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OWi I: Nochmals BVerfG 2 BvR 1616/18, oder: Wie geht das OLG Hamburg damit um?

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Heute dann ein OWi-Tag.

Und ich eröffne den Reigen mit dem OLG Hamburg, Beschl. v.  02.03.2021 –  2 RB 5/21 – zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18. Der Betroffene hatte gegen seine Verurteilung Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt, ohne Erfolg:

„3. Die Aufhebung des Urteils ist auch nicht wegen Versagung des rechtlichen Gehörs i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geboten.

a) Eine – in der Rechtsbeschwerdeinstanz mit der Verfahrensrüge geltend zu machende (vgl. Göhler-Seitz/Bauer § 80 Rn. 16a) – Versagung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nach den für die Auslegung des Art. 103 Abs. 1 GG maßgebenden Grundsätzen zu bestimmen (vgl. nur Seitz/Bauer aaO. m.w.N.). Der Anspruch ist insbesondere verletzt, wenn ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten verwertet hat, zu denen dieser nicht gehört worden ist (Seitz/Bauer aaO. m.w.N.; vgl. auch KK-StPO/Maul § 33a Rn. 3). Daneben umfasst der Anspruch das Recht, Kenntnis von Anträgen und Rechtsausführungen anderer Verfahrensbeteiligter zu erhalten, sich hierzu äußern und das eigene Prozessverhalten darauf einstellen zu können (LR/Graalmann-Scheerer § 33a Rn. 3 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt § 33a Rn. 1). Außerdem verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. nur BVerfG Beschl. v. 10. Februar 2020, Az.: 2 BvR 336/19 m. zahlr. Nachw. (juris)).

Vor diesem Hintergrund kann der Anspruch auf rechtliches Gehör unter anderem dann verletzt sein, wenn dem Betroffenen für eine Äußerung zu verfahrensrelevanten Umständen unzureichende Zeit zur Verfügung stand, wenn das Gericht kurzfristig einen nicht angekündigten Beweis erhoben und verwertet hat, oder wenn ein Beweisantrag nicht beschieden oder unter deutlichem Verstoß gegen § 77 OWiG zurückgewiesen worden ist (vgl. Seitz/Bauer aaO. Rn. 16b m.w.N.).

b) Der Betroffene hat mit seiner Rechtsbeschwerde „die Verletzung des rechtlichen Gehörs“ gerügt und dazu zusammengefasst vorgebracht, sein Verteidiger habe mit an die Bußgeldstelle gerichtetem Schreiben vom 28. April 2020 beantragt, zum Zwecke der Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung verschiedene Unterlagen bzw. Daten „beizuziehen“, darunter „die Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe mit Rohmessdaten/Einzelmesswerten sowie die Statistikdatei und die Case-List“. Die „Bußgeldstelle“ habe nicht reagiert.

Der Antrag sei dann auch in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 24. September 2020 gestellt worden, verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Beiziehung und Überprüfung der Unterlagen. Das Amtsgericht habe beides zurückgewiesen.

Außerdem habe die Verteidigung in der Hauptverhandlung einen auf die Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens „unter Beiziehung“ verschiedener Unterlagen gerichteten Beweisantrag gestellt, nach dessen Inhalt sich aus der Beweiserhebung die „Fehlerhaftigkeit der Messung“ „respektive“ der Umstand habe ergeben sollen, dass eine Überprüfung der Messung mangels fehlender Unterlagen nicht möglich sei. Auch diesen Antrag habe das Amtsgericht zurückgewiesen.

Schließlich habe die Verteidigung gegenüber dem Amtsgericht noch beantragt, „bei der LBV-VÜ 21 die Annulierungsrate bezüglich der streitgegenständlichen Messung vom 24.01.2020 bis zum 30.01.2020 zu ermitteln, da nur so die Frage der Messbeständigkeit im Rahmen des einzuholenden SV-Gutachtens geprüft werden könne“. Auch diesen Antrag habe das Amtsgericht zurückgewiesen. In der Hauptverhandlung sei hinsichtlich sämtlicher zurückweisenden Beschlüsse die Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs gerügt worden.

c) Die hiermit geltend gemachte Verweigerung des Zugangs zu dem Gericht nicht vorliegenden Daten und Unterlagen zum Zwecke der Überprüfung des Ergebnisses der Geschwindigkeitsmessung stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (vgl. ausführlich: KG Beschl. v. 2. April 2019, Az.: 3 Ws (B) 97/19 (juris); ferner BayObLG Beschl. v. 4. Januar 2021, Az.: 202 ObOWi 1532/20; BayObLG Beschl. v. 6. April 2020, Az.: 201 ObOWi 291/20 (juris); OLG Hamm, Beschl. v. 1. Januar 2019, Az.: III-4 RBs 377/18 (juris); KG Beschl. v. 1. November 2018, Az.: 3 Ws (B) 253/18 (juris); OLG Bamberg Beschl. v. 13. Juni 2018, Az.: 3 Ss OWi 626/18 (juris)).

Dies entspricht zugleich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unabhängig von der Frage, inwieweit der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, dieses jedenfalls auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten beschränkt ist (BVerfG Beschl. v. 12. Januar 1983, Az.: 2 BvR 864/81 (juris)). Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner maßgeblichen Entscheidung zur verfassungsrechtlichen Bedeutung der Verweigerung des Zugangs zu Daten und Informationen, die der Betroffene aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung für die Beurteilung des gegen ihn gerichteten Ordnungswidrigkeitenvorwurfs zumindest theoretisch für bedeutsam halten darf, die Frage einer Verletzung der Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG zwar nicht ausdrücklich erörtert. Es hat aber eine Gehörsverletzung nicht festgestellt, obwohl diese im dortigen Verfahren ausdrücklich gerügt worden war (BVerfG Beschl. v. 12. November 2020, Az.: 2 BvR 1616/18 (juris)).

Im Übrigen erscheint eine die Aufhebung des Urteils i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG gebietende und mithin entscheidungserhebliche Beeinflussung der amtsgerichtlichen Entscheidung durch Umstände, die dem Amtsgericht nicht bekannt geworden sind, auch denklogisch nur schwer vorstellbar. Die weiteren sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Ausprägungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. oben Ziff. 3. a)) sind ebenfalls nicht berührt.

d) Soweit schließlich, ausgehend von dem Zweck des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, absehbar erfolgreichen Verfassungsbeschwerden entgegenzuwirken, eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung der Regelung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG befürwortet wird (vgl. dazu Göhler-Seitz/Bauer § 80 Rn. 16e m.w.N.), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Einer erweiternden Auslegung steht bereits der insoweit eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen. Im Übrigen ist der Weg analoger Anwendung der Vorschrift auf andere Rechtsverletzungen in Ermangelung einer erkennbaren Regelungslücke nicht eröffnet. Aus der Begründung des Gesetzgebers zur Regelung in § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geht hervor, dass der Gesetzgeber die mit der beschränkten Zulassung der Rechtsbeschwerde in Fällen von geringer Bedeutung bezweckte Entlastung der Gerichte lediglich insoweit begrenzen wollte, als er es als „unbefriedigend“ eingeschätzt hat, „wenn in den Fällen, in denen das rechtliche Gehör versagt worden ist, die Rechtsbeschwerde unter diesem Gesichtspunkt nicht zugelassen wird, so daß letztlich das Bundesverfassungsgericht bemüht werden muß, um diesen Verfassungsverstoß zu beseitigen“ (BT-Drs. 10/2652 S. 29). Demnach hat der Gesetzgeber die Erweiterung der Zulassungsgründe des § 80 Abs. 1 OWiG bewusst auf Fälle entscheidungserheblicher Verletzung des rechtlichen Gehörs begrenzt. Dass ihm dabei die Möglichkeit einer noch weitergehenden Vermeidung absehbarer Verfassungsbeschwerden durch Erweiterung des Kreises der dafür in Betracht kommenden (Grund-)Rechtverletzungen nicht vor Augen stand, und mithin von einer entsprechenden weitergehenden Zulassungsregelung nicht bewusst abgesehen worden ist, liegt fern.“

OWi I: Umsetzung von BVerfG 2 BvR 1616/18, oder: OLG Jena macht es richtig

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Heute dann ein Tag mit OWi-Entscheidungen.

Und ich beginne mit zwei Entscheidungen zur Umsetzung des Beschlusses des BVerfG v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18. Daran arbeiten sich die Gerichte ja gerade ab. Hier eine OLG-, und eine LG-Entscheidung, einmal positiv, einmal negativ.

Zunächst dann der Hinweis auf den OLG Jena, Beschl. v. 17.03.2021 – 1 OLG 331 SsBs 23/20, über den ja auch schon der Kollege Gratz berichtet hat. Der Betroffene hatte in einem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, dem eine Messung mit Poliscan zugrunde gelegen hat,  Einsicht in Messunterlagen verlangt. Die war ihm nicht gewährt worden. Das OLG hat auf die Rechtsbeschwerde hin aufgehoben:

„d) Hiervon ausgehend, ist der Betroffene durch die Vorenthaltung der mit seiner verfahrensgegenständlichen Messung in Zusammenhang stehenden Messreihe, d. h. der gesamten am Tattag an der Messstelle zum Nachweis von Verkehrsverstößen angefallenen und gespeicherten digitalen Falldatensätze (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 17.06,2018, Az. 1 OWi 6 SsBs 19/18, bei juris) in seinem Anspruch auf faire Verfahrensgestaltung verletzt worden.

aa) Nach dem i. S. v. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässigen, durch die Sachakte bestätigen Rügevorbringen hat die Verteidigung mit Schriftsatz vom 16.04.2019 gegenüber der Bußgeldbehörde die bis zu diesem Zeitpunkt gewährte Akteneinsicht als unvollständig beanstandet und vergeblich u. a. die noch ausstehende Überlassung der gesamten Messserie gefordert, das hierauf bezogene Einsichtsbegehren mit- durch Beschluss des Amtsgerichts Gera vom 25.06.2019 zurückgewiesenem – Antrag auf gerichtliche Entscheidung weiter verfolgt und ihren – mit einem Aussetzungsantrag verbundenen – Antrag auf Überlassung der Messreihe in der Hauptverhandlung vom 12.12.2019 – wiederum erfolglos – wiederholt.

Zur Begründung hat die Verteidigung jeweils geltend gemacht, dass der Betroffene den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf auf breiterer Grundlage prüfen und insbesondere nach etwaigen, allen Messungen anhaftenden, aber der Messung des Betroffenen nicht zu entnehmenden Fehlern suchen wolle, die die Messbeständigkeit des Gerätes in Frage stellen könnten, und nach denkbaren, auf einen Umbau oder eine ungewollte Neuausrichtung während des Messbetriebes hindeutenden Veränderungen der Bildausschnitte.

bb) Dem Betroffenen stand gegenüber der Bußgeldbehörde ein aus dem Recht auf faire Verfahrensgestaltung resultierender Anspruch auf die am Tattag an der ihn betreffenden Messstelle generierten Falldateien anderer Verkehrsteilnehmer zu, weil die geforderten Informationen in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dem ihm angelasteten Geschwindigkeitsverstoß stehen und aus Sicht des Betroffenen für die Beurteilung der Erfolgsaussichten seiner Verteidigung bedeutsam sein können.

Die Kenntnis der dort zeitnah gewonnenen Messdaten, die sich nicht auf die ihm vorgeworfene Tat beziehen, verschafft dem Betroffenen eine breitere Grundlage für die Prüfung, ob im konkreten Fall tatsächlich ein standardisiertes Messverfahren ordnungsgemäß zur Anwendung gekommen ist und das Messgerät fehlerfrei funktioniert hat (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.07.2015, Az. IV-2 RBs 63/15; KG Berlin, Beschl. v. 05.12.2018, Az. 3 Ws (B) 266/18, bei juris), indem sie anhand der Daten, die im zeitlichen Zusammenhang mit seiner Messung an gleicher Stelle erhoben worden sind, die Suche nach Hinweisen auf etwaige Fehlfunktionen des Messgeräte oder Fehler bei der Durchführung eröffnet, die eventuell Rückschlüsse auf die Fehlerhaftigkeit auch der eigenen Messung erlauben (OLG Düsseldorf; a. a. O.). Dass ein die Messreihe insgesamt betreffender Fehler, der sich in anderen Dateien abbildet, aus der Messdatei des konkreten Verkehrsverstoßes ebenfalls hervorgehen müsste (so OLG Koblenz, a. a. O.), trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. Bestimmte Auffälligkeiten wie etwa fehlende Vollständigkeit der Aufnahmen, Unregelmäßigkeiten bei der Dateneinblendung, eine hohe Anzahl verworfener Messungen, Stellungs- oder Standortveränderungen des Messgerätes, stark abweichende Positionen mehrerer der aufgenommenen Fahrzeuge zur Fotolinie oder gehäuftes Auftreten unsinniger Messergebnisse sind für den Betroffenen bzw. einen von ihm beauftragten Sachverständigen nur durch Betrachtung aller Aufnahmen zu ermitteln (Cierniak, Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen, zfs 2012, 664, 672). Ein dahingehendes, das Einsichtsgesuch legitimierendes Interesse hat der Betroffene jeweils vorgetragen.

cc) Die vom Bundesverfassungsgericht für die Gewährung des Informationszugang geforderte Relevanz der begehrten Informationen für die Verteidigung lässt sich nicht mit der Erwägung verneinen, dass aus der Betrachtung der gesamten Messreihe ohnehin kein für die Beurteilung der Verlässlichkeit der den Betroffenen betreffenden Einzelmessung erheblichen Erkenntnisse gezogen werden könnten (so BayObLG, Beschl. v. 04.01.2021, a. a. O.). Die insoweit erhobenen Einwände, dass die Messreihe selbst bei einer Einzelmessung, die aus dem Bereich der üblicherweise am Messort festgestellten (überhöhten) Geschwindigkeiten deutlich herausrage, “keine verwertbare Aussage bringe”, weil geringe Geschwindigkeitsüberschreitungen vieler Verkehrsteilnehmer nicht ausschließen, dass jemand auch deutlich schneller unterwegs gewesen sein könne (PTB, “Der Erkenntniswert von Statistikdatei, gesamter Messreihe und Annullationsrate in der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung”, Stand 30.03.2020; BayObLG, Beschl. v. 04.01.2021, Az. 202 ObOWi 1532/20, bei juris), oder dass eine etwa feststellbare hohe Annullierungsrate keinen Anhalt dafür biete, dass gerade die nicht verworfene Messung im Einzelfall fehlerhaft sei, sondern gerade für die Richtigkeit dieser Messung spreche, die trotz funktionierender Selbstkorrektur des Gerätes keinen Anlass zur Verwerfung gegeben habe (PTB, a. a. O.; OLG Frankfurt, Beschl v. 26.08.2016, Az. 2 Ss- OWi 589/16; OLG Koblenz, Beschl. v. 17.07.2018, Az. 1 OWi 6 SsBs 19/18; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.10.2020, Az. 1 OWi 2 SsBs 103/20; bei juris), reichen nicht aus, um schon die Möglichkeit etwa aus der Messreihe insgesamt abzuleitender Entlastungsmomente schlechthin auszuschließen und der Messreihe von vornherein eine potentielle Beweiserheblichkeit abzusprechen.

Ob bestimmte Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein können, unterliegt allein ihrer Einschätzung (BGH, Beschl. v. 04.10.2007, Az. KRB 59/07 [(Kartellbußgeldverfahren]), bei juris), wobei sie – wie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich dargelegt – auch rein theoretischen Entlastungsmöglichkeiten nachgehen kann. Dass die dem Gericht obliegend Aufklärungspflicht sich nicht auf Ermittlungen erstreckt, “die sich auf die nur theoretische, nicht tatsachengestützte Möglichkeit einer Entlastung gründen”, so dass der Betroffene derartige Ermittlungen vom Gericht nicht verlangen kann (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 17.07. 2018, a. a. O.), ist für den Umfang des vorgelagerten Informationsanspruchs des Betroffenen gegenüber der Behörde ohne Belang.

Ob anhand des Messfilms ermittelte Auffälligkeiten (für sich genommen oder auch erst bei einem etwaigen Zusammentreffen) geeignet sind, die einer Messung im Standardisierten Messverfahren zugebilligte Beweiskraft zu erschüttern, oder ob das Gericht sich dennoch vom Geschwindigkeitsverstoß überzeugen kann, ist letztlich eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall.

dd) Das Einsichtsrecht in verfahrensfremde Messdaten lässt sich auch nicht wegen entgegenstehender Interessen der betreffenden Verkehrsteilnehmer ablehnen.

Zwar enthält jede weitere Falldatei ein digitales Beweisfoto mit personenbezogenen Informationen in Form des Fahrzeugs, seines Kennzeichens und einer Abbildung des Fahrers, aus der sich nicht nur ableiten lässt, das er einen bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt passiert hat, sondern auch, dass dies höchstwahrscheinlich mit überhöhter Geschwindigkeit geschehen und er deshalb in einem anderweitigen Bußgeldverfahren dem Vorwurf einer von ihm begangenen Ordnungswidrigkeit ausgesetzt ist (vgl. OLG Koblenz, a. a. O.).

Gegenüber der gebotenen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren sind die Persönlichkeitsrechte Dritter regelmäßig nachrangig (BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983, Az. 2 BvR 864/81, bei juris); dem diesbezüglichen Interesse des Betroffenen auch im Bußgeldverfahren ist deshalb ebenfalls erhebliches Gewicht beizumessen, selbst wenn man diesem Interesse wegen der geringeren Schwere des erhobenen Vorwurfs und der drohenden Sanktionen nicht schlechthin Vorrang einräumt. Bei der vorzunehmenden Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht der anderen, in der Messserie abgebildeten Verkehrsteilnehmer ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass diese sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und der Kontrolle ihres Verhaltens durch die Polizei ausgesetzt haben und der festgehaltene Lebenssachverhalt jeweils auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt ist, so dass die Aufzeichnung nicht dem Bereich der engen Privatsphäre berührt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.05.2011, Az. 2 BvR 2072/10, bei juris). Es kann daher für diese Personen keinen tiefgreifenden Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht darstellen, wenn sie im Zusammenhang mit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahme mit einer äußerst geringen Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt sind, zufällig erkannt zu werden (Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, § 5 (Regel-)Fahrverbots-Ordnungswidrigkeiten des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG Rn. 12, beck-online). Die konkrete Gefahr einer nachhaltigen Bloßstellung Dritter, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trotz des anzuerkennenden Entlastungsinteresses des Betroffenen die Zurückhaltung verfahrensfremder Informationen rechtfertigen kann, ist deshalb nicht zu besorgen. Das gilt auch deshalb, weil die Messdaten lediglich an den Verteidiger und einen von ihm beauftragten Sachverständigen herausgegeben werden, was datenschutzrechtliche Bedenken weiter verringert (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.07.2019, 1 Rb 10 Ss 291/19; LG Köln Beschl. v. 11.10.2019, 323 Qs 106/19, bei juris). Das Interesse der in den Falldateien der Messreihe erfassten sonstigen Verkehrsteilnehmer muss daher gegenüber dem aus dem fair-trial-Anspruch resultierenden Einsichtsrecht des Betroffenen zurückstehen.“

Und dann noch – negativ – der LG Wiesbaden, Beschl. v. 24.02.2021 – 3 Qs 2/21. Das LG hat eine Beschwerde gegen die Versagung der Einsicht durch das (erkennende) AG unter Hinweis auf § 305 StPO als unzulässig angesehen. Die Ablehnung der Einsichtnahme in Unterlagen, wie z.B.  Messreihe, Lebensakte usw.,  sei zwar grundsätzlich geeignet, den Betroffenen möglicherweise in seinem Recht auf ein faires Verfahren zu verletzen. Zur Geltendmachung des Verstoßes sei er aber auf das Rechtsbeschwerdeverfahren zu verweisen. Das steht m.E. mit den Grundsätzen der Entscheidung des BVerfG, wenn man mit denen Ernst mnachen will, nicht in Einklang. Und: Was soll ich nach der Hauptverhandlung noch mit den Daten/Unterlagen?