf rechtliches Gehör unter anderem dann verletzt sein, wenn dem Betroffenen für eine Äußerung zu verfahrensrelevanten Umständen unzureichende Zeit zur Verfügung stand, wenn das Gericht kurzfristig einen nicht angekündigten Beweis erhoben und verwertet hat, oder wenn ein Beweisantrag nicht beschieden oder unter deutlichem Verstoß gegen § 77 OWiG zurückgewiesen worden ist (vgl. Seitz/Bauer aaO. Rn. 16b m.w.N.).

b) Der Betroffene hat mit seiner Rechtsbeschwerde „die Verletzung des rechtlichen Gehörs“ gerügt und dazu zusammengefasst vorgebracht, sein Verteidiger habe mit an die Bußgeldstelle gerichtetem Schreiben vom 28. April 2020 beantragt, zum Zwecke der Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung verschiedene Unterlagen bzw. Daten „beizuziehen“, darunter „die Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Rohmessdaten/Einzelmesswerten sowie die Statistikdatei und die Case-List“. Die „Bußgeldstelle“ habe nicht reagiert.

Der Antrag sei dann auch in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 24. September 2020 gestellt worden, verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Beiziehung und Überprüfung der Unterlagen. Das Amtsgericht habe beides zurückgewiesen.

Außerdem habe die Verteidigung in der Hauptverhandlung einen auf die Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens „unter Beiziehung“ verschiedener Unterlagen gerichteten Beweisantrag gestellt, nach dessen Inhalt sich aus der Beweiserhebung die „Fehlerhaftigkeit der Messung“ „respektive“ der Umstand habe ergeben sollen, dass eine Überprüfung der Messung mangels fehlender Unterlagen nicht möglich sei. Auch diesen Antrag habe das Amtsgericht zurückgewiesen.

Schließlich habe die Verteidigung gegenüber dem Amtsgericht noch beantragt, „bei der LBV-VÜ 21 die Annulierungsrate bezüglich der streitgegenständlichen Messung vom 24.01.2020 bis zum 30.01.2020 zu ermitteln, da nur so die Frage der Messbeständigkeit im Rahmen des einzuholenden SV-Gutachtens geprüft werden könne“. Auch diesen Antrag habe das Amtsgericht zurückgewiesen. In der Hauptverhandlung sei hinsichtlich sämtlicher zurückweisenden Beschlüsse die Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs gerügt worden.

c) Die hiermit geltend gemachte Verweigerung des Zugangs zu dem Gericht nicht vorliegenden Daten und Unterlagen zum Zwecke der Überprüfung des Ergebnisses der Geschwindigkeitsmessung stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (vgl. ausführlich: KG Beschl. v. 2. April 2019, Az.: 3 Ws (B) 97/19 (juris); ferner BayObLG Beschl. v. 4. Januar 2021, Az.: 202 ObOWi 1532/20; BayObLG Beschl. v. 6. April 2020, Az.: 201 ObOWi 291/20 (juris); OLG Hamm, Beschl. v. 1. Januar 2019, Az.: III-4 RBs 377/18 (juris); KG Beschl. v. 1. November 2018, Az.: 3 Ws (B) 253/18 (juris); OLG Bamberg Beschl. v. 13. Juni 2018, Az.: 3 Ss OWi 626/18 (juris)).

Dies entspricht zugleich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unabhängig von der Frage, inwieweit der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, dieses jedenfalls auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten beschränkt ist (BVerfG Beschl. v. 12. Januar 1983, Az.: 2 BvR 864/81 (juris)). Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner maßgeblichen Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Verweigerung des Zugangs zu Daten und Informationen, die der Betroffene aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung für die Beurteilung des gegen ihn gerichteten Ordnungswidrigkeitenvorwurfs zumindest theoretisch für bedeutsam halten darf, die Frage einer Verletzung der Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG zwar nicht ausdrücklich erörtert. Es hat aber eine Gehörsverletzung nicht festgestellt, obwohl diese im dortigen Verfahren ausdrücklich gerügt worden war (BVerfG Beschl. v. 12. November 2020, Az.: 2 BvR 1616/18 (juris)).

Im Übrigen erscheint eine die Aufhebung des Urteils i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG gebietende und mithin entscheidungserhebliche Beeinflussung der amtsgerichtlichen Entscheidung durch Umstände, die dem Amtsgericht nicht bekannt geworden sind, auch denklogisch nur schwer vorstellbar. Die weiteren sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Ausprägungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. oben Ziff. 3. a)) sind ebenfalls nicht berührt.

d) Soweit schließlich, ausgehend von dem Zweck des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, absehbar erfolgreichen Verfassungsbeschwerden entgegenzuwirken, eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung der Regelung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG befürwortet wird (vgl. dazu Göhler-Seitz/Bauer § 80 Rn. 16e m.w.N.), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Einer erweiternden Auslegung steht bereits der insoweit eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Im Übrigen ist der Weg analoger Anwendung der Vorschrift auf andere Rechtsverletzungen in Ermangelung einer erkennbaren Regelungslücke nicht eröffnet. Aus der Begründung des Gesetzgebers zur Regelung in § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geht hervor, dass der Gesetzgeber die mit der beschränkten Zulassung der Rechtsbeschwerde in Fällen von geringer Bedeutung bezweckte Entlastung der Gerichte lediglich insoweit begrenzen wollte, als er es als „unbefriedigend“ eingeschätzt hat, „wenn in den Fällen, in denen das rechtliche Gehör versagt worden ist, die Rechtsbeschwerde unter diesem Gesichtspunkt nicht zugelassen wird, so daß letztlich das Bundesverfassungsgericht bemüht werden muß, um diesen Verfassungsverstoß zu beseitigen“ (BT-Drs. 10/2652 S. 29). Demnach hat der Gesetzgeber die Erweiterung der Zulassungsgründe des § 80 Abs. 1 OWiG bewusst auf Fälle entscheidungserheblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs begrenzt. Dass ihm dabei die Möglichkeit einer noch weitergehenden Vermeidung absehbarer Verfassungsbeschwerden durch Erweiterung des Kreises der dafür in Betracht kommenden (Grund-)Rechtverletzungen nicht vor Augen stand, und mithin von einer entsprechenden weitergehenden Zulassungsregelung nicht bewusst abgesehen worden ist, liegt fern.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Berufungsverfahrensgebühr mit oder ohne Haftzschlag?

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Am Freitag hatte ich gefragt: Ich habe da mal eine Frage: Berufungsverfahrensgebühr mit oder ohne Haftzschlag?

Und meine Antwort auf die Frage war:

„Das verstehen Sie schon richtig. Sie haben Berufung eingelegt. Damit hat das Berufungsverfahren begonnen und Ihre Verfahrensgebühr entsteht mit der ersten nach Einlegung erbrachten Tätigkeit. Und wenn der Mandant zu der Zeit in Haft war, mit Zuschlag. Auf die Vorlage der Akten kommt es nicht an. Wenn das der Fall wäre, würde ja auch, wenn Sie vor Vorlage der Akten die Berufung zurücknehmen, die Nr. 4141 VV RVG nicht entstehen. Darauf kommt es aber im Berufungsverfahren nicht an (OLG Celle, RVGreport 2014, 155 = AGS 2014, 125 = NStZ-RR 2014, 128 = VRR 2014, 199 = RVGprofessionell 2014, 77 = JurBüro 2014, 241 = StraFo 2014, 219; OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.1.2015 – 1 Ws 583/14).“

Durchsuchung II: Sperrwirkung einer Einstellung, oder: Zeitablauf

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 05.03.2021 – 12 Qs 4/21. In ihm nimmt das LG Stellung zur der Frage der Sperrwirkung einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO und zum Unwirksamwerden eines Durchsuchungsbeschlusses infolge Zeitablaufs. Dazu das LG:

„3. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Durchsuchung von Rechts wegen erfolgen durfte.

a) Der Durchsuchungsbeschluss ist rechtmäßig ergangen.

aa) Notwendige Voraussetzung jeder Durchsuchung ist ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO wegen einer bestimmten Straftat. Dieser liegt vor, wenn auf der Grundlage konkreter Tatsachen nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 152 Rn. 4 m.w.N.). Einen solchen konkreten Anfangsverdacht hat der Beschwerdeführer hier selbst geschaffen, indem er in der Sitzung des Amtsgerichts Nürnberg am Morgen des 21. Februar 2020 in der Sache 52 OWi 703 Js … geäußert hat, er habe sein Handy in die Buchse gesteckt und das Ende des Gesprächs (mit den beiden Polizisten) aufgezeichnet.

Darin lag eine Selbstbezichtigung des Beschwerdeführers, eine Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen, zumindest aber versucht zu haben. Nach der genannten Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Nichtöffentlich gesprochen ist ein Wort dann, wenn es nicht an die Allgemeinheit gerichtet ist oder nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus verbreitet werden soll (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 201 Rn. 3). Die Nichtöffentlichkeit ist bei der hier durch die Verkehrskontrolle situativ, räumlich und persönlich geschaffenen Eingrenzung gegeben.

bb) An der vorstehenden Beurteilung, dass ein Anfangsverdacht vorliegt, ändert sich nichts dadurch, dass die Staatsanwaltschaft zunächst mit Verfügung vom 6. Mai 2020 das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Eine Einstellung nach dieser Vorschrift entfaltet keine Sperrwirkung, die einer erneuten Befassung der Staatsanwaltschaft mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt entgegenstünde. Das Ermittlungsverfahren kann vielmehr jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht. Aufseiten des Beschuldigten besteht insoweit kein Vertrauensschutz auf den Bestand der ursprünglichen Einstellungsverfügung (BGH, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 StR 524/10, juris Rn. 10). Die Kammer merkt an, dass aus der Akte, soweit sie im Rahmen der Beschwerde vorgelegt wurde, nicht nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Umstände oder Erwägungen sich die Staatsanwaltschaft dazu entschlossen hat, von ihrer ursprünglichen Einschätzung, die der Verfahrenseinstellung zugrunde gelegen hatte, abzurücken und das Verfahren wieder aufzugreifen. Daraus folgt indessen kein durchgreifendes Argument gegen die Rechtmäßigkeit der erneuten Befassung mit dem Fall, denn es ist umgekehrt auch nicht ersichtlich, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sachfremd motiviert gewesen wäre.

cc) Der Annahme eines Anfangsverdachts steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer behauptet, die inkriminierte Tonaufnahme versehentlich – strafrechtlich gesprochen: fahrlässig und damit im konkreten Fall nicht strafbar – gemacht zu haben. Die Ermittlungsbehörden sind nicht gehalten, der eigenen Einschätzung eines Beschuldigten zum subjektiven Tatbestand einer Straftat uneingeschränkt zu folgen, sondern haben eigenständig zu bewerten, ob die feststellbaren Umstände in ihrer Zusammenschau den Rückschluss auf einen Vorsatz zulassen. Nachdem der Beschwerdeführer bei seiner Aussage vor dem Amtsgericht Nürnberg, die dort protokolliert worden ist, nichts in die Richtung äußerte, die Aufnahme sei nur versehentlich erfolgt, und nachdem versehentliche Tonaufnahmen mit einem Mobiltelefon nach aller Erfahrung seltener vorkommen als bewusst vorgenommene, liegt es nahe, im Vortrag des Beschwerdeführers eine bloße sog. Schutzbehauptung zu sehen. Eine solche stellt den Anfangsverdacht nicht infrage.

Ebenso wenig muss die Staatsanwaltschaft der Behauptung eines Beschuldigten glauben, er habe die gesuchte Sache nicht (mehr).

dd) Die übrigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Verhältnismäßigkeit des angegriffenen Beschlusses, liegen vor. Das Auffinden des Tonträgers ist für den Tatnachweis geeignet und erforderlich und die Durchsuchung war, auch in Anbetracht des hohen Stellenwerts der Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung (Art. 13 GG), noch angemessen. Ohne den Tonträger selbst lässt sich nicht belegen, ob die Aufnahme des Gesprächs – verstanden als Tätigkeit des Aufnehmens, die der Beschwerdeführer selbst zugegeben hat – zu einem Erfolg geführt hat. Aufnehmen im Sinne der Strafvorschrift ist das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einem Tonträger in der Weise, dass es wieder hörbar gemacht werden kann. Gelingt es nicht, das Wort auf dem Tonträger zu fixieren, liegt nur Versuch (§ 201 Abs. 4 StPO) vor (Schünemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 201 Rn. 13). Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist weiter zu sehen, dass die vorgeworfene Straftat nicht lediglich geringfügig ist (zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07, juris Rn. 20) und dass es letztlich der Beschwerdeführer war, der durch seine eigene Aussage im Ordnungswidrigkeitsverfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg das hiesige Ermittlungsverfahren – ohne Not – provoziert hat.

b) Die Durchsuchung ist auch rechtzeitig vollzogen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tritt – außer er wird vorher richterlich bestätigt – ein erlassener Durchsuchungsbeschluss außer Kraft, wenn er nicht spätestens ein halbes Jahr nach Erlass vollzogen wird (BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 BvR 380/01, juris Rn. 13; Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92, juris Rn. 29 f.). Hier kann dahinstehen, ob – wozu die Kammer freilich nicht neigt – der zeitliche Abstand zwischen dem Erlass des ersten Beschlusses und der Durchsuchung, fast fünf Monate, zur Unwirksamkeit dieses Beschlusses geführt haben kann. Denn jedenfalls ist der erste Beschluss des Ermittlungsrichters durch dessen berichtigenden Beschluss vom 21. Januar 2021 unmittelbar vor dem Vollzug der Durchsuchungsmaßnahme konkludent bestätigt worden. Auch wenn sich der zweite Beschluss allein auf die Berichtigung der Postleitzahl des Durchsuchungsobjekts bezogen hat, so hat der Ermittlungsrichter damit schlüssig miterklärt, dass er an seinem ursprünglichen Durchsuchungsbeschluss festhält und ihn damit bestätigt. Damit ist der Zeitablauf zwischen dem Erlass des ursprünglichen Durchsuchungsbeschlusses und dessen Vollzug vorliegend unerheblich.“

Durchsuchung I: Beschwerdeberechtigung einer Stadtratsfraktion, oder: Verhältnismäßigkeit

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Ich eröffne die neue Woche dann mit zwei Entscheidungen zur Durchsuchung. Beide kommen vom LG Nürnberg-Fürth.

Zunächst der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 31.03.2021 – 12 Qs 11/21. Es geht um die Durchsuchung der Räume einer Stadtratsfraktion. Das LG sagt: Die Fraktion ist beschwerdeberechtigt, also war die Beschwerde zulässig. Und begründet war sie auch:

1. Die Beschwerde ist zulässig erhoben worden.

a) Die Fraktion Y. im E. Stadtrat ist beschwerdeberechtigt. Gegen eine Durchsuchung von Räumen kann sich wenden, wer durch sie in seinen Rechten beeinträchtigt wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 304 Rn. 6). Das ist bei der Fraktion im Stadtrat hinsichtlich ihrer eigenen Fraktionsräume der Fall. Bei einer Stadtratsfraktion handelt es sich nach in Bayern maßgeblicher Rechtslage um einen nicht rechtsfähigen Verein bürgerlichen Rechts (BayVGH, Urteil vom 9. März 1988 – 4 B 86.03226, NJW 1988, 2754, 2756; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, 30. EL Februar 2020, Art. 33 Rn. 4; anders z.B. für NRW OVG Münster, Beschluss vom 21. November 1988 – 15 B 2380/88, juris). Auf einen solchen findet das Recht der Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) Anwendung (§ 54 Satz 1 BGB). Aufgrund der durch den Bundesgerichtshof anerkannten Teilrechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (zusammenfassend dazu etwa Westermann in Ermann, BGB, 16. Aufl., § 54 Rn. 1 ff.) spricht alles dafür, die Fraktion als solche als Berechtigte hinsichtlich der ihr von der Kommune im Rathaus für die Fraktionsarbeit zur Verfügung gestellten Räume anzusehen.

b) Das Rechtsschutzbedürfnis und die Beschwer der Beschwerdeführerin sind gegeben. Die sie belastende Durchsuchung ist noch nicht abgeschlossen. Eine Durchsuchungsmaßnahme gilt solange als nicht abgeschlossen, solange die Durchsicht der dabei mitgenommenen Unterlagen nach § 110 StPO andauert (BGH, Beschluss vom 3. September 1997 – StB 12/97, juris; Kammer, Beschluss vom 5. März 2021 – 12 Qs 4/21, juris Rn. 13; Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 129). Das ist noch der Fall. Zwar hat die Kriminalpolizei zwischenzeitlich die fünf sichergestellten Rechner an die Beschwerdeführerin wieder herausgegeben. Allerdings hat sie den PC Fujitsu gespiegelt, um ihn nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens auswerten zu können. Damit ist die Durchsicht für die Ermittlungsbehörden noch nicht abgeschlossen und demgemäß dauert die Durchsuchung an.

2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss ist rechtswidrig.

a) Der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts im angegriffenen Durchsuchungsbeschluss und in der Nichtabhilfeentscheidung, wonach die Durchsuchung vorliegend auf § 102 StPO gestützt werden konnte, ist nicht zu beanstanden.

Nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG, Beschluss vom 9. August 2019 – 2 BvR 1684/18, juris Rn. 33) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlaubt § 102 StPO auch die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln von Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen, die der Verdächtige nur mitbenutzt, die ihm vom Arbeitgeber zur Arbeitsausübung überlassen worden sind (BGH, Beschluss vom 8. April 1998 – StB 5/98, juris). Weiterhin kann auf dieser Eingriffsgrundlage durchsucht werden, wenn Dritte Mitinhaber der tatsächlichen Herrschaft über Räumlichkeiten sind, die von Verdächtigen bewohnt werden (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1985 – 5 StR 338/85, juris). Überträgt man die in diesen Entscheidungen liegenden Wertungen auf den gegebenen Fall, kann man die Durchsuchung der Fraktionsräume wegen einer mutmaßlichen Straftat des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auf § 102 StPO stützen.

b) Die Kammer hat Zweifel, ob vorliegend überhaupt der Anfangsverdacht einer Straftat als Voraussetzung für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses angenommen werden kann.

Als möglicherweise erfüllter Straftatbestand kommt vorliegend, wie das Amtsgericht zutreffend gesehen hat, lediglich § 33 KunstUrhG in Betracht. § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB scheitert am fehlenden Bezug zum höchstpersönlichen Lebensbereich, § 201a Abs. 2 StGB am fehlenden erheblichen Schaden für das Ansehen der Abgebildeten. Nach § 33 KunstUrhG wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 KunstUrhG ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG können auch ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet und zur Schau gestellt werden. Letzteres kommt hier ernsthaft in Betracht.

Die Betreiber der Internetseite, auf der die inkriminierten Bilder eingestellt wurden, können sich im Grundsatz auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen (streitig ist, ob online-Medien dabei unter die Rundfunk- oder die Pressefreiheit fallen, vgl. Grabenwarter in Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 247 ff. m.N. zur Diskussion). Ausweislich ihrer Selbstbeschreibung (https://de.indymedia.org/mission-statement) ist indymedia „ein Zusammenschluss von unabhängigen Medienorganisationen und hunderten von JournalistInnen, die nichthierarchische, nicht konzerngebundene Berichterstattung leisten. Indymedia ist eine demokratische Medienplattform für die Verbreitung einer radikalen, sorgfältigen, und leidenschaftlichen Sicht der Realität…“. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, die diese Selbsteinschätzung in Frage stellen würden, sind der Akte nicht zu entnehmen.

Schon bei der Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, ist daher eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten einerseits und den Rechten der Medien andererseits vorzunehmen. Dabei ist der Beurteilung ein normativer Maßstab zugrunde zu legen, welcher die Freiheit der Berichterstattung und zugleich den Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre ausreichend berücksichtigt. Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen. Der Begriff des Zeitgeschehens ist zugunsten der Freiheit der Berichterstattung in einem weiten Sinn zu verstehen; er umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Aufl., § 23 Rn. 9 ff. m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 967/15, juris Rn. 15 ff.; Beschluss vom 23. Juni 2020 – 1 BvR 1716/17, juris Rn. 12). Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse – im örtlichen Rahmen der konkret betroffenen Stadtgesellschaft – sein kann zu erfahren, dass sich eine politische Partei an einem Ort zu Versammlungen trifft und dass man hieran bestimmte politische Bewertungen anknüpfen kann. Die ins Netz hochgeladenen Bilder berühren im Übrigen nicht die Privat- oder Intimsphäre der Abgebildeten, sondern zeigen sie bei einer Parteiversammlung im Gastraum einer Gaststätte. Durften danach die Bilder auf de.indymedia.org möglicherweise zulässig veröffentlicht werden, käme mangels Haupttat aber keine strafbare Beihilfe in Betracht.

Eine Abwägung im vorstehend nur angedeuteten Sinne, die in Fällen wie diesem zwingend angestellt werden muss, ist in der vorgelegten Akte nicht ansatzweise dokumentiert. Die Kammer muss sie an dieser Stelle aber auch nicht nachholen, weil die Beschwerde jedenfalls aus nachfolgenden Erwägungen Erfolg hat.

c) Unterstellt man eine Strafbarkeit dem Grunde nach, ist die Beschwerde wegen fehlender Verhältnismäßigkeit, namentlich wegen fehlender Angemessenheit des Durchsuchungsbeschlusses begründet.

Die maßgeblichen Abwägungskriterien für die Beurteilung der Angemessenheit sind bei der Durchsuchungsanordnung vor allem die Schwere des Tatvorwurfs und der Grad des konkreten Tatverdachts. Weiterhin können z.B. die Erfolgsaussichten der Durchsuchung, die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren, die Zahl der Straftaten oder die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat einbezogen werden (Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 64 m.w.N.).

Der Tatvorwurf ist hier kein schwerer. Der Gesetzgeber drückt die Schwere des Tatvorwurfs abstrakt durch die mit einem Straftatbestand verknüpfte Strafdrohung aus. § 33 KunstUrhG bewegt sich mit einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, die hier nochmal gem. § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB herabgesetzt wird, am untersten Rand. Die ins Netz gestellten Bilder rechtfertigen konkret keine hohe Strafe (die Privat- oder Intimsphäre der Abgebildeten ist nicht berührt). Dementsprechend hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Strafbefehlsantrag lediglich eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen beantragt.

Der Tatverdacht gegen den Beschuldigten war bis zur Durchsuchung – und ist es noch – nur schwach begründet. Ausweislich des Akteninhalts haben Ermittlungen zu der Behauptung des die Tat bestreitenden Beschuldigten, es hätten auch andere Personen vom Bürgersteig aus in den Gastraum hinein fotografiert, vor der Durchsuchung noch nicht stattgefunden. Ebenso wenig finden sich dort Erkenntnisse zu der unbekannten Person des vermeintlichen Haupttäters, der die Bilder auf der Internetplattform eingestellt haben soll und zu seiner Beziehung zu dem Beschuldigten. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Durchsuchung die inkriminierten Bilder zu finden, war nach kriminalistischer Erfahrung überdies gering. Unmittelbar vor Beantragung des Strafbefehls setzte die Staatsanwaltschaft den Verteidiger des Beschuldigten nämlich über den Tatvorwurf im Wege der Akteneinsicht in Kenntnis. Erfahrungsgemäß reagieren Beschuldigte auf die Eröffnung des Tatvorwurfs durch Beseitigung von belastendem Beweismaterial. Es ist – jedenfalls nachdem die Bilder bereits online gestellt worden sind – kein nachvollziehbares Motiv erkennbar, warum der Beschuldigte, sollte er die Bilder tatsächlich bereitgestellt haben, weiter im Besitz von Datenträgern mit ihn belastenden Bildern verbleiben sollte.

Die Angemessenheit des Durchsuchungsbeschlusses wird entgegen den Ausführungen in der Zuschrift der Staatsanwaltschaft vom 30. März 2021 nicht dadurch begründet, dass diese der Kriminalpolizei einzelne Weisungen erteilt hat, die den Umfang der durchzuführenden Datensichtung begrenzen sollten. Diese Weisungen sind nämlich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses unerheblich. Das Ermittlungsverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft „die Herrin des Verfahrens“ ist und in dem sie den Umfang ihrer Ermittlungen selbst steuern kann, war beendet, als sie ihren Strafbefehlsantrag gestellt hat. Die Verantwortlichkeit für die Anordnung der Durchsuchung und deren Umfang liegt seitdem allein beim Amtsgericht Erlangen. Vonseiten des Amtsgerichts sind aber keine Einschränkungen des Durchsuchungsumfangs bei der Beschwerdeführerin angeordnet worden.

Im Hinblick auf die Beschwerdeführerin ist schlussendlich deren Beziehung zu der Haupttat des vermeintlichen Unbekannten nicht belegt. Zwar war nach Erkenntnissen der Polizei der Fraktionsgeschäftsführer … mit vor der Gaststätte gestanden, als der Beschuldigte dort fotografierte. Ausweislich der Flugblätter, die in die Briefkästen in der Nachbarschaft der Gaststätte „…“ eingeworfen wurden und auf denen auf die Internetseite der indymedia hingewiesen wurde, zeichnet aber nicht die Beschwerdeführerin, sondern die „antifaschistische Aktion“ dafür verantwortlich; sie dürfte auch für das Hochladen der Bilder auf die Internetseite verantwortlich sein. Die Kammer geht mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon aus, dass die „antifaschistische Aktion“ mit der Beschwerdeführerin nicht (teil)personenidentisch ist. Im bereits zitierten Beschluss vom 8. April 1998 (StB 5/98, juris Rn. 5) weist der Bundesgerichtshof zutreffend darauf hin, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der auf § 102 StPO gestützten Durchsuchung in der gegebenen Konstellation eine gewisse Respektierung der Sphäre des Mitgewahrsamsinhabers gebietet. Das ist hier nach allem nicht hinreichend geschehen.“